Die WAHREN Meister der komischen Kunst

“Karikatur ohne Bissigkeit, Drastik, Schärfe ergibt für mich keinen Sinn. Man hat mir oft Geschmacklosigkeit und Brutalhumor vorgeworfen. Wer denn, wenn nicht ein Satiriker, soll die Dinge beim Namen nennen?”
Manfred Deix

Morgen, Aschermittwoch, heißt es aufatmen: Die Zeit des organisierten Narrentums ist überstanden. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Dazu braucht es keine fünfte Jahreszeit. Und so ist es meist der ganz stinknormale, gewöhnliche Alltag, der den Meistern der komischen Kunst die besten Vorlagen bietet. Der Verlag Antje Kunstmann hat vor vier Jahren ein großartiges Unterfangen gestartet: Eine Bibliothek deutscher Karikaturisten, Cartoonisten, komischer Künstler. Die Reihe “Meister der komischen Kunst” ist auf 40 Bände angelegt, im Mai erscheint als Nummer 21 ein Band mit Bildern von Manfred Deix, bereits herausgekommen sind unter anderem Bücher mit Arbeiten von Marie Marcks, Robert Gernhardt, Michael Sowa, Bernstein, Haderer, Hans Traxler, um nur einige zu nennen. Herausgeber dieser urkomischen Angelegenheit ist WP Fahrenberg, Kunsthistoriker und Gründer des “Göttinger Elch”:

“In der deutschsprachigen Humor/Satire-Szene fehlt seit langem eine Buchreihe, die sich mit den wichtigsten, stilbildenden Künstlern des Genres aus den vergangenen 60 Jahren in klarer und informativer Weise beschäftigt - im Sinne einer Grund-Einführung in Werk und Schaffen. Eine solche Reihe erscheint heute auch deswegen so wichtig, weil in der unabsehbaren Flut von Dumpf-Comedy und Schnellzeichnerei wirkliche künstlerische und inhaltliche Qualität auf der Strecke zu bleiben scheint - insbesondere die “Nachwachsenden” zwischen 20 und 50 Jahren kennen viel zu oft die Großmeister des Genres nicht mehr…”

Eine bissige Bibliothek, die großes Vergnügen bereitet.

Jürgen Kaumkötter: Der Tod hat nicht das letzte Wort (2015).

27. Januar 1945 war der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Heute ist dieser Tag internationaler Holocaust-Gedenktag. Als die Rote Armee kam, befanden sich nur noch die Schwächsten in Auschwitz. Wer noch gehen konnte, war zuvor von den Nazis auf die Todesmärsche gezwungen worden.

Aber dennoch soll an diesem Tag der Tod nicht das letzte Wort haben. Zum 70. Jahrestag der Befreiung wird im Deutschen Bundestag eine Ausstellung mit Werken eröffnet, die in den KZs und Ghettos entstanden sind beziehungsweise von den Kindern und Kindeskindern der Shoah-Opfer stammen. Beim Verlag Galiani Berlin erschien das dazugehörige Buch: “Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945″ von Jürgen Kaumkötter, Kurator der Ausstellung.

Aus den Verlagsangaben:
“Auschwitz 1947 – aus dem Konzentrationslager wird ein Museum: Jerzy Adam Brandhuber und Władysław Siwek arbeiten an zwei Werkzyklen. Brandhuber, der 1942 in Polen verhaftet wurde und 1943 als Häftling in das Konzentrationslager Auschwitz kam, betitelt seinen Zyklus »Vergessene Erde«. Großformatige Kohlezeichnungen, die das Leben im Lager metaphorisch umschreiben. Die SS-Mütze mit dem Totenkopf als Sinnbild des Terrors. Die Zebrakleidung der Häftlinge. Das Leben und Sterben aus der Perspektive der Häftlinge. Siwek, der schon als Häftling im Lager Auschwitz künstlerisch gearbeitet hatte, erstellt monumentale Ölbilder. »Der Appell«: unter dem theatralischen Licht eines illuminierten Weihnachtsbaumes prügeln Kapos die wehrlosen Häftlinge zu Tode, nackte Füße liegender Menschen als Sinnbild des Todes. Ein dramatischer Abendhimmel, unter dem die breitbeinig stehenden SS-Männer die Zahlen der Häftlinge kontrollieren. Brandhubers Zeichnungen sind im ersten »Museumsführer« der Eröffnungsausstellung im Jahr 1947 vermerkt, ausgestellt im Block 7, Siweks nicht.”

http://www.galiani.de/buecher/juergen-kaumkoetter-der-tod-hat-nicht-das-letzte-wort.html

Und hier der Link zur Ausstellung im Bundestag:
http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/ausstellungen/parl_hist/tod_letzte_wort

Hugo Salus - Der genügsame Liebhaber

Max Pechstein

Meine Freundin hat eine schwarze Katze
Mit weichem, knisterndem Sammetfell,
Und ich, ich hab’ eine blitzblanke Glatze,
Blitzblank und glatt und silberhell.

Meine Freundin gehört zu den üppigen Frauen,
Sie liegt auf dem Divan das ganze Jahr,
Beschäftigt, das Fell ihrer Katze zu krauen,
Mein Gott, ihr behagt halt das sammtweiche Haar.

Und komm’ ich am Abend die Freundin besuchen,
So liegt die Mieze im Schoße bei ihr,
Und nascht mit ihr von dem Honigkuchen
Und schauert, wenn ich leise ihr Haar berühr.

