Ernest Hemingway: Paris, ein Fest fürs Leben (1964).

„Paris hat kein Ende, und die Erinnerung eines jeden Menschen, der dort gelebt hat, ist von der jedes anderen verschieden. Wir kehrten immer wieder dorthin zurück, ganz gleich, wer wir waren oder wie es sich verändert hatte, oder unter welchen Schwierigkeiten oder mit welcher Mühelosigkeit man hingelangen konnte. Paris war es immer wert, und man bekam den Gegenwert für alles, was man hinbrachte. Aber so war das Paris unserer ersten Jahre, als wir sehr arm und sehr glücklich waren.“

Ernest Hemingway, „Paris - ein Fest fürs Leben“, Rowohlt Verlag.

Wenn es eine Hymne auf das Paris der 20er-Jahre, das Paris der amerikanischen Bohème zu dieser Zeit, auf das Leben, die Liebe und die Literatur gibt, dann ist es wohl dieses Buch: „Paris - ein Fest fürs Leben“. Ernest Hemingway beschreibt darin seine Pariser Jahre von 1921 bis 1926: Ein junger Schriftsteller mit dem eisernen Willen zum Erfolg, vom Ehrgeiz getrieben, vom Staunen überwältigt. Mit Hadley, seiner ersten Frau, und dem Baby Bumby lebt er arm, aber glücklich. Streunt durch die Stadt, auf der Suche nach gelebter Literatur - und stößt so auch auf „Shakespeare and Company“:

„Damals hatten wir kein Geld, um Bücher zu kaufen. Ich borgte mir Bücher aus der Leihbibliothek von Shakespeare and Company; das war die Bibliothek und der Buchladen von Sylvia Beach in der Ruhe de l`Odéon 12. Auf einer kalten, vom Sturm gepeitschten Straße war hier im Winter ein warmer, behaglicher Ort mit einem großen Ofen, mit Tischen und Regalen voller Bücher, mit Neuerscheinungen im Fenster und Fotografien berühmter Schriftsteller, sowohl toter wie lebender, an der Wand. (…)
Als ich zum ersten Mal den Buchladen betrat, war ich sehr schüchtern, und ich hatte nicht genügend Geld bei mir, um der Leihbibliothek beizutreten. Sie sagte mir, dass ich den Beitrag jederzeit, wenn ich Geld hätte, bezahlen könnte, und stellte mir eine Karte aus und sagte, ich könnte so viele Bücher mitnehmen, wie ich wollte.“

Hemingways Passfoto 1923

In den Erinnerungen, die zwar erst posthum veröffentlicht wurden, ist nachzuspüren, wie Hemingway zunächst mit beinah großen Augen im Salon der Gertrude Stein sitzt und das „spezielle“ Pariser Flair aufsaugt. „Endlich angekommen!“, scheint er den Lesern in den ersten Kapiteln zu erklären. Selbst die Probleme werden eher poetisch verbrämt:

„Aber Paris war eine sehr alte Stadt, und wir waren jung, und nichts war dort einfach, nicht einmal Armut noch plötzliches Geld, noch das Mondlicht, noch Recht und Unrecht, noch das Atmen von jemand, der neben einem im Mondlicht lag.“

Willi Winkler schrieb dazu in der Süddeutschen Zeitung:
„Vom Glück, vom reinen, kindlichen Glück handelt dieses Buch, und es teilt sich jedem Leser mit, der mit dem jungen Autor in einem noch nicht fashionablen Viertel aufwacht, wenn die Sonne die nassen Fassaden der Häuser trocknet.“

Hadley und Ernest anno 1922

Hemingway schwärmt von den Begegnungen, ist überwältigt, gibt seiner fast ehrwürdigen Bewunderung - vor allem für Joyce - ihren Raum. Nur nach und nach wandelt sich der Ton, kommt der spätere, ältere, großmäuligere „Hem“ durch. Beispielsweise in den Kapiteln zu seinem wohl engsten Schriftstellerfreund F. Scott Fitzgerald. Hemingway geht wenig gnädig mit dessen Ehefrau Zelda um, nimmt den Kumpel spürbar in Schutz.

