Als Bernhard Blöchl (unter anderem der Mann hinter www.lieblingssaetze.de) mir einen Beitrag für die Verschämten Lektüren ankündigte, war ich schon sehr gespannt: Was kann da wohl noch kommen? Denn sein Julian Hartmann, auch genannt Juli, Held seines Debütromans, hat eigentlich schon so ziemlich alle Peinlichkeiten durchlebt…
Ein „Schelmenroman“ wurde „Für immer Juli“ genannt, und das ist er tatsächlich - und ein großes Lesevergnügen. Für den „sensiblen Gleichberechtigungsbefürworter“ Julian, der aus Liebeskummer zum Macho mutieren will, muss man einfach Sympathien hegen. Woher die Inspiration zum Buch kam, das verrät der Autor hier - ganz verschämt:
Als ich zuletzt ein Buch bis zur Unkenntlichkeit vollgekritzelt, Ecken geknickt und Zeilen farbig markiert hatte, war ich noch Student gewesen, und das Einzige, was ich damals aufgerissen hatte, waren die Fertigsuppen gegen den Instant-Hunger. Zehn Jahre später - ich war inzwischen Journalist und Autor, und sowohl die Sache mit der Ernährung, als auch die mit den Frauen hatte sich verbessert - malträtierte ich erneut ein Buch auf so respektlose Weise. Das silberne Taschenbuch hieß „Die perfekte Masche“ und im Untertitel: „Bekenntnisse eines Aufreissers“.
Für die herrlich rotwangige Blogreihe „Verschämte Lektüren“ habe ich das silberne Taschenbuch aus der zweiten Reihe des untersten, am meisten verstaubten Regals hervorgezogen - und staune gerade über die vielen Eselsohren und Markierungen (in rosa übrigens, blau war wohl gerade aus).
Damit Sie mir glauben, dass ich das Buch „vom Casanova der Gegenwart“, wie der Autor Neil Strauss mitunter genannt wird, nicht aus persönlicher Verzweiflung studiert habe, muss ich etwas weiter ausholen (ob Sie mir hinterher glauben werden, bleibt Ihnen überlassen).
Vor vier Jahren, zu einer Zeit, die so aufregend war wie jeden Abend Frühlingsflirts, arbeitete ich an meinem ersten Roman. „Für immer Juli“ (erschienen 2013 im MaroVerlag) sollte eine schelmische Komödie über die Identitätskrisen des modernen Mannes werden.
Ich erfand Julian Hartmann, genannt: Juli, den metrosexuellen Protagonisten der Geschichte, und überlegte mir allerlei Hürden und Konflikte, mit denen ich ihn bei seiner Suche nach der verlorenen Männlichkeit konfrontieren konnte. Wie man das halt so macht als Schriftsteller, der es seinen Figuren bei ihrer Wandlung nicht zu leicht machen will. Durch einen Artikel in der GQ wurde ich aufmerksam auf die Pickup-Szene, auf professionelle Aufreißer und auf Strauss’ Buch, das ursprünglich 2005 in New York als „The Game“ erschienen war. Da ich noch in keinem deutschen Roman von den schrägen, wilden, verrückten oder bescheuerten Erlebnissen in einem Aufreißer-Seminar gelesen hatte, spielte ich mit dem Gedanken, etwas Ähnliches in meiner Geschichte stattfinden zu lassen.
Also las ich das Buch. Ich lernte Begriffe wie EFL (ewig frustrierter Loser) und HB (Heißes Babe), erfuhr, was „Opener“, „Pfauentheorie“, „Drei-Sekunden-Regel“ und „beiläufige Herabsetzung“ zu bedeuten hatten und stieß auf Sätze wie diese: „Wer eine Frau erobern will, muss zuweilen das Risiko eingehen, sie gleich wieder zu verlieren“, oder: „Es ging um die Eleganz des Spiels, die Grazie des avancierten Flirts“, oder: „Ein echter Profi-Aufreißer gibt prinzipiell keine Drinks aus, solange er nicht mit dem betreffenden Mädchen geschlafen hat; Geschenke sind ebenfalls tabu.“ Solche Sachen.
