Sie war das It-Girl unter den Intellektuellen. Sie war die modisch Mondäne und die leise, aber wortgewaltige Lyrikerin. Ingeborg Bachmann. Vor 40 Jahren, am 17. Oktober 1973, verstarb sie in Rom unter Umständen, die den Moll-Schlussakkord eines ebenso zerrissenen Lebens bildeten: Die tabletten- und alkoholabhängige Schriftstellerin erlag den fürchterlichen Brandverletzungen, die sie Ende September in ihrer Wohnung erlitten hatte. Eine nicht ausgelöschte Zigarette hatte das Feuer ausgelöst.
Ingeborg Bachmann wurde nur 47 Jahre alt. Ihr literarischer Stern begann 20 Jahre vor ihrem Tod aufzugehen – 1953 las Ingeborg Bachmann erstmals bei der berühmten Gruppe 47 und setzte sofort Maßstäbe: Literarisch, aber auch als Frau in einer von Männern dominierten Literaturwelt.
Sie gewinnt mit ihrem Lyrikband „Die gestundete Zeit“ den Preis der Gruppe. Und sie weckt Beschützerinstinkte: Martin Walser erlebt sie und schreibt am 28. Oktober 1957 an den gemeinsamen Verleger Siegfried Unseld: „Sie strömt Unglück aus wie andere Frauen Parfüm. Ich habe jede Skepsis ihr gegenüber verloren und würde alles tun, ihr ein bißchen helfen zu können.“
„Bachmann fühlt sich fremd in der Welt“, schreibt Ingeborg Gleichauf in ihrem lesenswerten Buch über die Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch (Piper Verlag, München, 2013). Zum komplizierten Innenleben dieser Dichterin gehören komplizierte Beziehungen. Reines Glück war ihre Sache wohl nie. Ein Grund, so deutelten Biographen später, war im Elternhaus angelegt. 1926 wird Ingeborg Bachmann in Klagenfurt geboren, erstes Kind eines Schuldirektors. Der erlebten Enge im Elternhaus, der politischen Gesinnung des Vaters entflieht sie, studiert ab 1945 Philosophie, Rechtswissenschaften, Psychologie und Germanistik.
Bereits mit ihrem Doktorvater, dem Philosophen Victor Kraft, verbindet sie eine Beziehung. Aber dann lernt sie 1945 Paul Celan kennen – jenen Lyriker, dessen Sprache und ihre so sehr miteinander verwandt sind. Bereits ein halbes Jahr nach der ersten Begegnung geht Celan jedoch nach Paris. Die beiden beginnen sich brieflich anzunähern – der Briefwechsel dauert an bis Ende 1961, als Celan in eine schwere psychische Krise gerät. Bei Suhrkamp erschien 2008 unter dem Titel „Herzzeit“ dieser Briefwechsel der beiden bedeutenden Lyriker deutscher Sprache der Nachkriegszeit – ergreifend ist es, anhand der Briefe und Telegramme zu sehen, wie beide nicht miteinander leben, einander aber auch nicht lassen können und darum ringen, auch durch längere Phasen des Schweigens wenigstens eine Art der Beziehung haben zu können.
„Habe vergeblich versucht dich anzurufen geheimnummer wird nicht bekanntgegeben bitte ruf mich gegen 10 uhr morgens an oder telegrafiere deine nummer deine ingeborg“ 3.12.1960
Da ist sie bereits in einer, wie man so schön neudeutsch sagt, on-and-off-Beziehung zu Max Frisch. Ihn lernte sie 1958 kennen. Auf den ersten Blick ein ungleiches, unpassendes Paar. Max Frisch ist sprachlich und körperlich in seiner Nüchternheit ein Antipode zum feinnervigen Celan. Er ist der bodenständig erscheinende Gegenpart zur flatterigen Bachmann. Frisch, uneitel in Äußerlichkeiten, an Lebens- und Praxisnähe orientiert – sie, die immer etwas dem Alltag enthoben erscheint. Mit Frisch sucht Bachmann, so Ingeborg Gleichauf, die Normalität einer fast schon bürgerlich anmutenden Beziehung. Ingeborg Gleichauf in einem Interview:
„Ich denke, mit Frisch hat sie vor allem den Versuch verhandelt, doch noch wie so eine bürgerliche Existenz zu führen. In einer Wohnung gemeinsam mit ihm zu wohnen, den Alltag zu gestalten. Ich denke, das war wirklich ein Versuch, ein Versuch, der gescheitert ist, aber ein Versuch, der für sie irgendwann einmal unternommen werden musste. So etwas hatte er einfach noch nie erlebt, weil er vor dieser Zeit auch kein großes Interesse gezeigt hatte, sich mit Schriftstellerinnen/Schriftstellern zu umgeben, geschweige denn, eine Beziehung mit einer Schriftstellerin einzugehen. Das hat ihn gereizt.“
Während sie und Max Frisch sich annähern – auch dies von Beginn an schwierig – ist Paul Celan immer noch ihr Bezugspunkt. Seine Briefe an sie in jener Zeit: Ebenfalls Zeugnisse einer kaum zu unterdrückenden Eifersucht, der Rivalität mit dem Schweizer. Celan und Frisch setzen Bachmann verbal zwischen alle Stühle: Eine kaum aus-haltbare Situation für die sensible Frau.
