Alles ist faul im Staate Heinrich Blaubarts und seiner Nachkommen. Da wird am Hofe Elisabeths I. antichambriert, hofiert, intrigiert, um Leib, Leben und Status gekämpft und dennoch ist aufgrund verwickelter Verwandtschaftsverhältnisse, unüberschaubarer Machtspiele und unüberbrückbarer Religionsfragen kein Kopf vor dem Rollen sicher. Und über alledem thront die Queen – die die Fäden in harter Hand hält, die die Puppen tanzen lässt.
Inger-Maria Mahlke hat sich eine der turbulentesten Epochen der englischen Geschichte für ihren Roman „Wie ihr wollt“ herausgepickt. Und legt damit ein Buch vor, das kräftig gegen die allgemeinen Klischees und gegen den Strich in Sachen Historienroman gebürstet ist: Die Heldin, das ist keine strahlende, liebreizende, holde Jungfer, ein positiver Held fällt komplett aus, und überhaupt mangelt es an echten Sympathieträgern in diesem Roman, in dem alles Verwicklung ist bis hin zur überaus verschachtelten Erzählstruktur und seiner düsteren, ausweglosen Kammerspiel-Atmosphäre. Zudem wird der historische Stoff, der eine interessante Figur des elisabethanischen Zeitalters in den Mittelpunkt rückt, durch eine moderne, frische Sprache konterkariert.
Also die Warnung gleich vorneweg: Das ist kein Roman fürs „easy reading“. Wer sich die englische Geschichte und Shakespeare-Dramen nicht bereits schon verinnerlicht hat, wird sich zunächst bei der Lektüre dieser „literarischen Aneignung eines historischen Stoffes“ (so die Autorin über ihren Roman) schwer tun. Und auch der vorangestellte Stammbaum sowie Kurzcharakteristika der Figuren am Ende des Buches erleichtern den Lesefluss nicht – das Buch ist beinahe aufgebaut wie ein Puzzlespiel, mit Sprüngen vor- und rückwärts durch die Chronologie und Familiengeschichte, so sprunghaft wie der Gedankenfluss der Anti-Heldin.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Mary Grey, einer kleinwüchsigen Adeligen mit entfernten Thronansprüchen und einer unstatthaften Heirat. Wer Elisabeths ehernen Willen zuwider handelte, wurde kurzerhand verbannt (die gesündere Variante), in den Tower verfrachtet oder geköpft. Nicht wenige aus Mary Greys Verwandtschaft ereilte dieses Schicksal – getowert und geköpft. Für letzteres schien jedoch auch die echte Mary Grey nicht wichtig oder gefährlich genug – jahrelang wurde sie bei königlichen Gewährsleuten gefangen und vom Hofe fern gehalten. Der Roman setzt dort an, als die frisch verwitwete Mary sich um eine Rehabilitierung bemüht – erlebtes Erzählen, Tagebuchnotizen der Protagonistin, Erinnerungsfetzen und kleine dramatische Szenen mit ihrer Dienstmagd fügen sich nur allmählich zu einem Gesamtbild zusammen.
Im Grunde ist der Roman ein düsteres Kammerspiel mit zwei Personen – ein Beziehungsdrama zwischen einer eingesperrten Kleinwüchsigen, die trotz innerer Opposition und Rebellion auch die Träume von Anerkennung und Aufstieg nicht unterdrücken kann und ihrer sperrigen, wortkargen Dienerin, die Reibungsfigur, Gefangenenwärterin und Verbindungsperson zur Außenwelt zugleich ist.
Wer die Lesekonzentration für die sprunghafte Erzählweise aufbringt, der kommt in den Genuss eines durchaus unterhaltsamen Psychogramms: An den bissigen Ergüssen des „Giftzwergs“ Mary Grey, die in inneren Monologen zunehmend deutlicher ihre Verbitterung und Bosheit über Intriganten, Karrieristen und Wendehälse ausschüttet, kann man sich ergötzen.
