Sylvia Plath: Drawings

Drawing calmed you. Your poker infernal pen
Was like a branding iron. Objects
Suffered into their new presence, tortured
into final position. As you drew
I felt released, calm.

Aus „Drawing“ von Ted Hughes.

1956 schrieb Sylvia Plath an ihre Mutter Aurelia: „I feel I’m developing a kind of primitive style of my own which I am very fond of. Wait til you see. The Cambridge sketch was nothing compared to these.“ Ein Hinweis auf eine Seite der Schriftstellerin, die immer noch wenig bekannt ist - Sylvia Plath, ausdrucksstarke Lyrikerin und Autorin der „Glasglocke“ war auch eine begabte Zeichnerin und Malerin. Die Bildende Kunst war für sie eine Quelle der Inspiration. Doch auch 51 Jahre nach ihrem Suizid ist die malende Sylvia Plath vielen so gut wie unbekannt.

2011 wurde erstmals eine Auswahl ihrer Zeichnungen in London ausgestellt. Der Londoner Verlag Faber & Faber publizierte den Ausstellungskatalog einige Zeit später als Buch, editiert von Frieda Hughes, der Tochter aus der Ehe von Sylvia Plath und Ted Hughes. Dieser hatte die Bilder aufbewahrt und an die beiden Kinder Frieda und Nicholas (der ebenfalls Suizid verübte) weitergegeben.

Die Zeichnungen und Skizzen entstanden ab 1955, als Sylvia Plath ihr Studium in Cambridge aufnahm - hier lernte sie auch ihren Mann Ted kennen, unternahm mit ihm Reisen, heiratete, brachte die beiden gemeinsamen Kinder zur Welt, versuchte ein „alltägliches“ Leben zu führen und erlebte zwischen ihren Krankheitsepisoden auch glückliche Perioden. All dies schlägt sich in den Bleistift- und Tintenzeichnungen auch nieder: Eine unbekannte, weil unbeschwerte Seite der Sylvia Plath zeigt sich, eine spielerische und verspielte junge Frau, die Szenen und Eindrücke ihres Alltagsleben festzuhalten versucht.

 “I found these drawings moving: not because they feed into the legend, but because they sidestep it. They bring us a fresh look at a woman now so barnacled with myth it`s hard to see her clearly“, schrieb Sam Leith in „The Guardian“ über die Ausstellung in London`s Mayor Gallery. Die Bilder mit dem geschriebenen Wort in Verbindung zu bringen, ist bei Sylvia Plath kaum möglich. Doch mit den dunklen, teilweise morbiden Bildern ihrer Lyrik korrespondieren diese Zeichnungen nicht. Sie passen ebenso wenig zur kühl-jazzigen Prosa ihres einzigen Romans, The Bell Jar. Sie zeigen schlicht und einfach eine weitere Seite der amerikanischen Schriftstellerin.
Zur Verlagsseite:
http://www.faber.co.uk/9780571295210-sylvia-plath-drawings.html

 

TRIO 16: Buchhandlungen. Paris, London, New York. Und die lieben Kleinen.

Eine häufig von mir frequentierte Buchhandlung hat einen schrecklichen Fliesenboden. Selbst in der „gemütlichen“ Leseecke. Zwei der Verkäuferinnen latschen da bevorzugt mit Flip-Flops. Grausames Geräusch. Flip Flops sind Fussballtröten mit Fußschweiß - beides in Sommer- und WM-Zeiten Geräusche, die mich beim Lesen stören. Und das ertrage ich gar nicht. Quietschende Nervtöter in den heiligen Tempeln der Literatur. Innerlich habe ich den Buchhändlerinnen schon mehrfach gekündigt. Wegen Literaturkannibalismus. Dennoch: Amazon flipt-flopt zwar nicht, nervt aber noch mehr. beispielsweise durch immer neue Schlagzeilen im fragwürdigen Umgang mit Belegschaft, Verlagen und auch Endkunden. Erfreulicherweise kommen von letzteren immer mehr an die Basis zurück - den Einzelhandel. Und da kann man auch mal akustische Ausfallerscheinungen in Kauf nehmen, wenn man dafür sieht, wieviel mehr an Beratung, Wissen, Fachkompetenz und auch Leidenschaft für das Medium Buch der Händler vor Ort mitbringt.