„Damals kannte ich Zelda noch nicht, und deshalb wusste ich nicht, mit welchem Handicap er belastet war. Aber wir sollten es bald genug kennenlernen.“

„Zelda hatte einen furchtbaren Kater. Am vergangenen Abend waren sie in Montmartre gewesen und hatten sich gezankt, weil Scott sich nicht betrinken wollte. Er hatte beschlossen, so erzählte er mir, ernsthaft zu arbeiten und nicht zu trinken, und Zelda behandelte ihn, als ob er ein Störenfried und Spielverderber wäre.“

Jedoch - auch wenn bei Veröffentlichung des Paris-Buches Fitzgerald bereits lange verstorben war - manches erscheint wie ein posthumer kleiner Verrat an der Freundschaft, wie purer Klatsch, wenn auch auf literarischem Niveau. So die Episode „Eine Frage der Maße“, als Fitzgerald Hemingway in einer Bar gesteht, Zelda habe ihm seine körperliche Ausstattung vorgeworfen.

 „Komm raus, ins Büro“, sagte ich.
„Wo ist das Büro?“
„Das WC.“

Wir kamen zurück und setzten uns wieder an unseren Tisch.
„Du bist völlig in Ordnung“, sagte ich. „Du bist okay. Dir fehlt überhaupt nichts.“

Trotz solcher Aus- und Abschweifungen: „Paris, ein Fest fürs Leben“ ist ein must-read. Auch eine wichtige Quelle für all jene, die aus dem Blickwinkel eines der wichtigsten Autoren den literarischen Aufbruch in die Moderne miterfahren wollen.
„Dieses Buch ist nicht nur ein herausragendes literarisches Werk, sondern auch ein Schlüsseltext zur Kulturgeschichte der Moderne. Das legendäre Paris der zwanziger Jahre ist in dieser Prosa wie in klaren Bernstein gebannt. Und es ist ein grandioses Porträt des Künstlers als junger Mann.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).
Hemingway hatte seine Pariser Aufzeichnungen aus den 20er-Jahren bei einem späteren Aufenthalt im Pariser Ritz 1956 wiederentdeckt und begann mit den Überarbeitungen seiner handschriftlichen Notizen. Dies zog sich über mehrere Jahre bis zu seinem Suizid hin. Das Buch wurde letztendlich von seinem Literaturagenten und seiner vierten Ehefrau Mary noch vollständig editiert und 1964 veröffentlicht. Aus diesem Gesichtspunkt werden die Pariser Episoden auch zu den wehmütigen Erinnerungen eines älteren, kranken Mannes, an eine Zeit, als noch alles möglich schien:

„Ich habe dich gesehen, du Schöne, und jetzt gehörst du mir, auf wen du auch wartest und wenn ich dich nie wiedersiehe, dachte ich. Du gehörst mir und ganz Paris gehört mir, und ich gehöre diesem Notizbuch und diesem Bleistift.“

Ernest Hemingway mit seinem Sohn “Bumby”, 1924 in Paris. Quelle: Credit Line: Ernest Hemingway Collection. John F. Kennedy Presidential Library and Museum, Boston.
Link to the Ernest Hemingway Media Gallery

Hemingway, der trotz seiner Macho-Attitüde, dieser Jäger- und Kumpel-Fassade, wohl ein weicher, zerbrechlicher Mensch war, von ständigen Selbstzweifeln geplagt, gerade was sein Schreiben anbelangt, erzählt in diesem Buch noch aus der Perspektive eines literarischen „Frischlings“, der lernen und Erfahrungen sammeln will. Und vor allem einen Helden verehrt - seine erste schüchterne Frage an Sylvia Beach lautet denn auch:

 „Wann kommt Joyce her?“

Es dauert, bis er mit dem Schriftsteller, den er - wie so viele andere dieses Zirkels, siehe Sylvia Beach und Djuna Barnes, - vergöttert und verehrt, kennenlernt. Zunächst kann er ihn nur durch ein Fenster betrachten. Wie ein Kind, das sich am Süßwarenladen die Nase plattdrückt:

