Hilmar Klute: War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz (2015).

klute_-_war_einmal_ein_bumerangErstaunlich: Beinahe jeder – jedes Kind – kennt einen Vers von Ringelnatz. In Hamburg lebten zwei Ameisen, die würden sich ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken, aber ich bin so knallvergnügt erwacht, doch: Warte nur balde Kängurst auch Du… (mehr davon bei www.ringelnatz.org).

Man könnte dies unendlich fortsetzen, verknüpft mit dem Hinweis, dass Humor der Knopf ist, der verhindert, dass uns der Kragen platzt – und dass Joachim Ringelnatz alias Hans Gustav Bötticher (1883-1934) ein ganz genialer Knopfmacher war. Dieser liebevoll-augenzwinkernde-freigeistige Humor, der aus vielen seiner Gedichte so genialisch sprüht, mag jedoch auch der Grund dafür sein, dass der Blick auf das „Gesamtkunstwerk“ Ringelnatz oftmals verstellt blieb und bis heute bleibt. Für viele ist er ein Dichter der „leichten Sorte“, zu leicht gewogen, als beinahe seicht empfunden. Das Melancholische seiner Lyrik, die sozialkritischen Verse, die bissigeren Miniaturen und auch die schwermütig-leisen Lieder: Sie sind uns, bis auf einige Liebesgedichte, weitaus weniger geläufig.

Obwohl er selbst über sein Leben an vielen Stellen Auskunft gab, beispielsweise in den autobiographischen Schriften und den vielen Briefen, die sich im Nachlass fanden, sind einem oft nur einige Facetten dieses ungeheuer umtriebigen, ausgefüllten Lebens präsent: Die einen kennen ihn als Matrosen und seine Kunstfigur Kuttel Daddeldu, die anderen als Bühnenkünstler im Münchner Simpl und auf Reisen durch die deutschen Lande, weniger wissen schon vom ambitionierten und begabten Maler, einige wissen von ihm als Freund der Frauen, einige von ihm als Hungerkünstler, andere kennen ihn als Überlebenskünstler, wenige jedoch haben von den vielen, vielen Posten und Pöstchen, die er zur Existenzsicherung annahm, eine Ahnung: Briefkontrolleur, Tabakladenbesitzer, Reklamedichter, Buchhalter…

20150211_183320_resizedBislang gab es erstaunlicherweise trotz dieses romanhaften Lebens über den körperlich klein-zarten und durchaus anmutigen Bühnenkünstler, der gerne auch einen Seepferdchen-Tanz hinlegte, kaum Biographisches. Walter Pape kommt das Verdienst zu, das Ringelnatzsche Gesamtwerk erhoben und herausgegeben zu haben. Eine Biographie schrieb der 1978 verstorbene Herbert Günther, der Ringelnatz 1925 in München kennengelernt hatte und zu einer Art „Hausbiograph“ der letzten Lebensjahre wurde – in der Nähe zum Menschen liegt jedoch auch der Mangel dieses Buches, das zum einen im Ton einen gewissen Anspruch der Allwissenheit pflegt, zum anderen die dunkleren Seiten dieser durchaus nicht einfachen „Bumerang“-Seele eher übergeht resp. schönschreibt. Es fehlt der Schrift an Abstand und an Leichtigkeit.

Mehr als 80 Jahre nach dem Tod des skurrilen Schabernacks ist nun eine Biographie erschienen, die den Schalk mit dem Schabernack im Nacken würdig portraitiert: „War einmal ein Bumerang“ von Hilmar Klute. Klute ist von Berufs wegen einer, der mit solcher sprachlicher Jonglierkunst zu tun hat, wie Ringelnatz sie pflegte – Klute ist Chef der Rubrik „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung, jener Glosse, die beinahe täglich zeigt, wie kunst- und humorvoll der Ernst des Lebens mit den Mitteln der Ironie beschrieben und ausgehebelt werden kann. Ringelnatz wäre ein würdiger Streiflicht-Autor gewesen, das ist mal sicher.