Bis 1962 hält die Verbindung zu Frisch an. Es kommt zu einem schmerzhaften Bruch. „Ein grandioser Anfang und ein trauriges Ende“, wie Ingeborg Gleichauf in ihrem Buch schreibt. Beide verarbeiten dieses Scheitern literarisch. Bachmann in ihrem einzig vollendeten Roman, „Malina“. Eines ihrer Lebensthemen kommt darin zur Sprache: Dieses verzweifelte Ringen um Freiheit, dessen Kehrseite auch die Einsamkeit ist. Diese Zugehörig-Sein-Wollen und doch die Nähe nicht zu ertragen. Max Frisch selbst plagt sich nach ihrem Tod mit Schuldvorwürfen.
Es würde der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann nicht gerecht werden, sie jedoch nur auf dieses „Leiden an der Liebe“ zu reduzieren. Sie war eine Intellektuelle, sie war politisch wach und engagiert, und vor allem eine sehr, sehr große Sprachkünstlerin. Aber: Sie war offensichtlich auch ein Mensch, der in sich keinen Halt finden konnte. Ein großes Werk, ein tragisches Leben.
Bücher:
„Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit“,
224 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, ISBN: 978-3-492-05478-2, € 19,99
„Herzzeit. Ingeborg Bachmann – Paul Celan. Der Briefwechsel“
399 Seiten, suhrkamp taschenbuch 4115, Broschur, ISBN: 978-3-518-46115-0, € 9,95
Recht spitzzüngig charakterisierte Fritz J. Raddatz in seinem „Bestiarium der deutschen Literatur“ das Verhältnis Bachmann-Frisch:
„Der Totenkopfschwärmer wird von der österreichischen Landbevölkerung die „Große Somnambule“ genannt. Das leitet sich daher, daß der mancherorts als Unglücksbote verrufene Nachtfalter – der übrigens auch tagaktiv ist – wie betrunken auf Lichtfallen reagiert. Ein berühmter Schweizer Spezialist hat zum Zweck des Anlockens unter einem Laken aus dünner Leinwand das Licht einer Quecksilberdampflampe (wie sie auch auf Theaterbühnen verwendet werden) installiert (…).“
Einmal in die Falle gegangen, habe dies den Schweizer Spezialisten in einen Glückstaumel versetzt, wohlwissend, dass das Tier auf der Liste der bedrohten Arten stand:
„Die genauen Ergebnisse seiner Forschung hat der Lichtfallensteller einer Akademie übergeben und auf Jahrzehnte sekretieren lassen.“
Ich finde es immer wieder auf eine spezielle Art seltsam, aber interessant sich dem Liebesleben, also der so persönlichen Seite einer Frau anzunähern, die man eigentlich nur mit ihrem Nachnamen anspricht - „die Bachmann“, ein sperriges Wesen.