„Wir waren vom Gehen wieder hungrig, und Michaud war für uns ein aufregendes und ein teures Restaurant. Dort aß Joyce damals mit seiner Familie. Er und seine Frau an der Wand - Joyce hielt die Speisekarte in einer Hand in die Höhe und beäugte die Speisekarte durch seine dicken Brillengläser, Nora neben ihm, ein herzhafter, aber wählerischer Esser, Giorgio dünn, geziert, mit gestriegeltem Hinterkopf, Lucia mit schönem, lockigem Haar, ein noch nicht ganz erwachsenes Mädchen. Sie sprachen alle Italienisch.“

Trotz der Verehrung für Joyce - der Ire wird in dem Buch nur an wenigen Stellen erwähnt, während anderen literarischen Größen, denen Hemingway begegnet, ganze Kapitel und Absätze gewidmet sind: Gertrude Stein, Sherwood Anderson, Ezra Pound und Fitzgerald sowieso. Vielleicht - aber dies ist reine Spekulation - eine Art selbstschützende Schreibhemmung: Um den verehrten Literaturgott nicht durch die falschen Worte vom Sockel zu holen. Dabei haben Hemingway und Joyce durchaus ihre gemeinsamen Erlebnisse gehabt. In einer Anekdote heißt es, Joyce, ein „kleiner, dünner, unathletischer Mann“, habe sich, wenn er und sein Trinkkumpel Hemingway in eine Kneipenschlägerei gerieten, hinter „Hem“ versteckt. Um aus sicherer Position den Amerikaner anzufeuern: „Deal with him, Hemingway, deal with him!“.

Was zumindest gesichert ist: Beide, sowohl Hemingway als auch Joyce, hatten schwerwiegende Alkoholprobleme mit gesundheitlichen, psychischen wie physischen Folgen. Das Paris der 20er-Jahre war ein Fest fürs Leben. Der Preis dafür würde später bezahlt.

Ein “Pong” an meine Brieffreundin

Irgendwann zwischen gestern und heute, seit der Einführung der E-Mail, habe ich aufgehört, Briefe zu schreiben. Es war eine schleichende Entwicklung - die bunten Umschläge mit Briefmarken und handschriftlich hingekrizelter Adresse wurden immer weniger, gingen unter unter den DIN-Lang-Teilen mit Fensterkuvert, die gemeinhin Rechnungen und ähnlich Unerfreuliches enthalten. Statt Geburtstagskarten kamen plötzlich nur noch E-Cards. An Weihnachten Whatsapp-Grüße. Auch mein eigener Anteil. “Ich schreib ja beruflich”, die Standardausrede für eine bei mir grassierende Briefschreibfaulheit.

Was ich versäume, wenn ich meinen Briefkasten so monoton einöden lasse, wird mir seit einigen Monaten wieder bewußt. Ich habe eine Brieffreundin. Und die lässt (im positiven Sinne) nicht locker. Es kommen wunderschöne, liebenswürdige, manchmal leicht chaotische, aber immer inhaltsreiche Denkanstöße - per Post. Und es ist mir jedesmal eine Freude. Ich muss beim Lesen Lachen, Schmunzeln, trage den Brief mit mir herum, lese ihn wieder. Macht das mal mit einer E-Mail! Kein Vergleich.

Und es wird auch nicht tragisch genommen, wenn meine Antwort auf sich warten lässt. Ausnahmsweise zitiere ich aus der privaten Korrespondenz. Aber das ist zu schön:
“Liebe, liebe Birgit, machs gut und denke bitte nicht, Schreiben (Briefe) muss dem Ping-Pong-System entsprechen. Manchmal geht`s auch Ping-ping-ping-ping-ping-ping-pong!!!”
Hier also mein PONG, liebe Brieffreundin!