20150211_183358_resizedHilmar Klute konnte für die Arbeit an diesem Buch eine durchaus umfangreiche Quellenlage nutzen – so verwaltet Norbert Gescher, Muschelkalks Sohn, den privaten Nachlass, ebenso recherchierte der Essayist bei der Ringelnatz-Stiftung, im Museum am Geburtsort Wurzen und griff auf die Zeugnisse von Zeitgenossen zurück, darunter Erich Mühsam, Erich Kästner, Carl Zuckmayer – mit dem Ringelnatz nicht allzu freundlich umging – bis hin zu Kurt Tucholsky und Asta Nielsen, der geliebten Freundin, seinem Mädchen mit der „Barfußseele“. So setzt sich ein Mosaik zusammen, aus dem sich das Bild eines Mannes herauskristallisiert, der es wohl selbst zu Lebzeiten in seiner verspielten Versponnenheit Freunden und Mitmenschen nicht immer allzu leicht machte, den „wahren“ Ringelnatz zu ergründen – er lebte beinahe zu viele Leben für ein Leben. Zumal er sich offenbar selbst nicht immer verstand:

„Auf ein „Wie haben Sie das gemacht, Herr Ringelnatz?“ oder das beliebte „Warum schreiben Sie?“ hätte er so wenig geantwortet wie auf die Frage, was ihn auf die Idee für sein Pseudonym gebracht hat: Es ist mir so eingefallen. Es mag sein, dass auch für ihn das Schreiben ein Geheimnis war. Er wollte diesem Geheimnis nicht auf die Spur kommen, es war das Wunder seines Lebens, das er nicht antasten wollte: „Und im dunkelsten Schatten lies das Buch ohne Wort“, hat er in einem Gedicht geschrieben: „Was wir haben, was wir hatten / eines Tages ist alles fort.“
Es ist unfassbar, wie viel Leben in diesen 51 Jahren steckt, die zwischen der Geburt des Hans Bötticher und dem Tod des Joachim Ringelnatz liegen. Die Größe dieses Schriftstellers ist die Summe seiner Erfahrungen und seiner Neuanfänge, wenn man so will: seines glücklichen Scheiterns.“

Hilmar Klute ist es gelungen, diese Fülle in seinem Buch zu erfassen, ohne zu sehr ins Schweifen, ins Abschweifen, in die Spekulation zu gehen – eine Gefahr, der Biographen oft unterliegen. Faktenreich und detailgetreu: ja, doch auch stringent und dabei leichthändig-essayistisch geschrieben, das individuelle Leben in die Zeitläufte einbettend, dabei auch mit Blick auf die Boheme und andere gesellschaftlichen Gruppen, in denen Ringelnatz sich bewegte – vom liberalen Elternhaus über die Mariner-Zeit bis hin zum freien Künstlerdasein. Dies alles mit großer Sympathie, die aus den Zeilen spricht, ohne den Blick von den weniger angenehmen Charakterzüge des nicht immer so humorigen JR abzuwenden:

„Und dann dieser Satz, den man von Hans Bötticher nicht hören möchte und von Joachim Ringelnatz schon gar nicht: „Hüte dich Muschelkalk vor dem jüdischen Bluff „Neu“. Ist Ringelnatz ein Antisemit?“

Klute zitiert aus einem weiteren Brief, lässt auch eine Relativierung nur bedingt zu – da merkt man, wie der Biograph mit seinem Helden ringt:

„Es sind diese beiden Stellen, die ein unfreundliches Licht auf Ringelnatz werfen, die Kleinmut des Kleinbürgers, der in solchen Momenten Dampf ablässt.“

Allerdings! Klute schreibt im Wissen dessen, was Ringelnatz nicht mehr erleben musste und daher auch aus der Haltung eines, der durch „die Gnade der späten Geburt“ sensibilisiert ist für antisemitische Töne. In diesem Fall wohl auch überkorrekt: Denn solche antijüdischen Bemerkungen gehörten in den Zwischenkriegsjahren wenn auch nicht zum guten Ton, aber zur alltäglichen Umgangssprache. Im Leben, in der Tat war es Ringelnatz wohl herzlich gleich, woher einer kam und was einer war – was zählte war die Verbindung, die sich von Mensch zu Mensch knüpfen ließ, zudem schlug er sich gerne als eine Art humoriger Robin Hood auf die Seite der Geknechteten und Entrechteten. Was mit dem Nationalsozialismus auf ihn und seine Freunde zukam, das ahnte er früh und überschattete seine letzten Jahre, die Gesundheit zudem bereits schwer angeschlagen:

