„Dragana dreht sich von mir weg, packt den Sparschäler, rüstet Kartoffeln und Karotten, die einfachsten Tätigkeiten, die nicht mehr für sich stehen, nur davon zeugen, dass wir hier nichts tun, denke ich, sagt sie, und ich sehe es plötzlich klar vor mir, die beiden Welten, die einander gegenüberstehen und sich nicht vereinbaren lassen, wir hier in der Schweiz und unsere Familien in Jugoslawien, im ehemaligen Jugoslawien, wie man sagt, das sind meine Feinde, und Dragana zeigt auf die Kartoffelschalen, fährt sich mit dem Handrücken über die Augen, ja, wir leben hier, die Schweizer, im Zuschauerraum, denke ich, das ist zumindest eine Wahrheit.“
Melinda Nadj Abonji, „Tauben fliegen auf“, 2010, Jung und Jung Verlag.
Während die Buchpreisblogger bereits die Longlist zum Buchpreis 2015 lesen, noch ein Blick zurück: Einige der früheren Longlist- und Buchpreis-Titel habe ich hier schon ab und an besprochen.
Unter anderem den Roman von Melinda Nadj Abonji. Die 1968 in Serbien geborene Schriftstellerin, die heute in der Schweiz lebt, gewann mit „Tauben fliegen auf“ 2010 den Deutschen und den Schweizer Buchpreis.
Die Küche eines kleinen Schweizer Cafés als Mikrokosmos, als Abbild des jugoslawischen Völkergemisches, in dem die verschiedenen Nationalitäten aufeinanderprallen – Serben, Kroaten, Bosnier. Melinda Nadja Abonji erhielt für ihren Roman 2010 den Deutschen Buchpreis. Zu Recht. Nadj Abonji, selbst aus der Vojvodina stammend, dieser serbischen Region mit hohem ungarischen Anteil, beschreibt hier ihre Familiengeschichte. „Papierschweizer“, die sich ihr „menschliches Schicksal“ in der Eidgenossenschaft erst noch erarbeiten müssen. Die Eltern sind aus wirtschaftlicher Not in die Schweiz gekommen, lange, bevor der Bürgerkrieg die Nation Jugoslawien ein für alle mal verändert.
Zwischen zwei Welten
Dieser Krieg holt die Familie in der neuen Heimat ein und trennt sie zugleich von der alten, kappt die Wurzeln: Im Ungewissen bleibt, was mit den Familienangehörigen dort geschieht. In der neuen Welt, bei den „Käsigen“, noch nicht richtig angekommen, vielleicht auch immer „Mischwesen“ bleibend, ist der Zugang zur Herkunft gekappt.
Aber auch dort, in dieser Kultur, waren sie bereits „die Schweizer“. „Mein Land liegt im Sterbebett“, sagt einer der Flüchtlinge. Und die neue Heimat ist keine Geburtswiege, keine Gemeinschaft, die Fremde ohne weiteres aufnimmt.
Abonji erzählt dies nicht anklagend, nicht lamentierend. Im vordergründigen Sinne ist das Buch zudem eher ein Entwicklungsroman: Wie sich eine junge Frau auch aus dem Korsett der Familie löst, wie sie, hineingeworfen in die neue Welt, anfängt, eigene Wege zu gehen. Das gibt am Ende auch Hoffnung, dass Ankommen – zumindest in der zweiten Generation – doch möglich ist.
Ein ganz wundervolles Buch…
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Ja!
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Lange vorher und nachher auch hat mich kein Buch mehr so berührt wie dieses.
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Der Roman ist schon sehr gut, leider hört man von der Autorin jedoch nichts (mehr) - ich hoffe auf ein weiteres Buch.
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Hier kann ich die Anmerkung unterbringen: ja, ein sehr schönes Buch. Woran ich denken muss, ist die Tatsache, dass ich dieses Buch kurze Zeit schon nach seiner Veröffentlichung auf zahlreichen Wühltischen wiederfinden musste, zu einem unverschämten Schleuder-Preis. Hatte es einfach nicht verdient, so verschleudert zu werden.
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Das habe ich auch mit großem Bedauern empfunden - nach der Bekanntgabe des Preises war das Buch erst vergriffen, der Verlag musste nachdrucken, dann aber ist leider das Interesse wohl schnell gesunken - schade, denn es ist ein Thema, das berührt + hochaktuell ist.
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Schöner Einblick in ein Buch, das mich auch sehr begeistert hat und das ich schon oft empfohlen habe! Ich hoffe ebenfalls auf ‚Nachschub‘ von ihr.
Nur eine winzige Anmerkung: Die Autorin heißt Nadj, nicht Nadja, das ist ein Teil ihres ungarischen Nachnamens
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Ah, danke für die Rückmeldung und die Korrektur…das ist mal wieder so typisch ich
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Das Buch gehört zu denen, die ich noch lesen und finden muß, war aber damals bei einer Lesung in der „Alten Schmiede“ und den ersten Roman der Autorin, bei „Amman“ verlegt, der dann von „Jung und Jung“ wieder aufgelegt wurde, habe ich gelesen.
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