Doch nicht nur diese zauberhafte Post hat mich angeregt, über die Unterschiede zwischen dem klassischen Brief und der E-Mail nachzudenken. Auch Navid Kermani mit seinem Buch “Grosse Liebe”, das mich mittenmang in meine Jugend zurückkatapultiert hat, gab einen Anstoß. Denn: DAMALS - also in den Mitte 80er-Jahren - war das Briefeschreiben noch ganz groß. Ich habe Schachteln voll mit Liebesbriefen, Ich-bin-nicht-mehr-deine-beste-Freundin-Briefen, Briefen von der Elfenbeinküste (“Kannst Du mir eine Swatch oder Rolex senden?”) und aus Frankreich (“Nimmst Du auch Clearasil?”), Briefe, die nie abgeschickt wurden, Briefe aus der noch vorvergangenen Vergangenheit (“Willst Du mit mir gehen?”). Letzteres kommt heute per SMS. Hat einfach nicht denselben Charme.

Wie Navid Kermani (hier der Link zur Buchbesprechung) trefflich bemerkt:
“Als wolle mir der Weltgeist unter die Nase reiben, daß mit dem Kampf gegen die atomare Aufrüstung auch die Große Liebe einer anderen Epoche, einem fremden Leben angehört, kennt das wiedervereinte Deutschland weder die Bundespost noch die Währung, die auf der Briefmarke stehen, ebensowenig die vierstelligen Postleitzahlen auf dem Stempel und in der Adresse.”

Und dann: Könnte man sich vorstellen, Kafka schriebe ein E-Mail an den Vater? Oder an Milena diese SMS:
„Briefe schreiben heißt sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten. Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken …“
Die intrigante Marquise bei Choderlos de Laclos spönne ihre “Gefährliche Liebschaften” in einem E-Mail-Roman aus?
Oder Hemingway und Fitzgerald pflegten ihre Männerfreundschaft via Smartphone? Der Briefwechsel (hier die Buchbesprechung) zwischen den beiden amerikanischen Autoren erschien 2013 und ist ein amüsantes Lesevergnügen. So nimmt “Mr. Fizzgerald” 1928 das Machoimage seines Kumpels auf den Arm:

“Zerbrich Dir drüben in Amerika bitte nicht den Kopf über mein Statement, dass Du in Caporetto drei Tage allein einen Brückenkopf (oder war es eher ein Drogenkopf?) verteidigt und damit die ganze 2te Österreichische Armee durcheinander gebracht hättest. In spätestens 50 Jahren werden all jene, die das in Abrede stellen können, tot sein oder zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Brückenköpfe zu verteidigen.”

Briefe schreiben ist eben doch besser als hektisch in eine Tastatur zu klopfen. Analog ist besser als digital.
Wenn auch der Brief selbst nur bedingt das Wesentliche erfüllen kann:

„Es ist ein sonderbares Gefühl, sich auf dem Papier jemand nähern zu wollen, und ich habe ihre Entfernung nie mehr gefühlt als jetzt da ich Ihnen schreiben will. Ich haße alle Briefe an vertraute Wesen, ob ich sie gleich um keinen Preis mißen möchte. – Ein Brief ist mir immer wie ein Roman, - und ich mag lieber zu wenig als zu viel sagen. Das Papier ist ein so ungetreuer Bote, daß es den Blick, den Ton vergißt, und oft sogar einen falschen Sinn überbringt, - und doch ist selbst der Kampf mit Irrungen beßer als die fürchterliche Oede, die kein Ton durchhallt.“

Sophie Mereau an Clemens Brentano (1799).

Und dennoch und noch einmal - denken wir ans Kino. “Wenn der Postmann zweimal klingelt!” - beim Servicemann großer Internetanbieter ist man ja meist schon froh, wenn sie überhaupt einmal kommen. Unvorstellbar auch, dass die Beatles etwas anderes singen als:
Wait!
Oh, yes, wait a minute, Mr. Postman
(Wait)
Wai-ai-ai-ait, Mr. Postman
(Mr. Postman, look and see)
Oh, yeah
(Is there a letter in your bag for me?)
Please, please, Mr. Po-o-ostman
(I’ve been waiting a long, long time)
Whoa, yeah
(Since I heard from that gal of mine)

Und ganz unvorstellbar ist es, dass der liebenswerteste aller Briefeschreiber am Valentinstag oder zu anderen Gelegenheiten ein elektronisches Medium nutzt. Nein, Snoopy mag es klassisch - und mit PONG!!!

