Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln

Verschwundene Seefahrer, abgestürzte Pilotinnen, abgesetzte Diktatoren: Inselgeschichten wimmeln vor Tragik. Tolle Inselgeschichten, kurz, präzise, pointiert.

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Bild: Iris Jahnke
Bild: Iris Jahnke

„Dieser Atlas ist somit vor allem ein poetisches Projekt. Wenn der Globus rundherum bereisbar ist, besteht die eigentliche Herausforderung darin, zu Hause zu bleiben, und die Welt von dort aus zu entdecken.“

Judith Schalansky, „Atlas der abgelegenen Inseln“, 2009.

Judith Schalansky im Vorwort zum „Atlas der Abgelegenen Inseln“. Dieses literarisch-kartographische Experiment erschien 2009 im mare Verlag.Das Buch gibt es inzwischen auch als Taschenbuchausgabe -  zu empfehlen für Bibliophile ist jedoch das gebundene Exemplar, das auch von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet wurde.

Wie schön, dass uns Judith Schalansky an ihren Entdeckungsreisen - seien es zu Inseln rund um den Globus oder auch zur heimischen Flora und Fauna - immer wieder teilhaben lässt. Vor der Fahrt zu den abgelegenen Inseln muss man jedoch gewappnet sein. Es erwartet uns kein Tripp auf die Malediven mit Vollpension, weißem Muschelstrand, dezenter Musik und immer während blauem Himmel. „Das Paradies ist eine Insel. Die Hölle auch.“

Und auf den meisten Inseln, die Judith Schalansky vorstellt, geht es eben mehr oder weniger höllisch, selten jedoch himmlisch zu: Kaum auszuhalten auf dem Eiland „Einsamkeit“ im Nordpolarmeer, Iwojima, gezeichnet von den Spuren des Krieges und bekannt aus Clint Eastwoods gleichnamigen Film. Oder St. Helena - muss man nicht mehr viel zu sagen. Napoleon war es dort furchtbar öde.

Verschwundene Seefahrer, abgestürzte Pilotinnen, abgesetzte Diktatoren: Inselgeschichten wimmeln vor Tragik. Judith Schalansky hat zu jedem Eiland ein wunderbares Portrait geschrieben: Kurz, knapp, präzise, pointiert. So schön lesbar und unterhaltsam, dass man eigentlich gottfroh ist, diese Inselgeschichten in aller Sicherheit zuhause lesen zu können, ohne auf große Abenteuerfahrt zu müssen. Jahrelang hat die Autorin dafür in Bibliotheken und Archiven recherchiert, Karten und Begleitmaterial studiert - dafür gebührt ihr eigentlich auch Dank von jedem Reiseveranstalter: Ein Atlas an Orte, an die man niemand leichtfertig hinsenden sollte.

Trotzdem ruft der Begriff „Insel“ bei vielen Menschen zunächst Sehnsüchte wach, ruft Bilder von Blumenkränzen und Hulahoop-Reifen hervor. Bestes Beispiel: Meine Buchhändlerin. Beim Abkassieren verlor sie mit dem Blick auf das Buch minutenlang jede Aufmerksamkeit. Raffinierterweise ist die Taschenbuchausgabe auch aufgemacht wie ein kleiner Langenscheidt. „Ach, Inseln, Urlaub! Wo steht das Buch?“ - „Ja, hier bei Ihnen - hinten in der Ecke für besondere Bücher!“ - „Ich muss mal wieder weg, das hole ich mir.“ - „Ähmm, das ist kein Reisebuch…“. War ihr nicht zu vermitteln, dass das zwar ein tolles Buch ist, aber die Reiseziele nicht zu empfehlen sind - das Wort Insel überdeckte alles.

Jedenfalls - der Atlas ist ein schöner Leseausflug. So oder so. Und das muss man auch mal schaffen: Mit zwei Büchern in enger Zeitfolge von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet zu werden. Judith Schalansky ist es gelungen - mit ihrem Atlas der abgelegenen Inseln, zunächst erschienen bei mare. Und natürlich mit „Hals der Giraffe“ (Link zur Besprechung) bei Suhrkamp. Beides wunderschöne Bücher, habtisch, optisch, inhaltlich - Judtih Schalansky schreibt einen blendenden Stil, hat einen Sinn für das Skurrile und viel trockenen Humor. Schalansky, die Kunstgeschichte studiert hat, widmete sich zunächst dem Buchdesign - was ein Glück, möchte man sagen, dass sie auch selber schreibt. Eine, die beides kann - eine Wortbildkünstlerin.

