Vorstädte sind auf der ganzen Welt irgendwie gruselig. Dort versammelt sich eine ganz eigene Subkultur: Meist die Mittelstands-Durchschnittsfamilie, deren Einkommen für ein Leben mitten drin im Puls der Stadt nicht ausreicht, das aber doch dafür genügen muss, eine gewisse Fassade aufrechtzuerhalten. Meist Potemkin’sche Dörfer, Schlafstädte, die Ernährer in der Arbeit, die Kinder aufgeräumt in der Schule, die Mutter bei irgendwelchen Wohlfahrtsaktivitäten oder auf dem Tennisplatz gefangen. Wenn sich tagsüber was bewegt, dann ist es ein Gärtner oder ein Hausmädchen, sofern man sich das leisten kann. Leisten können muss: Denn was der Nachbar hat, das will man meistens auch, deutlich zu sehen am einheitlichen Fuhrpark, den genormten Gattinnen, den Hobbies Kirchenchor, Golfclub, Tennisverein.
Vor allem in der amerikanischen Literatur der 50er bis 70er Jahre fand die Vorstadt ihren Niederschlag, wurde selten so klarsichtig, unnachgiebig und auch zynisch geschildert wie in einigen Romanen der großen amerikanischen Autoren dieser Zeit – Richard Yates vorneweg, aber auch John Cheever, John Updike und Sloan Wilson. Das Leben in der Vorstadt scheint sich in diesen Büchern nur alkoholisiert ertragen zu lassen: Der Ehemann gehört zur Spezies Pendler, der mittags mit den Kollegen (oder der Geliebten in der Stadt, oft eine Sekretärin aus der Firma) gerne schon die ersten Drinks kippt, derweil die Gattin, sofern nicht intellektuell noch von Höheflügen und Träumen einer anderen Welt geplagt, sich im Kreise der Vorstadtdamen an Cocktails delektiert. Und die gemeinsamen Stunden am Abend sind ebenfalls nur promillegeschwängert zu ertragen. So sind die Vorstadtromane oftmals auch Psychogramme junger Ehepaare auf dem Weg hin zu einer eheimmanenten Altersgereiztheit – wenn der Tod sie nicht schon vorher scheidet. Liebe, die kurz und manchmal schmerzhaft erstickt wird von den Konventionen der spießigen Vorstadtgesellschaft.
Machen wir mal ein paar Besuche in der amerikanischen Vorhölle.
Besuch eins führt uns zu Betsy und Tom Rath. Ihr Schöpfer: Sloan Wilson, „Der Mann im grauen Flanell“, erschienen 1955:
Wie seltsam sind doch Erinnerungen, dachte er. Die arme Betsy, sie hätte einen mit Geld heiraten können, einen, der sie heute jeden Winter nach Florida bringen könnte, einen ohne alle Sorgen, der lächeln würde und fröhlich wäre, während die Köchin das Abendessen machte und das Serviermädchen es auftrug und Betsy lächelnd dasaß.
Wie ist es heute gelaufen? fragte Betsy, als sie ihn am Abend vom Bahnhof abholte.
Gut, sagte Tom, wie er es immer sagte. Es hat keinen Zweck, den Ärger mit nach Hause zu nehmen, hat jemand mal gesagt. Man soll ihn im Büro lassen.
Zur Buchbesprechung: http://saetzeundschaetze.com/2014/05/10/cocktailscapitalism-der-mann-im-grauen-flanell/
Tom und Betsy Rath kommen, so viel sei hier verraten, nochmals davon. Das junge Paar hat zwar ein nicht geringes Päckchen zu tragen – doch was hier letztlich den Kitt zusammenhält, ist gegenseitiges Verständnis und das Wissen, dass es Dinge gibt, die mehr zählen als Vorstadthaus, Vorstadtauto, Vorstadtaktivitäten. Ein Band zwischen den Beiden, das tragfähig ist – und das sie von dem nächsten Vorstadtpaar wesentlich unterscheidet.
Besuch zwei führt zu Frank und April – die tragischen Helden aus „Zeiten des Aufruhrs“ von Richard Yates. Besser noch ist meiner Meinung nach der Original-Titel des 1961 erschienenen Buchs, „Revolutionary Road“:
Zwei Jahre zuvor hatten sie diese Strecke, als zustimmend nickende Beifahrer im Kombi von Mrs. Helen Givings, einer Immobilienmaklerin, zum ersten Mal zurückgelegt. Am Telefon war Mrs. Givings höflich, aber zurückhaltend gewesen – oft genug kamen Leute aus der Stadt hier heraus und verschwendeten die Zeit der Maklerin damit, dass sie unakzeptable Kaufbedingungen aushandeln wollten -, doch schon von dem Augenblick an, als die Wheelers aus dem Zug gestiegen waren, hatte Mrs. Givings, wie sie später ihrem Mann erzählte, in den beiden ein Paar erkannt, mit dem es, trotz der niedrigen Preiskategorie, nur wenig Probleme geben würde.