Zudem gibt es in Augsburg noch Auswahl an weiteren, kleinen feinen Buchhandlungen ohne Fliesenboden: Empfohlen sei hier an erster Stelle die Buchhandlung am Obstmarkt - der Buchhändler, ein literarisches Urgestein, Brechtkenner, Herausgeber der Keuner-Hefte, Veranstalter literarischer Großereignisse in der Fuggerstadt.

Seit 1719 (!!!) gibt es die Schlosser`sche Buchhandlung - klein, aber fein! Die Buchhändler sind nicht einfach “nur” Verkaufspersonal, sondern wandelnde Lexika. Und im 1. Stock findet man die schöne Auswahl von Zweitausendundeins.

Ebenfalls mit langer Tradition: Rieger&Kranzfelder, seit 1731 in Augsburg. Das Ambiente ist nicht von schlechten Eltern - ist die Buchhandlung doch in einem ehemaligen Fuggerhaus zu finden. Ein Blick auf die Fotogalerie lohnt sich.

Sophie Weigand, bekannt als Literaturbloggerin, widmet den “Kleinen” jetzt eine ganz eigene Internetpräsenz: Für Leserinnen und Leser eine tolle Fundgrube mit neuen Adressen, für Buchhändler eigentlich ein “Muss”, da mitzumachen: http://diekleinsten.wordpress.com/

Für all die tollen Buchhandlungen gibt es drei prominente Vorbilder, die sich auch in der Literatur niedergeschlagen haben - ich habe sie hier in den vergangenen Wochen vorgestellt.

Berühmt, famous, fabelhaft - “Shakespeare and Company” in Paris: http://saetzeundschaetze.com/2014/06/11/sylvia-beach-shakespeare-and-company-zum-110-bloomsday/
Sylvia Beach erzählt hier selbst, wie es tatsächlich war. Eine charmante Dame!

Amüsant, unterhaltsam, lehrreich - “84, Charing Cross Road” in London:
http://saetzeundschaetze.com/2014/06/05/helene-hanff-84-charing-cross-road-und-die-kunst-des-briefeschreibens/
Anthony Hopkins in der Rolle des schüchternen Antiquars zitiert in der Verfilmung des Buchwechsels Yeats:

Das Gedicht lässt sich hier nachlesen: http://saetzeundschaetze.com/2014/03/26/leisetreten/

Bücher, Kunst, soziales, politisches Engagement - “Sunwise Turn” in New York:
http://saetzeundschaetze.com/2014/06/25/madge-jenison-sunwise-turn-a-human-comedy-of-bookselling/

 

 

 

 

 

 

 

“Sunwise Turn, founded and operated by Mary Mowbray-Clarke and Madge Jenison, was located in midtown Manhattan from 1916 until it closed in 1927 was concurrent with Shay’s shop.  One of the first bookstores in the U.S. to be owned by women, Sunwise Turn sponsored lectures by Robert Frost, Theodore Dreiser, and Amy Lowell among others.  It was the first “gallery” to exhibit the work of the painter Charles Burchfield among other new artists of the time, which perhaps influenced the artistic tastes of their young intern named Peggy Guggenheim.”

Aus: http://www.newyorkboundbooks.com/2011/10/03/the-sunwise-turn-the-modern-bookshop/

Dieses Trio - ein kleiner literarischer Gruß an den Buchhandel vor Ort.
Ich muss dann los. Bücher kaufen.

Helene Hanff: 84, Charing Cross Road (1970).

“AUFGEPASST!
Ich will IHNEN, Frank Doel, nur eines sagen: Wir leben in verkommenen, zerstörerischen und degenerierten Zeiten, wenn eine Buchhandlung - eine BUCHHANDLUNG - damit anfängt, schöne alte Bücher auseinander zu reißen, um sie als Einpackpapier zu verwenden. Ich sagte zu John Henry, als er ausgewickelt war: `Hätten Sie das für möglich gehalten, Eminenz?´, und er verneinte. Sie haben das Buch mitten in einer großen Schlachtszene auseinander gerissen, und ich weiß nicht einmal, um welchen Krieg es sich handelt.”
15. Oktober 1950

