„An manchen Tagen, so wie heute, bekomme ich nicht einen einzigen Satz zustande, kein einziges Wort. Trotzdem verbringe ich die meiste Zeit des Tages am Schreibtisch. Ich sitze da und warte. Warte auf die Wörter. Warte auf die Sprache. Warte darauf, dass sie anruft. Aber das tut sie nicht. Bisher haben wir jeden Tag miteinander geredet; bis spät nachts lagen wir da und redeten, und am Morgen fuhren wir fort. Jetzt habe ich seit einer Woche nicht mehr mit ihr geredet. Das ist nicht natürlich. Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass ich nicht mehr mit ihr reden kann.“
Tomas Espedal, “Wider die Natur”, 2014.
Der Mann ist Schriftsteller, Ende Vierzig, und er ist vor allem eins: Der Verlassene. Sie, die jüngere Frau, ist weg und er erkennt: Wenn man in diesem Alter noch einmal ganz „groß“ liebt, dann wird es lebensgefährlich.
Es riecht nach Klischee: Älterer Mann liebt junge, schöne Frau, wird verlassen, versinkt in Einsamkeit, Schmerz, Alkohol, Müll. Und auf den ersten Seiten dieses Romans werden denn auch einige (wenige) Klischees aufgezogen. Klischeehafte Erotik, fast ein wenig Porno, jedoch auf hohem sprachlichem Niveau. Die klassischen Ingredienzien: Hormonschub des älteren Mannes bei hochhakigem Vorbeigestöpsel schöner junger Frau, ein One-Night-Stand auf einer Party in der Silvesternacht, weiße Haut, weiße Brüste, schwarzer BH, sie auf seinem Schoß, Koks & Champagner. Doch tritt ein, was nicht vorhersehbar und wohl auch nicht beabsichtigt war: Aus der kurzen, aufgeladenen Begegnung entsteht eine tiefe Liebe. Zumindest auf seiner Seite.
Zwei Jahre später verlässt sie ihn, die jüngere Frau. Ihre Motive bleiben im Unklaren, werden in Andeutungen nur aus Sicht der Hauptfigur, des verlassenen Mannes, reflektiert. Vielleicht, so mag man rätseln, war auch dieses Ende „beziehungsimmanent“ – denn schon in die erste, sexuelle Begegnung tritt dieser Gedanke bei ihm ein:
„Der Altersunterschied kam später, in der Bibliothek, als sie sich im Spiegel sahen. Ein beunruhigendes Bild; die beiden Gesichter, so ähnlich in ihrer Verschiedenheit, wie Geschwister, wie Vater und Tochter, oder Mutter und Sohn, und vielleicht war es dies Naturwidrige, das Groteske und Malerische, ja, das Zeitlose an dem Bild im Spiegel, weswegen sie einander nicht loslassen wollten, sie wollten einander nicht loslassen.“
Die Verschiedenheiten, sei es nun der Altersunterschied, die Kultur, die Religion, die Herkunft, sie sind es, die die Paarattraktion auslösen können. Sie sind es aber auch, die die Trennung herbeiführen können. Ein älterer Mann, eine junge Frau: Es kann ja nicht gut gehen. Es scheint, als würde der Mann, ein mittelmäßig erfolgreicher Schriftsteller, dies immer wieder auch selbst beschwören, in Nebensätzen, in Halbsätzen, in Andeutungen.
Dort, wo es von der Beschreibung des Faktischen zur Reflektion der Gefühle kommt, greift Tomas Espedal zu Kunstgriffen – greift auf die Abaelard und Heloise, die großen, ewigen, getrennten Liebenden zurück, umkreist die Gedanken mit Fragmenten, kurzen Abschnitten, Tagebucheinträgen.