Und will ich mal zärtlich tun mit dem Schatze,
Und daß sie mir auch einmal «Eitschi» macht,
Dann stülp’ ich die Katze auf meine Glatze,
Dann streichelt die Freundin die Katze und lacht.

Dies ist eines von zwei Gedichten von Hugo Salus, die Arnold Schönberg für die sogenannten Brettl-Lieder vertonte. Mehr dazu im Arnold Schönberg Center.

Hugo Salus, Arzt, Novellist und Lyriker, wird 1866 als Sohn eines jüdischen Veterinärbeamten in Böhmisch-Leipa (Ceská Lípa) geboren. In Prag studiert er Medizin und ist dort ab 1895 als renommierter Frauenarzt tätig. Zusammen mit dem Lyriker Friedrich Adler (1857 - 1938) wird er zum führenden Vertreter der Prager Literaturszene um die Jahrhundertwende. Er veröffentlicht im «Simplicissimus», in der «Jugend» und im «Ver Sacrum». Als «extremer Assimilant» (Franz Werfel) polemisiert er gegen die zionistische Bewegung; er ist befreundet mit dem jungen Rilke und mit Arthur Schnitzler; Heinrich Vogeler illustriert einige seiner Lyrikbände. 1901 vertont Arnold Schönberg zwei seiner Gedichte, «Einfältiges Lied» und «Der genügsame Liebhaber». Karl Kraus kritisiert vehement die biedermeierliche Idyllik seiner neuromantischen Lyrik. 1929 stirbt er in Prag.
Quelle: bibliotheca Augustana

Jakob van Hoddis - Indianisch Lied

O Nacht zärtlicher Sterne Gefunkel
In liebesklarer Luft
Lebendigen Traumes Flammendunkel.
Über schmalen Wegen der Bergeskluft,
Hoch im Gebirg’ in den eisigen Gipfeln ein Raunen.
Musik der Seele. Tanz und Märchen erstaunen.

Jakob Van Hoddis (Biographie des expressionistischen Dichters hier: Bibliotheca Augustana) schrieb sein “Indianisch Lied” der Zeichnerin und Puppenkünstlerin Lotte Pritzel auf den Leib. Das Gedicht in voller Länge und mehr zu der Frau, deren Puppen auch Rainer Maria Rilke zu einem Aufsatz inspirierten, hier: http://ringelnatz.org/ringelnatz-und-die-puppenmacherin/

Ein ebenso einfühlsamer als auch informativer Blogbeitrag zu Jakob van Hoddis findet sich bei Dingfest:
https://dingfest.wordpress.com/2015/01/10/spuren-der-moderne-in-munsterland-westfalen-jakob-van-hoddis-in-dr-lackmanns-kurklinik-wolbeck/

Mark Twain: Handreichung für freche Fräulein (1865).

Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin - das schien sich auch der 30jährige Mark Twain ins Brevier geschrieben zu haben, als er dieses unkonventionelle Kinderbuch verfasste. 1865 war er noch nicht verheiratet und ebenfalls noch nicht Vater - wer weiß, wie sein Ratgeber einige Jahre später ausgefallen wäre…
“Advice to little girls” ist voller hintersinniger Tipps:
“Good little girls always show marked deference for the aged. You ought never to ‘sass’ old people unless they ‘sass’ you first.”
“If your mother tells you to do a thing, it is wrong to reply that you won’t. It is better and more becoming to intimate that you will do as she bids you, and then afterward act quietly in the matter according to the dictates of your best judgment.”
So werden kleine Mädchen zu kleinen Macchiavellis, die sich mit Mark Twains Rat gut in der von Doppelmoral geprägten Erwachsenenwelt behaupten können.
Der kleine Ratgeber war lange vergessen - vielleicht hatte ihn eine Allianz aus Müttern, Lehrerinnen, alten Tanten und Gouvernanten aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt, um kleine Mädchen brav zu halten?
2011 wurde es von Maria Popova, die den schönen Blog “Brainpickings” betreibt, in einer italienischen Ausgabe entdeckt, geschmückt mit den wunderbaren Zeichnungen des bekannten russischen Buchillustrators Vladimir Radunsky. Nun ist es auch in deutscher Übersetzung beim Aufbau Verlag erschienen. Und mein Tipp: Die Handreichung für freche Fräulein ist nicht nur hilfreich für kleine Mädchen, sondern auch für große Frauen!

#VerschämteLektüren (15): frau g. und die frühreife Olympia.

Éduard Manet, “Olympia” 1863

Seit Mitte 2013 macht “frau g.” auf ihrem Blog “Lust zu Lesen” riesige Lust zum Lesen. Einige ungewöhnliche Buchtipps habe ich bei ihr schon entdeckt - man stöbere selbst auf dem schönen Blog.
Und wird dabei auch auf dieses freundliche Willkommen von Sonja alias “frau g.” stoßen:

“Lust zu lesen hatte frau g. schon immer. Naja, fast. Auf jeden Fall fing sie bereits vor der Einschulung damit an und hörte nie damit auf. Sie las alles, was ihr zwischen die Finger und vor allem vor die Augen kam. Mit der Zeit entwickelte sie dann aber doch gewisse Vorlieben, was ihre Leseauswahl betraf. Heute liest sie am liebsten Zeitgenössisches, ist aber Anderem auch aufgeschlossen – wenn es denn gut geschrieben ist.”