“DAS NENNEN SIE PEPYS´ TAGEBUCH?
Das ist nicht Pepys´ Tagebuch, das ist die elende Zusammenstellung von EXZERPTEN aus Pepys´ Tagebuch, herausgegeben von irgendeinem übereifrigen Kerl, der in der Hölle verfaulen möge! Ich könnte ausspucken davor! Wo ist der 12. Januar 1668, als ihn seine Frau aus dem Bett jagt und mit einem glühend heißen Feuerhaken quer durchs Schlafzimmer verfolgt?” “
15. Oktober 1951

Helene Hanff, “84, Charing Cross Road”, btb Taschenbuch, 160 Seiten, 7,99 Euro

Holla, die Waldfee. Die Dame pflegt eine deutliche Sprache. Aber sie ist eben auch Amerikanerin, genauer noch: wohnhaft in New York. Neue Welt trifft alte Welt - der so angesprochene (beziehungsweise “angeschriebene”) Londoner Buchhändler Frank Doel reagiert auf die direkte Art seiner neuen Kundin zunächst noch mit gebotener britischer Zurückhaltung und Kühle. Doch langsam taut er auf und wird von “Geschäftsbrief” zu “Geschäftsbrief” zutraulicher - wer kann dem herben Charme von Helene Hanff schon widerstehen? Auch dem Leser dieses Buches wird das kaum gelingen: Helene Hanff wickelt zwar nicht gerne Bücher aus den Seiten anderer Bücher aus, dafür umso besser Menschen um den kleinen Finger. Mit viel Humor, zuweilen spitzer Feder und spitzer Zunge, und vor allem mit viel Anteilnahme lockt sie den Antiquar aus der Reserve.

So wird aus einer Fachkorrespondenz über den Atlantik und zwei Jahrzehnte hinweg eine intensive Brieffreundschaft. Helene Hanff nimmt erstmals 1949 zu der Londoner Buchhandlung in der Charing Cross Road Kontakt auf. Als begeisterte Leserin schwer aufzutreibender Bücher - so möglichst die vollständigen Ausgaben von Johne Donnes Predigten, Pepys´ Tagebüchern oder Kenneth Grahams “Wind in den Weiden”, natürlich mit den Illustrationen von Shepard - stößt sie auf das Antiquariat MARKS & Co. Helene Hanff hält sich nicht lange beim Austausch bibliomanischer Gepflogenheiten auf, der Ton ihrer Briefe wird schnell persönlicher. Und vor allem zeigt sie ihre zupackende, pragmatische (amerikanische) Seite. Obwohl selbst nicht materiell verwöhnt, beginnt sie damit, den unter den Lebensmittelrationierungen darbenden Briten Lebensmittelpakete via Dänemark zu senden. Frische Eier, Eipulver, Schinken und - nicht zum Essen - Nylonstrümpfe. Im Gegenzug gibt es schriftliche Einladungen nach London noch und noch (so zur Thronbesteigung durch Lizzie), handgestickte Tischdecken und ein Rezept für Yorkshire Pudding.

Ein persönliches Treffen mit Frank Doel kommt jedoch nie zustande - der Buchhändler stirbt unerwartet und plötzlich 1969 nach einem Blinddarmdurchbruch. Anrührend einer der letzten Briefe in diesem Buch. Doels Ehefrau Nora schreibt an die Unbekannte über dem großen Teich:

“Ich wünschte nur, Sie wären Frank begegnet und hätten ihn persönlich kennen gelernt. Er war die ausgeglichenste Person mit einem wunderbaren Sinn für Humor und solch ein bescheidener Mensch, wie ich jetzt begreife, da ich von überall her Briefe bekommen habe, die ihm Hochachtung bezeugen. (…)
Manchmal, ich kann es Ihnen ja sagen, war ich ganz eifersüchtig auf Sie, da Frank Ihre Briefe so mochte, die, beziehungsweise einige davon, seinem Sinn für Humor so entsprachen. Ich habe Sie auch um Ihr Schreibtalent beneidet. Frank und ich waren sehr gegensätzlich, er so freundlich und sanft und ich dagegen, die ich mit meinem irischen Hintergrund immer für meine Rechte kämpfte. Er fehlt mir so.”
Januar 1969

1970 gibt Helene Hanff, die selbst als Autorin ihr Dasein mit dem Schreiben von Dreh- und Lehrbüchern fristet, diesen Briefwechsel als Buch heraus. Und landet damit einen weltweiten Erfolg. Das Kultbuch wird mit Anne Bancroft und Anthony Hopkins verfilmt. Und Helene Hanff gelangt endlich in ihr erträumtes London.

