Briefe

Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter (1908).

 

Geduld

Und ich möchte dich,
so gut ich kann bitten,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen,
und zu verstehen.
Die Fragen selbst liebzuhaben
wie verschlossene Stuben
und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben könntest.
Und es handelt sich darum,
alles zu leben.
Vielleicht lebst du dann
allmählich – ohne es zu merken –
eines fernen Tages in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke war ein Viel-Brief-Schreiber. Rund 7000 Briefe sind erhalten - und beinahe jeder Brief auch ein Gedicht. Sie gelten als Teil seines literarischen Werks, legen Zeugnis ab vom sprachlichen Stilvermögen, aber auch vom menschlichen Einfühlungsvermögen dieses Dichters. Man möchte selbst Empfänger dieser tiefen Lebensweisheiten gewesen sein.

Reich davon sind die zehn “Briefe an einen jungen Dichter”: Franz Xaver Kappus stand an einem Scheideweg zwischen Offiziers- oder Schriftstellerlaufbahn, als er sich hilfesuchend an den acht Jahre älteren Rilke wandte. Der war zu dieser Zeit bereits unter anderem mit dem “Buch der Bilder” hervorgetreten und steckte während des Briefwechsels mitten im “Malte Laurids Brigge”. In ihrem Austausch tat Rilke jedoch viel mehr, als dem Jüngeren literarische Ratschläge zu geben - vielmehr reflektierte er über:

Das Leben - “Warum eines Kindes weises Nicht-Verstehen vertauschen wollen gegen Abwehr und Verachtung, da doch Nicht-Verstehen Alleinsein ist, Abwehr und Verachtung aber Teilnahme an dem, wovon man sich mit diesen Mitteln scheiden will.
Denken Sie, lieber Herr, an die Welt, die Sie in sich tragen, und nennen Sie dieses Denken, wie Sie wollen; mag es Erinnerung an die eigene Kindheit sein oder Sehnsucht zur eigenen Zukunft hin, - nur seien Sie aufmerksam gegen das, was in Ihnen aufsteht, und stellen Sie es über alles, was Sie um sich bemerken.”

Die Kunst - “Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes. Darum, sehr geehrter Herr, wußte ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen.”

Die Liebe - “Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.”

Die Einsamkeit - “Aber vielleicht sind das gerade die Stunden, wo die Einsamkeit wächst; denn ihr Wachsen ist schmerzhaft wie das Wachsen der Knaben und traurig wie der Anfang der Frühlinge. Aber das darf Sie nicht irre machen. Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. Insich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, - das muß man erreichen können. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen, weil die Großen so geschäftigt aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.”

Das Suchen und Finden - “Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.”

Suchen und Finden muss man für sich selbst. Aber Rilke und seine Briefe können dabei ein wunderbarer Wegbegleiter, Lotse und Krücke zugleich sein.

Zwischen 1903 und 1908 schrieb Rilke an Kappus insgesamt zehn Briefe. Sie sind bei Wikipedia abrufbar: http://de.wikipedia.org/wiki/Briefe_an_einen_jungen_Dichter.

Wer das gedruckte Wort vorzieht, für den gibt es die Rilke-Briefe mit einem Vorwort von Kappus bei der Insel-Bücherei: http://www.suhrkamp.de/buecher/briefe_an_einen_jungen_dichter-rainer_maria_rilke_8406.html

Das Bild zeigt die Handschrift Rilkes, stammt aber von einem Brief an die Verlegersgattin Hedwig Fischer. Es ist entnommen dem Online-Magazin “Hundertvierzehn” des S. Fischer Verlages:  http://www.hundertvierzehn.de/artikel/die-welt-von-gestern_130.html

 

Helene Hanff: 84, Charing Cross Road (1970).