Ans Herz wächst einem die arme Gefangene dennoch nicht. Mary Grey ist letzten Endes keine Identifikationsfigur – ist sie doch nicht nur in den Ketten ihrer körperlichen Behinderung gefangen, sondern auch in den Ketten ihrer eigenen (Macht-)Ansprüche. Ihr Käfig ist - trotz allem Willen zur Selbstbehauptung - auch ein Selbstgewählter. Sie bleibt eine Getriebene, eine, die nach öffentlicher Anerkennung als Mitglied des Hofes hungert. Zwar könnte man Mary Grey trotz ihrer Widersprüchlichkeit und äußerlichen Machtlosigkeit auch als moderne Frauenfigur interpretieren – in ihren Tagebucheinträgen wird der kritische, distanzierte Blick auf Ränkespiele und Neurosen deutlich, analysiert sie das Geschehen klar und begehrt dagegen zumindest in ihren Notizen auf, auch wenn sie selbst Gefangene ihrer eigenen Herkunft bleibt. Dennoch bleibt sie als Figur ambivalent, zweideutig.
Das trotzige „Wie ihr wollt“ des Titels bezeichnet ein Anti-Programm zum shakespearianischen Illyrien in „Was ihr wollt“: Wer mich (Mary Grey) nicht will, der hat halt schon gehabt…eine Trotzreaktion, weil die Hauptfigur nur zu deutlich erfährt, wie es ist, wenn man in mehrfacher Hinsicht nicht dazugehört, wenn man ausgeschlossen bleibt.
Der Roman ist konzeptionell eine Herausforderung – man könnte auch sagen: streckenweise etwas mühsam in seiner Verklitterung. Doch Inger-Maria Mahlke punktet (bei mir zumindest) mit einer lakonischen, teils bissigen, teils knochentrockenen Sprache. Dennoch war ich über die Platzierung auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis überrascht – aber so ist es eben mit Jury-Entscheidungen: Wie es Euch gefällt.
Inger-Maria Mahlke, „Wie ihr wollt“, Berlin Verlag, 2015, 272 Seiten.
Bestellmöglichkeit bei Buchhandel.de.
Shakespeare-Vorbildung gefragt - so ist’s recht… 😉
Viele Grüße,
Gerhard
Naja, den GANZEN Shakespeare musst Du nicht gesehen haben…fünf Jahre englisches Internat tuns auch 🙂
Na dann bin ich ja beruhigt ;-))))
Liebe Birgit,
wie schön, wieder von Dir zu lesen, hurra und jippie!!! Und dann noch mit der Besprechung eines Romans, der mich so gar nicht reizt. Wahrscheinlich ist für das Nicht-Reizen eine schlimme Englisch LK-Allergie verantwortlich, die sich aber, ich weiß auch nicht wie und warum, erst in den Nachschulzeiten - also nur auf der Grundlage der Erinnerungen - entwickel hat. — Liest Du denn noch Peltzer und Trojanow? Bin schon sehr gespannt.
Viele liebe Grüße, Claudia
Hurra und jippie zurück 🙂 (Und: DANKE).
Ja, und interessant ist, dass hier und bei anderen viele doch kommentieren, dass dieser Roman sie nicht reizt - tatsächlich halte ich ihn eher auch für einen „Nischenroman“: Sprich ein Buch, das vor allem Leser mit einer Affinität zu dieser Epoche anspricht…Peltzer lese ich gerade. UND: Ich bin begeistert. Damit wohl aber ziemlich allein auf weiter Flur. Trojanow habe ich abgebrochen - das fiel mir vor drei Wochen beim Lesen schwer, da muss ich einen neuen Anfang machen…aber mir erschien es etwas „sperrig“.