Der Briefwechsel selbst ist höchst amüsant, anrührend und eine kleine Zeitreise - vor allem die Briefe aus London (zeitweise schreibt offensichtlich jedes Mitglied der Buchhandlung sowie von Doels Familie an die Amerikanerin) erzählen von den existenziellen Engpässen der Nachkriegszeit. Und von der Liebe zur Literatur und antiquarischen Büchern. Goldschnitte und Lederbände konkurrieren mit Schinken und Nylonstrümpfen - jeder Brief, jedes Päckchen bringt einen Lichtblick.

Aprospos Lichtblick in Päckchen: Dieses “Kultbuch für alle Vielleser” (so der Verlagstext) lag einem Päckchen meiner Ping-Pong-Brieffreundin bei. Briefeschreiben hat schon was…

Neil MacGregor: Shakespeares ruhelose Welt (2013).

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„Es liegt eine merkwürdige Kraft in Dingen: Sie können, einmal hergestellt, unser Leben verändern.“

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“

Seltsam ist`s, im Nebel zu wandeln…seit Tagen hängt eine Nebelwand über der Fuggerstadt. Von der Straße dringen die Geräusche nur wie in Watte gepackt in mein Arbeitszimmer. Selbst das Augsburger Rathaus, sonst vom Bürofenster fast handgreiflich nah, bleibt in ein diffuses Licht gehüllt. Das Wahrzeichen der Stadt im Nebelkleid. Ich überlege, ob vor 400 Jahren, als der Grundstein für diesen Bau, der, so ein neuzeitlicher Slogan, „Bürgersinn und Bürgerstolz“ repräsentieren soll – und – so ist doch anzunehmen – auch in der freien Reichsstadt zum Repräsentationszweck der wenigen Privilegierten, der wenigen wirklich „Freien“, vor allem auf dem Rücken des städtischen „Unterbaus“ erhoben wurde, ein Bau, der wahrscheinlich Leben&Kraft der Handwerker, Arbeiter, Arbeitssklaven kostete – gut, ich überlege, ob dieser Bau auch schon vor vierhundert Jahren wochenlang im Nebel versank. Und warum sich die Augsburger Patrizier darin überschlugen, Florenz, die mächtige Konkurrentin im Handel, durch Kopieren des Renaissancestils zu übertrumpfen, statt Eigenes zu gestalten, und ob auch an der Themse heute Nebel herrscht…

Vom nebeligen Augsburg 2014 zur Grundsteinlegung 1615 in der freien Reichsstadt sind es nur wenige Schritte zurück in das London der 1590er Jahre. Ein Denkmal wie das Augsburger Rathaus vermag immer noch Geschichten zu erzählen vom Ehrgeiz und den Ambitionen reicher Kaufleute, von Machtbewusstsein und Machtdemonstrationen, von Konkurrenz und Wettbewerb in einer bereits globalisierten Welt.

9783406652875_largeEiner, der solche Geschichten ebenfalls trefflich wiedergibt, ist Neil MacGregor. Der Kunsthistoriker war Leiter der National Gallery in London, seit etlichen Jahren ist er der oberste Hüter des Sammelsuriums im British Museum. Bereits mit seiner „Geschichte der Welt mit 100 Objekten“ landete er einen Bestseller. Zum Shakespeare-Jubiläumsjahr kam nun ein „Sequel“ – bewusste Wortwahl, denn dieses Buch lebt mit und vom Medium Bild und der multimedialen Weiterverwertung als Radioreihe und Hörbuch. „Shakespeares ruhelose Welt“, ein schön aufgemachter Bildband, der am Beispiel von 20 Objekten mitten hineinstößt in das turbulente, von der Pest gebeutelte, von den Iren und Schotten in die Zange genommene, den Spaniern und Katholiken unterwanderte, Magie-gläubige, nach Italien schielende und von aufständischen Lehrlingen gerüttelte London unter Elisabeth I.

Neil MacGregor erhebt nicht den Anspruch, Shakespeares Dramen zu analysieren oder Neues aus dem Dichterleben zu enthüllen.

