KURZ&KNAPP: Amerikanische Nestbeschmutzer - Upton Sinclair, Theodore Dreiser und John Steinbeck

In den USA gibt es eine ausgeprägte Tradition engagierter Literatur: Schriftsteller, die von Präsidenten gerne auch als „muckraker“ beschimpft wurden.

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Bild: Michael Flötotto

„Bis vor ein oder zwei Jahren waren auf den Schlachthöfen auch Pferde geschlachtet worden, angeblich zur Herstellung von Düngemitteln; aber nach langer Agitation hatte die Presse der Öffentlichkeit klarmachen können, dass die Pferde in die Fleischkonserven wanderten. Jetzt war es daher gesetzlich verboten, in Packingtown Pferde zu schlachten, und dieses Gesetz wurde sogar befolgt – jedenfalls vorläufig.“ 

Upton Sinclair, „Der Dschungel“, 1906, Neuauflage beim Europa Verlag Zürich 2013.

Eine große Zeit der politischen Romane lag in der amerikanischen Literatur in den bewegten 1920er und 1930er Jahren. Insbesondere Sinclair Lews (1885-1951), der erste amerikanische Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis erhielt, steht für diese Phase der kritischen Darstellung amerikanischer Gegenwart – ihm wird beizeiten hier ein eigener Beitrag gewidmet werden. Heute der Fokus auf drei andere Autoren und ihre Romane, die - wenn auch kurz - die Welt ein wenig verändert haben.

Upton Sinclair (1878-1968) landete 1906 mit seinem Debütroman “Der Dschungel” einen literarischen und politischen Sensationserfolg. Er verstand sich selbst als Enthüllungsjournalist, der mit seinen Texten Missstände offenlegen wollte. Für den Dschungel hatte er über Wochen hinweg in den Schlachthöfen Chicagos recherchiert – und war dort tatsächlich auf einen Dschungel gestoßen, in dem ein eigenes Gesetz gilt, in dem nur die Stärksten überleben. Sein Buch schildert schonungslos die menschenverachtenden Arbeitsmechanismen der Lebensmittelindustrie am Beispiel einer litauischen Familie, die an den Härten der Ausbeutung untergeht. 

Sinclair zeigt die Folgen eines gnadenlosen, nur auf Gewinn ausgerichteten Kapitalismus: Monopolisierung, Schieberei, Korruption, Zwangsprostitution, Ausbeutung, Armut, Umweltzerstörung. Das ganze Spektrum in einem Roman. Der Autor, der selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammte, wurde im Nachgang als „muckraker“, sprich Nestbeschmutzer angeprangert – man könnte das „muckraking“ fast schon als spezifische Stilart der nordamerikanischen Literatur bezeichnen: Auch John Steinbeck, Theodore Dreiser, John Reed und Dos Passos gehören mit zu dieser Klasse engagierter, linker, journalistisch geprägter Literaten. 

Trotz der Diffamierungsversuche blieb das Buch nicht ohne Folgen: „Onkel Toms Hütte der Lohnsklaverei“ (Jack London) führte immerhin zu neuen Lebensmittelgesetzen. Sinclair war jedoch enttäuscht, dass die amerikanischen Bürger mehr an der Qualität der Konserve als am Schicksal der Arbeiter interessiert waren. „Ich zielte mit meinem Roman auf das Herz und das Gewissen der Amerikaner, aber ich traf nur ihren Magen“, beklagte er sich später….oder wie Brecht sagte: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ 

Sinclairs Werke wurden in zahllose Sprachen übersetzt und gingen um die Welt. In der Weimarer Republik war er einer der meistgelesenen Autoren. Stilistisch und literarisch gehören seine Romane nicht zur ersten Garde – Sinclairs Dschungel ist stark dort, wo er die Auswirkungen der Massenausbeutung auf einen seiner Protagonisten schildert. Das Buch ist aber auch streckenweise belehrend, detailversessen und trocken-mühsam: Die sozialistische „Erweckungspredigt“ mit fast schon biblischen Zügen wirkt etwas verstaubt.  

Eine amerikanische Tragödie - Theodore Dreiser

“The usual criticism of Dreiser is that, line for line, he’s the weakest of the great American novelists. And it’s true that he takes a pipe fitter’s approach to writing, joining workmanlike sentences one to the other. But by the end he will have built them into a powerful network, and something vital will be flowing through them.”

So lautete 2010 das Urteil von Richard Lacayo, der in der Time an den Roman “Eine amerikanische Tragödie” (1925) erinnerte. 