 

TRIO 4: Wenn Schriftsteller ihren Liebsten schreiben…

… kommen manchmal (aber auch nur manchmal) ganz bezaubernde Dinge dabei heraus.

Ganz begeistert bin ich von einem Brief, den James Joyce 1936 aus Dänemark an seinen Enkel Stephen James schickte. Der liebevolle Opa teilt dem Vierjährigen auf eine recht skurrile, lyrisch-versponnene Art und Weise mit, warum er ihm keine Kopenhagener Katze schicken kann. In seiner Heimat Irland waren mit Süßigkeiten gefüllte Katzen ein beliebtes Geschenk.
Statt über Süßigkeiten schreibt Joyce über Polizisten, die im Bett liegen und Buttermilch trinken, über rote Jungs auf roten Rädern, die den Job der Polizisten erledigen - und kommt ganz am Schluss auf eine geniale Idee. Aber die wird hier nicht verraten…

Schließlich mussten auch die Joyce-Anhänger viel Geduld haben, bis „Die Katzen von Kopenhagen“ erscheinen durften: Es dauerte bis 2012, bis die rechtlichen Voraussetzungen für die „Welturausgabe“ geklärt waren. Oftmals wird ja jedes Fitzelchen, das ein berühmter Autor hinterlässt, später als Sensation vermarktet. Oft ist das auch viel Lärm um nichts. Bei den dänischen Katzen war ich ein wenig skeptisch – aber sie zeigt den augenzwinkernden, humorvollen Joyce, der auch im „Ulysees“ aufblitzt, und dem zudem Harry Rowohlt mit seiner Übersetzung den passenden Ton gibt. „Die Katzen von Kopenhagen“ erschien im Juli beim Hanser Verlag, die Illustrationen von Wolf Erlbruch (2003 für sein Lebenswerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet) sind an sich schon eine Schau – so richtig schöne, dicke Buttermilch-Katzen. So ein O-papa!

James Joyce: „Die Katzen von Kopenhagen“, Hanser Verlag, fester Einband, 32 Seiten, empfohlen ab 5 Jahren. Durchgehend farbig illustriert, ISBN 978-3-446-24159-6

dürrenmatt 001„Also, wenn es einen Gott gibt, muss er einen unendlichen Humor haben. Der muss wahnsinnig Freude haben, Welten in die Luft zu jagen, der ist wie ein Kind, das mit Zinnsoldaten spielt. Und da dem Moral oder sonst was anzudichten, nein, ich glaube, der hat einfach Freude am ganzen Spektakel. Und das hat unbewusst der kreative Mensch auch. Ich habe nie etwas geschrieben mit Hass. Ich habe einfach Freude an dem, was man kreiert.“

So äußerte sich Friedrich Dürrenmatt in einem Film seiner Frau Charlotte Kerr, „Portrait eines Planeten“ (1984). Ein Jahr zuvor sind die Beiden mit Maximilian Schell bei einer Aufführung im Münchner Circus Krone und sehen eine Dressur mit Tiger und Nashorn. Schell schreibt später: „Das seid ihr“. Und Dürrenmatt beginnt, wie es einem kreativen Gott gebührt, einen eigenen Kosmos zu schaffen. „Das Nashorn schreibt der Tigerin“ erschien 2002, zwölf Jahre nach seinem Tod. Charlotte Kerr hatte dafür die verspielten Zeichnungen und Bildgeschichten zusammengestellt und kommentiert, die Dürrenmatt ihr während ihrer Verbindung und Ehe zeichnete. Er selbst ist das Rhinozeros, Charlotte Kerr die Tigerin, dazu wird die Dürrenmattsche Welt ergänzt durch imaginäre Kinder und allerlei Viehzeugs…So lernt man den Schriftsteller nicht nur von seiner privaten, sondern auch von einer „tierisch“ amüsanten Seite kennen: Beim Reisen, beim Papstbesuch, beim Dichten, beim erfreuten Fernsehgucken, als die Mauer fällt. Ein Picasso oder Matisse ist der Schweizer zwar nicht – aber was zählen schon die zeichnerischen Fertigkeiten, wenn einer sich solche kommunikative Mühe gibt? Welche Partnerin wäre über solche Liebesbeweise nicht erfreut?