Und für alle, die jetzt schon die Winterferien planen, hier ein kurzer Ausflug zur Weihnachtsinsel:
„Die Regenzeit lockt sie aus ihren Höhlen. Jedes Jahr im November machen sich 120 Millionen geschlechtsreife Krabben auf den Weg zur See. Ein roter Teppich breitet sich über die Insel aus. Mit Tausenden von Schritten krabbeln sie über Asphalt und Türschwellen, klettern über Mauern und Felswände, schieben ihre feurigen Panzer auf zwei starken Scheren und acht dünnen Beinen seitwärts zur See und werfen kurz vor Neumond ihre schwarzen Eier in die Brandung. Nicht alle kommen ans Ziel. Ihr Feind lauert überall: Woher er kommt, weiß niemand genau. Irgendwann war die Gelbe Spinnerameise da, von Besuchern eingeschleppt. Die Invasoren sind nur vier Millimeter groß, aber ihre Armee ist vernichtend. (…) Auf der Weihnachtsinsel herrscht Krieg.

19 comments on “Judith Schalansky: Atlas der abgelegenen Inseln”

      1. Ach…war erst verwirrt. Das war ein Artikel vom Blogbeginn im Juli, den ich jetzt neugeschrieben und durch ein Bild ergänzt habe - ich fand es schade, dass die ersten Sachen noch so ungestaltet da rum standen. Habe aber vergessen, dass die alten Kommentare da mit wandern 🙂

      2. Nichtsdestotrotz: Ich bin recht angetan von dem Blog! Kann man nur weiterempfehlen. Aufmachung und Inhalt passen super zusammen.
        Bin froh, hier „gelandet“ zu sein! Danke!

    1. Irgendwie ging der Kommentar gestern erst in die Spam-Falle…gerade noch gerettet und: Danke! Good old Harry! Und Inseln sind gerade mein Thema: Dieser Tage ein Bericht in der SZ, wo und wie man sich Inseln kaufen kann, die derzeit relativ gut zu haben sind. Leider täuschte ich mich in der Annahme, griechische Insel seien günstig zu bekommen - die Schnäppchen liegen vor Kanada. Nicht ganz mein Klima 🙂

    1. Stimmt. Auf einer Insel hat man einfach mehr vom Meer. Und ich freue mich gerade unbandig auf meinen Inselurlaub, den ich jetzt endliche gebucht und unter Dach und Fach habe 🙂

  1. Stimmt, das wollte ich ja auch noch lesen *schnell auf den Wunschzettel schuppst*. Ich hoffe ja sehr, dass es da vielleicht auch eine schottische Insel zu finden gibt, oder zwei ? Also bei den Äußeren Hebriden müßte doch was dabei sind, die sind hölle abgelegen 😉

    1. Den Überblick findest Du hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Atlas_der_abgelegenen_Inseln

      Die sind irgendwie alle höllisch abgelegen, glaube ich 🙂 Mein Favorit bleibt aber die Robinson Crusoe Insel. Ich denke, in der Rente kaper ich die und organisiere da literarische Abenteuer-Events für Literaturprofessoren, Anglisten, Germanisten u.ä., die einmal leben statt lesen wollen. Ich lass das dann Freitag machen und lege mich unter die Palme.

      1. woohooo Treffer ! St. Kilda - Äußere Hebriden. Da war ich und ja, puh da ist die Welt zu Ende. Jetzt will ich das erst Recht lesen. Auf diesen schottischen Inseln da draußen wird das Wetter gemacht und obwoh ich nicht gerade ein Riese bin, hat man da ständig Angst, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt.
        Falls Du im übrigen noch nen Job hast für mich auf der Robinson Crusoe Insel komme ich mit, auch wenn ich kein Prof oder ..ist bin 😉

      2. Also mich hätte es jetzt nicht mal gewundert, wenn Du schon auf der Osterinsel oder so gewesen wärst. St. Kilda - liest sich kuschelig - und die Judith Schalansky schreibt dazu auch so herrlich trocken, lohnt sich, das Buch!
        Job: ja klar - willst du die Management-Überlebenstrainings und die Teambuilding_Geschichten für die erholungsbedürftigen Professoren übernehmen? Oder das Kochen?

      3. auf jeden Fall die Management-Überlebenstrainings. Muhahha, da hab ich ein paar sehr sehr schöne Ideen *evil grin* 😉

  2. ich bin gerade etwas verwirrt. Scheint eine älterer Beitrag von dir zu sein, den du gerade rebloggt hast?
    Egal. Danke für die Empfehlung und die leicht ironische Beschreibung von dir. Hab ich gleich was für den Schwiegervater, den alten Weltumsegler, zu Weihnachten. Ich persönlich bevorzuge ja „Zeitinseln“, wie Hans Magnus Enzensberger sie in „Ach Europa“ beschrieb. Ein Kloster, in dem die Mönche noch gregorianisch singen, ein übrig gebliebener Ort in der Uckermark, in dem die DDR lebt… Hat den Vorteil, dass ich nicht übers Wasser muss und schnell wieder weg bin, wenn’s öde wird.

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