20150211_183437_resizedKlute zitiert den Journalisten Fred Hildenbrandt: „Ich glaube, der Grundzug seines ganzen Wesens war eine unheilbare, tiefverborgene und mit Alkohol übergossene Trauer.“

Und dann gibt der Biograph dem Leser auf den letzten Seiten noch einige schöne Worte mit auf den Weg:

„Und es ist auch keineswegs so, dass Joachim Ringelnatz als großer Unverstandener in der Nachwelt umgeht. Wer ihn liest, wird ihn sofort verstehen. Er hat zur großen Feier des Lebens eingeladen und jene Menschen, die er für klug genug hielt, mit den Abgründen seines Herzens vertraut gemacht – auch das kann man aus seinen Gedichten, seinen Erzählungen und seinen Erinnerungen erfahren. Joachim Ringelnatz ist als Hans Bötticher aufgebrochen, um das Fremde, das Ferne kennenzulernen und das Geheimnis der Welt zu ergründen. Der Welt ist er manchmal abhandengekommen, oft genug hat er sie auch umarmt und sie ihn.“

Da bleibt nur noch die Aufforderung übrig: Die Biographie lesen – es lohnt sich. Aber vor allem: Ringelnatz. Und dann: Die Welt umarmen, das Leben feiern.

Hilmar Klute, War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz
Verlag Galiani Berlin 240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-86971-109-6
Link mit den Verlagsangaben:
http://www.galiani.de/buecher/hilmar-klute-war-einmal-ein-bumerang.html

Und Jochen Kienbaum war mit Hilmar Klute auf den Spuren von Ringelnatz in Berlin unterwegs - ein schöner Streifzug durch die Ringelnatzsche Welt rund um den “Sachsenplatz”. Hier geht es zum literarischen Spaziergang: http://lustauflesen.de/ringelnatz-in-berlin/.

PS: So respekt- und liebevoll die Annährung von Hilmar Klute an den zeitweiligen Wahl-Münchner Ringelnatz ist, so liebevoll ist auch die Gestaltung des Buches – die Bilder des Beitrags zeigen die Innenseiten des Covers.

Joachim Ringelnatz - Zwei Schweinekarbonaden

Bild: Rose Böttcher

Es waren zwei Schweinekarbonaden,
Die kehrten zurück in den Fleischerladen
Und sagten, so ganz von oben hin:
„Menèh tékel ûpharsin“.

Immer einen sauguten Spruch auf den Lippen: Der olle Ringelnatz. Jetzt hat es sich hier aber auch mal wieder mit den Schweinereien. Schluss mit lustig. Wird Zeit, dass wieder Seriosität eingkehrt.

Trio 30: Von Grillenfängern und Liebessängern.

Blick auf das Johann Jakob Fugger, dem “Förderer der Wissenschaften” gewidmete Denkmal in Augsburg. Neben der Wissenschaft widmete er sich auch allerlei anderem, so hatte er 17 Kinder aus zwei Ehen. Von den unehelichen Kindern weiß ich nichts.

Meist führt ein Buch zum andern, bekommt man beim Lesen Geschmack auf mehr von dem einen oder anderen Autoren und auch seinem Umfeld. Und dann stößt man beim Recherchieren im Netz oft auf die schönsten Überraschungen. So ging es mir, als ich nun nach weiteren Gedichten von Hedwig Lachmann suchte. Ich war auf Schmetterlingssuche im Internet und fing mir einen Grillfänger ein.
Die “Edition Grillenfänger” erscheint im Verlag von Udo Degener. Als Großmeister für Schachkomposition hat Degener einiges im Verlagsprogramm für die Anhänger dieses Brettspiels zu bieten. Wer dann nicht schachmatt ist (albernes Wortspiel, ich weiß), der kann sich an der Lyrikreihe entzücken, deren Schwerpunkt auf Dichtern der frühen 1900er-Jahre, des Expressionismus und Dada liegt. Und da gab es für mich einige hübsche Überraschungen - so die Entdeckung von Bess Brenck-Kalischer, ein Band mit Gedichten von Ringelnatz-Vater Georg Bötticher - was die Ringelnatzereien natürlich höchst erfreut! - oder auch eine Wiederbegegnung mit Kurd Adler. Wie auch die bereits vorgestellte Lyrikreihe “Versensporn” lebt auch der “Grillenfänger” vom Engagement leidenschaftlicher Einzeltäter - und ist daher unbedingt unterstützens- und vorstellenswert!
Was nun der Grillenfänger mit dem Fugger zu tun hat? Eigentlich nichts. Außer, dass das Bildmotiv irgendwie assoziativ mit der nachfolgenden Textauswahl zusammenhängen könnte. Vielleicht. Denn aus den Grillenfängern habe ich diesmal ein Trio mit liebestollen Liebessängern zusammengestellt. Weiß man doch, dass, tritt erst das Fleischlich-Erotische in das Leben eines Dichters, mit mancher lyrischen Grille zu rechnen ist…

