Ringelnatz: Die Waffe Bleistift

Da stürzten von zwei Seiten zwei Gendarmen herein und packten und befühlten mich mit dem Rufe: »Haben Sie Waffen bei sich?«
»Ja, einen Bleistift.«
»Haben Sie einen Ausweis bei sich?«
»Nein.«
Ich wurde zur Wache geführt, von einem Wachtmeister ins Verhör genommen. Ich fragte, was ich verbrochen haben sollte.
Ja, es wäre doch verdächtig, daß jemand jeden Morgen so früh nach Dachau käme und soviel auf Zettel schriebe. Man holte telephonisch Auskunft über mich ein. Dann wurde ich entlassen.

Joachim Ringelnatz über seine Münchner Zeit als Tabakhausbetreiber und Hausdichter in der Künstlerkneipe Simplicissimus. Der Beitrag in voller Länge hier: http://ringelnatz.org/ringelnatz-der-trafikant-und-hausdichter/

Joseph Roth: Kranke Menschheit (1919).

“Kopf? Eine heikle Angelegenheit. Je schiefer ein Kopf sitzt, desto fester ist sein Träger überzeugt, dass alle anderen Köpfe schief sind und er seinen eigenen hoch und gerade trägt.”

Quelle: “Kranke Menschheit”, undatierte Erzählung, in: “Joseph Roth - Die Erzählungen”, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 2008.

Diese frühe Erzählung, vermutlich um 1919 entstanden, entwickelt in wenigen Zügen die Geschichte eines Mannes in der Aufnahmestation einer Nervenheilanstalt.
In Rückblenden wird nur wenig Skizzenhaftes über diesen Heinrich Reinegg angedeutet - offensichtlich ein Mensch, der vom Krieg und den damit zusammenhängenden Erlebnissen schwer traumatisiert ist. Zunächst erscheint Reinegg wie ein Spaziergänger, ein zufälliger Besucher in der Klinik. Auch im Wartezimmer verwischen sich die Grenzen zwischen “drinnen” und “draußen”, lässt Roth den Leser zeitweise im Unklaren: Werden die Patienten wegen körperlicher Gebrechen behandelt oder hat ihre Seele gelitten? Und was ist unter “Normalität” zu verstehen? Was bedeutet Menschsein und wo gehört man hin? Für Heinrich Reinegg klärt sich diese Frage - scheinbar - mit der Aufnahme in die Klinik, der letzte Satz der Erzählung lautet:

“Es ist schön, dachte Heinrich Reinegg, nun bin ich wohl endlich dort, wohin ich gehöre.”

Joseph Roth selbst musste sich in seinem Leben gezwungenermaßen immer wieder mit diesen Fragen nach der “Normalität” auseinandersetzen. So war sein Vater psychisch erkrankt, seine Ehefrau Friederike Reichler litt an Schizophrenie (sie wurde 1940 Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms) und Roth selbst war ein schwerer Trinker, eine Erkrankung, die heute in einer psychiatrischen Klinik behandelt würde. Auch seine Lebensumstände - immer wieder entwurzelt und heimatlos, ständig in materieller Not - trugen nicht zu seiner seelischen Beständigkeit bei.

Zitate über Old Bill.

James Joyce dichtet in der Art von W.S. an seine Verlegerin Sylvia Beach:

Who is Sylvia, what is she
That all your scribes commend her?
Yankee, young and brave is she
The west this pace did lend her
That all books might published be.

Is she rich as she is brave
For wealth of daring misses?
Throngs about her rant and rave
To suscribe Ulysses
But, having signed, they ponder grave.

Then to Sylvia let us sing
Her darling lies in selling.
She can sell each mortal thing
That`s boaring beyond telling
To her let us buyers bring.
J.J.
nach W.S.

In: “Shakespeare and Company”, Sylvia Beach

Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen:

“Shakespeare ist für aufkeimende Talente gefährlich zu lesen; er nötigt sie, ihn zu reproduzieren, und sie bilden sich ein, sich selbst zu produzieren.”

Ruth Klüger, “Zerreißproben”, Gedichte, 2013, Paul Zsolnay Verlag:

Zuviel Shakespeare, 4. Strophe
Wer nie unter Wörtern zusammengesackt,
sticht zu wie Laertes und stirbt als ein Held.
Doch Hamlet erklärt noch im letzten Akt,
wortgewandt sterbend, sein Leben der Welt.

Ruth Klüger kommentiert ihr Gedicht - eines von zweien, die sich in diesem Buch um Shakespeare drehen - so: “Das Gedicht ist einerseits Ausdruck von Sprachskepsis und andererseits praktisch das Gegenteil, nämlich Staunen darüber, wie vielseitig Shakespeare die Sprache an sich thematisiert. (…) Hamlet verschwendet, wie wir wissen, fünf Akte aufs Aufschieben eines Racheaktes, zu dem er verpflichtet ist, und erklärt uns in jedem einzelnen haargenau, wenn auch nicht unbedingt überzeugend, was ihn vom Handeln abhält. Der Tatmensch Laertes hingegen, der auf genau dieselbe Weise verpflichtet ist, nämlich den Mord am Vater zu rächen, nimmt keine Rücksicht, sondern tut`s einfach, mordet und stirbt auf der Bühne, während sein Opfer, der von ihm getötete Hamlet, bis zum letzten Atemzug redet und redet.”