Manchmal darf es aber auch etwas verschämter sein, wie sie uns verrät:

olympia“Als ich das erste Mal bei „Sätze und Schätze“ über die Aktion der verschämten Lektüre las, fiel mir sofort „Olympia“ von Anita Shreve ein. Obwohl ich den Roman bereits vor dreizehn Jahren gelesen habe, ist mir seine Geschichte immer noch präsent und scheint für mich offensichtlich die Vorgaben dieser Reihe „…oder aber um Bücher, die ihr persönlich eigentlich schlecht findet, aber trotzdem gerne gelesen habt“ optimal zu erfüllen.

Der Roman spielt im Jahre 1899. Olympia, sechzehnjährige Tochter aus gutem Haus, natürlich wunderschön und ungewöhnlich intelligent, verliebt sich in einen Freund ihres Vaters. Er, John Haskell, ist von Beruf Arzt, sozial sehr engagiert , verheiratet und selbst Vater dreier Kinder. Dass die ganze Geschichte sich natürlich zum Desaster für alle Beteiligten entwickelt, dürfte klar sein.

Und trotzdem hat mich die Geschichte mitgerissen, und ja, verschämt gebe ich es zu: ich verliebte mich ein bisschen mit in diesen charismatischen, verantwortungsvollen Arzt; fühlte und litt mit Olympia in ihrer dramatisch verzweifelten Situation. Ohnmächtig musste ich mit ansehen, wie die beiden verraten wurden, natürlich auf perfideste Art und Weise: beobachtet durch ein Fernrohr, als sie sich während eines Familienfestes heimlich auf einem Altar liebten (geht’s vielleicht noch ein bisschen dicker?). Dies konnte selbstredend nicht folgenlos bleiben, und so nahm das Drama weiter seinen Lauf…

Natürlich muss man sich dafür nicht wirklich schämen – für mich ist es aber deshalb zum Thema passend, weil dieses Buch alle, aber wirklich alle Ansprüche erfüllt, die ich an einem Buch eigentlich überhaupt gar nicht mag: es spielt mit Klischees, die Story ist vorhersehbar und am Ende gibt es zu allem Überfluss auch noch ein Happy-End. Zumindest fast.”

Auf diesem Blog begrüßt “frau g.” ihre Besucherinnen und Besucher: http://lustzulesen.de/

Andy Warhol: 25 Cats Name Sam and One Blue Pussy (1954).

Sam1Nach den ganzen verschämten Lektüren ist es einfach einmal wieder an der Zeit für einen ordentlichen, richtig seriösen Katzencontent. Zumal bei Benn Wederwill erst jetzt von einem “pinken Kätzchen” geträumt wurde, das sich als grauer Kater entpuppte. Wer weiß, vielleicht sogar der bessere Kompagnon fürs Leben als die rosa Traumkatze?

Hier aber ist sie: Pink Cat. Zugegeben: Ich habe mich an den Warhol-Katzen schon ein wenig sattgesehen. Aber die Geschichte zum Buch (oder eher Heft) finde ich ganz spannend: Etliche Zeit bevor Andy Warhol die Pop Art-Kunst berühmt machte (und sie ihn), schlug er sich mehr schlecht als recht als freiberuflicher Illustrator von Kinderbüchern durch. Anfang der 1950er Jahre lebte er mit seiner Mutter, der Künstlerin Julia Warhola, und einer Menge Katzen beengt in einem kleinen Apartment in New York. Die Katzen hießen alle, bis auf eine Ausnahme, Sam.

Sam2

1954 veröffentlichten Mutter und Sohn ein gemeinsames Werk im Eigenverlag: „25 Cats Name Sam and One Blue Pussy“. Eigentlich ein völlig falscher Titel: Denn statt 25 Katzen sind nur 16 in dem Büchlein enthalten und Mama Julia vergaß ein „d“. Was soll`s. 190 signierte und nummerierte Exemplare wurden an Freunde und Kunden verschenkt – die lachten sich später sicher ins Fäustchen, als alles von Warhol in astronomische Höhen stieg.

Sam4

Julia Warhola ließ später noch für ihre Katze Hester ein zweites Buch folgen, „Holy Cats by Andy Warhol`s Mother“, außerdem arbeitete das Mutter-Sohn-Gespann noch beim Kochbuch „Wild Strawberries“ zusammen. Dann aber wurde Andy Warhol zu Andy Warhol und hatte für Kindereien keine Zeit mehr.

Während das Katzenbuch mit der Frau Mama als Nachdruck nur für viel Geld erhältlich ist, hat nun der Deutsche Kunstbuchverlag ein Warhol-Malbuch für Kinder herausgebracht.
Verlagstext: “Es ist hinlänglich bekannt, dass Andy Warhol in den 1960er Jahren seine Factory gründete. Weniger bekannt hingegen sind seine Colouring Parties, die er bereits in den 50er Jahren für Bekannte veranstaltete. Im Rahmen dieser Treffen ließ er die Gäste Reproduktionen seiner Zeichnungen ausmalen und mitgestalten. Dieses Malbuch mit Bildern von Andy Warhol lädt Kinder ein, den Bekannten des Künstlers zu folgen und die Zeichnungen mit Farbe zu beleben. Die Bilder für das Kindermalbuch schuf Warhol im Jahr 1961 für die Lederwarenfabrik Fleming-Joffe, Ltd. Die vorliegende Version mit den deutschen Übersetzungen ist dieser Ausgabe nachempfunden und lockt Kinder in eine skurrile Welt aus Echsen, Wasserbüffeln und Alligatoren.”

