Als ich dich zum ersten Male
In der Welt von Pappe sah,
Spieltest du in Gold und Seide
Shylocks Tochter: Jessica.
Klar und kalt war deine Stimme,
Kalt und klar war deine Stirne,
Und du glichst, o Donna Clara,
Einer schönen Gletscherfirne.
Und der Jud verlor die Tochter,
Und der Christ nahm dich zum Weibe;
Armer Shylock, ärmrer Lorenz!
Und mir fror das Herz im Leibe.
Als ich dich zum andren Male
In vertrauter Nähe sah,
War ich dir der Don Lorenzo
Und du warst mir Jessica.
Und du schienst berauscht von Liebe,
Und ich war berauscht von Weine,
Küßte trunken deine Augen,
Diese kalten Edelsteine.
Plötzlich ward mir ehstandslüstern:
Hatte ich den Kopf verloren?
Oder war in deiner Nähe
Der Verstand mir nur erfroren?
Nach Sibirien, nach Sibirien!
Führte mich die Hochzeitsreise,
Einer Steppe glich das Ehbett,
Kalt und starr und grau von Eise.
In der Steppe lag ich einsam
Und mir froren alle Glieder,
Leise wimmern hört ich meine
Halberstarrten Liebeslieder.
Und ich darf ein schneeig Kissen
An das heiße Herz mir drücken.
Amor klappern alle Zähne,
Jessica kehrt mir den Rücken. -
*
Ach, und diese armen Kinder,
Meine Lieder, meine Witze,
Werden sämtlich nun geboren
Mit erfrorner Nasenspitze!
Meine Muse hat den Schnupfen
- Musen sind sensible Tiere -
Und sie sagt mir: Lieber Heinrich,
Laß mich ziehn, eh ich erfriere.
O, ihr kalten Liebestempel,
Matt erwärmt von Pfennigskerzen,
Warum zeigt mein Liebeskompaß
Nach dem Nordpol solcher Herzen?
Heinrich Heine, die Liebe und das Theater. Oder auch: Das Theater um die Liebe. Und auch noch Shakespeare. Drama vorprogrammiert.
„Es wird mir flau zu Mute, wenn ich bedenke, dass er am Ende doch ein Engländer ist, und dem widerwärtigsten Volke angehört, das Gott in seinem Zorne erschaffen hat. Welch ein widerwärtiges Volk, welch ein unerquickliches Land! Wie steifleinen, wie hausbacken, wie selbstsüchtig, wie eng, wie englisch!“
Heinrich Heine, „Shakespeares Mädchen und Frauen“, erstmals erschienen 1838
Ein Kleinod und Lesevergnügen ist dieses Buch für jeden, der nicht nur Shakespeare, sondern auch den scharfzüngigen HH schätzt. Man ahnt es bereits: Wenn Heinrich Heine, Shakespeare-Verehrer und Bewunderer der holden Weiblichkeit, über die Frauenfiguren des englischen Dramatikers schreibt, dann nicht nur mit viel (Lust-)Gefühl, sondern auch mit der ihm eigenen Spottlust. Schon das Vorwort nutzt der frankophile Heine, der zu dieser Zeit bereits in Paris lebte, um in einem kurzen Streifzug mit den Engländern abzurechnen und die Rezeption und Nachwirkung Shakespeares in anderen Ländern aufzuzeigen:
„Besser als die Engländer haben die Deutschen den Shakespeare begriffen. Und hier muss wieder zuerst jener teure Name genannt werden, den wir überall antreffen, wo es uns eine große Initiative galt. Gotthold Ephraim Lessingwar der erste, welcher in Deutschland seine Stimme für Shakespeare erhob. Er trug den schwersten Baustein herbei zu einem Tempel für den größten aller Dichter, und, was noch preisenswerter, er gab sich die Mühe, den Boden, worauf dieser Tempel erbaut werden sollte, von dem alten Schutte an zu reinigen.“
So wird die Galerie der Schönen, der Intrigantinnen, der Leidenden und der Holden aus Shakespeares Dramen von der Präambel an bereits weit aus mehr als ein bloßer Streifzug durch die dramatische Frauenwelt – Heine, der begnadete Feuilletonist, nimmt die Miniaturen sozusagen als journalistische „Aufhänger“, um über Kultur, insbesondere die Theaterwelt und Literatur, Politik, Soziales, Religion und viele weitere Themen zu schreiben. Insbesondere findet sich in diesem Buch, das ein wenig ein Schattendasein unter den Heine`schen Werken führte, eine treffende Analyse des Antisemitismus, selbstverständlich bei den Frauenfiguren aus dem „Kaufmann von Venedig“.
