Ein Jahr ist nichts…

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Bild: Rose Böttcher

Ein Jahr ist nichts, wenn man’s verputzt,
ein Jahr ist viel, wenn man es nutzt.
Ein Jahr ist nichts; wenn man’s verflacht;
ein Jahr war viel, wenn man es ganz durchdacht.
Ein Jahr war viel, wenn man es ganz gelebt;
in eigenem Sinn genossen und gestrebt.
Das Jahr war nichts, bei aller Freude tot,
das uns im Innern nicht ein Neues bot.
Das Jahr war viel, in allem Leide reich,
das uns getroffen mit des Geistes Streich.
Ein leeres Jahr war kurz, ein volles lang:
nur nach dem Vollen mißt des Lebens Gang,
ein leeres Jahr ist Wahn, ein volles wahr.
Sei jedem voll dies gute, neue Jahr.

Hanns Freiherr von Gumppenberg (1866-1928).

Der bayerische Schriftsteller schrieb auch unter den Pseudonymen Jodok und Professor Immanuel Tiefbohrer. Er war Mitbegründer des Kabaretts „Die Elf Scharfrichter“. Lesenswert seine Parodiensammlung „Das teutsche Dichterross: in allen Gangarten vorgeritten“.

Mehr über ihn findet sich im bayerischen Literaturportal: http://www.literaturportal-bayern.de/autorenlexikon?task=lpbauthor.default&pnd=118719491

Jüdische Lyrikerinnen (2): Hedwig Lachmann

Feature

Bild: Rose Böttcher

Winterbild

In meinem Zimmer ein paar frische Blumen,
Die allen Wintermissmut mir vertreiben.
Ein Vöglein pickt vor meinem Fenster Krumen
Und guckt dabei zutraulich durch die Scheiben.

In Stroh und Bast die Bäume eingeschlagen,
Damit der strenge Frost sie nicht berühre,
Die Beete wohl verwahrt vor kalten Tagen –
Und, blossen Haupts, ein Bettler vor der Türe.

Hedwig Lachmann (1865-1918)

Prägen Landschaften die Menschen, die in ihnen leben?
Ich meine: In gewisser Weise schon.
Das Bild wurde in jener Gegend aufgenommen, in der die jüdische Dichterin Hedwig Lachmann aufwuchs und nach einem wechselvollen Leben auch starb. Das Kleinräumige, das nach Weite schreit, das Winterkarge, das sich im Sommer fast schon wieder in das Kitschig-Liebliche wandeln kann, das Bodenständige, das Zurückgenommene  - all das ist in dieser Landschaft. Und es ist in den Gedichten Lachmanns zu spüren, die immer wieder in diese schwäbische Gegend zurückkehrte: Hier war ihre Familie, hier ihre Heimat.

Ebenso sind in den Gedichten also auch die Sehnsucht, die menschliche Wärme, eine stille Herzensklugheit, wie sie im “Winterbild” offenbart wird, zu spüren. Für die Landschaft ist gesorgt vor dem Frost, der Bettler aber geht unbedeckt.

Diese Mischung aus leiser Melancholie und Mitgefühl ist ein Kennzeichen dieser Dichterin, die dem Vergessen zum Opfer fiel. Wer nur diese Seite ihrer Lyrik kennenlernt, erhält jedoch ein falsches, einseitiges Bild: Hedwig Lachmann war ebenso eine engagiert politisch denkende Frau, eine, die ihren Weg wählte und ging, jedoch ohne viel Aufhebens darum zu machen. Mir scheint, sie war eine stille Unangepasste - eine, die früh selbständig war, die zum selbständig Denken erzogen worden war und durchaus auch deshalb nicht den einfachsten ihr dargebotenen Weg einschlug.

Hedwig Lachmann kam im August 1865 in Pommern zur Welt. Sie war die Älteste der sechs Kinder des Kantors Isaac Lachmann und dessen Frau Wilhelmine. Die Familie zieht 1873 nach Hürben bei Krumbach um. In diesem  schwäbisch-bayerischen Ort existierte 1675 bis 1942 eine meist sehr große jüdische Gemeinde, allein um 1840 gehörten zu ihr 652 Mitglieder. Bereits um 1900 war die Gemeinde jedoch auf 123 Personen gesunken. 40 Jahre später überleben nur wenige Hürbener Juden, die rechtzeitig auswandern konnten, den Nationalsozialismus.

Als Hedwig Lachmann nach Hürben kommt, ist die Gemeinde bereits klein, aber intakt. Ihr Vater ist dort ebenfalls als Kantor und Lehrer tätig. Sie selbst besucht die Mädchenschule in Krumbach und legt dank ihrer Sprachbegabung bereits mit 15 Jahren ein Lehrerinnen-Examen in Augsburg ab. 1882 - also gerade erst 17 Jahre alt - übernimmt sie ihre erste Stellung als Gouvernante in England, dann folgen Aufenthalte in Dresden, ab 1887 in Budapest, ab 1889 schließlich lebt sie in Berlin.

