Dennis` Eltern kamen aus New Jersey, und seine Mutter sah sich argwöhnisch in der Wohnung um, als hätte das Zusammenleben mit Jules ihrem Sohn das angetan. „Wo bügelst du?“, wollte sie wissen.
„Wie bitte?“ Sie bügelten kaum etwas, und wenn es doch unbedingt einmal nötig war, legten sie ein Badetuch übers Bett. So leben wir, wollte sie zu Dennis` Mutter sagen. Bügeln ist uns nicht wichtig, wir haben kein Geld, und jetzt verliert dein Sohn dank seiner genetischen Anlagen auch noch die Züge, die ich an ihm geliebt habe. Aber die Boyds schienen Jules die Schuld an seiner Depression zu geben – weil es kein Bügelbrett gab und vielleicht auch weil Jules Jüdin war. (Dennis hatte sie mehr als einmal darauf aufmerksam gemacht, mit welcher Versunkenheit sein Vater Dokumentationen über das Dritte Reich konsumierte).
Meg Wolitzer, „Die Interessanten“, 2013, deutsch im DuMont Buchverlag 2014.
Es gibt Bücher, die hinterlassen den Eindruck, da wollte ein Schriftsteller zu viel. „Die Interessanten“ ist für mich so ein interessanter Fall. Über 600 Seiten, drei Jahrzehnte reingepackt, sechs Einzelschicksale und nebenbei noch auch eine tour de force durch amerikanische Geschichte und Traumata: Nixon, Vietnam, Reagan, Aids, World Trade Center.
Mitte der 70erJahre treffen sich sechs Teenager in einem Sommercamp. Sie sind vielleicht eine Spur kreativer als die anderen, sie sind vielleicht ein wenig außergewöhnlicher, sie fühlen sich (was für Teenager nun allerdings eben durchaus gewöhnlich ist) anders als die anderen. Und taufen sich demnach „Die Interessanten“.
Der Kern der Clique bleibt ein Leben lang intensiv verbunden: Das kreative Powerpärchen Ash und Ethan und Jules, die Ethans` erste Liebe, die später den depressiv erkrankten Dennis heiratet. Die weiteren drei Interessanten sorgen zwar am Rande für Spannungen, vorübergehende Spaltungen und Dramatik, bleiben jedoch Randfiguren und nebenstehende Auslöser für gruppendynamische Prozesse. Fast erleichtert muss man dieses registrieren – denn ansonsten wäre das Volumen des Romans noch mehr angeschwollen.
Nichts gegen den Schreibstil der Autorin und die Lesbarkeit des Romans zu sagen: Meg Wolitzer ist eine der vielen gegenwärtigen amerikanischen Autoren, die durch die Schule des „creative writing“ gegangen sind. Sie hat, wie so viele ihrer Generation, kreatives Schreiben studiert und selbst auch gelehrt. „Die Interessanten“: das ist gut, das ist routiniert geschrieben. Und dennoch – durch die Fülle dessen, was in den Roman gepackt ist, bestand bei mir die Gefahr, das Interesse zu verlieren. Der depressiv erkrankte Ehemann, das autistische Kind, der aidserkrankte Geliebte – alles, was an neuzeitlichen „Geiseln“ die Menschen bedroht, wird in die Leben der drei Hauptprotagonisten hineingepackt. Dazu noch Drogensucht, Alkoholkrankheit, Flucht in die Arbeitswut, Flucht in wohltätige Aktivitäten wie den Kampf gegen Kinderarbeit in asiatischen Fabriken, das Erbe, das die „Woodstock“-Generation mit ihren „Beatnik“-Eltern aufzuarbeiten hat, der Schock des 11. September. All dies, was diese Generation, die nach den 60ern kam, in den USA prägte, packt Wolitzer in das Schicksal ihrer Interessanten. Durchaus kunstvoll verknüpft – aber alles in allem viel zu viel.
Unisono wird der Roman derzeit in der Presse auf einer Ebene zwischen Jonathan Franzens` „Die Korrekturen“ und den Büchern von Jeffrey Eugenides angesiedelt. Vielleicht kann man ihn in der Mitte einordnen: Franzen schreibt dichter, zielgerichteter. Eugenides fällt in meinen Augen von Buch zu Buch ab. Zieht man den Vergleich zu einer anderen Autorin dieser Generation, Jennifer Egan, dann fehlt Meg Wolitzer der Wagemut, die Originalität des Schreibens.
Doch den Vergleich zu einer anderen Frau suchte Wolitzer nicht unbedingt, wenn man ihre Äußerungen in Interviews zum Maßstab nimmt – mehrfach schon beklagte sie die Situation von schreibenden Frauen (siehe ihr Essay „The second shelf“), das Schubladendenken der Verlage und des Buchbetriebs, das Abgestempelt werden unter dem Etikett „Frauenliteratur“. Mit den Interessanten wollte sie nach eigener Aussage dagegen anschreiben, wollte sie die Männerdominanz – „Große amerikanische Literatur? Ist weiß, männlich und über eins achtzig“ (Quelle: Ein Interview mit Wolitzer in der „Welt“) - eindringen. Vielleicht hat sie einfach zu viel gewollt: Zu viel lenkt ab von den Grundthemen Freundschaft, Erwachsenwerden, das Leben meistern in einer chaotischen Welt. So liest man den Roman durchaus gerne, doch zurück bleibt der Eindruck: Weniger wäre interessanter gewesen.