Die „Shakespeare Gallery“ wurde 1836 zunächst vom britischen Verleger Charles Heath veröffentlicht: 45 Bilder von Frauenfiguren aus Shakespeares Dramen, Stahlstiche fiktiver Cassandras, Ophelias, Cleopatras, Julias bis hin zu einer ziemlich vergrätzt schauenden und leicht übergewichtigen Lady Macbeth. Das britische Original war mit Zitaten aus den Stücken ergänzt – ein Ansatz, der eines Heines kaum würdig gewesen wäre. Dieser, wie immer in Geldnöten, nahm das Werk als Auftragsarbeit an. Für die deutsche Ausgabe, für die der Verleger Henri-Louis Delloye die Lizenz erhalten hatte, schrieb Heine 1838 innerhalb weniger Wochen ausführliche Essays zu den „dramatischen“ Frauenfiguren, die oftmals alles andere zum Inhalt haben – nur nicht die Frau. Nur jene weiblichen Gestalten aus den Komödien wurden dann auch in der deutschen Ausgabe von HH mit Zitaten aus den Shakespeare`schen Werken beglückt.
Selbst diese Schönheitsgalerie stieß bei der preußischen Zensur auf Missfallen, wie Jan-Christoph Hauschild, Autor, Germanist und Mitarbeiter am Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf in seinem Nachwort zur Ausgabe 2014 schreibt.
Den Beamten missfiel, dass Heines „ungezügelte Spottlust (…) die Gegenstände seiner vielfachen Antipathien mit dem ganzen Übermut seines reichen Talentes“ geißle. „Hauptsächlich“ sei es England, das er „mit schneidendem Witz und galliger Bitterkeit“ verfolge und wozu sein „Enthusiasmus für Frankreich und Franzosentum“ den „entschiedensten Gegensatz“ bilde.
Letztendlich ging das Werk jedoch durch und war eines von den insgesamt nur vier Heine-Büchern, die in Preußen verkauft werden durften. Zum Glück. Denn nebst den außerliterarischen Streifzügen und Seitenhieben bot Heine damals schon mit seinen Schriften dem Lesepublikum einen hervorragenden Zugang zu Shakespeares Welt – das Buch verdient allein deswegen einen besseren Rang in der Shakespeare-Literatur, als es bisher innehatte. So sieht Eduard Engel in seinem Vorwort zur 1921 erschienenen Gesamtausgabe Heines nur zwei deutsche Schriftsteller, die in ihrer Shakespeare-Kenntnis von gleichem Rang seien: Heinrich Heine und Goethe.
Wie immer man im einzelnen über Heines Auffassungen Shakespeare`scher Gestalten - er spricht durchaus nicht bloß immer von den weiblichen – denken mag, der Wert seiner kleinen und größeren Abhandlungen über Shakespeares Meisterdramen kann keinem entgehen, der die Werke gründlich kennt, aber auch keinem, der einigermaßen mit der Shakespeare-Literatur vertraut ist. Und man wäge die wissenschaftliche Grundlage, worauf Heine zu jener Zeit, vor dem Erscheinen der bedeutendsten Arbeiten über Shakespeare fußen konnte.“
Die Bandbreite der Themen, die Heine anhand der Frauenportraits auffächert, kann hier in einer Inhaltsangabe kaum wiedergegeben werden. Ich halte es wie Heine selbst und übernehme den Schlüsseldienst:
„Die vorstehenden Blätter sollten nur dem lieblichen Werke als flüchtige Einleitung, als Vorgruß, dienen, wie es Brauch und üblich ist. Ich bin der Pförtner, der Euch diese Galerie aufschließt, und was Ihr bis jetzt gehört, war nur eitel Schlüsselgerassel.“
Heinrich Heines „Shakespeares Mädchen und Frauen“ wurde nun anlässlich des Jubiläumsjahres von Hoffmann und Campe wieder aufgelegt – das Buch ist auch handwerklich gut gemacht, mit den Abbildungen von 1838 versehen, im Schuber und mit Lesebändchen.
Bertolt Brecht war zwar vom Medium Film fasziniert, hatte aber damit kein Glück. BB und der Film – das war weniger episches Theater, sondern ein Drama ohne Ende.