Liebe Grüße, Birgit
Na dann sind wir aber doch schon mal zu zweit mit der Begeisterung für Peltzer und können uns die Bälle nur so zuspielen. Tobias von Buchrevier im Gespräch bei KiWi am Stehtisch zu überzeugen, ist mir dagegen nicht gelungen. Immerhin will er es noch einmal mit dem Hörbuch versuchen. Ich judenefalls bin gespannt auf Deinen Peltzer-Beitrag!
Viele Grüße, Claudia
Mir gehen soviele Gedanken zu dem Buch durch den Kopf, dass ich beinahe jetzt prokastriniere…
Das kenne ich. Im Moment lese ich schneller, als ich zum Schreiben komme bzw. Lust zum Schreiben habe…
Liebe Birgit,
das hört sich für mich sehr interessant an. Ich hoffe, dass ich das Buch bald bei uns in der Bücherei finde. Wir haben eine neue Bücherei, die ich sehr schätze. Sie hat vor 3 Wochen geöffnet.
Einen schönen Tag wünscht dir
Susanne
Liebe Susanne, ich bin gespannt, wie Dir die Erzählstruktur gefällt…mich hat es schon sehr viel Konzentration gekostet, trotz der durchaus spannenden Hauptfigur!
Viele Grüße, Birgit
Liebe Birgit, großartig, wieder von dir zu lesen! Und dann auch noch mit so einem tollen Beitrag, der mich sehr differenziert über ein Buch informiert, das ich vermutlich selbst nicht (so bald) lesen werde. Allerbesten Dank!
Ähnlich wie Claudia…irgendwie scheint meine Besprechung eine abschreckende Wirkung zu haben?
Liebe Birgit, nein. Gar nicht abschreckend. In gewisser Weise sogar eher das Gegenteil. Also, bei Büchern, von denen vollkommen klar ist, dass sie (nach Umfang oder Schreibweise oder „Thema“) eine gewisse Herausforderung stellen, gilt ja noch mehr als sonst, dass mich etwas an ihnen „reizen“, interessieren muss - zumal es ja bereits einen riesigen Berg an Büchern gibt, die mich sehr reizen (wenn ich nur an diejenigen denke, die du mir nahegebracht hast!) - und das hatte ich in den bisherigen Besprechungen nicht entdeckt - wohl aber bei dir. Aber es reicht nicht. Wenn ich mit einem Bild sagen darf 😉 Ich würde große Anstrengungen auf mich nehmen, um ans Meer zu kommen, aber nicht, um einen Berg zu besteigen. So ist es nun mal. Anderen geht es ganz offenbar anders … Herzliche Grüße und einen schönen Freitag!
Liebe Jutta,
das ist ein schönes, passendes Bild: manche Bücher sind das Meer, für die sich das strampeln und paddeln lohnt, andere Berge (und obwohl Süddeutsche will auch ich lieber gegen den Strom schwimmen als auf einen Berg zu hecheln.). LG Birgit
Find ich auch schön, daß Sie wieder da sind, wie mir das Buch gefallen hat, das ich voriges Wochenende gelesen habe?
Da kann ich mich nur dem „Grauen Sofa“ anschließen, eine schöne Sprache und auf Inger Maria Mahlke war ich auch neugierig, seit ich sie beim Bachmannlesen gehört habe, wo sie die prekären Verhältnisse schilderte und die interessieren mich glaube ich mehr, als das sechzehnte Jahrhundert, obwohl es dort sicher auch prekär zuging, beziehungsweise gewalttätig, Hausarrest wegen unerlaubter Ehe oder so.
Ich fürchte, ich habe mich auf das easy reading nicht so ganz eingelassen, weil mich Elisabeth I und ihr Zeitalter und die Intrigen darum herum, einfach nicht so interessierten.
Alles vor dem ersten Weltkrieg ist es mir zuweit weg. Sheakespeare mag ich deshalb glaube ich auch nicht so.
Aber ein schöner Roman mit einem schönen leisen Ton, vielleicht ist der nächste wieder etwas aktueller.