“AUFGEPASST!
Ich will IHNEN, Frank Doel, nur eines sagen: Wir leben in verkommenen, zerstörerischen und degenerierten Zeiten, wenn eine Buchhandlung - eine BUCHHANDLUNG - damit anfängt, schöne alte Bücher auseinander zu reißen, um sie als Einpackpapier zu verwenden. Ich sagte zu John Henry, als er ausgewickelt war: `Hätten Sie das für möglich gehalten, Eminenz?´, und er verneinte. Sie haben das Buch mitten in einer großen Schlachtszene auseinander gerissen, und ich weiß nicht einmal, um welchen Krieg es sich handelt.”
15. Oktober 1950

“DAS NENNEN SIE PEPYS´ TAGEBUCH?
Das ist nicht Pepys´ Tagebuch, das ist die elende Zusammenstellung von EXZERPTEN aus Pepys´ Tagebuch, herausgegeben von irgendeinem übereifrigen Kerl, der in der Hölle verfaulen möge! Ich könnte ausspucken davor! Wo ist der 12. Januar 1668, als ihn seine Frau aus dem Bett jagt und mit einem glühend heißen Feuerhaken quer durchs Schlafzimmer verfolgt?” “
15. Oktober 1951

Helene Hanff, “84, Charing Cross Road”, btb Taschenbuch, 160 Seiten, 7,99 Euro

Holla, die Waldfee. Die Dame pflegt eine deutliche Sprache. Aber sie ist eben auch Amerikanerin, genauer noch: wohnhaft in New York. Neue Welt trifft alte Welt - der so angesprochene (beziehungsweise “angeschriebene”) Londoner Buchhändler Frank Doel reagiert auf die direkte Art seiner neuen Kundin zunächst noch mit gebotener britischer Zurückhaltung und Kühle. Doch langsam taut er auf und wird von “Geschäftsbrief” zu “Geschäftsbrief” zutraulicher - wer kann dem herben Charme von Helene Hanff schon widerstehen? Auch dem Leser dieses Buches wird das kaum gelingen: Helene Hanff wickelt zwar nicht gerne Bücher aus den Seiten anderer Bücher aus, dafür umso besser Menschen um den kleinen Finger. Mit viel Humor, zuweilen spitzer Feder und spitzer Zunge, und vor allem mit viel Anteilnahme lockt sie den Antiquar aus der Reserve.

So wird aus einer Fachkorrespondenz über den Atlantik und zwei Jahrzehnte hinweg eine intensive Brieffreundschaft. Helene Hanff nimmt erstmals 1949 zu der Londoner Buchhandlung in der Charing Cross Road Kontakt auf. Als begeisterte Leserin schwer aufzutreibender Bücher - so möglichst die vollständigen Ausgaben von Johne Donnes Predigten, Pepys´ Tagebüchern oder Kenneth Grahams “Wind in den Weiden”, natürlich mit den Illustrationen von Shepard - stößt sie auf das Antiquariat MARKS & Co. Helene Hanff hält sich nicht lange beim Austausch bibliomanischer Gepflogenheiten auf, der Ton ihrer Briefe wird schnell persönlicher. Und vor allem zeigt sie ihre zupackende, pragmatische (amerikanische) Seite. Obwohl selbst nicht materiell verwöhnt, beginnt sie damit, den unter den Lebensmittelrationierungen darbenden Briten Lebensmittelpakete via Dänemark zu senden. Frische Eier, Eipulver, Schinken und - nicht zum Essen - Nylonstrümpfe. Im Gegenzug gibt es schriftliche Einladungen nach London noch und noch (so zur Thronbesteigung durch Lizzie), handgestickte Tischdecken und ein Rezept für Yorkshire Pudding.

Ein persönliches Treffen mit Frank Doel kommt jedoch nie zustande - der Buchhändler stirbt unerwartet und plötzlich 1969 nach einem Blinddarmdurchbruch. Anrührend einer der letzten Briefe in diesem Buch. Doels Ehefrau Nora schreibt an die Unbekannte über dem großen Teich:

“Ich wünschte nur, Sie wären Frank begegnet und hätten ihn persönlich kennen gelernt. Er war die ausgeglichenste Person mit einem wunderbaren Sinn für Humor und solch ein bescheidener Mensch, wie ich jetzt begreife, da ich von überall her Briefe bekommen habe, die ihm Hochachtung bezeugen. (…)
Manchmal, ich kann es Ihnen ja sagen, war ich ganz eifersüchtig auf Sie, da Frank Ihre Briefe so mochte, die, beziehungsweise einige davon, seinem Sinn für Humor so entsprachen. Ich habe Sie auch um Ihr Schreibtalent beneidet. Frank und ich waren sehr gegensätzlich, er so freundlich und sanft und ich dagegen, die ich mit meinem irischen Hintergrund immer für meine Rechte kämpfte. Er fehlt mir so.”
Januar 1969

1970 gibt Helene Hanff, die selbst als Autorin ihr Dasein mit dem Schreiben von Dreh- und Lehrbüchern fristet, diesen Briefwechsel als Buch heraus. Und landet damit einen weltweiten Erfolg. Das Kultbuch wird mit Anne Bancroft und Anthony Hopkins verfilmt. Und Helene Hanff gelangt endlich in ihr erträumtes London.

Der Briefwechsel selbst ist höchst amüsant, anrührend und eine kleine Zeitreise - vor allem die Briefe aus London (zeitweise schreibt offensichtlich jedes Mitglied der Buchhandlung sowie von Doels Familie an die Amerikanerin) erzählen von den existenziellen Engpässen der Nachkriegszeit. Und von der Liebe zur Literatur und antiquarischen Büchern. Goldschnitte und Lederbände konkurrieren mit Schinken und Nylonstrümpfen - jeder Brief, jedes Päckchen bringt einen Lichtblick.

Aprospos Lichtblick in Päckchen: Dieses “Kultbuch für alle Vielleser” (so der Verlagstext) lag einem Päckchen meiner Ping-Pong-Brieffreundin bei. Briefeschreiben hat schon was…

Mehr zum Thema Korrespondenzen:
Zum Briefeschreiben an sich: Ein Pong an meine Brieffreundin
Eine Männerfreundschaft in Briefen: Scott F. Fitzgerald und Ernest Hemingway albern und streiten
Briefe an den Verleger: Schick Geld! Streich die Rechtschreibfehler! Mach mal hinne! Was sich die Klett-Cottas alles anhören mussten.

 

Ein “Pong” an meine Brieffreundin

Irgendwann zwischen gestern und heute, seit der Einführung der E-Mail, habe ich aufgehört, Briefe zu schreiben.
Es war eine schleichende Entwicklung - die bunten Umschläge mit Briefmarken und handschriftlich hingekrizelter Adresse wurden immer weniger, gingen unter unter den DIN-Lang-Teilen mit Fensterkuvert, die gemeinhin Rechnungen und ähnlich Unerfreuliches enthalten.
Statt Geburtstagskarten kamen plötzlich nur noch E-Cards. An Weihnachten Whatsapp-Grüße. Auch mein eigener Anteil. “Ich schreib ja beruflich”, die Standardausrede für eine bei mir grassierende Briefschreibfaulheit.

Was ich versäume, wenn ich meinen Briefkasten so monoton einöden lasse, wird mir seit einigen Monaten wieder bewußt. Ich habe eine Brieffreundin. Und die lässt (im positiven Sinne) nicht locker. Es kommen wunderschöne, liebenswürdige, manchmal leicht chaotische, aber immer inhaltsreiche Denkanstöße - per Post. Und es ist mir jedesmal eine Freude. Ich muss beim Lesen Lachen, Schmunzeln, trage den Brief mit mir herum, lese ihn wieder. Macht das mal mit einer E-Mail! Kein Vergleich.

Und es wird auch nicht tragisch genommen, wenn meine Antwort auf sich warten lässt. Ausnahmsweise zitiere ich aus der privaten Korrespondenz. Aber das ist zu schön:
“Liebe, liebe Birgit, machs gut und denke bitte nicht, Schreiben (Briefe) muss dem Ping-Pong-System entsprechen. Manchmal geht`s auch Ping-ping-ping-ping-ping-ping-pong!!!”
Hier also mein PONG, liebe Brieffreundin!