Schon zu dieser Zeit schrieb Lachmann eigene Gedichte und arbeitete ab und an journalistisch. 1891 erscheint ihr erstes Buch, “Ungarische Gedichte”, vor allem Nachdichtungen von Alexander Petöfi. Gefördert wurde ihr Talent vor allem von Richard Dehmel, mit dem sie ab 1892 einen intensiven Briefwechsel führt. Mit dem Lyriker verbindet sie eine komplizierte Beziehung - er, damals noch verheiratet mit der Märchendichterin Paula Oppenheimer, sehnt sich nach einer Ménage à trois, will die Lachmann nicht nur platonisch lieben. Sie schreckt davor zurück - und entzieht sich der Situation durch ihren Umzug nach Budapest.Die Freundschaft zu Dehmel zerbricht endgültig 1914, als dieser sich, wie soviele andere Intellektuelle, vom Taumel der Kriegsbegeisterung mitreißen ließ. Er ließ sich, so schreibt sie an einen Freund, “von der Sturzwelle der nationalen Leidenschaft fortreißen”, er habe “seinen Beruf verkannt.”

Auch wenn Hedwig Lachmann sich selbst nicht als Anarchistin bezeichnete, politisch Stellung nahm sie gleichwohl. Vor allem für einen unbedingten Pazifismus. Ihr Antikriegsgedicht ist auch als entschiedene Reaktion auf den blinden Nationalismus der Vorkriegsjahre zu verstehen:

Mit den Besiegten

Preist Ihr den Heldenlauf der Sieger, schmückt
Sie mit dem Ruhmeskranz, Euch dran zu weiden -
Ich will indessen, in den Staub gebückt,
Erniedrigung mit den Besiegten leiden.

Geringstes Volk! verpönt, geschmäht, verheert
Und bis zur Knechtschaft in die Knie gezwungen -
Du bist vor jedem stolzeren mir wert,
Als wär’ mit dir ich einem Stamm entsprungen!

Heiß brennt mich Scham, wenn das Triumphgebraus
Dem Feinde Fall und Untergang verkündet,
Wenn über der Zerstörung tost Applaus
Und wilder noch die Machtgier sich entzündet.

Weit lieber doch besiegt sein, als verführt
Von eitlem Glanz – und wenn auch am Verschmachten,
Und ob man gleich den Fuß im Nacken spürt -
Den Sieger und das Siegesglück verachten.

Im Frühjahr 1899 heiratet sie schließlich den Pazifisten und Anarchisten Gustav Landauer und zieht mit ihm zunächst nach England. Erich Mühsam (siehe hier ein Beitrag auf Sätze&Schätze), ein gemeinsamer Freund, besorgt dem Paar  1902 eine Wohnung in Hermsdorf bei Berlin. Die beiden geben sich großen Halt: “Sie waren zwei Menschen wie auf Flügeln, und sie waren zusammen eine Einheit”, sagte Hermann Sinsheimer.

Aus deiner Liebe …

Aus deiner Liebe kommt mir solch ein Segen,
Sie macht mein Herz so sorglos und so fest,
Ich kann so ruhig mich drin niederlegen,
Wie sich ein Kind dem Schlafe überlässt.

Ich geh dahin von Zuversicht getragen,
Seit neben deiner meine Seele schweift;
So, wie man wohl an schönen Sommertagen
Durch reife Ährenfelder sinnend streift.

Da gleiten sanft die Finger über Blüten
Und Halme hin, wie eine Mutter pflegt,
Und alles Leben möchte man behüten,
Das seine heil’ge Saat zum Lichte trägt.

1902 veröffentlicht Hedwig Lachmann wieder eigene Gedichte - zuvor war sie vor der Außenwelt vor allem durch ihre Übersetzungen von Poe, Oscar Wilde und Balzac hervorgetreten. Einige dieser Übertragungen sind durchaus noch  in Gebrauch: So Balzacs „Frau von 30 Jahren“, erschienen als Fischer Klassik Taschenbuch.

1917 ziehen die Landauers wegen der schlechten Ernährungslage in Berlin nach Bayern – Hedwig kehrt an den Ort ihrer Kindheit zurück. Am 21. Februar 1918 stirbt sie in Krumbach an einer Lungenentzündung. Der tieferschütterte Landauer gibt im Jahr nach ihrem Tod ihre “Gesammelten Gedichte” bei Kiepenheuer heraus. Landauer selbst wird 1919, nach dem Scheitern der Münchner Räterepublik, von Soldaten ermordet.

Hedwig Lachmann hat viele wunderbare Gedichte hinterlassen, die es wieder zu entdecken gilt. Und sie gab ihr Talent trotz des viel zu kurzen Lebens weiter: Ihr Enkel ist Mike Nichols, geboren 1931 in Berlin als Michael Igor Peschkowsky, der als Regisseur unter anderem mit “Die Reifeprüfung”, “Catch 22″ und “Silkwood” für gutes Kino sorgte.

Ich plane eine kleine Reihe mit jüdischen Lyrikerinnen. Neben Hedwig Lachmann wurde bereits Mascha Kaléko vorgestellt: http://saetzeundschaetze.com/2013/11/16/mascha-kaleko-ein-herbst-leben/