Friedrich Dürrenmatt: Das Nashorn schreibt der Tigerin. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 206 Seiten, ISBN-10: 3351029616, nur noch antiquarisch zu erhalten.

Und auch F. Scott Fitzgerald schreibt an jemanden, der ihm lieb und teuer ist. Zugleich aber auch verhasst: An sich selbst. Ab 1937 arbeitet der Schriftsteller in Hollywood. Er ist depressiv, trinkt unmäßig, kann nicht mehr schreiben. Sein letzter Roman, „The last tycoon“ bleibt unvollendet – F. Scott Fitzgerald stirbt, verarmt und verlassen, am 21. Dezember 1940. Eine Postkarte aus Hollywood an sich selbst – welch ein trauriges Symbol der Einsamkeit.

Aus einem Brief aus besseren Tagen stammt dieses Zitat:

„Ich habe gehört, Du wurdest gesehen, wie Du in alten, verdreckten Unterhosen durch Portugal gerast bist und zermahlenes Glas gekaut hast und auf der Suche nach Material warst für eine Story über Boulespieler. Und dass Du der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit von Lindberg geworden bist. Und dass Du gerade einen Roman beendet hast, der aus hunderttausend Wörtern besteht - genauer gesagt ausschließlich aus dem Wort Klöten, das Du immer wieder neuen Gruppierungen zuordnest. Dass Du spanischer Staatsbürger bist und jetzt immer in einem Ganzkörperweinschlauch steckst, mit einer Reißverschlussöffnung zum Pissen daran. Dass Du in den Schwarzhandel mit der Spanischen Fliege zwischen San Sebastian und Biarritz involviert bist, wo Deine Mittelsmänner das Zeug auf den teuren Böden der Casinos verstreuen.“

Sein Briefwechsel mit Ernest Hemingway erschien 2013 unter dem Titel „Wir sind verdammt lausige Akrobaten“  – zur Buchbesprechung geht es hier:
http://saetzeundschaetze.com/2013/10/19/ernest-hemingway-und-f-scott-fitzgerald-eine-brieffreundschaft/

Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald: Wir sind verdammt lausige Akrobaten (2013).

„Und, Ernest, ich kann das nicht mal als eine literarische Fingerübung akzeptieren. Es scheint mir, das alles müsste sorgfältig gekürzt werden, sogar neu geschrieben. Unsere arme alte Freundschaft wird das kaum überleben, aber was lässt sich tun? Besser ich sage Dir das als irgend so ein Niemand von der Literaturkritik, der sich weder um Dich noch um deine Zukunft sorgt.“

Die arme alte Freundschaft hat auch diesen Brief aus dem Jahre 1929 überlebt (der Brief bezieht sich übrigens auf den Roman „In einem anderen Land“). Was Wunder nimmt: Denn allgemein galt Ernest Hemingway als nachtragend und Kritik gegenüber als äußerst empfindlich. Nun, vielleicht hat er später Rache genommen – indem er diese von Beginn an wunderliche, wundersame Freundschaft zu dem anderen großen Literaten dieser Zeit, F. Scott Fitzgerald, in späteren Jahren relativierte, die Rollen neu schrieb.

