Hugo Ball: Zinnoberzack, Zeter und Mordio (1915/2011).

Augsburg (93)Ein literarisches Manifest

Es soll der Presse und dem Publikum durch unser Auftreten gezeigt werden, daß es Persönlichkeiten gibt, die die Sache der “jüngsten” Literatur auch im Kriege weiterführen. Diese jüngste Literatur hat eine ganz bewußte Tendenz. Diese Tendenz: Expressionismus, Buntheit, Abenteuerlichkeit, Futurismus, Aktivität, Dummheit (gegen die Intellektualität, gegen die Bebuquins, gegen die gänzlich Arroganten). Wir wollen: Aufreizen, umwerfen, bluffen, triezen, zu Tode kitzeln, wirr, ohne Zusammenhang, Draufgänger und Negationisten sein. Unsere Sache ist die Sache der Intensität, der Nüstern, der Askese, des methodischen Fanatismus, der Flaggen und Konspirationen. Wir werden immer “gegen” sein. Wir werden die geistige Führerschaft an uns nehmen. Wir werden zu Felde ziehen gegen die Gehirnwesen, Geistlinge, Systemlinge. Gegen die Aktionierer und lyrische Tenöre. Gegen die “Programmatiker” und Sektenbildner. Wir ergreifen die Partei der Bilderstürmer und jeglicher Radikalisten. Wir propagieren den Stoffwechsel, den Saltomortale, den Vampyrismus und alle Art Mimik. Wir sind nicht naiv genug, an den Fortschritt zu glauben. Wir haben es nur mit dem “Heute” zu tun. Wir wollen sein: Mystiker des Details, Bohrlinge und Hellseher, Antikonzeptionisten und Literaturstänker. Wir wollen den Appetit verderben an aller Schönheit, Kultur, Poesie, an allem Geist, Geschmack, Sozialismus, Altruismus und Synonymismus. Wir gehen los gegen alle “ismen” Parteien und “Anschauungen”. Negationisten wollen wir sein.

Hugo Ball. Richard Huelsenbeck.

(Dieses Programm ist gegen Einsendung von 30 Pfg. bei Hugo Ball und Richard Huelsenbeck, Uhlandstraße 31, zu beziehen.)

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DADA ist nicht jedermanns Sache. DADA wird oftmals als Episode der Literatur- und Kunstgeschichte belächelt. DADA nur mit lautmalerischen Experimenten und Spielereien gleichgesetzt. DADA eine Angelegenheit von einigen verschrobenen Morphinisten und abseitigen Theaterleuten Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
Man könnte aber auch sagen: DADA war die Keimzelle späterer Kunstformen. DADA war das Samenkorn für Rock`n`Roll, Rap, Hip-Hop. Für Performance Kunst. Für Merz, Fluxus und Pop Art. Alles ist DADA. Manchmal sogar Werbung. Sind wir nicht alle ein bißchen DADA?
Die Dadaisten waren die europäischen Beatniks. Junge Künstler, die sich vom etablierten Kunstbetrieb abwandten. Doch nicht nur davon - die Erfahrung des 1. Weltkriegs, der Hurra-Patriotismus, die Kriegsbegeisterung einiger ihrer Künstlerkollegen, alle Erfahrungen erschüttert, den Glauben an die bestehende Ordnung verloren, das Überwinden-Wollen des Althergebrachten sowohl in der Kunst als auch in der Politik, all dies trug zum Entstehen von DADA bei.
Und das Grenzensprengende, auch das Überwinden der sprachlichen Grenzen, die Lust am beinahe kindlichen Spiel und die Anarchie - die durften sich hier austoben. Damit wurde der Dadaismus zum Ausgangspunkt einer neuen künstlerischen Freiheit, die bis heute anhält.