Gefällt mirGefällt 1 Person
„Die Bachmann“ war in der Literatur vielleicht das, was einst „Die Dietrich“ im Film: Eine Art Diva, ein Star, die zur Marke werden - dann genügt die Nennung des Nachnamens, und jeder macht sich ein Bild, wenn auch ein falsches. Auf jeden Fall: Das Markenzeichen einer „öffentlichen“ Person. Bei der Konstellation Bachmann-Celan-Frisch konnte ja nicht einmal das Liebesleben privat bleiben, nicht zu Lebzeiten, nicht hinterher. Immer überschattet von der öffentlichen Wahrnehmung und Spekulation. Ingeborg Gleichauf geht in ihrem Buch meiner Meinung nach sehr sensibel und mit großen psychologischem Gespür an diese Beziehung heran und lässt so auch „das Private“, die eigentlichen Personen heraustreten. So bleibt „die Bachmann“ kein sperriges Wesen, sondern wird in ihrer ganzen Zerrissenheit deutlich. Und - ich finde die Nennung des Nachnamens allemal besser - wie degradierend wäre es gewesen, man hätte sie zu „unserer Ingeborg“ gemacht, und Celan zu „Paule“. Stell dir das mal vor.
Gefällt mirGefällt 3 Personen
Hierzulande „dat Ingeborg“ - Gott bewahre! ;D Sehr schöner Buchtipp 🙂
Gefällt mirGefällt mir
Meine große poetische Lehrmeisterin - nicht nur das…
Ein fragiler Mensch, der Zeit seines Lebens nach etwas suchte, das ihm Halt gab.
Wenn man sie ‚die gestundete Zeit‘ lesen hört, klingt aus ihrer spröden Stimme all dies traurige Zerrissene heraus. Als ich sie das erste Mal las, war es wie Wiederfinden von etwas lange Gesuchtem, von dem ich nicht wusste, dass ich es vermisste. So stark wirkten ihre Worte, ihre Sprachgewalt auf mich ein.
So jemand stirbt so früh und so tragisch, ohne die Chance zu erhalten, ein späteres Lebenswerk zu schaffen. Ohne die Chance, doch noch ein Glück mit jemandem zusammen finden zu können. Die Liebe zu finden war ein Herzenswunsch, zutiefst menschlich und sie in jemandem zu suchen, der ihr ähnelte in der Art ihrer Sprache, allzu verständlich. Darum Celan - so nachvollziehbar und so traurig.
Danke für Deinen Beitrag, der sensibel den Menschen hinter ‚der Bachmann‘ beleuchtet.
Morgengrüße von der Karfunkelfee✨
Gefällt mirGefällt 3 Personen
Schön, wie Du das schreibst. Ja, in ihrer Sprache waren sich Celan und Bachmann so verwandt, das ist immer wieder auch verblüffend. Und wohl auch in ihrer Gebrochenheit. Wäre eine von beiden innerlich stärker, ruhiger gewesen, dann hätte das der Halt sein können, den sie vergeblich bei Frisch suchte (der ja trotz seiner scheinbaren äußeren Ruhe durchaus auch kein vollkommen ausgeglichener Mensch, durchaus kein Zen-Meister war). Aber es hat eben nicht sein sollen. Der Briefwechsel zwischen Celan und Bachmann spricht Bände.
Gefällt mirGefällt 1 Person
So ist es…das einander Ähnliche hat eine so große Anziehungskraft. ‚Wäre’…dieser Konjunktiv beinhaltet so viel Mögliches und Unmögliches, setzt man ein ‚gewesen‘ dahinter, legt er sich auf das Letztere fest und verträumt sich in die Endgültigkeit.
Gefällt mirGefällt 1 Person
Ein sehr schöner, gut geschriebener Artikel. Hatte mich vor längerer Zeit mal mit „der Bachmann“ beschäftigt, ein bisschen kreuz und quer gelesen. Die von Dir dargelegten Schilderungen sind sehr dicht und plastisch, vielleicht gerade, weil es so sehr um Liebe geht. Die Bachmann hat dadurch mehr Gestalt angenommen.
Danke!
Gefällt mirGefällt mir
Das freut mich! Danke sehr.
Gefällt mirGefällt 1 Person
danke für diesen beitrag, sehr schön und einfühlsam geschrieben.
eine so tolle und interessante persönlichkeit, in all ihrer tragik.
ihre lyrik ist etwas ganz besonderes!
Gefällt mirGefällt 1 Person
Meine Allzeit-Lieblingserzählung stammt von Ingeborg Bachmann: ‚Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran‘ im Malina-Roman. Ach, ich werde sie gleich heute mittag nochmal lesen! Danke für die Erinnerung!