dada

du dralle
dichtbehaarte
duftend deine dessous
damenhaft dein dekollete

“darf dichter
dich da drücken?

danke!”

Das Gedicht ist dem Grillenfänger 39, “Darf Dichter dich da drücken?” entnommen - eines der wenigen Hefte, das moderner Lyrik gewidmet ist. Zum Dichterduo “Ego & Eder” verrät der Verleger folgendes: “Ego & Eder, ein Erfurter Erzählerduo, erbten eine Erikareiseschreibmaschine, ehe eine Eilsendung edler Einfälle einen Editor erreichte. Er ermöglichte ebendiese epochale Erstausgabe.”

 Die Falle

Ein Jüngling sah ein Mägdelein
Und kaum daß er sie sah - sah - sah,
So rief er: Willst du meine sein?
Und lachend sprach sie: Ja - ja - ja!

Der Jüngling voller Liebeslust
Drang stürmisch auf sie ein - ein - ein:
Komm, laß uns herzen Brust an Brust!
Sie aber lachte: Nein - nein - nein!

Erst sag`: willst du mir folgen blind,
Was dir auch immer droht - droht - droht?
Wohin du willst, du holdes Kind,
Und wär` es in den Tod - Tod - Tod!

So folge mir in jenes Haus,
Zum Standesamte dort - dort - dort!
Da packt` den Jüngling kalter Graus
Und schleunigst sprang er fort - fort - fort…

Wie der Vater, so der Sohne, möchte man nach der Lektüre des Grillfänger 5 sagen.  Nur, dass der Sohnemann es unter seinem Künstlernamen Joachim Ringelnatz dann doch noch ein wenig besser konnte als sein Herr Papa. Dennoch sind die Gedichte von Hans Georg Bötticher, der im Hauptberuf zwar Musterzeichner für Tapeten war, daneben aber auch Schriftsteller, Herausgeber und Mitarbeiter bei humoristischen Blättern, in ihrer altmodischen Art recht amüsant.

Aus: Drei kleine Lieder

Die Liebste sprach: “Ich halt dich nicht,
Du hast mir nichts geschworn.
Die Menschen soll man halten nicht,
Sind nicht zur Treu geboren.

Zieh deine Straßen hin, mein Freund,
Beschau dir Land um Land,
In vielen Betten ruh dich aus,
Viel Frauen nimm bei der Hand.

Wo dir der Wein zu sauer ist,
Da trink du Malvasier,
Und wenn mein Mund dir süßer ist,
So komm nur wieder zu mir!”

Ha! Wenn der Hugo von Hofmannsthal sich da mal nicht getäuscht hat - ist die Liebste klug, dann ist sie schon ums Eck, wenn er vom Grillenfänger 7 - Männertraum wieder zurückkommt.

Wenn Udo Degener nicht Schach spielt oder Lyrikhefte zusammenstellt, dann jongliert er offenbar selbst mit Versen und Worten. Ein Beispiel lag der Büchersendung bei:

Jakob van Hoddis - Indianisch Lied

O Nacht zärtlicher Sterne Gefunkel
In liebesklarer Luft
Lebendigen Traumes Flammendunkel.
Über schmalen Wegen der Bergeskluft,
Hoch im Gebirg’ in den eisigen Gipfeln ein Raunen.
Musik der Seele. Tanz und Märchen erstaunen.