Hier geht es zu den Buchangaben auf der Verlagsseite: http://www.deutscherkunstverlag.de/buch/malerei-und-skulptur/++/buchid/1370-ein-malbuch-mit-zeichnungen-von-andy-warhol/buchdetail/1/seite//

Sam3Samsam

#VerschämteLektüren (4): Susanne Haun und die Schwarte

Endlich, endlich, endlich - ein Bekenntnis zur Historienschinkenromanschwarte.
Mal im Ernst und Butter bei die Buchfische: Frage ich beispielsweise in meinem Bekanntenkreis, dann will keiner was gewußt haben. Ken Follett? Nie gehört. Der Medicus? Ja, igitt. Sinuhe, der Ägypter? Was ist denn das? Diana Gabaldon? Bleib mir weg damit!
ABER IRGENDJEMAND MUSS DIE DINGER DOCH GELESEN HABEN.
Denn: Historische Romane sind wahre Bestseller.
Ich vermute mal: Viele tun es, aber tun so, als ob nicht. Ich hab` auch noch nie nicht mit Begeisterung einen Dan Brown verschlungen, niemals nicht…

Wie man dieses Genre nicht nur kaufen, sondern auch nutzen kann, zeigt uns eine Künstlerin. Jeden Tag bezaubert mich Susanne Haun mit ihren wunderbaren Bildern, immer angereichert durch eigene Gedanken zum Entstehungsprozess, zur Kunst und zur Philosophie. Oftmals kombiniert mit ausgewählten Zitaten großer Denker. Da ist es doch irgendwie sehr beruhigend, dass Susanne zur Entspannung auch mal zu ganz anderer Lektüre greift und Platon, Freud & Co. dafür links liegen lässt.
Susanne also zu ihrem “schlechtesten Lieblingsbuch”, bei dem sie wirklich Stehvermögen (oder besser gesagt Hörvermögen) zeigt:

„Die Jahrhundert-Saga von Ken Follett. Ich habe sie ausgesprochen gerne (ungekürzt) gehört. Jeder der drei Teile ist so ungefähr um die 35 Stunden lang. Sie beginnt mit dem 1. Teil, den Sturz der Titanen im Jahr 1914 und berichtet von verschiedenen Familien in Deutschland, Russland, England und Amerika. Follet webt geschichtliche Handlung in Familiendramen ein.
Im 2. Teil, dem Winter der Welt, berichtet er weiter von den Familien und ihrer Auseinandersetzung mit dem 2. Weltkrieg. Vom Kalten Krieg, dem Freiheitskampf der Schwarzen, dem geteilten Deutschland erzählt er in seinem letzten Teil, den Kindern der Freiheit.kenfollett

Mir ist völlig klar, dass sich jegliche geschichtliche Wahrheit den Familiengeschichten unterordnet. Und doch ist es für mich entspannend, diese Bücher zu hören.“

Was die FAZ übrigens zur Jahrhundert-Saga meint, steht hier: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/ken-follett-sturz-der-titanen-die-renaissance-des-schuetzengrabens-11087109.html

Hier geht es zum Blog von Susanne Haun: http://susannehaun.com/

Formenschatz der Heimat (1922)

In den 1920er Jahren gab der württembergische Lehrerverein ein Buch für den Zeichenunterricht in der Grundschule heraus: „Formenschatz der Heimat“.
„Der Bildsprache des Lehrers, dem illustrierenden Wandtafelzeichnen, soll unser Formenschatz in erster Linie dienen.“ Das von der Fachpresse günstig beurteilte Buch – so steht es auf der Rückseite der fünften Auflage zu lesen – sollte dazu beitragen, die Bildsprache des Schülers (und wie im Vorwort zu lesen ist, auch die der Lehrer) zu fördern. Die Tafeln seien allenfalls zum Erarbeiten eines Formenschatzes, nicht aber für das „Abschreiben von Vorlagen oder kleinliches Kopieren der Natur!“ gedacht.
Das Buch, herausgegeben von Fritz Freytag und August Lust, beide vermutlich Lehrer, scheint seinen Zweck erreicht zu haben: Immerhin gab es mehrere Auflagen. Ob ein Schüler damit jedoch seine eigene Bildsprache fand, entzieht sich meiner Kenntnis. Heute, fast 100 Jahre später, ist es jedoch ein anschauliches Dokument vergangener Zeit. Die „bibliotheca Augustana“ hat es digitalisiert und somit öffentlich zugänglich gemacht.

Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter (1908).

Quelle: http://www.hundertvierzehn.de/artikel/die-welt-von-gestern_130.html

Geduld

Und ich möchte dich,
so gut ich kann bitten,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen,
und zu verstehen.
Die Fragen selbst liebzuhaben
wie verschlossene Stuben
und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben könntest.
Und es handelt sich darum,
alles zu leben.
Vielleicht lebst du dann
allmählich – ohne es zu merken –
eines fernen Tages in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke war ein Viel-Brief-Schreiber. Rund 7000 Briefe sind erhalten - und beinahe jeder Brief auch ein Gedicht. Sie gelten als Teil seines literarischen Werks, legen Zeugnis ab vom sprachlichen Stilvermögen, aber auch vom menschlichen Einfühlungsvermögen dieses Dichters. Man möchte selbst Empfänger dieser tiefen Lebensweisheiten gewesen sein.

