Erstaunlich: Beinahe jeder – jedes Kind – kennt einen Vers von Ringelnatz. In Hamburg lebten zwei Ameisen, die würden sich ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken, aber ich bin so knallvergnügt erwacht, doch: Warte nur balde Kängurst auch Du… (mehr davon bei www.ringelnatz.org).
Man könnte dies unendlich fortsetzen, verknüpft mit dem Hinweis, dass Humor der Knopf ist, der verhindert, dass uns der Kragen platzt – und dass Joachim Ringelnatz alias Hans Gustav Bötticher (1883-1934) ein ganz genialer Knopfmacher war. Dieser liebevoll-augenzwinkernde-freigeistige Humor, der aus vielen seiner Gedichte so genialisch sprüht, mag jedoch auch der Grund dafür sein, dass der Blick auf das „Gesamtkunstwerk“ Ringelnatz oftmals verstellt blieb und bis heute bleibt. Für viele ist er ein Dichter der „leichten Sorte“, zu leicht gewogen, als beinahe seicht empfunden. Das Melancholische seiner Lyrik, die sozialkritischen Verse, die bissigeren Miniaturen und auch die schwermütig-leisen Lieder: Sie sind uns, bis auf einige Liebesgedichte, weitaus weniger geläufig.
Obwohl er selbst über sein Leben an vielen Stellen Auskunft gab, beispielsweise in den autobiographischen Schriften und den vielen Briefen, die sich im Nachlass fanden, sind einem oft nur einige Facetten dieses ungeheuer umtriebigen, ausgefüllten Lebens präsent: Die einen kennen ihn als Matrosen und seine Kunstfigur Kuttel Daddeldu, die anderen als Bühnenkünstler im Münchner Simpl und auf Reisen durch die deutschen Lande, weniger wissen schon vom ambitionierten und begabten Maler, einige wissen von ihm als Freund der Frauen, einige von ihm als Hungerkünstler, andere kennen ihn als Überlebenskünstler, wenige jedoch haben von den vielen, vielen Posten und Pöstchen, die er zur Existenzsicherung annahm, eine Ahnung: Briefkontrolleur, Tabakladenbesitzer, Reklamedichter, Buchhalter…
Bislang gab es erstaunlicherweise trotz dieses romanhaften Lebens über den körperlich klein-zarten und durchaus anmutigen Bühnenkünstler, der gerne auch einen Seepferdchen-Tanz hinlegte, kaum Biographisches. Walter Pape kommt das Verdienst zu, das Ringelnatzsche Gesamtwerk erhoben und herausgegeben zu haben. Eine Biographie schrieb der 1978 verstorbene Herbert Günther, der Ringelnatz 1925 in München kennengelernt hatte und zu einer Art „Hausbiograph“ der letzten Lebensjahre wurde – in der Nähe zum Menschen liegt jedoch auch der Mangel dieses Buches, das zum einen im Ton einen gewissen Anspruch der Allwissenheit pflegt, zum anderen die dunkleren Seiten dieser durchaus nicht einfachen „Bumerang“-Seele eher übergeht resp. schönschreibt. Es fehlt der Schrift an Abstand und an Leichtigkeit.
Mehr als 80 Jahre nach dem Tod des skurrilen Schabernacks ist nun eine Biographie erschienen, die den Schalk mit dem Schabernack im Nacken würdig portraitiert: „War einmal ein Bumerang“ von Hilmar Klute. Klute ist von Berufs wegen einer, der mit solcher sprachlicher Jonglierkunst zu tun hat, wie Ringelnatz sie pflegte – Klute ist Chef der Rubrik „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung, jener Glosse, die beinahe täglich zeigt, wie kunst- und humorvoll der Ernst des Lebens mit den Mitteln der Ironie beschrieben und ausgehebelt werden kann. Ringelnatz wäre ein würdiger Streiflicht-Autor gewesen, das ist mal sicher.