Jakob Van Hoddis (Biographie des expressionistischen Dichters hier: Bibliotheca Augustana) schrieb sein “Indianisch Lied” der Zeichnerin und Puppenkünstlerin Lotte Pritzel auf den Leib. Das Gedicht in voller Länge und mehr zu der Frau, deren Puppen auch Rainer Maria Rilke zu einem Aufsatz inspirierten, hier: http://ringelnatz.org/ringelnatz-und-die-puppenmacherin/

Ein ebenso einfühlsamer als auch informativer Blogbeitrag zu Jakob van Hoddis findet sich bei Dingfest:
https://dingfest.wordpress.com/2015/01/10/spuren-der-moderne-in-munsterland-westfalen-jakob-van-hoddis-in-dr-lackmanns-kurklinik-wolbeck/

Ringelnatz: Die Waffe Bleistift

Da stürzten von zwei Seiten zwei Gendarmen herein und packten und befühlten mich mit dem Rufe: »Haben Sie Waffen bei sich?«
»Ja, einen Bleistift.«
»Haben Sie einen Ausweis bei sich?«
»Nein.«
Ich wurde zur Wache geführt, von einem Wachtmeister ins Verhör genommen. Ich fragte, was ich verbrochen haben sollte.
Ja, es wäre doch verdächtig, daß jemand jeden Morgen so früh nach Dachau käme und soviel auf Zettel schriebe. Man holte telephonisch Auskunft über mich ein. Dann wurde ich entlassen.

Joachim Ringelnatz über seine Münchner Zeit als Tabakhausbetreiber und Hausdichter in der Künstlerkneipe Simplicissimus. Der Beitrag in voller Länge hier: http://ringelnatz.org/ringelnatz-der-trafikant-und-hausdichter/

Zwischen Federhalten und Pinselschwingen: Doppelbegabungen

Was fängt man bloß an, wenn man nicht zum Schreiben aufgelegt ist? Für viele Schriftsteller lautet die Lieblingsantwort: Malen! Am Mischen von Farben scheinen viele Autoren eine geradezu kindlich ungetrübte Freude gehabt zu haben, wie Donald Friedmans prachtvoller Bildband über malende Dichter vorführt. Hermann Hesse befand, das Malen mache “zufriedener und geduldig. Man hat nachher nicht, wie beim Schreiben, schwarze Finger, sondern rote und blaue.” Auch John Updike bestätigt, dass gerade, wer sonst mit Worten Stimmungen und Eindrücke widerzugeben sucht oder in Gedichten Bilder erschafft, empfänglich ist für die Unmittelbarkeit, mit der Gemälde auf den Betrachter wirken: “Die Mittel des Malers sind greifbar. Was er uns sagt, gilt: Seine Striche sind hier und nicht dort, bedeuten dies und nicht das. Wenn wir zeichnen, tauchen wir in die physikalische Wirklichkeit ab.”

Aus einer Besprechung in der FAZ zu diesem Bildband: Malende Dichter von Donald Friedman (zur Verlagsseite: http://www.elisabeth-sandmann.de/buecher/kunst-und-lebensstil/445/malende-dichter)
Mehr Illustrationen von von Djuna Barnes, Sylvia Plath und William Faulkner finden sich hier:
http://saetzeundschaetze.com/2014/10/14/djuna-barnes-the-book-of-repulsive-women-and-other-drawings/
http://saetzeundschaetze.com/2014/10/28/sylvia-plath-drawings/
http://saetzeundschaetze.com/2014/10/01/william-faulkner-jazz-age/

Eine Serie über Joachim Ringelnatz, Kunstmaler: http://ringelnatz.org/ringelnatz-als-maler-i/

Anbei eine kleine Galerie malender Dichter (nicht alle jedoch werden im oben genannten Bildband vorgestellt):

William Faulkner: Flieger, Zeichner, Schriftsteller
Das kommt heraus, wenn Nabokov Cervantes liest.
Elegant: Illustrationen von Djuna Barnes

 

Sylvia Plath: Selbstportrait
Tom Wolfe: Kein Selbstportrait.
Selbstportrait von Sarah Kirsch
Der Maler Ringelnatz wird auf einer Serie bei http://www.ringelnatz org vorgestellt: http://ringelnatz.org/ringelnatz-als-maler-i/
Henry Miller: Fingerübungen im Notizbuch.
Günter Grass, wie immer streng. Selbst im Selbstportrait.
Friedrich Dürrenmatt malte (auch) für Kinder
Zur virtuellen Hesse-Galerie: http://www.hermann-hesse.de/malerei/virtuelle-galerie/gem%C3%A4lde

Joachim Ringelnatz - Ich habe dich so lieb

Grammatikalisch fragwürdige Liebeserklärung in Neukölln. Quelle: http://blogs.taz.de/streetart/2013/09/28/liebe-grosgeschrieben/

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.

Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)

Ringelnatz - Einsiedlers Heiliger Abend

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Foto: Rose Böttcher.  Der Ulmer Weihnachtsmarkt.

Schön ist er schon, so ein Weihnachtsmarkt. Von oben betrachtet. Mein Heimweg führt mich jedoch seit Wochen am großen Christkindlesmarkt in Augsburg vorbei. Statt zu Besinnlichkeit führt das bei mir zu wachsender Misanthropie.

Der Fettgeruch in der Nase. Weihnachtslieder vom Band. Die Glühweinseligkeit, die sich durch Lärm Gehör verschafft. Spätestens gestern, als mir ein jugendlich-männliches Punschopfer vor die Füße fiel, wünschte ich mir, die Leute hielten es wie Ringelnatz und besöffen sich an Weihnachten allein zuhause.

„Einsiedlers Heiliger Abend“ hat jedoch mit der Weihnachtsseligkeit dieser Tage wenig zu tun. Die Weinseligkeit, sprich die Melancholie in diesem Gedicht, hat einen weitaus ernsteren Hintergrund. Es erschien 1933 in dem Band „103 Gedichte“ beim Rowohlt Verlag in Berlin. Es ist kein fröhliches, hoffnungsvolles Weihnachtslied, das Ringelnatz (1883-1934) da singt. Bis zu dieser Zeit hatte Ringelnatz schon etliche private und berufliche Rückschläge erlitten und überstanden. Doch irgendwann geht es wohl nicht mehr. Mit der Machtergreifung wird Ringelnatz die Existenz genommen – der Dichter und Kabarettist, der schon zuvor immer in wackeligen finanziellen Verhältnissen lebte, verarmt völlig. Auftrittsverbote und die Verbrennung seiner Bücher nehmen ihm die Grundlage, seine immer schon angeschlagene Gesundheit leidet, die Tuberkulose bricht aus. Freunde müssen für das Ehepaar Ringelnatz Spenden auftreiben. Im November 1934 stirbt Ringelnatz entkräftet und völlig verarmt.

Einsiedlers Heiliger Abend

Ich hab’ in den Weihnachtstagen -
ich weiß auch, warum -
mir selbst einen Christbaum geschlagen,
der ist ganz verkrüppelt und krumm.

Ich bohrte ein Loch in die Diele
und steckte ihn da hinein
und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
zu sparen, ihn abends noch spät
mit Löffeln, Gabeln und Trichter
und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
mir Erbsensuppe mit Speck
und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken vesunken.
Da hat’s an der Türe gepocht,

und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachstlieder?
ich aber rief nicht: “Herein”!

Ich zog mich aus und ging leise
zu Bett, ohne Angst, ohne Spott.
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

Und hier mit Hinweis auf den Simplicissimus: http://ringelnatz.org/einsiedlers-heiliger-abend/

Jüdische Lyrikerinnen im Portrait (1): Mascha Kaléko (1907-1975)

Bild

Bild: Iris Jahnke

Herbstabend (Auszug)

Nun gönnt sich das Jahr eine Pause.
Der goldne September entwich.
Geblieben im herbstlichen Hause
Sind nur meine Schwermut und ich.

Mascha Kaléko
geboren 7. Juni 1907 in Chrzanów (Schidlow), Galizien, Polen
gestorben 21. Januar 1975, in Zürich, Schweiz

 EIn Beitrag von Klaus Krolzig

Nach ihren frühen Erfolgen mit Gedichten in der Tradition Heines und Tucholskys wurde Mascha Kaléko von den Nazis zur Aufgabe ihrer Heimat und ihrer Karriere gezwungen. Das Gefühl, Außenseiterin zu sein, kannte sie seit ihrer Kindheit, seit ihre Familie aus dem armen Galizien nach Deutschland gekommen war. Aber sie passte sich schnell an, beherrschte den Berliner Dialekt bald perfekt - wie ihre ersten Gedichte zeigen.