Doch nicht nur diese zauberhafte Post hat mich angeregt, über die Unterschiede zwischen dem klassischen Brief und der E-Mail nachzudenken. Auch Navid Kermani mit seinem Buch “Grosse Liebe”, das mich mittenmang in meine Jugend zurückkatapultiert hat, gab einen Anstoß. Denn: DAMALS - also in den Mitte 80er-Jahren - war das Briefeschreiben noch ganz groß. Ich habe Schachteln voll mit Liebesbriefen, Ich-bin-nicht-mehr-deine-beste-Freundin-Briefen, Briefen von der Elfenbeinküste (“Kannst Du mir eine Swatch oder Rolex senden?”) und aus Frankreich (“Nimmst Du auch Clearasil?”), Briefe, die nie abgeschickt wurden, Briefe aus der noch vorvergangenen Vergangenheit (“Willst Du mit mir gehen?”). Letzteres kommt heute per SMS. Hat einfach nicht denselben Charme.

Wie Navid Kermani (hier der Link zur Buchbesprechung) trefflich bemerkt:
“Als wolle mir der Weltgeist unter die Nase reiben, daß mit dem Kampf gegen die atomare Aufrüstung auch die Große Liebe einer anderen Epoche, einem fremden Leben angehört, kennt das wiedervereinte Deutschland weder die Bundespost noch die Währung, die auf der Briefmarke stehen, ebensowenig die vierstelligen Postleitzahlen auf dem Stempel und in der Adresse.”

Und dann: Könnte man sich vorstellen, Kafka schriebe ein E-Mail an den Vater? Oder an Milena diese SMS:
„Briefe schreiben heißt sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten. Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken …“
Die intrigante Marquise bei Choderlos de Laclos spönne ihre “Gefährliche Liebschaften” in einem E-Mail-Roman aus?
Oder Hemingway und Fitzgerald pflegten ihre Männerfreundschaft via Smartphone? Der Briefwechsel (hier die Buchbesprechung) zwischen den beiden amerikanischen Autoren erschien 2013 und ist ein amüsantes Lesevergnügen. So nimmt “Mr. Fizzgerald” 1928 das Machoimage seines Kumpels auf den Arm:

“Zerbrich Dir drüben in Amerika bitte nicht den Kopf über mein Statement, dass Du in Caporetto drei Tage allein einen Brückenkopf (oder war es eher ein Drogenkopf?) verteidigt und damit die ganze 2te Österreichische Armee durcheinander gebracht hättest. In spätestens 50 Jahren werden all jene, die das in Abrede stellen können, tot sein oder zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen Brückenköpfe zu verteidigen.”

Briefe schreiben ist eben doch besser als hektisch in eine Tastatur zu klopfen. Analog ist besser als digital.
Wenn auch der Brief selbst nur bedingt das Wesentliche erfüllen kann:

„Es ist ein sonderbares Gefühl, sich auf dem Papier jemand nähern zu wollen, und ich habe ihre Entfernung nie mehr gefühlt als jetzt da ich Ihnen schreiben will. Ich haße alle Briefe an vertraute Wesen, ob ich sie gleich um keinen Preis mißen möchte. – Ein Brief ist mir immer wie ein Roman, - und ich mag lieber zu wenig als zu viel sagen. Das Papier ist ein so ungetreuer Bote, daß es den Blick, den Ton vergißt, und oft sogar einen falschen Sinn überbringt, - und doch ist selbst der Kampf mit Irrungen beßer als die fürchterliche Oede, die kein Ton durchhallt.“

Sophie Mereau an Clemens Brentano (1799).