„Vom Charisma der Dinge bewegt, unternimmt dieses Buch zwanzig Reisen in eine vergangene Welt – dies aber nicht in der Absicht, uns irgendeinem bestimmten Heiligen oder Helden näher zu bringen, schon gar nicht der Gestalt im Zentrum des Geschehens selbst, William Shakespeare. Wir wissen über das, was er tat, recht wenig, können nicht hoffen, mit auch nur annähernden Sicherheit aufzudecken, was er dachte, woran er glaubte. Shakespeares innere Welt bleibt, so bitter das ist, im Dunkeln. Stattdessen aber erlauben uns die Objekte in diesem Buch, an den Erfahrungen seines Publikums teilzuhaben (…).“

Wahren Shakespearianern bietet dieser opulente Bildband also keine neuen Erkenntnisse zu Leben und Werk. Es ist aber auch weitaus mehr als nur ein „coffee table book“, das sich im Jubiläumsjahr hübsch auf dem Wohnzimmertisch ausmacht. Kein „biopic“ auf Papier to go ohne inhaltlichen Anspruch – sondern ein fundiert und lebendig geschriebener Führer durch die englische Geisteswelt und Geschichte dieser dramatischen Zeit. Das Buch eröffnet einen Blick auf die Welt, in der der Dichter und seine Anhänger lebten. Unterstützt von den Shakespeare-Kennern des British Museums, das im vergangenen Jahr die Ausstellung „Shakespeare: Staging the world“ zeigte, verknüpft Neil MacGregor historisches Geschehen, Zeitkolorit, Dokumentiertes mit den Dramen und der Gedankenwelt Shakespeares. Und zeigt damit auch auf, wie modern der Dichter zu seiner Zeit war…

Ein Beispiel: Noch die Eltern des Dramatikers, mutmaßt Neil MacGregor, hatten wohl nie das Ticken einer Uhr gehört. Zimmeruhren waren um 1590 etwas Neues, ein Statussymbol. „Zeit des Wandels, Wandel der Zeit“ ist dieses Kapitel überschrieben. Mit den Uhren wird das Diktat der Zeit ein anderes, wird sich der Alltag der Menschen verändern. Reflektionen über die Zeit – sie sind auch ein fester Bestandteil Shakespearscher Werke. MacGregor verknüpft dieses geschickt, zeigt, was die Stunde geschlagen hat – sowohl im Alltag der Leute, als auch auf der Bühne des „Globe“.

Weil man vom Schöpfer von „Romeo und Julia“, „Othello“, „Hamlet“ und „Macbeth“ so wenig wissen kann, bringt der MacGregor die Welt, in der Shakespeare lebte, auf andere Weise nahe - mit Gabeln, Mützen, Kelchen, Spiegeln. In einem, dem letzten Kapitel macht der Kunsthistoriker das Shakespear`sche Werk zum Objekt: Denn nicht nur die Dinge haben die Macht (siehe Eingangszitat), das Leben der Menschen  zu verändern.

Auch die Worte, die Sprache können es auf den Kopf stellen, uns zu Taten bewegen, eine Welt zum Einsturz bringen. So mancher ist in ein Shakespeare-Stück gegangen und kam, wie nach einem Sommernachtstraum, als ein anderer heraus. Und auch  450 Jahre nach seiner Geburt ist der große Dramatiker und Lyriker William Shakespeare immer noch ein großer Weltveränderer - der Zauber und die Macht seiner Worte ungebrochen. Sein Werk hat die Jahrhunderte überlebt, und viel mehr als das: Es ist immer noch in uns lebendig. Dies verdeutlicht Neil MacGregor eben vor allem im letzten Kapitel „Shakespeare erobert die Welt“. Lauten könnte es auch: „Shakespeare hilft, in der Welt zu bestehen“. Denn selbst in den dunkelsten Winkeln hilft und trägt das Dichterwort weiter - sei es bei der Trauung von Marcel Reich-Ranicki im Warschauer Ghetto, sei es im Gefängnisalltag auf Robben Island. Für ein einziges Buch durften sich die Gefangenen rund um Nelson Mandela für die lange Dauer der Haft entscheiden – die Wahl fiel auf Shakespeares gesammelte Werke.

Neil MacGregor, „Shakespeares ruhelose Welt“, C. H. Beck, 2013, 347 Seiten mit 125 farbigen Abbildungen, 29,95 Euro.

Nigel Barley: Traumatische Tropen (1985).