Hilmar Klute konnte für die Arbeit an diesem Buch eine durchaus umfangreiche Quellenlage nutzen – so verwaltet Norbert Gescher, Muschelkalks Sohn, den privaten Nachlass, ebenso recherchierte der Essayist bei der Ringelnatz-Stiftung, im Museum am Geburtsort Wurzen und griff auf die Zeugnisse von Zeitgenossen zurück, darunter Erich Mühsam, Erich Kästner, Carl Zuckmayer – mit dem Ringelnatz nicht allzu freundlich umging – bis hin zu Kurt Tucholsky und Asta Nielsen, der geliebten Freundin, seinem Mädchen mit der „Barfußseele“. So setzt sich ein Mosaik zusammen, aus dem sich das Bild eines Mannes herauskristallisiert, der es wohl selbst zu Lebzeiten in seiner verspielten Versponnenheit Freunden und Mitmenschen nicht immer allzu leicht machte, den „wahren“ Ringelnatz zu ergründen – er lebte beinahe zu viele Leben für ein Leben. Zumal er sich offenbar selbst nicht immer verstand:
„Auf ein „Wie haben Sie das gemacht, Herr Ringelnatz?“ oder das beliebte „Warum schreiben Sie?“ hätte er so wenig geantwortet wie auf die Frage, was ihn auf die Idee für sein Pseudonym gebracht hat: Es ist mir so eingefallen. Es mag sein, dass auch für ihn das Schreiben ein Geheimnis war. Er wollte diesem Geheimnis nicht auf die Spur kommen, es war das Wunder seines Lebens, das er nicht antasten wollte: „Und im dunkelsten Schatten lies das Buch ohne Wort“, hat er in einem Gedicht geschrieben: „Was wir haben, was wir hatten / eines Tages ist alles fort.“
Es ist unfassbar, wie viel Leben in diesen 51 Jahren steckt, die zwischen der Geburt des Hans Bötticher und dem Tod des Joachim Ringelnatz liegen. Die Größe dieses Schriftstellers ist die Summe seiner Erfahrungen und seiner Neuanfänge, wenn man so will: seines glücklichen Scheiterns.“
Hilmar Klute ist es gelungen, diese Fülle in seinem Buch zu erfassen, ohne zu sehr ins Schweifen, ins Abschweifen, in die Spekulation zu gehen – eine Gefahr, der Biographen oft unterliegen. Faktenreich und detailgetreu: ja, doch auch stringent und dabei leichthändig-essayistisch geschrieben, das individuelle Leben in die Zeitläufte einbettend, dabei auch mit Blick auf die Boheme und andere gesellschaftlichen Gruppen, in denen Ringelnatz sich bewegte – vom liberalen Elternhaus über die Mariner-Zeit bis hin zum freien Künstlerdasein. Dies alles mit großer Sympathie, die aus den Zeilen spricht, ohne den Blick von den weniger angenehmen Charakterzüge des nicht immer so humorigen JR abzuwenden:
„Und dann dieser Satz, den man von Hans Bötticher nicht hören möchte und von Joachim Ringelnatz schon gar nicht: „Hüte dich Muschelkalk vor dem jüdischen Bluff „Neu“. Ist Ringelnatz ein Antisemit?“
Klute zitiert aus einem weiteren Brief, lässt auch eine Relativierung nur bedingt zu – da merkt man, wie der Biograph mit seinem Helden ringt:
„Es sind diese beiden Stellen, die ein unfreundliches Licht auf Ringelnatz werfen, die Kleinmut des Kleinbürgers, der in solchen Momenten Dampf ablässt.“
Allerdings! Klute schreibt im Wissen dessen, was Ringelnatz nicht mehr erleben musste und daher auch aus der Haltung eines, der durch „die Gnade der späten Geburt“ sensibilisiert ist für antisemitische Töne. In diesem Fall wohl auch überkorrekt: Denn solche antijüdischen Bemerkungen gehörten in den Zwischenkriegsjahren wenn auch nicht zum guten Ton, aber zur alltäglichen Umgangssprache. Im Leben, in der Tat war es Ringelnatz wohl herzlich gleich, woher einer kam und was einer war – was zählte war die Verbindung, die sich von Mensch zu Mensch knüpfen ließ, zudem schlug er sich gerne als eine Art humoriger Robin Hood auf die Seite der Geknechteten und Entrechteten. Was mit dem Nationalsozialismus auf ihn und seine Freunde zukam, das ahnte er früh und überschattete seine letzten Jahre, die Gesundheit zudem bereits schwer angeschlagen:
Klute zitiert den Journalisten Fred Hildenbrandt: „Ich glaube, der Grundzug seines ganzen Wesens war eine unheilbare, tiefverborgene und mit Alkohol übergossene Trauer.“
Und dann gibt der Biograph dem Leser auf den letzten Seiten noch einige schöne Worte mit auf den Weg:
„Und es ist auch keineswegs so, dass Joachim Ringelnatz als großer Unverstandener in der Nachwelt umgeht. Wer ihn liest, wird ihn sofort verstehen. Er hat zur großen Feier des Lebens eingeladen und jene Menschen, die er für klug genug hielt, mit den Abgründen seines Herzens vertraut gemacht – auch das kann man aus seinen Gedichten, seinen Erzählungen und seinen Erinnerungen erfahren. Joachim Ringelnatz ist als Hans Bötticher aufgebrochen, um das Fremde, das Ferne kennenzulernen und das Geheimnis der Welt zu ergründen. Der Welt ist er manchmal abhandengekommen, oft genug hat er sie auch umarmt und sie ihn.“
Da bleibt nur noch die Aufforderung übrig: Die Biographie lesen – es lohnt sich. Aber vor allem: Ringelnatz. Und dann: Die Welt umarmen, das Leben feiern.
Hilmar Klute, War einmal ein Bumerang. Das Leben des Joachim Ringelnatz
Verlag Galiani Berlin 240 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-86971-109-6
Link mit den Verlagsangaben:
http://www.galiani.de/buecher/hilmar-klute-war-einmal-ein-bumerang.html
Und Jochen Kienbaum war mit Hilmar Klute auf den Spuren von Ringelnatz in Berlin unterwegs - ein schöner Streifzug durch die Ringelnatzsche Welt rund um den “Sachsenplatz”. Hier geht es zum literarischen Spaziergang: http://lustauflesen.de/ringelnatz-in-berlin/.
PS: So respekt- und liebevoll die Annährung von Hilmar Klute an den zeitweiligen Wahl-Münchner Ringelnatz ist, so liebevoll ist auch die Gestaltung des Buches – die Bilder des Beitrags zeigen die Innenseiten des Covers.