Reich davon sind die zehn “Briefe an einen jungen Dichter”: Franz Xaver Kappus stand an einem Scheideweg zwischen Offiziers- oder Schriftstellerlaufbahn, als er sich hilfesuchend an den acht Jahre älteren Rilke wandte. Der war zu dieser Zeit bereits unter anderem mit dem “Buch der Bilder” hervorgetreten und steckte während des Briefwechsels mitten im “Malte Laurids Brigge”. In ihrem Austausch tat Rilke jedoch viel mehr, als dem Jüngeren literarische Ratschläge zu geben - vielmehr reflektierte er über:

Das Leben - “Warum eines Kindes weises Nicht-Verstehen vertauschen wollen gegen Abwehr und Verachtung, da doch Nicht-Verstehen Alleinsein ist, Abwehr und Verachtung aber Teilnahme an dem, wovon man sich mit diesen Mitteln scheiden will.
Denken Sie, lieber Herr, an die Welt, die Sie in sich tragen, und nennen Sie dieses Denken, wie Sie wollen; mag es Erinnerung an die eigene Kindheit sein oder Sehnsucht zur eigenen Zukunft hin, - nur seien Sie aufmerksam gegen das, was in Ihnen aufsteht, und stellen Sie es über alles, was Sie um sich bemerken.”

Die Kunst - “Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes. Darum, sehr geehrter Herr, wußte ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen.”

Die Liebe - “Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.”

Die Einsamkeit - “Aber vielleicht sind das gerade die Stunden, wo die Einsamkeit wächst; denn ihr Wachsen ist schmerzhaft wie das Wachsen der Knaben und traurig wie der Anfang der Frühlinge. Aber das darf Sie nicht irre machen. Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. Insich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, - das muß man erreichen können. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen, weil die Großen so geschäftigt aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.”

Das Suchen und Finden - “Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.”

Suchen und Finden muss man für sich selbst. Aber Rilke und seine Briefe können dabei ein wunderbarer Wegbegleiter, Lotse und Krücke zugleich sein.

Zwischen 1903 und 1908 schrieb Rilke an Kappus insgesamt zehn Briefe. Sie sind bei Wikipedia abrufbar: http://de.wikipedia.org/wiki/Briefe_an_einen_jungen_Dichter.

Wer das gedruckte Wort vorzieht, für den gibt es die Rilke-Briefe mit einem Vorwort von Kappus bei der Insel-Bücherei:
http://www.suhrkamp.de/buecher/briefe_an_einen_jungen_dichter-rainer_maria_rilke_8406.html

Das Bild zeigt die Handschrift Rilkes, stammt aber von einem Brief an die Verlegersgattin Hedwig Fischer. Es ist entnommen dem Online-Magazin “Hundertvierzehn” des S. Fischer Verlages:
http://www.hundertvierzehn.de/artikel/die-welt-von-gestern_130.html

Sylvia Plath: Drawings

Drawing calmed you. Your poker infernal pen
Was like a branding iron. Objects
Suffered into their new presence, tortured
into final position. As you drew
I felt released, calm.

Aus „Drawing“ von Ted Hughes.

1956 schrieb Sylvia Plath an ihre Mutter Aurelia: „I feel I’m developing a kind of primitive style of my own which I am very fond of. Wait til you see. The Cambridge sketch was nothing compared to these.“ Ein Hinweis auf eine Seite der Schriftstellerin, die immer noch wenig bekannt ist - Sylvia Plath, ausdrucksstarke Lyrikerin und Autorin der „Glasglocke“ war auch eine begabte Zeichnerin und Malerin. Die Bildende Kunst war für sie eine Quelle der Inspiration. Doch auch 51 Jahre nach ihrem Suizid ist die malende Sylvia Plath vielen so gut wie unbekannt.

2011 wurde erstmals eine Auswahl ihrer Zeichnungen in London ausgestellt. Der Londoner Verlag Faber & Faber publizierte den Ausstellungskatalog einige Zeit später als Buch, editiert von Frieda Hughes, der Tochter aus der Ehe von Sylvia Plath und Ted Hughes. Dieser hatte die Bilder aufbewahrt und an die beiden Kinder Frieda und Nicholas (der ebenfalls Suizid verübte) weitergegeben.

Die Zeichnungen und Skizzen entstanden ab 1955, als Sylvia Plath ihr Studium in Cambridge aufnahm - hier lernte sie auch ihren Mann Ted kennen, unternahm mit ihm Reisen, heiratete, brachte die beiden gemeinsamen Kinder zur Welt, versuchte ein „alltägliches“ Leben zu führen und erlebte zwischen ihren Krankheitsepisoden auch glückliche Perioden. All dies schlägt sich in den Bleistift- und Tintenzeichnungen auch nieder: Eine unbekannte, weil unbeschwerte Seite der Sylvia Plath zeigt sich, eine spielerische und verspielte junge Frau, die Szenen und Eindrücke ihres Alltagsleben festzuhalten versucht.

 “I found these drawings moving: not because they feed into the legend, but because they sidestep it. They bring us a fresh look at a woman now so barnacled with myth it`s hard to see her clearly“, schrieb Sam Leith in „The Guardian“ über die Ausstellung in London`s Mayor Gallery. Die Bilder mit dem geschriebenen Wort in Verbindung zu bringen, ist bei Sylvia Plath kaum möglich. Doch mit den dunklen, teilweise morbiden Bildern ihrer Lyrik korrespondieren diese Zeichnungen nicht. Sie passen ebenso wenig zur kühl-jazzigen Prosa ihres einzigen Romans, The Bell Jar. Sie zeigen schlicht und einfach eine weitere Seite der amerikanischen Schriftstellerin.
Zur Verlagsseite:
http://www.faber.co.uk/9780571295210-sylvia-plath-drawings.html

 

Djuna Barnes: The book of repulsive women (1915).