Dabei fing alles so gut an: Bereits 1923 arbeitet Brecht, damals 25 Jahre alt, mit dem Regisseur Erich Engel und mit Karl Valentin zusammen. Die „Mysterien eines Frisiersalons“ erinnern streckenweise an den Surrealismus im „andalusischen Hund“ von Luis Buñuel, sind aber auch komisch, humoristisch und ein wenig chaotisch. Der Film galt lange als verschollen, wurde jedoch in den 70erJahren wiederentdeckt und restauriert.
1930 machte sich Georg Wilhelm Pabst an die Verfilmung der Dreigroschenoper. Brecht, zunächst noch aktiv mit dabei, zerwirft sich mit Regisseur und Produktionsfirma, will den Film, auch vor dem Hintergrund des aufdämmernden Nationalsozialismus, mit eindeutigerem politischen Inhalt versehen. Die Streitigkeiten führen zum sogenannten Dreigroschenprozeß. Brecht schrieb unter dem Titel „Der Dreigroschenprozeß. Ein soziologisches Experiment“ eine Analyse des Rechtsstreits, die er zusammen mit dem Filmexposé und dem Text der „Dreigroschenoper“ veröffentlichte.
1931 ist BB jedoch wieder bereit für das Medium Film – er arbeitet am Drehbuch von „Kuhle Wampe oder wem gehört die Welt?“ mit. Der 1932 erschienene Streifen von Slatan Dudow ist benannt nach dem Zeltplatz Kuhle Wampe in Berlin am Müggelsee, einer der vielen Originalschauplätze, an denen gedreht wurde. Geschildert wird das Schicksal einer Arbeiterfamilie und eines jungen Pärchens, dessen Verbindung angesichts der ausweglosen Massenarbeitslosigkeit ohne Zukunft erscheint. Der Film hat – auch durch den Dreh an Originalschauplätzen und mit „echten“ Arbeitslosen neben erfahrenen Schauspielern – streckenweise dokumentarischen Charakter, zeichnet ein realistisches Bild der Verelendung in der Weimarer Republik. Kuhle Wampe war der einzige eindeutig kommunistische Film dieser Zeit – bis hin zu Arbeitern, die das Lieder der „Solidarität“ singen – und wurde nicht nur unter großen Schwierigkeiten gedreht, sondern prompt auch von der Zensur verboten. Nach Protesten wird der Film mit einigen Änderungen freigegeben, Brecht macht dem Zensor das ironische Kompliment, dieser zumindest habe den Film wirklich verstanden - nicht als Darstellung eines individuellen Schicksals, sondern als offene Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen: „Der Inhalt und die Absicht des Films geht am besten aus der Aufführung der Gründe hervor, aus denen die Zensur ihn verboten hat.“
Dann die Zeit des Exils. Letztlich verschlägt es Brecht, wie viele andere Autoren, nach Hollywood. Wie andere ist er gezwungen, dort zu antichambrieren und arbeitet für den Broterwerb an Drehbüchern für die Traumfabrik mit. Seine Erfahrungen in dieser Zeit (siehe auch den Beitrag über Brecht im Exil) hat er in den bitteren Hollywood-Elegien verarbeitet:
1943 jedoch hat Brecht die Chance, an einem ambitionierten Filmprojekt mitzuwirken – unter der Regie von Fritz Lang, ebenfalls einem Exilanten, entsteht „Hangmen also die“ – „Auch Henker sterben“. Die beiden Künstler kannten und schätzten sich bereits in den Tagen der Berliner Zeit. Als Brechts Lage im schwedischen Exil angespannt wird, sorgte Lang, der in Hollywood schnell Fuß gefasst hatte und seine Karriere fortsetzen konnte, mit dem European Film Fund dafür, dass Brecht, Weigel, sowie die beiden Kinder und Ruth Berlau Visa für die USA bekamen, 1941 traf die Familie in Los Angeles ein.