Sprachlich eher so der Playboy-Style, literarisch belanglos, sind die Bekenntnisse ein wilder Ritt durch eine derbe und sexistische Parallelwelt. Rainer Brüderle ist ein Altherrenwitz dagegen, das können Sie mir ruhig glauben. Mich hat das Buch erschüttert, die Lehren sind gefühlskalt, frauenfeindlich und egoistisch - aber auch raffiniert, denn unterschätzen sollte man UMAT (ultramännlichen Alphatiere) keineswegs, trotz der affigen Abkürzungen. Der internationale Bestseller in Ich-Form basiert auf den persönlichen Erfahrungen des Journalisten Neil Strauss, die Szene und die Lehren sind keine Erfindung. Und auch wenn der Autor mit der Erkenntnis das Projekt beschließt, wahre Liebe brauche keine Tricks, so bleibt doch ein dystopisch anmutendes Nachgefühl. Bei mir zumindest.
Für meinen Roman war klar: Ja, ich wollte Juli mit dieser knallharten Männerwelt konfrontieren, schon weil er als sensibler Gleichberechtigungsbefürworter einen schreiberisch starken Kontrast dazu verkörpert. Allerdings wollte ich die deprimierende Emotionslosigkeit dieser Underground-Szene satirisch überhöhen, schon um im Genre der Komödie zu bleiben. Also trifft Juli in Wien, wo er ein derartiges Seminar besucht, unter anderem auf Frauen, die die immergleichen „Opener“ und Maschen im Fünf-Minuten-Takt hören und sich langweilen, punktet unfreiwillig bei einem homosexuellen Mann und landet mit einer Fremden im Stunden-Hotel, in dem er es aber keine Stunde aushält …
Was mir das verschämte Experiment gezeigt hat: Manchmal dienen unbequeme Bücher eben auch als Inspiration. Ein Autor, der sich nur in Kreisen bewegt, in denen er sich wohlfühlt, ist ein schlechter Autor - so viel Phantasie er auch immer haben mag.
Bernhard Blöchl, Jahrgang 1976, ist Autor und Kulturjournalist aus München, der hauptsächlich für die Süddeutsche Zeitung und SZ Extra über Film, Pop und Literatur schreibt. Unter http://www.lieblingssaetze.de hat er ein Museum der schönen Sätze eingerichtet, wo er Romananfänge und Songzeilen sammelt und kommentiert. Sein Debütroman „Für immer Juli“ ist 2013 im Maro-Verlag erschienen. Das begleitende Sachbuch, der satirische Ratgeber „Schluss mit luschig! Anleitung zum Mannsein“, kam beim Rowohlt Verlag im Juli 2014 heraus - unter dem Namen der Romanfigur Julian Hartmann. Es ist das Buch zum Blog zum Roman und damit der dritte Teil eines schelmischen Literaturexperiments. Derzeit schreibt Blöchl an seinem zweiten Roman. Die Pickup-Szene wird darin keine Rolle spielen.
Mehr Lesestoff von ihm gibt es unter:
Hej, wow! Der Satz gehört in Stein gemeißelt, wahlweise in Gold gerahmt: „Ein Autor, der sich nur in Kreisen bewegt, in denen er sich wohlfühlt, ist ein schlechter Autor – so viel Phantasie er auch immer haben mag.“
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Ja, der Satz ist bemerkenswert - mir fiel dabei wieder ein, dass ja auch viele meiner liebsten Bücher aus einer Erfahrung des Unwohlseins, die den Autoren zu Schreiben trieben, entstanden sind…
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Also falls der Verfasser je überlegen sollte, diesen Satz - nett eingerahmt - in irgendeinem Laden zu verkaufen, hätte ich gerne die Bezugsquelle. Das würde ich mir nämlich zu gern über den Schreibtisch hängen.
Schöne Grüße
Katharina
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Ja, ein wirklich großartiger letzter Satz. „Für immer Juli“ werde ich mir auf alle Fälle zulegen. Neil Strauss habe ich auch gelesen und war fasziniert davon, hier einen Einblick in einen Kreis zu bekommen, von dem man sonst nicht viel mitbekommt.
Danach habe ich mir noch ein weiteres Buch von einem „Aufreißer“ besorgt, das ich hier als unterhaltsame (und verschämte) Lektüre empfehlen möchte: „Get laid or die trying“ von Jeff Allen. Ja, das Buch heißt wirklich so, und zu den beschämenden Anmachen bei Strauss kommt hier noch eine Portion Destruktivität à la Bukowski dazu.
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Ich habe den Juli sehr gern gelesen - eine amüsante, leichte, witzige Lektüre!
Jeff Allen - soso! Klingt gut - ich nehme hier gerne noch einen Beitrag für die Verschämten Lektüren entgegen Allerdings: FSK-orientiert sollte er schon sein, wegen der kleinen Leser
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