Und dennoch und noch einmal - denken wir ans Kino. “Wenn der Postmann zweimal klingelt!” - beim Servicemann großer Internetanbieter ist man ja meist schon froh, wenn sie überhaupt einmal kommen. Unvorstellbar auch, dass die Beatles etwas anderes singen als:
Wait!
Oh, yes, wait a minute, Mr. Postman
(Wait)
Wai-ai-ai-ait, Mr. Postman
(Mr. Postman, look and see)
Oh, yeah
(Is there a letter in your bag for me?)
Please, please, Mr. Po-o-ostman
(I’ve been waiting a long, long time)
Whoa, yeah
(Since I heard from that gal of mine)

Und ganz unvorstellbar ist es, dass der liebenswerteste aller Briefeschreiber am Valentinstag oder zu anderen Gelegenheiten ein elektronisches Medium nutzt. Nein, Snoopy mag es klassisch - und mit PONG!!!

 

TRIO 4: Wenn Schriftsteller ihren Liebsten schreiben…

… kommen manchmal (aber auch nur manchmal) ganz bezaubernde Dinge dabei heraus.

Ganz begeistert bin ich von einem Brief, den James Joyce 1936 aus Dänemark an seinen Enkel Stephen James schickte. Der liebevolle Opa teilt dem Vierjährigen auf eine recht skurrile, lyrisch-versponnene Art und Weise mit, warum er ihm keine Kopenhagener Katze schicken kann. In seiner Heimat Irland waren mit Süßigkeiten gefüllte Katzen ein beliebtes Geschenk.
Statt über Süßigkeiten schreibt Joyce über Polizisten, die im Bett liegen und Buttermilch trinken, über rote Jungs auf roten Rädern, die den Job der Polizisten erledigen - und kommt ganz am Schluss auf eine geniale Idee. Aber die wird hier nicht verraten…

Schließlich mussten auch die Joyce-Anhänger viel Geduld haben, bis „Die Katzen von Kopenhagen“ erscheinen durften: Es dauerte bis 2012, bis die rechtlichen Voraussetzungen für die „Welturausgabe“ geklärt waren. Oftmals wird ja jedes Fitzelchen, das ein berühmter Autor hinterlässt, später als Sensation vermarktet. Oft ist das auch viel Lärm um nichts. Bei den dänischen Katzen war ich ein wenig skeptisch – aber sie zeigt den augenzwinkernden, humorvollen Joyce, der auch im „Ulysees“ aufblitzt, und dem zudem Harry Rowohlt mit seiner Übersetzung den passenden Ton gibt. „Die Katzen von Kopenhagen“ erschien im Juli beim Hanser Verlag, die Illustrationen von Wolf Erlbruch (2003 für sein Lebenswerk mit dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises ausgezeichnet) sind an sich schon eine Schau – so richtig schöne, dicke Buttermilch-Katzen. So ein O-papa!

James Joyce: „Die Katzen von Kopenhagen“, Hanser Verlag, fester Einband, 32 Seiten, empfohlen ab 5 Jahren. Durchgehend farbig illustriert, ISBN 978-3-446-24159-6

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„Also, wenn es einen Gott gibt, muss er einen unendlichen Humor haben. Der muss wahnsinnig Freude haben, Welten in die Luft zu jagen, der ist wie ein Kind, das mit Zinnsoldaten spielt. Und da dem Moral oder sonst was anzudichten, nein, ich glaube, der hat einfach Freude am ganzen Spektakel. Und das hat unbewusst der kreative Mensch auch. Ich habe nie etwas geschrieben mit Hass. Ich habe einfach Freude an dem, was man kreiert.“

So äußerte sich Friedrich Dürrenmatt in einem Film seiner Frau Charlotte Kerr, „Portrait eines Planeten“ (1984). Ein Jahr zuvor sind die Beiden mit Maximilian Schell bei einer Aufführung im Münchner Circus Krone und sehen eine Dressur mit Tiger und Nashorn. Schell schreibt später: „Das seid ihr“. Und Dürrenmatt beginnt, wie es einem kreativen Gott gebührt, einen eigenen Kosmos zu schaffen. „Das Nashorn schreibt der Tigerin“ erschien 2002, zwölf Jahre nach seinem Tod. Charlotte Kerr hatte dafür die verspielten Zeichnungen und Bildgeschichten zusammengestellt und kommentiert, die Dürrenmatt ihr während ihrer Verbindung und Ehe zeichnete. Er selbst ist das Rhinozeros, Charlotte Kerr die Tigerin, dazu wird die Dürrenmattsche Welt ergänzt durch imaginäre Kinder und allerlei Viehzeugs…So lernt man den Schriftsteller nicht nur von seiner privaten, sondern auch von einer „tierisch“ amüsanten Seite kennen: Beim Reisen, beim Papstbesuch, beim Dichten, beim erfreuten Fernsehgucken, als die Mauer fällt. Ein Picasso oder Matisse ist der Schweizer zwar nicht – aber was zählen schon die zeichnerischen Fertigkeiten, wenn einer sich solche kommunikative Mühe gibt? Welche Partnerin wäre über solche Liebesbeweise nicht erfreut?