Der Film „Auch Henker sterben“ erzählt bereits ein Jahr nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag 1942 eine spannende Geschichte aus dem tschechischen Widerstand und der Fahndung der Gestapo nach dem Attentäter. Doch schon während der Dreharbeiten kommt es zwischen Lang und Brecht zu Differenzen. Der cholerische Lang tobt gegenüber Brecht und dem ebenfalls linksgerichteten Co-Autoren John Wexley, er „scheiße auf Volksszenen“, er wolle ein Hollywoodpicture machen. Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung – Brecht sollte wesentlich weniger als Wexley erhalten -, Kürzungen im Skript, charakterliche Unverträglichkeiten taten ihr weiteres. Die Zusammenarbeit wurde zum Desaster und gipfelte in einer Anhörung vor der „Screen Writer`s Guild“, weil Wexley als der eigentliche Autor genannt werden wollte, Brecht jedoch nur unter ferner liefen aufgeführt wurde. Die Schiedsstelle entschied zugunsten des Amerikaners. Brecht legte danach die Arbeit am Film nieder, begegnete auch Fritz Lang nicht mehr.
Doch was übrig bleibt: Zum einen überstand auch diese Episode die Freundschaft zwischen Brecht und Hanns Eisler, der als Komponist auch an den früheren Filmen mitgearbeitet hatte. Und vor allem: „Hangmen also die“ ist, wenn auch viele der Ideen und Vorstellungen Brechts nicht verwirklicht werden konnten, eines der wichtigsten Filmwerke geworden, das noch während des Nationalsozialismus eindeutig Stellung gegenüber der deutschen Tyrannei bezog.
Lang setzte dem verlorenen Freund BB später noch ein cineastisches Andenken, so der Filmwissenschaftler Peter Ellenbruch:
„Im Gegensatz zu Brecht, der ein Gegner Langs geblieben sein soll, hat sich Lang immer wieder positiv zu Brecht geäußert, ihn als einen wichtigen Autor geschätzt und sich von seinem Werk inspirieren lassen. So baute er 1963 eine Brecht-Hommage in LES MEPRIS von Jean-Luc Godard ein – in welchem er sich selbst spielte – und die Buchstaben „BB“ stehen innerhalb des Films plötzlich nicht mehr für die Hauptdarstellerin Brigitte Bardot, sondern einen Moment lang für Bert Brecht.“
Der 1930 geborene Harold Bloom gilt als bedeutendster lebender Literaturwissenschaftler des englischsprachigen Raums, ein deutsches Feuilleton behauptete gar, der gesamten Welt.
Den wichtigsten Platz in seinem rund 20 Buchveröffentlichungen umfassenden Werk nimmt William Shakespeare ein. Das 1998 publizierte Buch “Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen” ist ein 1100-Seiten-Wälzer. Bloom konzentriert sich darin auf das Werk und geht die Stücke eines nach dem anderen in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung durch. Er interpretiert und kommentiert, wobei er die Kenntnis der Texte voraussetzt. Da ist es hilfreich bei der Lektüre des Buches das entsprechende Stück griffbereit zu haben.
Harold Bloom ist ein bravouröser Stilist. Er schreibt kenntnisreich und phantasievoll. Dazu beherrscht er die extrem seltene Kunst, klug, warm und ansteckend von seiner Liebe, die Shakespeare heißt, zu schreiben. Er scheut keine Superlative noch religiöse Metaphern, ohne je hohles Pathos zu produzieren oder unelegant zu formulieren.
So sehr sich Bloom auch bemüht, allen Dramen Shakespeares gerecht zu werden, er deutet das Gesamtwerk als auf “Hamlet” zulaufend und von ihm ausgehend. Für Bloom ist der “Hamlet” das Epizentrum des shakespeareschen Universums, auch wenn er historisch genau vermerkt, daß zu Lebzeiten des Dichters Falstaff beliebter gewesen sein dürfte als der Dänenprinz. Aber seit Shakespeare gelte, so Bloom, daß Hamlet nach Jesus “die am meisten zitierte Stimme in der abendländischen Welt” sei. Ich habe das nicht nachgeprüft, will es Bloom aber gern glauben, auch wenn ich vermute, daß “Faust” da noch ein Wörtchen mitzureden hätte.
Bloom erhebt Hamlet und Falstaff zu Gestalten von archetypischem Rang, wie Odysseus, wie Don Quichote, von Jesus war schon die Rede. In Sachen Hamlet will ich gerne zustimmen, bei Falstaff habe ich da so meine Zweifel.
