Albert Ostermaier: Seine Zeit zu sterben

Der Dramatiker, Lyriker und Theatermann Albert Ostermaier versucht sich immer wieder auch als Romancier. Nicht sein Metier, wie ich meine.

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Bild: Birgit Böllinger

„Und Ödon überwand seine Angst und ging die Stufen hinab in den feuchten Keller, wo die Äpfel lagerten, die sündigen Äpfel, wo der Wein an der Wand ruhte, Blut von meinem Blut, in den Gefriertruhen das Fleisch vom Eis wartete, wo die Schinken an der Decke hingen, überzogen mit Zeit, wo die Fallen aufgestellt waren, wo die alten Koffer, aufeinandergeschichtet, eine Höhle gaben, wo die Zahlenschlösser alle Geburtstage verrieten, wo ein Raum verschlossen blieb, ein Raum, der tiefer führte, noch tiefer hinab, ein Raum (…)

Und die Sauna war dort, wo sie zusammen schwitzten, gegen die Sanduhr schwitzten, wo er allein saß, obwohl er es nicht durfte, und sich vorstellte, Gott ließe den Stuhl neben der Tür umfallen (…)“

Und so geht der Text fort, wo er fortgeht, wo diese Zitate nur Beispiele sind von vielen, vielen Zitaten, die zeigen, wie der Stil dieses Buches ist, dieses spannend gemeinten Buches, das ein Thriller sein soll, dieses geschriebenen Buches, das da…

Okay, jetzt ernsthaft: Albert Ostermaier liebt ganz offenbar Nebensätze. Er (oder sein Lektor) weiß, wie man Kommas richtig setzt. Das ist an sich schon eine bewundernswerte Kunst. Aber: Man muss sie nicht überstrapazieren. Wenn man beim Gang in den Keller am Ende der Treppe nicht mehr richtig weiß, was Ödon dort wollte (und wer ist überhaupt dieser Ödon?), dann muss das nicht allein an der mangelnden Aufmerksamkeit des Lesers liegen.

Albert Ostermaier, Dramatiker und Lyriker, ist in die Sprache verliebt. So sehr, dass er angesichts seiner Wortspielereien vergisst, seine Geschichte zu schreiben. „Seine Zeit zu sterben“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen. „Ein packender, sprachmächtiger Thriller aus der Glitzerwelt Kitzbühels“, so verkündet es der Klappentext. Ich hätte gewarnt sein können.

„Niemand nimmt für bare Münze, was sich ein Verlag zur Anpreisung seiner Neuerscheinungen ausdenkt. Wenn jetzt ein neues Prosawerk des Münchner Schriftstellers Albert Ostermaier bei Suhrkamp als „rasanter Thriller“ angepriesen wird - was soll’s? Ärgerlich allerdings, wenn die Literaturkritik den Faden aufnimmt und angesichts „dieses packenden Romans“ („FAZ“) in Begeisterung ausbricht. Das Buch mit dem dramatischen Titel „Schwarze Sonne scheine“ ist weder spannend noch rasant und von einem Thriller Lichtjahre entfernt. Das, was Ostermaier mit kaum überbietbarer Redundanz erzählt, füllt auch keinen Roman.“ -  So war es im Spiegel am 30. Mai 2011 zu lesen (Link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78689661.html) zum Vorgängerroman „Schwarze Sonne scheine“.

Und was dort geschrieben ward, hat leider auch für den Kitzbühel-Roman seine Gültigkeit. Zwar wird jede Menge hochdramatisches Personal herangezogen – russische Mafiabosse samt Leibwächter und Killer, Schickeria in auffälligen Outfits, merkwürdige Priester, Skirennfahrer unter Pädophilie-Verdacht sowie ein wohlstands-verwahrlostes Kind. Der Plot dreht sich um eine Kindesentführung während der Streif, dem berühmten Abfahrtrennen. Ansonsten wedelt die Geschichte mal hierhin, mal dorthin. Was eine rasende Schussfahrt sein sollte, wird zum mühseligen Slalom durch Wortspielereien bis hin zum Sturz in die Klischee- und Kitschfalle:

„Die Sonne verspielte sich in den Eiswürfeln und labte sich an den Gesichtern der beiden Frauen, die sich ihr entgegenstreckten wie Blumenkelche zu Beginn des Frühlings nach einem unerbittlichen Winter.“

Dazu muss man wirklich nicht mehr viel sagen. Für mich war dieser Roman eine Enttäuschung. An Worten: Zuviel des Guten. Die FAZ hat dagegen einmal mehr sehr wohlwollend interpretiert. Das soll nicht vorenthalten werden: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/albert-ostermaier-seine-zeit-zu-sterben-die-erogenen-zonen-der-skipiste-12561424.html.

Freilich, das gibt auch Rezensent Jan Wiele zu: die Metaphorik der Lawine werde ziemlich überstrapaziert. Man könnte auch so sagen: Das Buch wird unter Metaphorik-Lawinen begraben.

PS: Der Roman hat mich persönlich sehr interessiert, weil Albert Ostermaier nicht nur einer der Träger des Bertolt-Brecht-Preises ist, den die Stadt Augsburg vergibt, sondern auch das 2006 ins Leben gerufene abc-Festival (http://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/Abc-Festival) als künstlerischer Leiter verantwortete. Er stand für ein hervorragendes Programm, das Brecht nicht nur einer Kulturelite, sondern vielen Zielgruppen frisch und modern vermittelte.

