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Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren (2013).

Augsburg (168)

„Preising war ob seiner eigenen Erzählung ganz betrübt. Alles hing ihm aus dem Gesicht. Die traurige Nase, die trockenen Lippen, die wässrigen Augen. Darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. „Was hast du damit bewiesen?“ fragte ich ihn unerbittlich. Ein verborgenes Wissen und Kümmernis über ebendies schien in seiner Antwort zu liegen. „Du stellst schon wieder die falsche Frage“, sagte Preising.

Jonas Lüscher, „Frühling der Barbaren“, C. H. Beck Verlag, 2013

Die Finanzwelt frisst ihre Kinder – angesichts der Suizide unter Topmanagern in den vergangenen Jahren erscheint die Erzählung von Jonas Löscher geradezu von prophetischer Aktualität. Löscher wählte für seine Betrachtung der menschlichen Gier und Grenzenlosigkeit die Form der Novelle. Diese setzt er so meisterlich um, Goethe hätte mit den Ohren geschlackert. Dass einer derart fulminant schreibt, ist schon an sich eine „unerhörte Begebenheit“ - so wie sie die Novellentheorie vorsieht. Darüber hinaus alle Novellen-Regeln beachtet: Eine in sich geschlossene Rahmenhandlung, die die Zukunft der handelnden Personen im Ungewissen belässt, der distanzierte Erzähler, das Ding-Objekt – wie aus dem Lehrbuch. Formale Perfektion erreicht das Lehrstück, auch wenn die eine oder andere Passage etwas überspitzt erscheint.

Quasselstrippe und Pappfigur

Der Inhalt von „Frühling der Barbaren“ ist kurz erzählt. Die Rahmenhandlung spielt in einer psychiatrischen Klinik. Der auktoriale, allwissende Erzähler erfährt die Geschichte eines wüsten Trips, eines Wüsten-Trips. Sein geschwätziger Gesprächspartner: Ein „Unternehmer“, der nichts unternimmt, der zur Handlung unfähig ist, der Verantwortung ablehnt. Dieser, Preising, steht der ererbten Firma quasi nur noch als repräsentative Pappfigur vor. In dieser Funktion landet er im Hotel der Tochter eines Geschäftspartners in der tunesischen Wüste.

Dieser eigentliche Kern der Handlung wird in einem fast logorrhöischem Monolog fabuliert, unterbrochen nur von kurzen, distanzierenden Anmerkungen des auktorialen Erzählers. Die Zwischenszenen lassen die Geschwätzigkeit des Preising umso deutlicher hervortreten. Man merkt dem Text zwischen den Zeilen an: Selbst der Autor mag seine Hauptfigur nicht so richtig. Ihn habe die Idee gereizt, über einen zu schreiben, der nicht handelt, so Lüscher in einem Interview. Das ist ihm gelungen – und ebenso gelungen ist es, keinen eindeutigen Sympathieträger zu zeichnen, kein Schwarz und Weiß. Alle der auftretenden Figuren sind zweideutig in Haltung und Handlung.

So gibt Preising in seiner Handlungsunfähigkeit, mit seinen Zweifeln und seiner Skepsis, den Gegenpart ab zu „Quicky“, einem rabiaten Bankmanager, der am Ende die scheinbar Zivilisierten als Anführer in die Barbarei treibt. In bester Novellenmanier verfolgt die Erzählung einem klassischen Aufbau: Preising also landet im „Thousand and One Night Resort“. Dort laufen die Vorbereitungen zu einer luxuriösen Hochzeit. Das Brautpaar ist in der Londoner Finanzwelt beheimatet, gefeiert wird mit Glanz, Gloria und 70 aus England importierten Gästen. Preising beobachtet die Gruppe von außen – je gedeckter die Farben der Kleidung, desto gedeckter der Scheck, für amüsante Farbtupfer in der Erzählung sorgen die verunsicherten Verwandten aus dem britischen Arbeitermilieu.