Djuna Barnes (1892-1982), die mit ihrem Roman “Nachtgewächs” weltberühmt wurde, war auch eine begabte Maler- und Zeichnerin. Tatsächlich hatte sie sich in jungen Jahren zunächst der bildenden Kunst zugewandt. Ab 1912 studierte sie Kunst, zunächst am New Yorker Pratt Insitute, später an der Art Students League. Bereits an der Pratt begann sie, für den Brooklyn Eagle zu schreiben und zu illustrieren - mehr und mehr aber wandte sie sich schließlich dem Schreiben zu.

1915 erschien ihr erstes Buch - oder vielmehr Heft: “The book of repulsive women” mit acht Gedichten und fünf Zeichnungen. Das Buch, das Teil der “Special Series” von Chap Books war, wurde zunächst für 15 Cents verkauft - fand aber, vor allem, weil hier ganz offen über die lesbische Liebe geschrieben wurde, so viel Absatz, dass der Preis bald auf 50 Cents gesteigert werden konnte. In Wort und Bild beschreibt Djuna Barnes die Liebe. Die Liebe unter Frauen - zu dieser Zeit immer noch ein mehr als wagemutiges Unterfangen. Die Zeichnungen erinnern an den Ästhetizismus von Aubrey Beardsley, der auch für den malenden William Faulkner ein Vorbild war.

IN GENERAL

What altar cloth, what rag of worth
Unpriced?
What turn of card, what trick of game
Undiced?
And you we valued still a little
More than Christ.

 

 

 

 

SEEN FROM THE “L”

So she stands—nude—stretching dully
Two amber combs loll through her hair
A vague molested carpet pitches
Down the dusty length of stair.
She does not see, she does not care
It’s always there.

The frail mosaic on her window
Facing starkly toward the street
Is scribbled there by tipsy sparrows—
Etched there with their rocking feet.
Is fashioned too, by every beat
Of shirt and sheet.

Sill her clothing is less risky
Than her body in its prime,
They are chain-stitched and so is she
Chain-stitched to her soul for time.
Ravelling grandly into vice
Dropping crooked into rhyme.
Slipping through the stitch of virtue,
Into crime.

Though her lips are vague as fancy
In her youth—
They bloom vivid and repulsive
As the truth.
Even vases in the making
Are uncouth.

Auch für das 1928 erschienene Buch “The Ladies Almanack” entwarf Djuna Barnes das Cover. Ebenso illustrierte sie für viele andere Künstlerinnen und Künstler, mit denen sie in Paris und New York verkehrte, bevor sie sich von den meisten Menschen zurückzog. 1943 fand in Gugggenheims Galerie “Art of This Century” eine Ausstellung ihrer Gemälde und Zeichnungen statt. Es war die einzige Anerkennung, die sie als bildende Künstlerin in der Öffentlichkeit fand.

Ein von ihr gemaltes Portrait des von ihr verehrten James Joyce findet sich hier:
http://saetzeundschaetze.com/2014/06/16/djuna-barnes-paris-joyce-paris-und-nochmal-james-joyce/

 

Cover Illustration für das Magazin “The Trend”, 1914.

William Faulkner illustriert the Jazz Age.

A Poplar

Why do you shiver there
between the white river and the road?
You are not cold,
With the sun light dreaming about you;
And yet you lift your pliant supplicating arms as though
To draw clouds from the sky to hide your slenderness.

You are a young girl
Trembling in the throes of ecstatic modesty,
A white objective girl
Whose clothing has been forcibly taken away from her.

William Faulkner - aus der Sammlung “The Marble Faun”

Bevor William Faulkner 1929 mit „Schall und Wahn“ internationales Aufsehen erregte, stand etwas ganz anderes als der „Südstaatenroman“, den er gewissermaßen prägte, auf seiner kulturellen Agenda. Seine erste Veröffentlichung war ein Gedichtband, „The Marble Faun“, der Titel angelehnt an den letzten Roman von Nathaniel Hawthorne. Das 1924 erschienene Büchlein stieß nicht gerade auf Begeisterung. Der meist melancholische Schwanengesang auf unerfüllte Lieben blieb weitestgehend unbeachtet, das mit finanzieller Unterstützung eines Freundes herausgegebene Buch wurde zum Ladenhüter.

Doch Faulkner konnte sich auf ein weiteres Talent stützen: In seinen frühen Jahren verdiente er etwas dazu als Illustrator und Zeichner. Eine Begabung, die später aufgrund des Erfolges seiner Romane und Erzählungen, für die er 1950 den Literaturnobelpreis erhielt, in den Hintergrund trat. Schon während seines Studiums an der University of Mississippi hatte Faulkner für Studentenmagazine gezeichnet – Illustrationen im Art Deco-Stil, geprägt vom Jazz Age. Man sieht förmlich F. Scott Fitzgerald seine Zelda schwingen…Ein Vorbild war ganz offensichtlich der englische Künstler Aubrey Vincent Beardsley (1872-1898). Auch im Privaten hinterließ Faulkner in späteren Jahren noch in Briefen oder auf Postkarten oftmals eine ganz persönliche Note mit kleinen Zeichnungen und Illustrationen.