Man reibt sich manchmal wirklich die Augen. Der Elisabethaner ist ihm in der Tat eine Art Religionsstifter. Hamlet misst er ähnlichen Rang bei wie dem Jahwe des Alten Testaments und dem Jesus des Markus-Evangeliums. «Wenn je ein Autor zum Rang einer Gottheit aufgestiegen ist, so Shakespeare», dekretiert er eingangs, und an anderer Stelle sagt er, «dass es bei Shakespeare nicht mit natürlichen Dingen zugeht», was nicht die Geister in den Stücken, sondern den Autor selber meint.
Harold Blooms Credo lautet “Shakespeare ist es, der uns erfunden hat.” Wieviel wir Shakespeare verdanken, wie sehr wir seine Geschöpfe sind, klärt Blooms opus magnum überzeugend und auf bezaubernd persönliche Weise: “In Rosalind verliebe ich mich stets von neuem und wünsche sehr wohl, sie existiere leibhaftig in den niederen Sphären unserer nichtliterarischen Welt.” Wie Bloom verliebten sich schon die Romantiker in Shakespeares Gestalten, in Rosalind, in Ophelia, in Julia, und ihnen verdankt sich, was wir als romantische Liebe kennen.
Wir können sogar mit Hilfe der Stücke hinabsteigen in unsere eigene Unterwelt: “Shakespeare will uns auf die Reise ins dunkle Innere schicken, und dort sollen wir uns wahrer und fremder entdecken, als Mörder im Geist und als Mörder des Geistes.” Geistesabenteuer sind ohne Zahl zu bestehen, folgt man Bloom durch die Reihe der Tragödien, Komödien und Romanzen, deren Analyse unerhörte Erkenntnislust auslöst.
Das Buch lässt sich als idealer Schauspiel(ver)führer gebrauchen. Dauernd juckt es in den Fingern, wieder den Original-Text aufzuschlagen, oder man möchte gleich ins Theater laufen, auch wenn Bloom davon wegen grundsätzlich zu schlechter Aufführungen abrät. Trotzdem lasse ich mir in diesem Shakespeare gewidmeten Jubiläumsjahr die eine oder andere Aufführung nicht entgehen und werde wohl noch des öfteren sowohl vor als auch nach dem Schauspiel-Besuch im “Bloom” nachschlagen. Und ob wir es wollen oder nicht, nach Bloom sind wir alle Shakespearianer.
Harold Bloom, “Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen”, Berlin-Verlag, 2000, (leider vergriffen, aber antiquarisch bestimmt noch zu bekommen)
Es gab eine Zeit, da wechselten die Engländer ihre Könige aus, schneller als ihre Unterhosen (wenn das darbende Landvolk überhaupt welche besaß). Da wurde auf dem Thron gemeuchelt, gemordet, gesündigt sowieso. Und neben Intrigenabwehr und Intrigenspinnen waren Königs meist noch damit beschäftigt, die aufständischen Iren niederzuknüppeln, gegen den Erzfeind Frankreich zu preschen oder das ferne Jerusalem für die Christenheit zu erobern. Immer wollte einer der Jungs dem anderen die Schaufel wegnehmen in diesem nebeligen, moorigen Sandkasten.
Nach der Schlacht war vor der Schlacht, weiße gegen rote Rosen, auf das Haus Plantagenet folgten die Lancaster, die Yorks, die Tudors: Bis dann endlich eine Frau auftauchte und Ruhe brachte in diesen mörderischen Kindergarten. Zugegeben, auch vor Elizabeth I. spielten schon Frauen mit bei den Sandkastenspielen, aber meist in wenig rühmlichen Rollen.
Bei diesem Hin- und Hergewoge kann man schon mal durcheinander kommen – war jetzt ein Heinrich zuerst da, oder doch ein Richard? War Richie II. der Bucklige oder doch der Dritte? Und Shakespeare selbst macht es dem Leser auch nicht leichter – er schrieb in zwanzig Jahren seine zehn Königsdramen, alle in einander verwoben und verknüpft, ein einzigartiges dramatisches Mammutprojekt. Aber er schrieb sie eben nicht in der chronologischen Reihenfolge des tatsächlichen Geschehens. Da musste schon ein Mann aus der ordentlichen Schweiz kommen, um die Dramen auf Reihe zu bringen. Doch wer Fotos sieht von Urs Widmer, der ahnt auch: Der Mann hat den Schalk im Nacken. Und so sind seine Nacherzählungen der Shakespearschen Königsdramen weit mehr als trockene Portraits von Machthabern, angereichert mit ein paar Geschichtsdaten. Sondern kleine, rasant erzählte Prosastücke mit viel Witz und ein wenig Sarkasmus. Literarische Petitessen, die Lust machen, die Originale wieder zu lesen (oder zu sehen) oder auch Neugierde beim Erstleser wecken können.