Stimmt: Ein Lesevergnügen ist dieser Wälzer nicht – vor allem, wer zuvor die Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Montgomery Clift gesehen hat, der wird anhand der Dutzenden von Seiten, die von Erweckungspredigten und religiösem Eifer handeln, kapitulieren. Glamour ist was anderes. Und dennoch: So minutiös, wie Dreiser (1871 – 1945) den Aufstieg und Fall des jungen Clyde Griffiths, der schließlich auf dem elektrischen Stuhl endet, schildert, lässt einen das 800-Seiten-Buch nicht unberührt. Die Stärke des Romans liegt in seiner Gesamtheit: Ihn zu lesen, bedeutet Arbeit, doch das Ergebnis sind Figuren und Schicksale, die man nicht vergisst.

Die Story in der Kurzfassung: Clyde gelingt es, sich aus den Fängen des bigotten Vaters, der sich als Straßenprediger durchschlägt, zu befreien, in dem er zunächst Hoteljunge wird. Ein Leben immer am Rande von Armut und Kleinkriminalität. Durch Zufall trifft er auf einen reichen Verwandten, der ihm einen Job in seiner Fabrik vermittelt. Dort erfährt er zwar erstmals materielle Sicherheit, aber auch Ausgrenzung: Der Zugang zum “Geldadel” seines Onkels bleibt ihm verwehrt, bis sich ein Mädchen aus besseren Hause in ihn verliebt. Sein Aufstieg wäre perfekt, wäre da nicht die Arbeiterin Rosalie, die behauptet, von ihm schwanger zu sein. Clyde plant zwar, Rosalie umzubringen, tut es jedoch nicht – und wird dennoch (wegen anstehender Wahlen und dem Druck auf die Staatsanwaltschaft) zum Tode verurteilt. Ganz im Stil der französischen Naturalisten wie Zola und Balzac zeigt Dreiser an “der amerikanischen Tragödie” das Zusammenspiel des Dreigestirns “Sex, Geld und Macht” auf. Clyde Griffiths, so wird deutlich, hatte niemals eine wirkliche Chance, den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär zu leben.

Dreiser war, trotz seines schwerfälligen und streckenweise moralinsauren Tons, auch in Europa und natürlich in der Sowjetunion ein vielgelesener Schriftsteller. Er stammte selbst aus einer Familie ähnlich jener seiner Hauptfigur Clyde – er war das zwölfte Kind in einer deutschen Einwandererfamilie, die unter Armut und der Bigotterie des Vaters litt. Das Schreiben bedeutete für ihn auch eine Befreiung aus diesen engen Verhältnissen.  

Früchte des Zorns - John Steinbeck

“Eine Minute lang saß Rose von Sharon still in der Scheune, auf deren Dach leise der Regen flüsterte. Sie ging langsam hinüber in die Ecke und blickte herab in das verwüstete Gesicht, in die großen angstvollen Augen. Und dann legte sie sich neben ihn. Er schüttelte müde den Kopf. Rose von Sharon lockerte ihre Decke an einer Seite und entblößte ihre Brust. “Du must”, sagte sie. Sie drängte sich dichter an ihn und zog seinen Kopf zu sich heran. “Komm, hier!” sagte sie. “So.” Sie schob ihre Hand hinter seinen Kopf und stützte ihn. Ihre Finger fuhren sanft durch sein Haar. Sie blickte auf und durch die Scheune, und ihre Lippen schlossen sich und lächelten geheimnisvoll.”

Das ist eines der literarischen Bilder, die man wohl nie vergisst: Die junge Frau, die eine Totgeburt erlitten hat und einen verhungernden Mann, einen Landstreicher wie sie, an ihrer Brust trinken lässt. Harter Tobak, mit dem John Steinbeck (1902 – 1968) seine “Früchte des Zorns” enden ließ. Man spürt in dieser Schlußszene förmlich, wie der Autor sein lesendes Publikum noch einmal packen und rütteln will: Schaut her, was bei uns im Lande geschieht.  