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Unter anderem in „Paris, ein Fest fürs Leben“. Hier bin ich erstmals auf diese Verbindung zwischen zwei Literaten, wie sie vom Typ, vom Habitus unterschiedlicher nicht sein könnten, gestoßen. Die von Hemingway geschilderte Anekdote spricht Bände über seine spätere Inszenierung dieser Freundschaft:

„Schließlich, als wir die Kirschtorte aßen und eine letzte Karaffe Wein dazu tranken, sagte er (F. Scott Fitzgerald):
“Du weißt, dass ich mit niemand außer mit Zelda geschlafen habe.”
“Nein. Das wusste ich nicht”.
“Ich dachte, ich hätte es dir erzählt.”
“Nein. Du hast mir `ne Menge Sachen erzählt, aber das nicht.”
“Das ist es, worüber ich dich etwas fragen muss.”
“Schön, weiter.”
“Zelda hat gesagt, dass ich, so wie ich gewachsen bin, nie eine Frau glücklich machen könne, und das war`s, was sie zuerst aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Sie sagte, es sei eine Frage der Maße. Seit sie das gesagt hat, bin ich nie wieder der alte gewesen, und ich muss es wahrheitsgemäß wissen.”
“Komm raus, ins Büro”, sagte ich.
“Wo ist das Büro?”
“Das WC.”

Hola, die Waldfee! Erzählt man dieses über tote Kumpels? Macht man die so posthum zur Minna? Oder ist es eben das typische Konkurrenzgehabe kleiner Jungs? Denn selbstverständlich hat Hemingway den Überblick. Nicht nur an dieser Stelle zeigt er sich F. Scott Fitzgerald leicht gönnerhaft-überlegen, der Freund und Konkurrent wird als hypochondrisches Weichei charakterisiert.

Einige Briefe erstmals in deutscher Übersetzung

Dieses Ungleichgewicht wird nun etwas aufgewogen durch den Briefwechsel der Beiden, der sich immerhin 15 Jahre hinzog. Erschienen bei Hoffmann und Campe unter dem Titel „Wir sind verdammt lausige Akrobaten“, herausgegeben von Benjamin Lebert („Crazy“), der einige der Briefe Fitzgeralds erstmals ins Deutsche übersetzt hat. Umfangreich ist das Buch nicht – etliche der Briefe blieben wohl nicht erhalten -, die editorische Leistung ist eher mäßig: Das Vorwort ist mehr von persönlicher Begeisterung als von Fachinformation geprägt, die Ergänzungen zu Werk und Leben sowie erwähnten Personen könnten ausführlicher sein.

Aber die Briefe an sich sind es, die dieses Zirkusstückchen ausmachen: Zwei Wortakrobaten, die sich gegenseitig in schwindelnde Höhen hochschaukeln, Witz-Kapriolen schlagen, den traurigen Clown mimen. Der „Schriftverkehr“ wirft ein neues, ungeahntes Licht auf diese Kumpanei zwischen dem eleganten Lebemann und dem trinkfesten Macho.

Kennengelernt haben sie sich 1925 in Paris – F. Scott Fitzgerald bereits berühmt durch „Der große Gatsby“ und durch seinen Lebensstil – er und seine Frau Zelda verkörperten die Roaring Twenties, das Jazz Age. Hemingway noch ein no name, der als Korrespondent die Nähe der von ihm bewunderten Literaten in der französischen Metropole sucht: Gertrude Stein (die ihn in der „Autobiographie von Alice B. Toklas“ recht giftig als willigen Schüler darstellt), James Joyce, Sherwood Anderson, und anderen.

Stark in der Kunst, schwach im Leben?

Die Freundschaft zu Fitzgerald hält am längsten – in der Nachbetrachtung, da man ihrer beider Schicksale kennt, verwundert dies nicht: Zwei hochtalentierte Menschen, die stark in der Kunst, aber schwach im Leben waren.

Sie tauschen sich aus über ihren Alltag, Geldsorgen, Probleme mit Frau (Fitzgerald), Frauen (Hemingway), die Liebe zu den Kindern, über Freunde, Trinkgelage, Reisen, aber vor allem über eines: Das Schreiben. Und dabei geben sie sich, trotz allem literarischen Wettbewerbs, gegenseitig Unterstützung und Hilfe.