Friedrich Dürrenmatt: Das Nashorn schreibt der Tigerin. Aufbau Verlag, Berlin 2002. 206 Seiten, ISBN-10: 3351029616, nur noch antiquarisch zu erhalten.

Und auch F. Scott Fitzgerald schreibt an jemanden, der ihm lieb und teuer ist. Zugleich aber auch verhasst: An sich selbst. Ab 1937 arbeitet der Schriftsteller in Hollywood. Er ist depressiv, trinkt unmäßig, kann nicht mehr schreiben. Sein letzter Roman, „The last tycoon“ bleibt unvollendet – F. Scott Fitzgerald stirbt, verarmt und verlassen, am 21. Dezember 1940. Eine Postkarte aus Hollywood an sich selbst – welch ein trauriges Symbol der Einsamkeit.

Aus einem Brief aus besseren Tagen stammt dieses Zitat:

„Ich habe gehört, Du wurdest gesehen, wie Du in alten, verdreckten Unterhosen durch Portugal gerast bist und zermahlenes Glas gekaut hast und auf der Suche nach Material warst für eine Story über Boulespieler. Und dass Du der Mann für die Öffentlichkeitsarbeit von Lindberg geworden bist. Und dass Du gerade einen Roman beendet hast, der aus hunderttausend Wörtern besteht - genauer gesagt ausschließlich aus dem Wort Klöten, das Du immer wieder neuen Gruppierungen zuordnest. Dass Du spanischer Staatsbürger bist und jetzt immer in einem Ganzkörperweinschlauch steckst, mit einer Reißverschlussöffnung zum Pissen daran. Dass Du in den Schwarzhandel mit der Spanischen Fliege zwischen San Sebastian und Biarritz involviert bist, wo Deine Mittelsmänner das Zeug auf den teuren Böden der Casinos verstreuen.“

Sein Briefwechsel mit Ernest Hemingway erschien 2013 unter dem Titel „Wir sind verdammt lausige Akrobaten“  – zur Buchbesprechung geht es hier: http://saetzeundschaetze.com/2013/10/19/ernest-hemingway-und-f-scott-fitzgerald-eine-brieffreundschaft/

Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald - eine Brieffreundschaft

„Und, Ernest, ich kann das nicht mal als eine literarische Fingerübung akzeptieren. Es scheint mir, das alles müsste sorgfältig gekürzt werden, sogar neu geschrieben. Unsere arme alte Freundschaft wird das kaum überleben, aber was lässt sich tun? Besser ich sage Dir das als irgend so ein Niemand von der Literaturkritik, der sich weder um Dich noch um deine Zukunft sorgt.“

Die arme alte Freundschaft hat auch diesen Brief aus dem Jahre 1929 überlebt (der Brief bezieht sich übrigens auf den Roman „In einem anderen Land“). Was Wunder nimmt: Denn allgemein galt Ernest Hemingway als nachtragend und Kritik gegenüber als äußerst empfindlich. Nun, vielleicht hat er später Rache genommen – indem er diese von Beginn an wunderliche, wundersame Freundschaft zu dem anderen großen Literaten dieser Zeit, F. Scott Fitzgerald, in späteren Jahren relativierte, die Rollen neu schrieb.