Nach der Schulzeit arbeitete sie ab dem 16. Lebensjahr als Sekretärin und verarbeitete ihre Erlebnisse in ihren reizvollen und originellen frühen Gedichten, die erst in Zeitungen erschienen und dann bei Rowohlt unter den Titeln Das lyrische Stenogrammheft (1933) und Das kleine Lesebuch für Große (1935). Kalékos Songs waren so erfolgreich wegen ihrer ungewohnten Verbindung von Berliner Schnoddrigkeit und der Wärme und Melancholie des Ostjudentums; sie wurden von ihr selbst und Chansonsängerinnen wie Claire Waldoff und Rosa Valetti im Radio und in Cabarets vorgetragen. Nach ihrem Verbot durch die Nazis wurden die Songs abgeschrieben und heimlich verbreitet.

Bild1928 heiratete Mascha Saul Kaléko, einen Philologen, von dem sie sich nach zehn Jahren scheiden ließ, um den Musikwissenschaftler und Dirigenten Chemjo Vinaver zu heiraten, Vater ihres Sohnes Evjatar und Spezialist für chassidische Chormusik.

1938 emigrierte die Familie nach New York. Mascha verdiente Geld mit Werbetexten und machte die Öffentlichkeitsarbeit für den Chor ihres Mannes. In Verse für Zeitgenossen verarbeitet Kaléko ihre Exilerfahrungen in eindringlichen satirischen Gedichten. Ihr Comeback hatte 1956 mit dem Wiederabdruck des Lyrischen Stenogrammhefts eingesetzt; nach zwei Wochen stand es auf der Bestsellerliste, und Kaléko machte erfolgreiche Lesereisen durch Europa.

1960 zog Kaléko wegen der Arbeit ihres Mannes mit nach Jerusalem, aber sie wurde dort nie richtig heimisch. Obwohl sie in den 60er und frühen 70er Jahren weiter veröffentlichte, war das Comeback doch nur kurz gewesen; wieder geriet sie in Vergessenheit. Mascha und Chemjo waren beide nicht sehr gesund, und 1968 starb plötzlich ihr Sohn, der in den USA ein erfolgreicher Dramatiker und Regisseur geworden war. Nach Chemjos Tod 1973 verstärkte sich Maschas Isolation immer mehr. Sie starb an Magenkrebs während einer Reise durch Europa.

Von 1966 stammt dieses Gedicht – ein Gedicht aus dem Herbst eines Menschenlebens:

Das Rezept (Auszug)

Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
und der Anzug im Schrank.

(…)
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.

Ihr Ton ist unverwechselbar. Auch wenn Mascha Kaléko oft mit Erich Kästner, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky verglichen, mit ihnen in denselben Topf der Zwanziger-Jahre-Lyriker geworfen wird, erkennt man ihre Gedichte sofort. Das liegt nicht nur am weiblichen “lyrischen Ich”, sondern an den fast immer ein wenig düster grundierten Versen mit Witz und ironischem Blick auf allerlei Alltagsprobleme. Dahinter lauern oft Verlustängste, Sehnsüchte nach Heimat und Geborgenheit.

Wenn Thomas Mann in Bezug auf Mascha Kaléko von “aufgeräumter Melancholie” spricht, hat er sich wohl von der Fassade blenden lassen, während Karl Krolow mit seinem Diktum, bei ihr sei “Gefühl das Gefühl der Ertrinkenden”, ein wenig zu sehr dramatisiert. Vielleicht liegt, wie so oft, die Wahrheit in der Mitte oder besser: im Sowohl-als-auch. Tatsächlich war es Marcel Reich-Ranicki, der die schlicht vergessene Kaléko vor einigen Jahren rehabilitierte und über ihre Poesie schrieb: “kess und keck, frech und pfiffig, schnoddrig und zugleich sehr schwermütig, witzig und ein klein wenig weise”.

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Beim Deutschen Taschenbuchverlag erschien 2012 die erste kommentierte Gesamtausgabe der Werke und Briefe von Mascha Kaléko: http://www.dtv.de/mascha_kaleko_saemtliche_briefe_und_werke_1251.html

Ein wunderbarer Beitrag über Mascha Kalékos Berlin ist auf diesem lesenswerten Blog zu finden: http://aroomforonesown.wordpress.com/2014/06/21/mascha-kalekos-berlin/

Und unter dieser Rubrik gibt es weitere Portraits jüdischer Lyrikerinnen: http://saetzeundschaetze.com/category/frauen-literatur/portraits-judischer-lyrikerinnen/

Punkt, Punkt, Komma, Strich, und fertig ist das Mondgesicht…

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Semikolon, Anführungszeichen, Abführungszeichen, Apostroph…es gibt Satzzeichen, über die stolpern auch Schriftsteller. Wie beruhigend!