Ich lese gerade den Setz, da werde ich mehr befriedigt und ansonsten, könnte ich mir gute Chancen für den Preis vorstellen, obwohl ich den Lappert, von dem ich das auch öfter hörte, noch nicht gelesen habe, glaube aber, das das Thema viele Mütter und Schwiegermütter oder lesende Frauen der Mittelschicht interessierend könnte und sie das Buch daher zu Weihnachten bekommen.
Hier noch meine Besprechung https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/09/27/wie-ihr-wollt/ ansonsten alles Liebe aus Wien
Für mich ist das Buch ein Highlight des Jahres! Ich habe es richtig genossen, da ich schon viel über die Tudors gelesen habe und sie eines meiner historischen Lieblingsthemen sind, war das Buch für mich aber auch einfach zugänglich. Ich würde es gern als Siegertitel sehen, aber ich denke, dass die Jury sich für ein anderes Werk entscheiden wird.
Das ist interessant - aber bestätigt vielleicht auch meine Vermutung, dass Leser, die das elisabethianische Zeitalter mögen und kennen, das Buch anders bewerten als andere…aber als Siegertitel sehe ich es nicht - dazu ist es vielleicht zu speziell (außerdem hätte ich einen anderen Favoriten, aus meiner Sicht 🙂 )
Wir haben in der Runde die Leseprobe ganz gerne gelesen und kamen auch gut klar damit, aber ich persönlich bin nicht hingerissen genug, das ganze Buch lesen zu wollen und ziehe tatsächlich Shakespeare vor, der übrigens, ‚jancak‘, ungemein aktuell und frisch sein kann, wie wir bei unseren Shakespeare-Mondays alle finden. Und außerdem bin ich gespannt auf den dritten Band von Hilary Mantels historischem Trio (Wölfe, Falken, und…. - hab ich allerdings englisch gelesen). „das Buch ist beinahe aufgebaut wie ein Puzzlespiel, mit Sprüngen vor- und rückwärts durch die Chronologie“ - kann man bei Mantel auch so sagen, und jeder Band nötigte mich, ein paar Mal zurückzublättern, aber es lohnte dann auf jeden Fall.
Shakespeare ist ein Evergreen, der wird nie alt oder unmodern, das meine ich auch!
Gegen Sprünge und ein wenig Anstrengung für den Leser habe ich auch gar nichts - nur in diesem Roman fand ich es etwas mühsam, zumal ja auch die Personen oft nicht mit Namen genannt, sondern als „liebe Cousine“, „nicht so liebe Cousine“ (müsste ich jetzt nochmals nachschlagen) tituliert werden - das war alles ein wenig mühsam. Die Frauenfigur dagegen fand ich interessant, über die echte Mary würde ich sehr gern mehr lesen…
In „Falken“ ging Hilary Mantel dazu über, von „he, Thomas“ etc. zu schreiben, weil die Leser sich in „Wölfe“ über Mühe bei der Zuteilung beklagt hatten. Dann fanden sie das wieder zu gekünstelt. Wie beim Vater, sohn und Esel… Bei der Henri Quatre Drumherumlektüre war ich erstaunt, wie frisch Marguerite de Valois (Moargot) schrieb. Es ist immer ein Irrtum zu denken, dass „historische Figuren“ akltertümlich und verstaubt sind, findest Du doch auch?
Da sind wird uns vollkommen einig: Es gibt so viele historische Figuren, die uns immer noch etwas zu „sagen“ haben. Bzw. historische Stoffe, die zeitlos sind. Und wenn es nur für die Allerweltweisheit reicht: Die Welt, die Technik, die Gesellschaft mag sich weiterentwickeln, der Mensch bleibt aus dem gleichen Stoff gemacht und von ähnlichen Leidenschaften getrieben.
Ich denke zudem, dass gerade die Auseinandersetzung mit einer historischen Figur sogar Vorteile hat - weil man distanzierter auf sie schaut und dadurch vielleicht aber auch mehr erkennt als beim Lesen über jemanden, der mein Zeitgenosse sein könnte.