Bild

Unter anderem in „Paris, ein Fest fürs Leben“. Hier bin ich erstmals auf diese Verbindung zwischen zwei Literaten, wie sie vom Typ, vom Habitus unterschiedlicher nicht sein könnten, gestoßen. Die von Hemingway geschilderte Anekdote spricht Bände über seine spätere Inszenierung dieser Freundschaft:

„Schließlich, als wir die Kirschtorte aßen und eine letzte Karaffe Wein dazu tranken, sagte er (F. Scott Fitzgerald):
“Du weißt, dass ich mit niemand außer mit Zelda geschlafen habe.”
“Nein. Das wusste ich nicht”.
“Ich dachte, ich hätte es dir erzählt.”
“Nein. Du hast mir `ne Menge Sachen erzählt, aber das nicht.”
“Das ist es, worüber ich dich etwas fragen muss.”
“Schön, weiter.”
“Zelda hat gesagt, dass ich, so wie ich gewachsen bin, nie eine Frau glücklich machen könne, und das war`s, was sie zuerst aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Sie sagte, es sei eine Frage der Maße. Seit sie das gesagt hat, bin ich nie wieder der alte gewesen, und ich muss es wahrheitsgemäß wissen.”
“Komm raus, ins Büro”, sagte ich.
“Wo ist das Büro?”
“Das WC.”

Hola, die Waldfee! Erzählt man dieses über tote Kumpels? Macht man die so posthum zur Minna? Oder ist es eben das typische Konkurrenzgehabe kleiner Jungs? Denn selbstverständlich hat Hemingway den Überblick. Nicht nur an dieser Stelle zeigt er sich F. Scott Fitzgerald leicht gönnerhaft-überlegen, der Freund und Konkurrent wird als hypochondrisches Weichei charakterisiert.

Einige Briefe erstmals in deutscher Übersetzung

Dieses Ungleichgewicht wird nun etwas aufgewogen durch den Briefwechsel der Beiden, der sich immerhin 15 Jahre hinzog. Erschienen bei Hoffmann und Campe unter dem Titel „Wir sind verdammt lausige Akrobaten“, herausgegeben von Benjamin Lebert („Crazy“), der einige der Briefe Fitzgeralds erstmals ins Deutsche übersetzt hat. Umfangreich ist das Buch nicht – etliche der Briefe blieben wohl nicht erhalten -, die editorische Leistung ist eher mäßig: Das Vorwort ist mehr von persönlicher Begeisterung als von Fachinformation geprägt, die Ergänzungen zu Werk und Leben sowie erwähnten Personen könnten ausführlicher sein.

Aber die Briefe an sich sind es, die dieses Zirkusstückchen ausmachen: Zwei Wortakrobaten, die sich gegenseitig in schwindelnde Höhen hochschaukeln, Witz-Kapriolen schlagen, den traurigen Clown mimen. Der „Schriftverkehr“ wirft ein neues, ungeahntes Licht auf diese Kumpanei zwischen dem eleganten Lebemann und dem trinkfesten Macho.

Kennengelernt haben sie sich 1925 in Paris – F. Scott Fitzgerald bereits berühmt durch „Der große Gatsby“ und durch seinen Lebensstil – er und seine Frau Zelda verkörperten die Roaring Twenties, das Jazz Age. Hemingway noch ein no name, der als Korrespondent die Nähe der von ihm bewunderten Literaten in der französischen Metropole sucht: Gertrude Stein (die ihn in der „Autobiographie von Alice B. Toklas“ recht giftig als willigen Schüler darstellt), James Joyce, Sherwood Anderson, und anderen.

Stark in der Kunst, schwach im Leben?

Die Freundschaft zu Fitzgerald hält am längsten – in der Nachbetrachtung, da man ihrer beider Schicksale kennt, verwundert dies nicht: Zwei hochtalentierte Menschen, die stark in der Kunst, aber schwach im Leben waren.

Sie tauschen sich aus über ihren Alltag, Geldsorgen, Probleme mit Frau (Fitzgerald), Frauen (Hemingway), die Liebe zu den Kindern, über Freunde, Trinkgelage, Reisen, aber vor allem über eines: Das Schreiben. Und dabei geben sie sich, trotz allem literarischen Wettbewerbs, gegenseitig Unterstützung und Hilfe.