Peter Brook, “Vergessen Sie Shakepeare” (zum Buch: http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/92-Vergessen_Sie_Shakespeare.html):

“Sie werden sich alle noch gut erinnern, wie vor gar nicht langer Zeit die Leute ernsthaft daran gingen aufzuklären, ob Shakespeare wirklich gelebt hat oder nicht, und es hat in den vergangenen hundert Jahren viele Theorien gegeben, die den Namen “Shakespeare” durch andere ersetzten: Bacon, Marlowe, Oxford und so weiter. Das Widersinnige ist auch hier die Tatsache, daß es uns nicht weiterbringt. Man ändert den Namen und sonst gar nichts. Das Geheimnis bleibt bestehen.”

William Somerset Maugham, “Ein Mann mit Gewissen”, Erzählung:

“Einige Tage beschäftigte ich mich mit dem Problem des Gewissens. Die Moralisten versuchen uns zu überzeugen, daß es zu den mächtigsten Antriebskräften menschlichen Verhaltens zählt. Seitdem Vernunft und Mitleid übereingekommen sind, die Hölle als hassenswerten Mythos zu betrachten, sehen viele brave Leute das Gewissen als den obersten Wachtposten an, der die menschliche Rasse auf dem Pfad der Tugend wandeln lässt. Shakespeare zeigte, dass es uns allen zu Feiglingen macht (…).”

Michael Köhlmeier, “Shakespeare erzählt”, 2004, Piper Verlag:

“Tatsächlich erscheinen die Figuren der Weltliteratur vor Shakespeare blaß und relativ unabhängig von uns. Das heißt, sie kommen uns gerade deshalb so blaß vor, weil sie ein von uns unabhängiges Leben führen. Ein literarisches Leben eben. Die Figuren nach Shakespeare aber lassen sich alle auf Shakespearsche Grundmuster zurückführen - wie auch anders: Der Meister hat den Berg ausgebeutet bis auf den letzten Stein.
Also läßt sich zusammenfassen: Shakespeare hat den Menschen und in der Folge die Literatur neu erfunden.”

Virginia Woolf, Tagebuch, 15.8.1924

“Warum übrigens gefallen einem dichterische Werke erst richtig, wenn man älter ist? Mit 20 konnte ich nicht zum Vergnügen Shakespeare lesen, beim besten Willen nicht, obwohl Thoby mich immer wieder dringend dazu aufforderte; jetzt lebe ich auf, wenn ich beim Spazierengehen daran denke, daß ich heute abend 2 Akte von King John lesen werde & mir als nächstes Richard den 2ten vorgenommen habe.”

Friedrich Dürrenmatt, Playboy-Interview, 20.12.1980

DÜRRENMATT: Ich weiß gar nicht, warum mir immer nachgesagt wird, daß ich die Menschen verachte. Das hat auch Ludwig Marcuse einmal behauptet, ein Mann, den ich sehr schätze.

Vielleicht deshalb, weil in Ihren Stücken, die Sie als Komödien ausgeben, reihenweise Menschen umgebracht werden.

DÜRRENMATT: Aber das stimmt doch gar nicht. Das ist ein reines Gerücht. Ich habe viel weniger Leichen als Shakespeare, weil ich zum Beispiel nie Schlachten beschrieben habe. In “Herkules und der Stall des Augias” ist überhaupt keine Leiche, in “Play Strindberg” auch nicht. Das Stück “Der Meteor” hat vier Leichen, gut, aber das ist doch mäßig. In meiner Bearbeitung des “Titus Andronicus” kommt sogar ein Neger, der bei Shakespeare stirbt, mit dem Leben davon. Da habe ich mich also zurückgehalten. Aus mir einen Komödien-Eichmann zu machen, das geht nicht. Aber ich brauche ja meine Stücke nicht zu verteidigen. Ich habe mich nie darum gekümmert, was andere über mich sagen.

Der Schweizer Dramatiker am 20.12.1980 in einem Interview im Playboy - diesem Magazin, dass alle wegen der tollen Literaturbesprechungen kaufen. :-)

Dietrich Schwanitz, „Bildung. Alles, was man wissen muss“, 1999, Eichborn Verlag:

„Es war England vorbehalten, der Menschheit den Dichter aller Dichtern und den Dramatiker aller Dramatiker zu schenken, der nächst Gott von der Welt am meisten geschaffen hat: William Shakespeare (1564-1616), geboren am Tage des Heiligen Georg, des Schutzpatrons Englands, dem 23. April 1564, zu Stratford-upon-Avon, verheiratet mit der acht Jahre älteren Anne Hathaway aus Stratford, verschwunden und in London wieder aufgetaucht, von Kollegen als Hansdampf-in-allen-Gassen beschimpft, Schauspieler, Teilhaber, und Stückeschreiber des Theaters der Lord Chamberlain`s Men, Autor von Komödien, Historien und Tragödien, Verfasser von Kassenschlagern und theatralisches Genie par excellence, adoptiert von den Dichtern der deutschen Romantik und zum Vorbild erhoben, der kleine Bruder Gottes, dessen Werk er am achten Schöpfungstag durch seine eigene poetische Schöpfung verdoppelt, gestorben an seinem Geburtstag, dem 23. April 1616, dem Tag der Vollendung, in der Pfarrkirche zu Stratford begraben, während er selbst ewig weiterlebt in seinen unsterblichen Werken. Amen.“

Das war 1999 - inzwischen hat sich die Wissenschaft auf diese Lebensdaten festgelegt: Gesichtert scheint der Tauftag am 26.4. 1564, der Todestag am 3.5.1616.

Stefan Zweig, Tagebuch, 14.9.1912:

“Gar nichts gearbeitet. Gar nichts. Nur gelesen, Shakespeare allerdings (einer merkwürdigerweise, der mich immer reizt, statt zu entmutigen) dann Briefe dictiert und abends wieder lang gelesen. Aber jetzt muß ich endlich beginnen, ich zehre zu viel von Vergangenem.”