Eine weitere Rezension findet sich beim Blog Bücherrezension: http://buecherrezension.com/2014/09/29/rezension-meg-wolitzer-die-interessanten-dumont-2014-2013/
Liebe Birgit, ich kenne dieses Buch nicht, weiß aber genau, was Du meinst. Zu viel zu wollen, kann (manchmal) einfach nicht gut gehen.
Liebe Grüße zum Sonntag sendet Dir
B.
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Liebe Birgit,
auch Dir einen schönen Sonntag, an dem man nichts wollen können müssen darf, sondern sich einfach erholen sollte…LG Birgit
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was für eine wunderbare Aussicht
und das noch mit einer Stunde mehr zur Verfügung
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Es ist dir hier wirklich gut gelungen, den Roman kritisch zu beleuchten ohne gleichzeitig das Interesse deiner Leserin im Keime zu ersticken. Und, Mensch, kann amerikanische Gegenwartsliteratur auch mal ohne 9/11 auskommen? Im Goldfinch war das doch auch schon Thema…
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Danke dir sehr! Den Goldfinch habe ich noch nicht gelesen, steht noch auf meiner Liste. Aber Deinen Eindruck teile ich - und manchmal drängt sich mir der Gedanke auf, dass es dabei nicht nur um die literarische Verarbeitung dieses amerikanischen Traumas geht, sondern schon reflexartig darauf Bezug genommen wird…
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Dafür haben wir Deutsche unseren Mauerfall. Und der spukt bereits ein paar Jahr länger in den Köpfen (und Preislisten).
Jedem Land seinen literarischen Fetisch.
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Auf Bücherwurmloch fand ich eine ähnlich kritische Rezension vor einigen Wochen (http://buecherwurmloch.wordpress.com/2014/10/05/meg-wolitzer-die-interessanten/) als ich das Buch erstmal nach 120 Seiten wieder zur Seite legte. Kommentiert habe ich das so:
Das bestätigt gänzlich meinen Eindruck. Mit viel Vorfreude habe ich mich an den Roman gemacht. Die ersten 50 Seiten mit “Wohlwollen” gelesen, in der Hoffnung, dass dies ja nur die Ouvertüre zu weitaus spannenderem, tragischerem Handlungsverlauf sei.
In der Oper gibt die Ouvertüre jedoch schon ein künstlerisch, dramaturgischen Abriss dessen, was im weiterem durch das Werk trägt. Nach knapp 120 Seiten mit dem Ende von Kapitel 4 habe ich es denn zur Seite gelegt. Der Eindruck der Ouvertüre blieb: unspektakulär.
Selbstbeschwichtigend sagte ich zu mir, dass ich doch vielleicht besser auf die langen, dunklen Abende des Winters warte. Ich befürchte aber, es landet “unvollendet” im Regal.
Das Buch kann allenfalls noch das Prädikat “Interessant” erhalten. Von Freunden empfohlene Bücher mit diesem Prädikat meide ich meist.
Ergänzend muss ich hinzufügen, dass ich das Buch nach Donna Tartt „Distelfink“ und „Die Gierigen“ von Karine Tuil begonnen hatte. Da waren wohl auch meine Erwartungen falsch gelenkt.
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Unspektakulär ist wohl das richtige Fazite. Kein Buch, das man nicht vergisst…
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Liebe Birgit,
da bin ich ja froh, dass ich es gestern so ohne schlechtes Gewissen im Buchladen habe auf seinem Stapel liegenlassen. Als hätte ich es geahnt…
Einen schönen und erholsamen Sonntag, Claudia
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Und ich bin froh, dass ich mir diesmal nicht die sonntägliche Rüge wegen SUB-Erweiterung eingefangen habe:-)
Auch Dir nachträglich einen schönen Sonntag!
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Danke, dass ich für mich schon mal Bescheid weiß (und das Buch nicht lesen werde)!
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Sehr interessante Rezension. Ich habe es auf der Liste, aber nach Deiner Rezension nun auch kein schlechtes Gewissen, falls ich es doch nicht lese. Weil die tagtägliche SUB-Erweiterung, geht doch nicht😉
Schönen Sonntag!
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Ich bin gerade auf diese Rezension gestoßen und habe sie mit Interesse gelesen. Ich erinnere mich nur grob an die Handlung des Romans, aber ich weiß noch, dass es mir ganz ähnlich ging: Irgendwie konnte mich die Geschichte nicht packen, sie hat mich überhaupt nicht gefesselt. Ich habe dann auch den nächsten Roman „Die Stellung“ nicht mehr gelesen.
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Ich habe seither auch keines mehr von ihr gelesen - mir ist das zu sehr amerikanische Schreibschule, zu glatt und auch ein wenig langweilig - so kann ich mich an den Roman auch nur noch schemenhaft erinnern…
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