Den Bertolt-Brecht-Preis verleiht die Stadt Augsburg seit 1995 in dreijährigem Turnus an Persönlichkeiten, die sich in ihrem literarischen Schaffen durch die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart auszeichnen. Bisherige Preisträger waren: 1995 Franz Xaver Kroetz, 1998 Robert Gernhardt, 2001 Urs Widmer, 2004 Christoph Ransmayr, 2006 Dea Loher (zum 50. Todesjahr Brechts um ein Jahr vorgezogen), 2010 Albert Ostermaier und heuer, 2013 Ingo Schulze.

Vielleicht ist die „Langstrecke“ des Romans keine Gattung, die sich für jeden eignet. Albert Ostermaier hat sich als Lyriker und Dramatiker einen hervorragenden Namen gemacht, seine Romane scheinen jedoch nicht auf dieselbe Resonanz zu stoßen. Nochmals ein Blick auf Brecht: Dieser selbst schrieb zwar 48 Stücke, über 2300 Gedichte, über 200 Erzählungen -  aber eben nur drei Romane.

21 comments on “Albert Ostermaier: Seine Zeit zu sterben”

  1. Ich mag diesen hypnotischen Sprachsog von Ostermaier ungeheuer gerne, glaube aber auch, dass man seine Werke nur mit Genuss lesen kann, wenn man einen Hang zu dieser speziellen Sprachverwendung hat. Ansonsten wird man von dieser Sprachlawine vermutlich einfach überrollt. Ich habe mich mal näher mit seinem Hörspiel „Radio Noir“ beschäftigt und fand vor allem dort den Sog und die Bewusstmachung der Sprache (positiv) vereinnahmend.

    1. Hallo,
      bei einem Theaterstück bzw. einem Hörspiel funktioniert diese Sprache gut. Bei einem Roman könnte es funktionieren - aber in diesem Buch war dies leider nicht hypnotisch, sondern eher sehr ermüdend. Das ist natürlich mein SUBJEKTIVER Eindruck. Es gibt ja auch herausragende Beispiele dieser Art der Sprache in Romanen (Bewußtseinsstrom etc.) - aber hier hat es nicht funktioniert. LG Birgit

      1. Ich werde den Roman auf alle Fälle noch lesen und dann mal schauen, wie es mir dabei ergeht 🙂 Ich fand deine Rezension auf alle Fälle schon mal spannend
        LG
        Kef

  2. Oh, ich habe mir den Roman letzte Woche gekauft und nun ärgere ich mich natürlich, deine Rezension nicht damals schon gekannt zu haben. Das Buch werde ich aber wohl dennoch lesen, schon allein deshalb, um abzugleichen, wie ich diese Sprachlawine empfinden werde. 🙂

    1. Liebe Mara,
      Deine Antwort verdeutlicht mir nur einmal mehr, dass man sich insbesondere schlechte Kritiken gut überlegen muss - also sie sind nicht grundsätzlich zu vermeiden, aber sie sollten begründet sein. Ich hab die Besprechung übrigens seit einer Woche vor mir hergeschoben - also noch besser, dass du das Buch schon gekauft hast. 🙂 Lies es bitte auf jeden Fall - schon damit ich beruhigt schlafen kann - aber im Ernst: Gerade bei Büchern, die mir nicht gefallen, interessieren mich andere Ansichten (die ja nicht dieselben sein sollen). LG Birgit

  3. Mit Vergnügen habe ich deine Besprechung gelesen, die ich sehr gut nachvollziehen konnte und die ich mich an meine Wahrnehmung bei der Lektüre von Lewitscharoffs „Blumenberg“ erinnert hat. Nun, Ostermaier wird es auch nicht auf meine Wunschliste schaffen, aber die ist ohnehin lang genug. Mehr Freude an und mit dem nächsten Buch. LG Anna

    1. Liebe Anna,
      dass Du das vergnüglich fandest, empfinde ich als Kompliment 🙂 Ausgesprochene Freude habe ich zur Zeit an einem Buch: „Wiedersehen mit Brideshead“. Es ist wunderbar…so wunderbar britisch!
      LG Birgit

  4. Vielen Dank für diese informative, angenehm auf den Punkt geschriebene und vergnüglich zu lesende Rezension! Bei dem Ostermaier-Zitat am Anfang und deinem allerersten Absätzchen war mir doch glatt der Schweiß ausgebrochen vor lauter Ungeduld. 😉

  5. Mir gefällt dein Ostermaierstil sehr gut, vielleicht solltest du beim nächsten Mal als Ghostwriter dabei sein 😉 Sehr lusting deine Besprechung, ich wusste am Ende der Treppe auch nicht mehr, ob er nicht im Paradies angekommen war oder im Schlachthof aber wahrscheinlich war die Treppe eh nur Metaphor fuer was Unsagbares, was dann erst zwischen den Zeilen durch zum Vorschein kam und erst am Ende offenbart wurde…

    1. Also eigentlich wollte ich am Ende der Treppe für den Kommentar bedanken als ich gegen die Äpfel stolperte und alles Mus war und ich sowieso vergessen hatte warum ich die Rezension über der Treppe laufend plötzlich abbrach weil mit Eiseskälte mir bewusst wurde dass alle Kritiker und Killer zwischen den Äpfel lauern womit wieder bewiesen wäre dass Äpfel einfach ein ganz starkes Symbol sind aber das hatte ja auch schon Adam ahnen können dass das blöd ausgeht.

      1. Danke, dass du mich heute zum Lachen gebracht hast und wenn’s nur mit mir selber am Laptop ist, wo ich noch hinzufuegen wollte, dass ich auch fast bei meinem Kommentar den Faden verlor und noch mal den Anfang lesen musste aber du absolut eine talentierte Schreibschriftstellerin bist, die nicht nur Dada, was jetzt mit der Kunst zu tun hat, kann.
        Und da regt sich heute ein follower ueber Thomas Mann auf, ja dem werd ich gleich mal Ostereier empfehlen 🙂

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