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Den vielen Lobeshymnen, die derzeit durch die Buchblogwelt zu Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ rauschen, kann ich nicht mehr viel hinzufügen: Ein Text, der einnimmt, der sprachlich überzeugt, eine Erzählung, die klug, ja lebensweise ist, Kopf und Herz in Beschlag nimmt.
Hubert Winkels schrieb einmal über Kirchhoff: „In den Erzähltexten Kirchhoffs schälte sich in der Folge immer stärker die Figur des kalten Beobachters heraus. Die Illusionen der Liebe, der gelingenden Kommunikation und der Gemeinschaft waren außer Kraft gesetzt. Die Prosastücke „Ohne Eifer, ohne Zorn“ (1979) und die Erzählungen in dem Band „Die Einsamkeit der Haut“ waren auch erzählerische Versuche radikaler Versachlichung. Die Leidenschaften des Helden waren ebenso wie das Leiden der anderen Figuren Objekte einer minutiösen Beschreibung, die sich jede Einfühlung versagt. Dieser Eindruck der Distanz und Kühle, ja des Ferngesteuerten in den menschlichen Beziehungen hat große Aufmerksamkeit erregt und neben Bewunderung auch Irritation, gelegentlich auch wütende Reaktionen hervorgerufen.“
Ein Beobachter ist Kirchhoff nach wie vor, doch hat sich ein weicheres, melancholisches Element in seine Texte geschlichen, wie ich meine. Und dies tut dieser verhinderten Liebesgeschichte zweier reifer Ausreißer gut: „Widerfahrnis“ ist ein literarischer Roadmovie in Sepiabraun, eigentlich eine ganz altmodische Geschichte von einem Mann und einer Frau, die zu viel im Leben erfahren haben, um sich in einer Liebe fallen lassen zu können.
Sepiabraun und ein wenig nostalgisch, beinahe aus der Zeit gefallen, wäre da nicht die aktuelle Problematik der Flüchtlingskrise, die, geschickt in den Handlungsstrang eingeflochten, das private Scheitern der beiden Protagonisten relativiert und in andere Zusammenhänge stellt.
Eine ausführliche Besprechung, die auch erläutert, warum der Begriff der Novelle stimmig ist für dieses Buch findet sich beim Blog Zeilensprünge.
Flip-Flop
Ich weiß nicht, was ich konkret erwartet habe, als ich in der Sendung „Kulturzeit“ (3sat) eine ausführliche Vorstellung dieses Buches gesehen habe - aber irgendwie erhoffte ich mir „mehr“, ein flammendes, nachhaltiges Plädoyer jedenfalls für den Erhalt einer „aussterbenden Kulturtechnik.“ Doch „Der letzte Zeitungsleser“ ließ mich ein wenig enttäuscht zurück - das ähnelte dem Gefühl, wenn ich in meinem Lieblingscafé die Süddeutsche lesen will und nur die Augsburger Allgemeine vorfinde. Es ist ein durchaus „flott“ - will meinen: journalistisch routiniert - geschriebenes, persönliches Essay über das Printmedium, das in der digitalen Welt um Aufmerksamkeit und Überleben buhlen muss. Im Grunde hat der Journalist Michael Angele damit bereits einen Nachruf verfasst: Denn außer nostalgischen Reminiszenzen bietet der schmale Band wenig, schon gleich keine Argumente, die einen Printnovizen zum Zeitungslesen verführen könnten.
So geht es einem am Ende auch mit diesem Buch: Kann man lesen, muss man nicht - es sind unterhaltsame ein bis zwei Lesestunden, doch klappt man den Deckel zu, ist das Gelesene bereits auch schon wieder Geschichte.
Petra von Philea`s Blog hat das Buch weitaus mehr zugesagt - bei ihr findet sich eine positive Meinung dazu.
Flop!
Während der Zeitungsleser zumindest klug und spritzig unterhält, geht es in „Das Irrenhaus“ zwar noch klüger, aber weitaus weniger spritzig zu. Das Konzept von Verlegerlegende Michael Krügers Roman hatte mich neugierig gemacht: Ein Mann in mittleren Jahren, gebildet und als Zeitungsarchivar beruflich deutlich unterfordert, erbt ein Mietshaus. Die Möglichkeit für ihn, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und sich seinem persönlichen Ziel, der Kunst der Langeweile, zu widmen. Inkognito zieht er, der Vermieter, in seinem eigenen Haus als Mieter ein - und wähnt sich dort, nicht nur wegen seiner exzentrischen Nachbarn, wie in einem Irrenhaus: Vor allem scheint sich sein Vormieter, der Schriftsteller Georg Faust (nomen est?), seiner zu bemächtigen. Ein Verwirrspiel, das jedoch ansprechender klingt, als es zu lesen ist: Sprachlich überladen, gestelzt, mir zu bildungsbürgerlich überlastet war die ganze Geschichte - ich habe das Buch nach zwei Dritteln abgebrochen.
