Lesezeichen von: Walter Kappacher

„Die berühmte Fotografie, auf der Marilyn Monroe sommerlich karg bekleidet auf einem Gestell auf einem Kinderspielplatz James Joyce` Ulysees liest, offensichtlich in der Erstausgabe - wahrscheinlich das Exemplar von Arthur Miller, ihrem damaligen Ehemann -: Es wäre leicht, darüber zu schmunzeln, aber wie viele von den ‘Intellektuellen’ haben den Roman zu Ende gelesen? Das Bemühen, der Versuch des Autors Miller, seine Geliebte teilnehmen zu lassen an seiner Welt, hat etwas Rührendes.“

 Zwar unterstellt der 1938 in Salzburg geborene Walter Kappacher der Schauspielerin mit diesem Zitat - wie viele andere wohl auch - sie habe nicht aus eigenem Antrieb zum Ulysees gegriffen, auch schwingt ein wenig Altväterliches in diesen Worten mit … aber gerade dieses ist es, was auch den „Notizen“ des Büchner-Preisträgers, die in einem schmalen, schön gestalteten Band unter dem Titel „Marilyn Monroe liest Ulysees“ erschienen sind, etwas Rührendes gibt.

Das aus dem Verlag Ulrich Keicher stammende Heft ist ein Sammelsurium von Textminiaturen, im Grunde in der Art eines Tagebuchs, in dem sich Gedankenblitze verschriftlicht finden, Banales, Profanes neben gescheiten Aphorismen, Zitate anderer Schriftsteller, Betrachtungen über das Schreiben, die Kunst, Kulturkritik, das Dasein als Dichter, das Leben an sich.

Aus all dem formt sich ein Bild: Kappacher, ein Gescheiter, aber auch einer, der dem Traditionellen verhaftet ist, ein wenig ein Gestriger, ein Scheuer, manchmal griesgrämig, manchmal ganz menschenfreundlich, ein „Typ“ eben.

Die Notizen, so schreibt Matthias Bormuth im Nachwort, „sind ungeschminkte, scheinbar beiläufige Beobachtungen, denen der Autor ihre unauffällige Gestalt beläßt. (…) Ihren poetischen Elan schöpfen sie nicht zuletzt aus dem tiefen Staunen, das sich mit den Erfahrungen wirklicher Schönheit verbindet.“

Bormuth fordert auf, einzutreten in diesen Kosmos, aber auch zu widersprechen, „wenn der Autor im Abseits der Zeit diese betrachtet und die Poesie als schöpferischen Notausgang preist.“

 Einige Fundstücke, die zum Eintreten und zum Widerspruch auffordern könnten:

„Für das Universum hat die Erscheinung ‘Mensch’ bei weitem nicht die Bedeutung, wie für uns jene einer Eintagsfliege.“ 

„Man sagt nicht mehr ‘ist in Ordnung’, sondern ‘passt’. Die Menschen verwandeln den Rhythmus ihrer Sprache, gleichen ihn dem primitivsten Beat der Rock- und Popmusik an. Tam-tam-tam. So tönt es aus den Autoradios.“ 

„Ein guter Mensch - denkt man dabei nicht unwillkürlich: Aber ob der bei Verstand sein kann?“

 Bereichert werden die Notizen durch ebenso melancholische anmutende Fotografien: Walter Kappacher hält seit Jahren das Schilf und das Eis an einem Uferabschnitt des Grabensees im Salzburger Land fest, einige dieser Bilder sind im Heft zu finden.

„Marilyn Monroe liest Ulysses“. Notizen, Fundstücke und 13 Fotografien. Mit einem Nachwort von Matthias Bormuth. 40 Seiten. Format 14 x 23 cm. Fadenheftung, broschiert.

 Es lohnt sich auch ein Blick auf das weitere Programm des Verlages, der ein Ein-Mann-Betrieb eines Bibliophilen ist: Seit 1983 gibt Keichel schön gestaltete Editionen und Bücher in kleinen Auflagen heraus: http://www.verlag-ulrich-keicher.de/

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

8 thoughts on “Lesezeichen von: Walter Kappacher

  1. Die Photographin Eve Arnold hat dieses Photo von der Monroe gemacht. Sie hat während des shootings mit ihr über ihre Lektüre gesprochen. Anscheinend hat Marilyn sich ernsthaft bemüht, den Ulysses zu lesen. Eve Arnold hat Marilyn während vieler Jahre immer wieder porträtiert - und zwar als einzige. Von daher bestand ganz sicher eine besondere Vertrautheit zwischen den beiden.
    https://gazelleblockt.wordpress.com/2014/06/08/manche-mogen-joyce/

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    1. Ah! Danke für den Link … ja, ich hatte im Hinterkopfstübchen, dass man(n) MM da etwas Unrecht tat, ihr das nicht zutraute …und Eve Arnold erzählt eine andere Geschichte. Irgendwie bezeichnend, dass auch W. Kappacher in dieser kurzen Notiz die Lust an dieser Lektüre auf den Mann zurückführt, auf Arthur Miller. Wer weiß schon, wie es wirklich war?

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