Fitzgerald 1928 an Hemingway:

„Nichts ist annähernd so gut. Wann wirst Du mich davon erlösen, Deine Sachen auswendig zu lernen, weil ich sie zu oft gelesen habe, und endlich etwas Neues fertig schreiben? Denk dran, Proust ist tot.“

In großem Futterneid von Kumpan und Klatschtante Scott

Hemingway 1934 an Fitzgerald:

„Vergiss Deine persönliche Tragödie. Wir sind alle von Anfang an verflucht, und besonders Du musst erst furchtbar verletzt werden, bevor Du ernsthaft schreiben kannst. Aber wenn Du diesen verdammten Schmerz fühlst, nutze ihn, und betrüge nicht damit. Sei damit so gewissenhaft wie ein Wissenschaftler - aber bilde Dir nicht ein, irgendetwas sei nur deshalb von Bedeutung, weil es Dir zustößt oder jemandem, der zu Dir gehört.“

Vor allem Fitzgerald geht in seiner literarischen Kritik fast gnadenlos mit dem Freund um:

„Nun ja, jedenfalls finde ich einige Teile von Fiesta nachlässig erzählt, Du erzielst keine Wirkung…Dein erstes Kapitel enthält ungefähr zehn Stellen dieser Art, und es übermittelt sich mir beim Lesen das Gefühl einer herablassenden Gleichgültigkeit…Wie ich Dich kenne, würdest Du dergleichen bei anderen als halb Stil, halb Pferdescheiße bezeichnen.“

Diese Ehrlichkeit tut der Freundschaft in den ersten Jahren jedoch keinen Abbruch – vielmehr versichern sich die Beiden immer wieder, in beinahe schon zärtlicher Manier, ihrer gegenseitigen Zuneigung.

Ernest an Scott:

„Gott, ich wünschte, ich könnte Dich sehen. Du bist der einzige Kerl in und außerhalb Europas von dem (oder gegen den) ich das sagen kann, aber ich würde Dich wahrhaftig gern sehen.“

Scott an Ernest:

„Ich kann Dir gar nicht sagen, wie viel mir Deine Freundschaft die letzten anderthalb Jahre über bedeutet hat. Von ihr ist für mich auf unserer Europareise das meiste Licht ausgegangen.“

Mit der Zeit werden die Kontakte zwischen dem „lieben Papa, Stierkämpfer, Gourmand“ und dem „Mr. Fizzgeral“ (eine Anspielung auf die Rechtschreibschwächen des großen Gatsby-Autors) weniger, die Anzahl der Briefe geringer. Aus dem Jahre 1940 ist nur ein Schreiben Scotts an Ernest erhalten – kurz vor seinem Tod im Dezember verfasst. „Ich bin nie dazu gekommen, Dir zu sagen, dass mir Haben und Nichthaben ebenso gut gefallen hat…“. Dann verstummt der große amerikanische Autor.

Nachgestellt ist diesem ein Brief von Hemingway 1954 an Harvey Breit, in dem er sich von dieser Freundschaft, die vielleicht nur in Briefen wirklich lebte, distanziert:

„Manchmal war es lustig. Aber in Ordnung war es nie.“

Was diese Freundschaft also vor allem Hemingway bedeutete – man wird es niemals wissen können, die Spuren seiner Zuneigung zum Akrobatenfreund hat er später gut verwischt. Doch was bleibt, sind die Briefe – und in dem Moment, als er Sätze schrieb wie diesen, waren diese wohl auch wahr:

„Doch wenn Du nichts dagegen hast, Du bist mein allerbester Freund.“

„Wir sind verdammt lausige Akrobaten“, Hoffmann und Campe, 2013

Eine weitere Besprechung gibt es bei Notizhefte: http://notizhefte.wordpress.com/2013/10/06/briefwechsel-hemingway-fitzgerald/

F. Scott Fitzgerald malt seinen verehrten James Joyce

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“F. Scott Fitzgerald verehrte James Joyce, hatte aber Angst, sich ihm persönlich zu nähern. Adrienne kochte also ein gutes Abendessen und lud die Joyces, die Fitzgeralds und André Chamson mit seiner Frau Lucie ein. In mein Exemplar von The Great Gatsby zeichnete Scott ein Bild der Gäste - Joyce sitzt mit einem Glorienschein bei Tisch, Scott kniet neben ihm.”
Sylvia Beach, “Shakespeare and Company”, Suhrkamp Taschenbuch