Die Blase platzt

Der in der Novelle vorgesehene Wendepunkt kommt, als England seinen Staatsbankrott erklärt. Der jeunesse dorée wird die geplatzte Blase zum Verhängnis. Zurück bleiben, im wahrsten Sinne des Wortes, nur Schutt und Asche. Alles löst sich in einer grandiosen Barbarei auf, wird in die Luft gejagt. Ein Leitmotiv dabei: das gequälte Kamel, von einigen Rezensenten als Ding-Symbol identifiziert. Als Symbol ist es in der Novelle vorhanden – als Kreatur, die ständig unter die Räder kommt.  Das Ding-Symbol an sich jedoch ist in dieser Erzählung das allgegenwärtige Handy – die Fußfessel unserer Zeit, der Fluch der ständigen Erreichbarkeit. Der Kündigung kann man „dank“ Blackberry, Smartphone, i-pod auch in der Wüste nicht entkommen – es sprengt die Hochzeitsnacht, es verwandelt per Funksignal zivilisierte Europäer in Barbaren.

Actionfilm und Kintopp

Lüscher führt durch dieses wüste Chaos mit in einer geschliffenen Sprache, die einen Sog ausübt, die zieht, die packt. Sprachlich meisterhaft, doch stellenweise zu plakativ, zu sehr Kintopp. Spürbar wird, dass der Autor jahrelang in der Filmindustrie gearbeitet hat. Das Ausweiden eines Kamels, das macht sich sicher gut auf der Leinwand – in der Novelle, die sowieso ständig zwischen Realität und Farce schwankt, ist es ein Tick zuviel, schwenkt den Fokus zu sehr Richtung Actionfilm.

Mir ist bewusst, ich stelle – nach Preising – die falsche Frage. Und doch drängt sie sich mir auf: Wo ist die Moral, was ist die Erkenntnis? Bei allem Jubel über die Kunstfertigkeit der Erzählung – ich haderte auch mit diesem Buch. Die formale Kunstfertigkeit, der stilistische Esprit überpinseln ein Manko dieses Textes: Auch wenn er wirtschaftspolitisch hochaktuell ist, inhaltlich bietet er nichts Neues. Die Erzählung zeigt: Der Mensch, nimmt man ihm die Grundlagen und seine Rückversicherung, der wird zum Tier. Ob und was Preising, Quicky & Co. gelernt haben, lässt Lüscher offen. Dass der Mensch jedoch des Menschen Wolf ist, müsste ohnehin nicht mehr eigens betont werden – das wird bei dieser Abenteuergeschichte mit zum Teil absurden Elementen großformatig an die Leinwand geworfen. Aber die Erkenntnis, dass Hochmut vor dem Fall kommt, dass der Tanz auf dem Vulkan in der Katastrophe endet - auch das ist eine Erfahrung, von der uns die Geschichte zeigt: Der Mensch als Individuum ist lernfähig, die Menschenheit als Gesamtheit wohl kaum. Die Folgen der Finanzkrise – sie werden bald vergessen sein. Eine Änderung des Systems wird es nicht geben. Nicht bevor die Wüste ausgreift. Die Anti-Zivilisierung der Menschheit – in Umkehrung von Norbert Elias – ist ein genetischer Defekt, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Insofern lässt mich dieses Stück Literatur ratlos zurück. Und unbefriedigt. Wie ein wunderbares amuse gueule. Es sättigt nicht. Man hofft auf mehr. Spannend wird es daher sein, noch Weiteres von diesem Autoren zu lesen – vielleicht auch seine Dissertationsarbeit. Ihr Sujet: Inwieweit ist Literatur dazu geeignet, komplexe soziale Probleme zu beschreiben?

8 Comments »

  1. So kritisch bin ich mit Lüscher gar nicht gewesen, obwohl die Frage natürlich immer berechtigt ist, was über das Vergnügen hinaus einem sonst noch bleibt. In diesem Fall habe ich mich einzig von der Erzählweise begeistern lassen. Der gewählte Stoff gibt ansonsten literarisch nicht viel her. Die Figuren sind die stereotypen Vertreter der literarisch immer wieder beliebten biblischen Hauptlaster (Hochmut, Gier, Wollust, Geiz etc.) deren Sünden letztlich doch bestraft gehören. In der Einschätzung, hier einen Autorendebüt gelesen zu haben, das einen auf mehr hoffen lässt, stimmen ich völlig überein: https://thomasbrasch.wordpress.com/2014/02/27/exzess-in-der-oase/

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