Gefällt mirGefällt 1 Person
Gerne! Ja, der ganze Malina-Roman hat eine einzigartige Intensität - und für mich noch mehr gewonnen, als ich die Hintergründe dazu zu verstehen begann.
Zum Briefwechsel: So berührend, weil man auch zu verstehen beginnt, wie sehr diese beiden Menschen unter dem Unverständnis der Außenwelt, dem Umgang mit ihrer Dichtung, gelitten haben. Das Buch müsste eigentlich „Herzleid“ statt „Herzzeit“ heißen.
Gefällt mirGefällt 2 Personen
Aaah, noch mehr über Ingeborg Bachmann, wie toll! 🙂
Herzlichen Dank dafür.
Dina x
Gefällt mirGefällt 2 Personen
genau das habe ich gerade auch gedacht und gemerkt, wie wenig ich doch von ihr weiss, herzlichen Dank, da werde ich mich bestimmt noch tiefer mit beschäftigen
herzlichst Ulli
Gefällt mirGefällt 1 Person
Liebe Birgit, für mein Empfinden triffst du mal wieder sehr genau einen mittleren Ton, der weder „zu nah dran“ ist, noch an der Oberfläche bleibt - toller Beitrag! Und auch ich gehöre zu denjenigen, die sich mal wieder ein Buch „der Bachmann“ aus dem Regal nehmen werden … Herzlichen Dank!
Gefällt mirGefällt 1 Person
Vielen Dank!
Gefällt mirGefällt mir
Ingeborg Bachmann? Die personifizierte Großartigkeit, ein Werk, das seinesgleichen sucht. Finde ich definitiv auch. Deswegen erstmal danke für deinen Beitrag! 🙂
Das Bachmann-Frisch-Buch von Ingeborg Gleichauf? Finde ich persönlich problematisch, weil ich die Ableitung biographischer Details aus dem literarischen Werk für sehr fragwürdig halte. Natürlich ist die Beziehung zwischen Bachmann und Frisch spannend, aber das Werk der Bachmann und auch das Werk von Frisch stehen auch unabhängig voneinander für so viel mehr! Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich mit einer fundierten, intertextuellen Studie gerechnet habe und dann gefühlt so einen komischen Hybridtext zwischen romantischer Auffüllung von biographischen Ungereimtheiten und Textauszügen aus Montauk und Malina bekommen habe. Über das Ende der Beziehung zwischen Frisch und Bachmann ist glaube ich nichts genaueres bekannt?
Ich denke, die wissenschaftlichere, intertextuelle Analyse ermöglicht sich jedoch spätestens, wenn wir mehr Einblick in den Nachlass „der Bachmann“ bekommen und der Briefwechsel publiziert wird.
So lief es ja auch bei Paul Celan. Auch über die Details der Beziehung Bachmann-Celan konnte größtenteils nur spekuliert werden, bis der Briefwechsel erschien. Und mithilfe der „Herzzeit“ lässt sich auch der „poetologische Dialog“ der beiden fundiert nachweisen. Du hast oben geschrieben, Bachmann und Celan sind sich sprachlich verwandt - das liegt wohl maßgeblich daran, dass sie (wie sich in den Briefen nachweisen lässt) über Metaphern und eine Symbolik kommunizieren, die sich in das literarische Werk - besonders die Gedichte der „gestundeten Zeit“ und „Mohn und Gedächtnis“ - übertragen.
Bachmann greift Celans Bilder auf und rezipiert sie, entwickelt sie weiter, macht sie sich zu eigen. Das gilt primär für Metaphern Celans, die er für die Schrecken der Shoah findet. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ - Um das Schweigen zu umgehen, verwendet Bachmann die Symbole Celans, einem, der ihrer Meinung nach das Recht hat, darüber zu sprechen bzw. schreiben, weil er selbst betroffen war.
Das alles ist philologisch nachweisbar, ohne dass man die biographischen Details ihrer Liebesbeziehung braucht. Ich bin mir sicher, dass sich ähnliche Beobachtungen bei Max Frisch machen lassen und bin ganz gespannt auf den wohl in den nächsten paar Jahren erscheinenden Briefwechsel!
Gefällt mirGefällt 1 Person