After Fifty Years

Her house is empty and her heart is old,
And filled with shades and echoes that deceive
No one save her, for still she tries to weave
With blind bent fingers, nets that cannot hold.
Once all men’s arms rose up to her, ‘tis told,
And hovered like white birds for her caress:
A crown she could have had to bind each tress
Of hair, and her sweet arms the Witches’ Gold.

Her mirrors know her witnesses, for there
She rose in dreams from other dreams that lent
Her softness as she stood, crowned with soft hair.
And with his bound heart and his young eyes bent
And blind, he feels her presence like shed scent,
Holding him body and life within its snare.

TRIO 22: Amerika. Die Hölle der Vorstädte. Mit Sloan Wilson, Richard Yates und John Cheever.

Vorstädte sind auf der ganzen Welt irgendwie gruselig. Dort versammelt sich eine ganz eigene Subkultur: Meist die Mittelstands-Durchschnittsfamilie, deren Einkommen für ein Leben mitten drin im Puls der Stadt nicht ausreicht, das aber doch dafür genügen muss, eine gewisse Fassade aufrechtzuerhalten. Meist Potemkin’sche Dörfer, Schlafstädte, die Ernährer in der Arbeit, die Kinder aufgeräumt in der Schule, die Mutter bei irgendwelchen Wohlfahrtsaktivitäten oder auf dem Tennisplatz gefangen. Wenn sich tagsüber was bewegt, dann ist es ein Gärtner oder ein Hausmädchen, sofern man sich das leisten kann. Leisten können muss: Denn was der Nachbar hat, das will man meistens auch, deutlich zu sehen am einheitlichen Fuhrpark, den genormten Gattinnen, den Hobbies Kirchenchor, Golfclub, Tennisverein.

Vor allem in der amerikanischen Literatur der 50er bis 70er Jahre fand die Vorstadt ihren Niederschlag, wurde selten so klarsichtig, unnachgiebig und auch zynisch geschildert wie in einigen Romanen der großen amerikanischen Autoren dieser Zeit – Richard Yates vorneweg, aber auch John Cheever, John Updike und Sloan Wilson. Das Leben in der Vorstadt scheint sich in diesen Büchern nur alkoholisiert ertragen zu lassen: Der Ehemann gehört zur Spezies Pendler, der mittags mit den Kollegen (oder der Geliebten in der Stadt, oft eine Sekretärin aus der Firma) gerne schon die ersten Drinks kippt, derweil die Gattin, sofern nicht intellektuell noch von Höheflügen und Träumen einer anderen Welt geplagt, sich im Kreise der Vorstadtdamen an Cocktails delektiert. Und die gemeinsamen Stunden am Abend sind ebenfalls nur promillegeschwängert zu ertragen. So sind die Vorstadtromane oftmals auch Psychogramme junger Ehepaare auf dem Weg hin zu einer eheimmanenten Altersgereiztheit – wenn der Tod sie nicht schon vorher scheidet. Liebe, die kurz und manchmal schmerzhaft erstickt wird von den Konventionen der spießigen Vorstadtgesellschaft.

Machen wir mal ein paar Besuche in der amerikanischen Vorhölle.

Besuch eins führt uns zu Betsy und Tom Rath. Ihr Schöpfer: Sloan Wilson, „Der Mann im grauen Flanell“, erschienen 1955:

Wie seltsam sind doch Erinnerungen, dachte er. Die arme Betsy, sie hätte einen mit Geld heiraten können, einen, der sie heute jeden Winter nach Florida bringen könnte, einen ohne alle Sorgen, der lächeln würde und fröhlich wäre, während die Köchin das Abendessen machte und das Serviermädchen es auftrug und Betsy lächelnd dasaß.

Wie ist es heute gelaufen? fragte Betsy, als sie ihn am Abend vom Bahnhof abholte.
Gut, sagte Tom, wie er es immer sagte. Es hat keinen Zweck, den Ärger mit nach Hause zu nehmen, hat jemand mal gesagt. Man soll ihn im Büro lassen.

Zur Buchbesprechung: http://saetzeundschaetze.com/2014/05/10/cocktailscapitalism-der-mann-im-grauen-flanell/

Tom und Betsy Rath kommen, so viel sei hier verraten, nochmals davon. Das junge Paar hat zwar ein nicht geringes Päckchen zu tragen – doch was hier letztlich den Kitt zusammenhält, ist gegenseitiges Verständnis und das Wissen, dass es Dinge gibt, die mehr zählen als Vorstadthaus, Vorstadtauto, Vorstadtaktivitäten. Ein Band zwischen den Beiden, das tragfähig ist – und das sie von dem nächsten Vorstadtpaar wesentlich unterscheidet.

 

 

 

 

 

Besuch zwei führt zu Frank und April – die tragischen Helden aus „Zeiten des Aufruhrs“ von Richard Yates. Besser noch ist meiner Meinung nach der Original-Titel des 1961 erschienenen Buchs, „Revolutionary Road“:

Zwei Jahre zuvor hatten sie diese Strecke, als zustimmend nickende Beifahrer im Kombi von Mrs. Helen Givings, einer Immobilienmaklerin, zum ersten Mal zurückgelegt. Am Telefon war Mrs. Givings höflich, aber zurückhaltend gewesen – oft genug kamen Leute aus der Stadt hier heraus und verschwendeten die Zeit der Maklerin damit, dass sie unakzeptable Kaufbedingungen aushandeln wollten -, doch schon von dem Augenblick an, als die Wheelers aus dem Zug gestiegen waren, hatte Mrs. Givings, wie sie später ihrem Mann erzählte, in den beiden ein Paar erkannt, mit dem es, trotz der niedrigen Preiskategorie, nur wenig Probleme geben würde.