Untrennbar damit verbunden ein Name: Hugo Ball.
Im Wallstein Verlag wurde in den vergangenen Jahren eine mehrbändige Werkausgabe von der Hugo-Ball-Gesellschaft herausgegeben. Darunter auch “Zinnoberzack, Zeter und Mordio”, ein Buch, in dem erstmals die ansonsten nur verstreut publizierten DADA-Texte Balls gesammelt erschienen sind. Obwohl der Name von Hugo Ball als DADA-Gründer untrennbar mit dieser literarischen Strömung verbunden ist, währte sein eigentliches Engagement dafür nur wenige Monate. 1915 erschien das oben zitierte Manifest, 1916 erfolgte die Gründung des “Cabaret Voltaire” in Zürich - der Pazifist Hugo Ball war in die Schweiz emigriert -, 1917 beteiligte er sich noch einige wenige Wochen an der “Galerie Dada”.
Doch trotz dieser kurzen Zeitspanne, in der Ball Texte für das Cabaret Voltaire und einige Publikationen schrieb, überrascht das DADA-Werk Balls durch die Bandbreite literarischer Formen. Das Buch zeigt eindrücklich, dass DADA eben weit mehr war als nur die lautmalerische Lyrik, die heute vor allem damit verbunden ist. So sind neben den Manifesten selbstverständlich auch die Gedichte - Zug der Elefanten, Wolken, Der Dorfdadaist, um nur einige zu nennen - enthalten, aber auch das “bruitistische” Krippenspiel, der Roman “Tenderenda, der Phantast” sowie Auszüge aus dem Tagebuch “Die Flucht aus der Zeit”, die sich auf jene Monate in Zürich beziehen.

Zwar blieb Hugo Ball (hier der Lebenslauf auf den Seiten der Hugo-Ball-Gesellschaft) dem Dadaismus verbunden, widmete sich jedoch persönlich und literarisch nach seinem Ausstieg aus den Züricher Aktivitäten anderen Themen. Eckhard Faul, Herausgeber des Dada-Bandes bei Wallstein, schreibt:

“Seine Abkehr von Dada verleiht Ball eine Aura der Unbestechlichkeit. Das hebt ihn ebenso von den anderen Dadaisten ab wie seine Stellung als Gründer und erster Theoretiker einer Kunstbewegung, die er selbst nur als Laune begreifen wollte.  Während vor allem Tzara schon früh versuchte, mit Dada künstlerisch zu reüssieren, stand für Ball stets das kindliche, absichtslose Element im Vordergrund. Er setzte die `Kindheit als eine neue Welt, und alles kindlich Phantastische, alles kindlich Direkte, kindlich Figürliche gegen die Senilitäten, gegen die Welt der Erwachsenen.´”

Kurzum - für Hugo Ball galt:

Dada ist die Weltseele,
Dada ist der Clou,
Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.

18 Gedanken zu “Hugo Ball: Zinnoberzack, Zeter und Mordio (1915/2011).

      1. Haha, danke Dir, Birgit ! Cabaret Voltaire waren schon wahnsinnig wichtig für die Entwicklung des Industrial Sounds, Pioniere, sozusagen. Wie die Original-Dadaisten halt auch… ;-)) Trio wär natürlich auch was gewesen ;-)) Dir auch einen schönen Feiertag!

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      2. Nicht so schlimm, dafür kennst Du Dich beim geschriebenen Wort besser aus. Industrial ist eh nur die Musik für den Moment kurz vorm Sprung vom Hochhaus, für uns Frohnaturen also eh nicht so relevant ;-)))

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    1. Liebe Brigitte,
      ja, ich hab mich erinnert, dass Du das Buch vorgestellt hast - danke für die Verlinkung. Na ja, die Männer machen halt immer alles ernster :-) Von Emmy Ball-Hennings gibt es aber auch ganz wunderbare Gedichte, sie ist mal einen eigenen Beitrag wert!
      LG Birgit

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      1. auja, das ist eine super Idee. Mach mal … ich freu mich darauf. Die Männer lassen die Frauen einfach häufig nicht in ihre “elitäre” Verbindung einsteigen … Was sehr schade ist … sie verpassen einiges an Inspiration. Aber dann machen wir Frauen das eben alleine ;)

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