Avant-propos

Ich kann mein Buch doch nennen, wie ich will
Und orthographisch nach Belieben schreiben!
Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben.
Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil
Und jeden andern Gegenstand bedichten,
Darf ich doch ungestört daheim
Auch mein Bedürfnis, wie mir’s paßt, verrichten.
Was könnte mich zu Geist und reinem Reim,
Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? –
Bescheidenheit? – captatio – oho!
Und wer mich haßt, – – sie mögen mich nur hassen!
Ich darf mich gründlich an den Hintern fassen
Sowie an den avant-propos.

Joachim Ringelnatz

Apropos Apostroph

„PS: Noch etwas zu „Rudi`s Resterampe“. Einmal schrieb ich in einem Text über Beck`s Bier. Prompt schrieb mir ein Leser, es müsse Becks heißen. Lieber Knabe, entgegnete ich, schau doch mal aufs Etikett. Die Brauereien werden ja wohl noch selber entscheiden dürfen, wie sie ihre Erzeugnisse schreiben. Vor kurzem schrieb ich in einem Artikel über „umkreiste A`s“. Es kam eine hässliche Beschwerde. Liebe Leute: Mich interessiert diese Mode, an Apostrophen zu mosern, überhaupt nicht. Wenn es Autoren gefällt, in den neuen Bundesländern, statt die dortigen Kunstschätze zu besichtigen, falsch geschriebene Imbissbuden zu photographieren und zu diesen Photos kleinkarierte Nörgelartikel mit rassistischer Tendenz zu verfassen, dann ist das deren Problem. Ich stehe fest zu meiner Überzeugung, dass es eine erstrangige charakterliche Widerwärtigkeit ist, sich über anderer Leute Rechtschreibfehler lustig zu machen. Erstaunlich ist, wie verbiestert gerade Leute, die sonst allen möglichen Regelwidrigkeiten oder sogar dem Anarchismus das Wort reden, sich über die paar überflüssigen Strichelchen ereifern. Ich sehe in Apostrophen, an Stellen, wo vorher noch nie Apostrophe waren, zumindest ein ersprießlicheres Erzeugnis von Volkskreativität als in Graffitigeschmiere an historischen Gebäuden. Rechtschreibung ist eine hübsche Sache für Leute, die Spaß an ihr haben. Verstöße gegen ihre Regeln, sofern sie nicht zu inhaltlichen Missverständnissen führen, sind nicht zu kommentieren.“

Max Goldt, „Ich wünschte, man büke mir einen Klöben“

 

Im Reich der Interpunktionen

Im Reich der Interpunktionen
nicht fürder goldner Friede prunkt:

Die Semikolons werden Drohnen
genannt von Beistrich und von Punkt.

Es bildet sich zur selben Stund
ein Antisemikolonbund.

Die einzigen, die stumm entweichen
(wie immer), sind die Fragezeichen.

Die Semikolons, die sehr jammern,
umstellt man mit geschwungnen Klammern

und setzt die so gefangnen Wesen
noch obendrein in Parenthesen.

Das Minuszeichen naht, und – schwapp!
da zieht es sie vom Leben ab.

Kopfschüttelnd blicken auf die Leichen
die heimgekehrten Fragezeichen.

Doch, wehe! neuer Kampf sich schürzt:
Gedankenstrich auf Komma stürzt –

und fährt ihm schneidend durch den Hals,
bis dieser gleich – und ebenfalls

(wie jener mörderisch bezweckt)
als Strichpunkt das Gefild bedeckt! …

Stumm trägt man auf den Totengarten
die Semikolons beider Arten.

Was übrig von Gedankenstrichen,
kommt schwarz und schweigsam nachgeschlichen.

Das Ausrufszeichen hält die Predigt;
das Kolon dient ihm als Adjunkt.

Dann, jeder Kommaform entledigt,
stapft heimwärts man, Strich, Punkt, Strich, Punkt …

 Christian Morgenstern