„In den Zeiten, als man noch fraglos von der Überlegenheit der westlichen Kultur überzeugt war, war es für jedermann unmittelbar klar, dass Afrikaner die meisten Dinge falsch sahen und überhaupt nicht sonderlich helle waren. (…) Der Primitive wird heute von Leuten im Westen ganz genauso wie vormals von Rousseau oder Montaigne benutzt, um die eigene Gesellschaft zu kritisieren und bestimme Aspekte in ihr anzuprangern, die das Missfallen der Kritiker erregen.“
Nigel Barley, „Traumatische Tropen – Notizen aus meiner Lehmhütte“, dtv Verlag.

Der britische Ethnologie Nigel Barley räumt in diesem äußert amüsant zu lesenden Taschenbuch gründlich auf: Er zieht gegen die Ethnologen und deren Vorstellungen und Annährungen an „das Fremde“ ebenso ins Feld wie gegen die üblichen Vorstellungen von Feldforschungen und anderen Klischees.

Barley, der am British Museum arbeitet, ist ein Meister des ironischen Wortes und der Selbstironie: „Ethnologen hingegen haben hinduistischen Heiligen zu Füßen gesessen, haben fremdartige Götter geschaut und schweinischen Ritualen beigewohnt, sind an Orten gewesen, wo noch nie jemand vor ihnen war. Sie sind vom Ruch der Heiligkeit und himmlischen Nutzlosigkeit umwittert. Sie sind Heilige des britischen Kults um einer ihrer selbst willen gepflegten Exzentrizität. Die Chance, mich ihnen beizugesellen, war nichts, was ich leichten Herzens ausschlagen konnte.“ Und: „Nicht an Daten fehlt es der Ethnologie, sondern an der Fähigkeit, etwas Sinnvolles mit den Daten anzufangen.“

Selbstverständlich, dass der junge Brite dies nach seinem ersten eigenen Feldforschungs-Aufenthalt gründlich ändern wird. Selbstverständlich, dass er die Zunft, geprägt von Bronislaw Malinowski und Claude Lévi-Strauss, mit seinen Erkenntnissen revolutionieren wird. Meint er, bevor er zunächst in die Mühlen gerät - die des Klinkenputzens, um Forschungsgelder zu gewinnen, und dann der Bürokratie, um Anfang der 80er Jahre eine Aufenthaltsgenehmigung für den Kamerun zu erhalten.

Letztendlich ist es aber die Begegnung mit dem Volk der Dowayo, das Barley zu erforschen gedenkt, die den Wissenschaftler selbst verändern. In Zentralafrika kommt er auf den Boden der Praxis. Krankheiten, Versorgungsnotstände, Unbequemlichkeiten, Unfälle – das sind die Alltagsbegleiter des wackeren Forschers. Und die Rollen tauschen sich – nicht er untersucht das Fremde, er wird zum Fremden. Amüsant zu lesen ist es, wie die Dowayos mit leicht amüsiertem Kopfschütteln die Fragerei des Weißen zur Kenntnis nehmen. Fragt sie Barley etwa hinsichtlich einer mythischen Handlung, warum sie das tun, antworten sie: “Weil es gut ist.” Ein weiteres “Warum?” wird ebenso überzeugt beantwortet: “Weil unsere Väter es uns gesagt haben.” Es braucht nur noch eine weitere Nachfrage, um den Kreis zu schließen: “Warum taten es eure Väter?” “Weil es gut ist.”

„Traumatische Tropen“ ist zugleich informativ, humorvoll und äußerst leicht lesbar – ein Brückenschlag, wie er in einem Sachbuch selten gelingt. Barley schreibt ganz im Sinne von Nietzsches „fröhlicher Wissenschaft“.

Kurzinfo:
Nigel Barley studierte moderne Sprachen und Ethnologie in Cambridge und Oxford und betrieb zwei Jahre lang Feldforschung in Kamerun. Seit 1981 arbeitet er als Kustos am British Museum in London. Weitere Bücher: ›Die Raupenplage‹ (1989, dtv 12518), ›Traurige Insulaner‹ (1993, dtv 12664), ›Hallo Mister Puttymann‹ (1994, dtv 12580), ›Der Löwe aus Singapur‹ (1996) und ›Tanz ums Grab‹ (1998).

1996 veröffentlichte die Zeit dieses Portrait vom „Ethnologen in der Großstadt“:
http://www.zeit.de/1996/35/barley.txt.19960823.xml