Etwas nachsichtiger, wenn auch nicht ohne Kritik geht brasch & buch mit dem Roman um.
Guten Morgen, Birgit,
danke für den guten Tip. Ich habe mir das Hörbuch in der Bücherei vorbestellt. Damit die Zeit bis dahin nicht zu lang wird, werde ich Verlangen und Melancholie hören. Ich bin sehr gespannt, du wirst es nicht glauben, es wird das erste Buch von Kirchhoff sein, das ich lese, bzw. höre.
Im Moment quäle ich mich durch den 3. Teil von Murakamis 1Q84. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Auf jeden Fall greift Murakami auf die westlichen Philosophen zurück und die Lehren dieser schimmern immer wieder durch.
Einen schönen Samstag wünscht dir Susanne
Liebe Susanne, nach einer längeren Kirchhoff-Pause war ich nun wieder sehr angetan und werde mir wohl auch die letzten beiden Bücher besorgen. Zu Murakami kann ich wenig sagen - ich bin kein großer Fan, hab aufgehört, mich mit seinen Büchern zu beschäftigen. Alles Liebe nach Berlin! Birgit
Murakami ist auch sehr speziell … ich bin froh, dass ich nun alle drei Bände von 1Q84 hinter mir habe und erhole mich beim zweiten Teil von Kommisar Dupin und die Bretonische Brandung, den höre ich mit Micha gemeinsam.
Viele liebe Grüße aus Berlin senden dir Susanne und Micha
Schön, dass ich Dich auf den erholsamen Kommissar aufmerksam machen konnte. Eine Freundin von mir hat sich inzwischen schon die weiteren Bände für den Urlaub in der Bretagne nächstes Jahr besorgt… Ich fahre heute nochmal ins Germanische Nationalmuseum und grüße Euch beide von dort aus! LG Birgit
Wir werden bestimmt auch weitere Bände hören, besonders bei längeren Autostrecken ist es angenehm, den Hörbüchern zu lauschen. Es ist als ob ein eigener Kosmos im Auto aufgebaut wird. Viel Spaß im Museum und viele Grüße von uns Beiden, Susanne
Also Widerfahrnis scheint ja tatsächlich ein Muss zu sein. Kommt auf die Liste … Das Irrenhaus hat eine meiner Mitstreiterinnen bereits erfolgreich von jedweder meiner Listen geschubst … also gehe ich zufrieden in ein Wochenende, mit nur einem weiteren Buch auf meiner anwachsenden Liste! LG und ein wunderbares Wochenende, Bri
Genieße Dein Wochenende mit dem beruhigend Gedanken, dass man nicht alle Bücher gelesen haben muss 😊Liebe Grüße, Birgit
So mache ich das …
Das trifft ja gut meine Meinung zum Zeitungsleser. Ich hatte mir davon auch wesentlich mehr erwartet. Und schön, dass dir der Kirchhoff auch so gut gefällt…
Liebe Grüße
1Q84 fand ich großartig - aber nein, ich werde nicht weiter versuchen Leute zu konvertieren 😉
Widerfahrnis klingt in der Tat interessant, hab schon ein paar sehr positive Rezensionen gelesen. Das werde ich mir bei Gelegenheit mal zulegen.
Erwähnte ich - wie sehr ich diese kurz & knapp Vorstellungen mag ? 🙂 Schicke herzliche Grüße und freue mich sehr auf nächste Woche…
Du erwähntestesteses … doofes Wort - also: Du hast es bereits kurz & knapp erwähnt, was mich freut und meiner Faulheit entgegenkommt 🙂 Bis nächste Woche, ja, das wird wieder witzig 🙂
Schön pointiert, liebe Birgit. Ich glaube, ich erwähnte auch schon mal, dass ich Sinn für die Kürze-Würze habe… 😉
Die jungen Leute von heute … wollen alle keine langen Texte mehr 🙂
Aber die Thomas Bernhard Anspielungen waren doch interessant https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/25/der-letzte-zeitungsleser/und mit „Widerfahrnis“ habe ich meine Schwierigkeiten gehabt, beziehungsweise es zu konstruiert gefunden, aber die Stelle mit dem Flüchtlingsmädchen das sie zum Essen einladen und der Wirt serviert, holt aber die Polizei war sehr beeindruckend https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/09/09/widerfahrnis/
liebe Grüße
Die sind interessant, aber eigentlich auch nicht ganz neu. Und insgesamt war mir das Buch zu verplaudert, zu sehr auf Bernhard-Anekdo
Das war wahrscheinlich so intendiert