Eine Kostprobe: „Wer im Palast zugelassen war, hatte sich den Zugang mit Schwert und Feuer freigeräumt. König Edward, sein Bruder, war ein Mörder. George, sein anderer Bruder, war ein Mörder. Die gepflegten Grafen waren Mörder, die schleimigen Barone, die hochfahrenden Herzöge. Die Erzbischöfe und Kardinäle waren Mörder. Die angestellten Mörder, gesichtslose Männer in unauffälligen Kleidern, waren Mörder. Sogar die Frauen waren Mörderinnen, und die, die es nicht waren, schliefen mit Mördern, es gab ja keine andern Männer, und sie gebaren Kinder, die wie zukünftige Mörder erzogen wurden oder wie ihre Opfer.“
So schildert Urs Widmer die Zeit unter Richard III. (1452-1485). Das war der bucklige Mörder. Nicht enthalten ist in dem 1978 beim Diogenes Verlag erschienene Buch, das es leider nur noch antiquarisch gibt, das Drama um Edward III. Als Widmer seine Nacherzählungen schrieb, war sich die Forschung noch unsicher, ob auch dieses Stück Shakespeare zuzuschreiben sei: http://www.shakespeare-today.de/front_content.php?idart=79.
„Shakespeares Königsdramen“, nacherzählt von Urs Widmer. Das Taschenbuch wird ergänzt durch die witzigen, liebevollen Zeichnungen des 2009 verstorbenen Paul Flora.
Shakespeare-Zitate für alle Lebenslagen:
„Gesegnet, die auf Erden Frieden stiften.“ „Der Rest ist Schweigen.“ „Etwas ist faul im Staate Dänemark.“
Nicht antiquarisch, sondern quasi druckfrisch zu erhalten ist nun eine ganze Zitatenschatzkiste. Bei Shakespeare lässt sich für quasi jede Lebenslage das passende Zitat finden. Katrin Fischer hat als Herausgeberin rund 2.000 Zitate unter 400 Stichwörtern – vom Abschied bis zur Zwietracht – für „Reclams Lexikon der Shakespeare Zitate“ zusammengestellt. Im handlichen Reclam-Format lässt sich der rund 400seitige Zitatenschatz locker mitführen und bei passender Gelegenheit anwenden. Wer mag, kann sogar englisch parlieren. Eine ausführlichere Vorstellung des Reclam-Bandes (Preis: 9,80 Euro) gibt es bei Samy von der Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm: http://jastramkulturblog.wordpress.com/2014/02/08/samstag-27/
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild; Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht Sein Stündchen auf der Bühn`, und dann nicht mehr Vernommen wird. Ein Märchen ist`s, erzählt Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, Das nichts bedeutet. Aus: Macbeth
„Magst du bumsen?“, fragte sie plötzlich und zeigte auf meine Badehose. Das kam überraschend. (…) Ich zog meine Badehose aus und hängte sie an einem Ast in Blickhöhe. Eine Weile geschah nichts.Die Erde war kühl unterm Hintern. Im Hintergrund plätscherte das Stimmengewirr der Grillgäste und das blecherne Gedudel aus dem Rekorder. Plötzlich fasste sie sich an den Hinterkopf, zog ihr gelbes Haarband vom Pferdeschwanz, beugte sich vorne, griff beherzt zu und band mir eine große Schleife um meinen Pimmel. Ich war beeindruckt. Ich hatte das Schleifenbinden noch nicht gelernt, weder im Kindergarten noch zu Hause, sie hingegen brauchte nur ein paar Handgriffe und das Ding saß. Das kleine Luder hatte Erfahrung.
Robert Seethaler, „Jetzt wirds ernst“, Kein & Aber Verlag, 2010.