„Das Glück war wie eine Maske, es hatte sich wie eine fein gewebte Maske eng über Augen und Gesicht gelegt; ich saß auf ihrem Schoß, sie zog meinen Kopf an ihre Brust, es war, als würde die Zeit in einer fürchterlichen Verkehrung umgedreht; ich wurde zum Jüngeren von uns beiden.“
„Und etwas vom Glück legt sich über den Körper. Eine neue Haut, sie wächst über der alten, eine dünne, feine, wächserne Haut dehnt sich aus und schmiegt sich genau und weich dem Körper an; ich bemerkte nicht mehr, wie es ihr eigentlich ging.“
Es scheint, Männer schreiben von der Liebe besonders schön dann, wenn sie vergangen, verloren oder gefährdet ist, wenn an sie erinnert wird – siehe Navid Kermanis „Große Liebe“, siehe Philiph Roth „Das sterbende Tier“. Und nun „Wider die Natur“. Ein schmales Buch. Aber ein wuchtiges Buch. Ein Trauersog. Nüchtern, fragmentarisch und doch zutiefst berührend. Die verlorene Liebe, die vielleicht letzte Liebe, ist für den Schriftsteller Anlass, sich zu erinnern an die weiteren großen Lieben seines Lebens, derer da zwei sind. Die Jugendliebe, die von Beginn an ein Ende hat, die nur der Übergang ist in ein anderes Leben, raus aus dem Vorort, raus aus der Fabrik. Und dann die „Liebesarbeit“ (so die Kapitelbezeichnung): Die Verbindung mit einer kapriziösen Schauspielerin, der Versuch, mit der „falschen“ Frau Paardasein, Familiendasein, Haus auf dem Land und große Welt, Stabilität und Künstlerdasein zu vereinen. Für ihn, den Verlassen, scheint es aus der Rückschau so zu sein, als sei er erst mit ihr, der letzten Liebe, angekommen. Gedanken über das Glück:
Ein kleines Buch über das Glück
Lange träumte ich davon, eine Serie von kleinen Büchern zu schreiben. Ein kleines Buch über die Liebe. Ein kleines Buch über die Freundschaft. Ein kleines Buch über das Schreiben. Ein kleines Buch für meine Tochter. Ein kleines Buch über das Glück usw.
Das Buch über das Glück kann ohnehin nicht besonders dick werden.
Nicht dick, und auch nicht besonders tief, die glückliche Sprache ist einfach und banal, es gibt keine Tiefe im Glück, oder etwa doch?
Das Buch über das Glück muss kurz sein. Kurz und fragmentarisch, eine zusammenhänge Erzählung über das Glück zu schaffen, ist unmöglich. Keine Chronologie. Keine Logik oder Vernunft; es ist nicht möglich, einen Roman über das Glück zu schreiben.
Die letzten Seiten, Tagebucheinträge:
Montag, 31. Mai
Du hast die Fähigkeit zu lieben verloren.
Du bringst es nicht über dich, kannst niemanden mehr lieben.
Es ist zu Ende.
Du sagst Ende, aber die Liebe wird nicht enden.
Man kann es so ausdrücken wie Andreas Breitenstein in der Neuen Zürcher Zeitung (3.Juni 2014):
„Blickt man auf den Lakonismus von Künstlern wie Jon Fosse, Niels Fredrik Dahl, Per Petterson, Ketil Bjǿrnstad und Jan Garbarek, scheint es so etwas wie einen norwegischen Minimalismus der Melancholie zu geben. Tomas Espedal mit seinen radikalautobiografischen Prosa-Essays, in denen empathisches Sehen und dichtes Erleben, wortkarges Erzählen und bohrendes Nachdenken sich zu einem Amalgam von existenzialistischer Dringlichkeit vereinen, gehört wie Karl Ove Knausgǻrd zu jenen Autoren, die der postindustriellen Pasteurisierung der Lebenswelt die nackte Wahrheit des eigenen Daseins entgegenhalten.“
Oder man kann es so ausdrücken: Dieses Buch ist schön. Schön traurig. Ein kurzes, schönes, trauriges Buch über die Verzweiflung, die die Einsamkeit, das Älterwerden, der Liebesschmerz mit sich bringt. „Wider die Natur“ ist ein Buch über die Liebe, jedoch vor allem ein Buch über den Schmerz. Über die Verheerungen, die die Liebe anrichten kann. Schlicht und einfach über den großen, nie enden wollenden Kummer. Schlicht und einfach auch in der Sprache (oder wie Iris Radisch in der “Zeit” schreibt: “Sprache wie klares Wasser”). Schlicht und einfach: Ergreifend.
Freitag, 7. Mai
Ich schlafe mit dem Mobiltelefon auf der Brust. Näher kann ich ihr nicht kommen.
Tomas Espedal, “Wider die Natur”, Matthes & Seitz, Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Buch ISBN: 978-3-88221-188-7, Preis: 19,90 € / 27,90 CHF
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