Fitzgerald 1928 an Hemingway:

„Nichts ist annähernd so gut. Wann wirst Du mich davon erlösen, Deine Sachen auswendig zu lernen, weil ich sie zu oft gelesen habe, und endlich etwas Neues fertig schreiben? Denk dran, Proust ist tot.“

In großem Futterneid von Kumpan und Klatschtante Scott

Hemingway 1934 an Fitzgerald:

„Vergiss Deine persönliche Tragödie. Wir sind alle von Anfang an verflucht, und besonders Du musst erst furchtbar verletzt werden, bevor Du ernsthaft schreiben kannst. Aber wenn Du diesen verdammten Schmerz fühlst, nutze ihn, und betrüge nicht damit. Sei damit so gewissenhaft wie ein Wissenschaftler - aber bilde Dir nicht ein, irgendetwas sei nur deshalb von Bedeutung, weil es Dir zustößt oder jemandem, der zu Dir gehört.“

Vor allem Fitzgerald geht in seiner literarischen Kritik fast gnadenlos mit dem Freund um:

„Nun ja, jedenfalls finde ich einige Teile von Fiesta nachlässig erzählt, Du erzielst keine Wirkung…Dein erstes Kapitel enthält ungefähr zehn Stellen dieser Art, und es übermittelt sich mir beim Lesen das Gefühl einer herablassenden Gleichgültigkeit…Wie ich Dich kenne, würdest Du dergleichen bei anderen als halb Stil, halb Pferdescheiße bezeichnen.“

Diese Ehrlichkeit tut der Freundschaft in den ersten Jahren jedoch keinen Abbruch – vielmehr versichern sich die Beiden immer wieder, in beinahe schon zärtlicher Manier, ihrer gegenseitigen Zuneigung.

Ernest an Scott:

„Gott, ich wünschte, ich könnte Dich sehen. Du bist der einzige Kerl in und außerhalb Europas von dem (oder gegen den) ich das sagen kann, aber ich würde Dich wahrhaftig gern sehen.“

Scott an Ernest:

„Ich kann Dir gar nicht sagen, wie viel mir Deine Freundschaft die letzten anderthalb Jahre über bedeutet hat. Von ihr ist für mich auf unserer Europareise das meiste Licht ausgegangen.“

Mit der Zeit werden die Kontakte zwischen dem „lieben Papa, Stierkämpfer, Gourmand“ und dem „Mr. Fizzgeral“ (eine Anspielung auf die Rechtschreibschwächen des großen Gatsby-Autors) weniger, die Anzahl der Briefe geringer. Aus dem Jahre 1940 ist nur ein Schreiben Scotts an Ernest erhalten – kurz vor seinem Tod im Dezember verfasst. „Ich bin nie dazu gekommen, Dir zu sagen, dass mir Haben und Nichthaben ebenso gut gefallen hat…“. Dann verstummt der große amerikanische Autor.

Nachgestellt ist diesem ein Brief von Hemingway 1954 an Harvey Breit, in dem er sich von dieser Freundschaft, die vielleicht nur in Briefen wirklich lebte, distanziert:

„Manchmal war es lustig. Aber in Ordnung war es nie.“

Was diese Freundschaft also vor allem Hemingway bedeutete – man wird es niemals wissen können, die Spuren seiner Zuneigung zum Akrobatenfreund hat er später gut verwischt. Doch was bleibt, sind die Briefe – und in dem Moment, als er Sätze schrieb wie diesen, waren diese wohl auch wahr:

„Doch wenn Du nichts dagegen hast, Du bist mein allerbester Freund.“

„Wir sind verdammt lausige Akrobaten“, Hoffmann und Campe, 2013

 

Eine weitere Besprechung gibt es bei Notizhefte: http://notizhefte.wordpress.com/2013/10/06/briefwechsel-hemingway-fitzgerald/