So kann man sich täuschen – denn das Haus in der Revolutionary Road wird für das Paar ein schlechtes Geschenk, Mrs. Givings gibt April und Frank, die anfangs scheinbar voller Ambitionen und Hoffnungen, voller Liebe und Zuneigung sind, letztendlich den Schlüssel zu einem falschen Haus, zu einem falschen Leben. Während Frank sich zunächst bei seinem Job langweilt, hofft April immer noch, dass die einstmaligen Träume von der Bühne wahr werden könnten. Doch das Leben läuft anders: Frank beginnt die übliche Karriere und April verblüht in der Vorstadt. Ein letztes Aufbäumen scheint der Plan zu sein, nach Frankreich auszuwandern. Doch so eine Revolution, das lässt die Belegschaft der Revolutionary Road nicht zu – und Frank schließlich entpuppt sich als das, was er von Beginn an war: Ein Blender, der sich gerne mit dem kleinen Leben in der kleinen Stadt zufrieden geben würde, sofern es ihm alle Freiheiten bereithält.

Eine ähnliche Eheanalyse von gescheiterten Träumen schrieb Yates mit „Young hearts crying“ (zu Deutsch: „Eine strahlende Zukunft“).
Zur Buchbesprechung hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/03/09/richard-yates-young-hearts-crying/

Wer meint, hinter- und untergründiger ließe sich Vorstadt-Tristesse nicht beschreiben, der täuscht. Das giftigste, böseste Buch zum Thema stammt in dieser Reihe von John Cheever: „Die Lichter von Bullet Park“, 1969 erschienen. Was in dieser fiktiven, aber wirklichkeitsnahen Vorhölle von denen, die sich hier ansiedeln wollen, erwartet wird, das wird schon beim Hausverkaufsgespräch ganz klar. Besuch Nummer drei:

Im Ort gibt es vier Kirchen. Vom Gorey Brook Country Club haben Sie wahrscheinlich schon gehört. Dort gibt es einen herrlichen, von Pete Ellison entworfenen Achtzehn-Loch-Golfplatz, vier regenfeste Tennisplätze und ein Schwimmbad. Hoffentlich sind Sie kein Jude. Da gelten hier nämlich strenge Prinzipien. Ich selbst habe keinen Pool und empfinde das, ehrlich gesagt, als Manko. Wenn sich die anderen über Chemikalien und so weiter unterhalten, ist man vom Gespräch ausgeschlossen.

Cheever, der auch mal gerne als „Tschechow Amerikas“ oder „Chechov of Suburbia“ bezeichnet wird, erzählt hier mit einem gnadenlosen Blick auf die Mittelschicht. Nicht ist und bleibt so „herrlich, herrlich, herrlich, herrlich wie früher“, um den allerletzten, bösen Satz dieses Buches zu zitieren. In dem Roman wird der Blick auf zwei Familien geworfen, die sind, wie Hammer und Nägel: Zunächst steht der unauffällige Marketingangestellte Nailles im Fokus, der die gutfunktionierende Fassade jedoch nur noch mit Medikamenten aufrechterhalten kann. Eliot Nailles trifft auf seinen neuen Nachbarn Paul Hammer, dem der zweite Teil des Buches gewidmet ist. Ein Alkoholiker, der mit dem psychopathischen Plan, Nailles zu töten, nach Bullet Park zieht. Die Verbindung der beiden Männer, die letztendlich selber nur Opfer dieser Hölle der Vorgärten sind, erschließt sich erst im Laufe des Buchs. Doch eines wird schnell klar: In diesem Biotop bigotter, judenfeindlicher, schwulenhassender Vorstadtscheinheiliger braucht man so oder so alle Geisteskräfte, um nicht den Verstand zu verlieren.

Was geschieht, wenn man in älteren Jahren in die Kleinstadt seiner Jugend zurückkehrt, das beschrieb John Cheever in seinem letzten, wunderbar leichten Roman: „Ach dieses Paradies“.
Zur Besprechung:
http://saetzeundschaetze.com/2013/10/18/john-cheever-ach-dieses-paradies/

Bilder: Ein Chronist der amerikanischen Wohnidyllen – David Hockney.

Georg Heym - Alle Landschaften

Bouroullec: Wolkenplastik

Alle Landschaften haben
Sich mit Blau erfüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.

Leichte Geschwader, Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels dahinter
Zergehen in Wind und Licht.

Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.

Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern, und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.

Georg Heym (1887-1912)

Dies für sein Spätwerk ungewöhnlich leicht und luftig anmutende Gedicht schrieb Georg Heym im September 1911, wenige Monate vor seinem tragischen Tod - er ertrank beim Schlittschuhlaufen im Januar 1912 unter dem Eis der Havel. Im Juni 1912 erschien die Sammlung “Lebensschatten” - “Umbra vitae”, die von Ernst Ludwig Kirchner illustriert wurde. Trotzdem habe ich dazu Objekte der Designkünstler Ronan und Erwan Bouroullec gewählt - deren Installationen sind durchaus gewichtig wie Wolkengeschwader und erscheinen doch so federleicht…