So kann man sich täuschen – denn das Haus in der Revolutionary Road wird für das Paar ein schlechtes Geschenk, Mrs. Givings gibt April und Frank, die anfangs scheinbar voller Ambitionen und Hoffnungen, voller Liebe und Zuneigung sind, letztendlich den Schlüssel zu einem falschen Haus, zu einem falschen Leben. Während Frank sich zunächst bei seinem Job langweilt, hofft April immer noch, dass die einstmaligen Träume von der Bühne wahr werden könnten. Doch das Leben läuft anders: Frank beginnt die übliche Karriere und April verblüht in der Vorstadt. Ein letztes Aufbäumen scheint der Plan zu sein, nach Frankreich auszuwandern. Doch so eine Revolution, das lässt die Belegschaft der Revolutionary Road nicht zu – und Frank schließlich entpuppt sich als das, was er von Beginn an war: Ein Blender, der sich gerne mit dem kleinen Leben in der kleinen Stadt zufrieden geben würde, sofern es ihm alle Freiheiten bereithält.
Eine ähnliche Eheanalyse von gescheiterten Träumen schrieb Yates mit „Young hearts crying“ (zu Deutsch: „Eine strahlende Zukunft“).
Zur Buchbesprechung hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/03/09/richard-yates-young-hearts-crying/
Wer meint, hinter- und untergründiger ließe sich Vorstadt-Tristesse nicht beschreiben, der täuscht. Das giftigste, böseste Buch zum Thema stammt in dieser Reihe von John Cheever: „Die Lichter von Bullet Park“, 1969 erschienen. Was in dieser fiktiven, aber wirklichkeitsnahen Vorhölle von denen, die sich hier ansiedeln wollen, erwartet wird, das wird schon beim Hausverkaufsgespräch ganz klar. Besuch Nummer drei:
Im Ort gibt es vier Kirchen. Vom Gorey Brook Country Club haben Sie wahrscheinlich schon gehört. Dort gibt es einen herrlichen, von Pete Ellison entworfenen Achtzehn-Loch-Golfplatz, vier regenfeste Tennisplätze und ein Schwimmbad. Hoffentlich sind Sie kein Jude. Da gelten hier nämlich strenge Prinzipien. Ich selbst habe keinen Pool und empfinde das, ehrlich gesagt, als Manko. Wenn sich die anderen über Chemikalien und so weiter unterhalten, ist man vom Gespräch ausgeschlossen.
Cheever, der auch mal gerne als „Tschechow Amerikas“ oder „Chechov of Suburbia“ bezeichnet wird, erzählt hier mit einem gnadenlosen Blick auf die Mittelschicht. Nicht ist und bleibt so „herrlich, herrlich, herrlich, herrlich wie früher“, um den allerletzten, bösen Satz dieses Buches zu zitieren. In dem Roman wird der Blick auf zwei Familien geworfen, die sind, wie Hammer und Nägel: Zunächst steht der unauffällige Marketingangestellte Nailles im Fokus, der die gutfunktionierende Fassade jedoch nur noch mit Medikamenten aufrechterhalten kann. Eliot Nailles trifft auf seinen neuen Nachbarn Paul Hammer, dem der zweite Teil des Buches gewidmet ist. Ein Alkoholiker, der mit dem psychopathischen Plan, Nailles zu töten, nach Bullet Park zieht. Die Verbindung der beiden Männer, die letztendlich selber nur Opfer dieser Hölle der Vorgärten sind, erschließt sich erst im Laufe des Buchs. Doch eines wird schnell klar: In diesem Biotop bigotter, judenfeindlicher, schwulenhassender Vorstadtscheinheiliger braucht man so oder so alle Geisteskräfte, um nicht den Verstand zu verlieren.
Was geschieht, wenn man in älteren Jahren in die Kleinstadt seiner Jugend zurückkehrt, das beschrieb John Cheever in seinem letzten, wunderbar leichten Roman: „Ach dieses Paradies“.
Zur Besprechung:
http://saetzeundschaetze.com/2013/10/18/john-cheever-ach-dieses-paradies/
Bilder: Ein Chronist der amerikanischen Wohnidyllen – David Hockney.
Gefällt mir:
Gefällt mir Lade...