Der Roman entstand 1937/1938 und erschien unter dem Originaltitel “The Grapes of Wrath” 1939. Er erregte sofort Aufsehen, wurde in einigen amerikanischen Bundesstaaten verbrannt, in Kalifornien sogar zwischenzeitlich verboten, aber auch 1940 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet und noch in diesem Jahr von John Ford erstklassig verfilmt. John Steinbeck kannte die Nöte der Wanderarbeiter aus eigener Erfahrung: Er hatte selbst in Kalifornien als Erntehelfer gearbeitet und die Not der Farmerfamilien, die in den Depressionsjahren ihr Hab und Gut verloren hatten und sich auf der Suche nach Arbeit auf Wanderschaft befanden, kennengelernt. In “Früchte des Zorns” schildert Steinbeck anhand der Familie Joad ein typisches Schicksal jener 1930er-Jahre: Schlechte Ernten, vor allem aber die drückende Kreditlast und die Unnachgiebigkeit der Banken führen dazu, dass die Familie ihre Farm in Oklahoma verliert. Kalifornien wird als das Paradies für Arbeitssuchende angepriesen – doch die Familie wird schon auf dem mühsamen Weg dorthin mit der Realität konfrontiert: Die landlosen Arbeiter werden ausgebeutet, kaum bezahlt oder um ihren Lohn geprellt, in den Schlaflagern ausgepresst und ausgenommen. Sie leben tatsächlich immer am Rande des Verhungerns. Steinbeck, der große Humanist, schildert diesen Passionsweg voller Anteilnahme für seine Figuren, zugleich aber auch mit dezidierter Kritik an den Verhältnissen.  

Wie “Der Dschungel” hatte auch “Früchte des Zorns” unmittelbare Auswirkung auf die amerikanische Gesetzgebung: Die beiden Romane wurden öffentlich so stark diskutiert, dass die Legislative folgen musste und jeweils die Rechte der Verbraucher und der Arbeiter stärkte. Die amerikanische Tragödie löste wieder einmal eine Diskussion um die Todesstrafe aus - ohne gravierende Folgen allerdings.

Zumindest kurzfristig konnten diese Bücher die Welt minimal verbessern – wenn man über eine “nachhaltige” Wirkung nachdenken würde, müsste man eigentlich verzweifeln. Siehe hier: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/04/22/fruechte-des-zornsund-des-widerstands/

13 comments on “KURZ&KNAPP: Amerikanische Nestbeschmutzer - Upton Sinclair, Theodore Dreiser und John Steinbeck”

  1. Es ist einfach ungeheuerlich,was wir alles tun, um reich zu werden und daran hat sich bis heute nichts geaendert! Ich danke dir,lieber Birgit, fuer deinen eindruecklichen Bericht und, da ich den „Dschungel“ noch nie gelesen habe, werde ich das jetzt nachholen. Cari saluti

    1. Liebe Martina, ja, wenn man diese Bücher im Kopf hat und dann sieht, wie wenig sich verändert - man könnte Zornanfälle bekommen. Den Dschungel las ich, als gerade bei uns dieser Fleischskandal war - rund 100 Jahre später und die selbe Sauerei. Und das Ausbeuten von Erntehelfern: Das ist ja bei uns wieder „Standard“, auch in Deutschland. Liebe Grüße Birgit

  2. „Wie ‚Der Dschungel‘ hatte auch ‚Früchte des Zorns‘ unmittelbare Auswirkung auf die amerikanische Gesetzgebung: Die beiden Romane wurden öffentlich so stark diskutiert, dass die Legislative folgen musste und jeweils die Rechte der Verbraucher und der Arbeiter stärkte.“ => immerhin doch auch ein beispiel dafür, dass literatur eben doch veränderungen bewirken kann (wird ja manchmal in frage gestellt).

    danke für diesen beitrag, birgit!

    1. Liebe Pega, zumindest kurzfristige Änderungen - was seinerzeit die landlosen Farmer waren sind heute die illegal eingewanderten Mexikaner, die in Kalifornien und Florida für wenig mehr als nichts schuften müssen. Ich wünschte mir, auch heute hätten Bücher noch die Macht, solche Diskussionen anzustoßen.

  3. Upton Sinclair ist schon länger auf meiner Liste, aber trocken mühsam klingt nicht gut. Vielleicht lese ich einfach bald wieder einen John Steinbeck - wir beide können gut miteinander. Liebe Grüße 🙂

    1. Nicht das ganze Buch ist trocken und mühsam - ist vielleicht missverständlich. Aber es gibt halt etliche Passagen, in denen der sozialistische Journalist durchbricht - und das ist jetzt literarisch eher nicht so top 🙂 Dennoch würde ich es empfehlen!

  4. Liebe Birgit, das Buch Früchte des Zorns hat mich in meiner Teenager Zeit sehr beeindruckt. Ich habe die Szene, wo die junge Frau mit dem verstorbenen Baby den alten Mann säugt nie vergessen.
    Einen schönen Abend von Susanne

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