Mit einem gelben Haarband am besten Stück in der Hecke hocken, eine liebestolle Pubertiererin, die sich im eigenen Hintern verbeißt oder Hormonschübe beim Anblick chevrolet-farbener Zehennägel: Es ist für einen Jungen wahrlich nicht einfach, ein Mann zu werden. Zumal der junge Held in Robert Seethalers Roman mit mehreren Handicaps geschlagen ist: Sensibel, eigenbrötlerisch, leicht tolpatschig und unbeholfen. Der Weg zum Erwachsenwerden ist zudem mit harten Schlägen verbunden – dem Verlust der Mutter und die Erkenntnis, dass die heimlich Angebetete ausgerechnet dem best buddy zugeneigt ist. Dabei ist jene Lotte (ja, Werther lässt grüßen) ausschlaggebend dafür, dass unser Held denn doch nicht im väterlichen Friseursalon in der Provinz endet, sondern auszieht, um Schauspieler zu werden. Zum Theater kommt er wie die Jungfrau zum Kinde – um Lotte nahe zu sein, meldet er sich für eine Schulaufführung von der „Möwe“. Einmal mit dem Theatervirus angesteckt, liest er sich durch die Weltliteratur und zieht schließlich aus, um die Bühnen der Welt zu erobern…
Mit „Jetzt wirds ernst“ (man beachte das fehlende Apostroph – hier gehörte eines hin!) hat Robert Seethaler bereits vor seinem großen Erfolg „Der Trafikant“ (zur Besprechung geht es hier: “Der Trafikant“) einen jungen Mann in den Mittelpunkt gestellt, der sich erst noch suchen und finden muss. Ein locker-fluffig zu lesender Roman, amüsant und voller skurriler Einfälle – da wird en passant ein Altenheim zertrümmert, eine Theateraufführung gesprengt und die Weltliteratur auf die Reihe gebracht:
Die Russen – eine einzige, deprimierende Hölle, aber auch zum Schreien komisch.
Die Amerikaner – genauso versoffen, liebeskrank und todeslustig wie die Russen.
Die Skandinavier- zittrige Seelen in der schneebedeckten Einöde.
Die Schweizer – akkurat, unbestechlich, etwas moralisierend.
Die Österreicher – durchgedreht, witzig, hasszerfressen.
Die Griechen – bei denen geht es richtig zur Sache.
Goethe – starker Dichter, doch vom Theater keine Ahnung
Schiller – alles sehr deutsch. Große Liebe. Große Helden. Großes Geschrei. Große Bürokratie.
Und dann kommt Shakespeare.
Mit Shakespeare wird es für den Nachwuchs-Theaterstar ernst – in der Begegnung mit dem Dramatiker kristallisiert sich das künftige Wohl und Wehe aus. Seethaler dagegen hat mit diesem Roman noch nicht so richtig ernst gemacht – er wirkt ein wenig wie die Vorübung auf den Trafikanten, leichter, natürlich auch mit weniger ernstem Hintergrund: Während der junge Held hier nur aus der Provinz entkommen muss, landet sein gleichalteriges Pendant im Trafikanten geradezu im „Reich des Bösen“, kommt im nationalsozialistischen Wien an und hat sich weitaus anderen Bewährungsproben zu stellen. Vieles, was den Trafikanten auszeichnet, ist jedoch in „Jetzt wirds ernst“ bereits zu finden: Die Mischung aus Skurrilität und Melancholie, Tag- und Nachtträumereien, die Einblick in das Innenleben der Helden geben, und eine große Wärme, mit denen Robert Seethaler seine Figuren umfängt.
Dieser Seethaler kam übrigens über Buchhändler Samy von der Kulturbuchhandlung Jastram in Ulm zu mir – für die Empfehlung und die tollen Beigaben vielen Dank! Die Besprechung auf Jastrams Blog findet sich hier:http://jastramkulturblog.wordpress.com/tag/robert-seethaler/. Das ist die Buchhandlung, die ich in meiner Jugend frequentierte - raus aus der Provinz, rein in das große Ulm: Das war schon was. Zwar anders als bei den Seethaler-Leuten. Aber ernst wird es so oder so.
Eine der literarischen Empfehlungen des angehenden Großmimen muss ich noch wörtlich zitieren. Da gehe ich d`accord, bis auf den letzten Satz – der geht ja gar nicht:
„Und vor allem Brecht. Dieser Brecht versuchte erst gar nicht, auf die Tränendrüse zu drücken, oder die Leute mit moralinsaurem Geschwafel bei der Stange zu halten. Er erzählte einfach klipp und klar was Sache war und aus. Hätte er sich auch noch die ganzen Lieder gespart, wären die Stücke ziemlich perfekt gewesen.“
Lieder gespart? Hallo? In der DreigroschenOPER zum Beispiel? Skurriler Einfall. Mag sein, dass manche nur den „Mackie Messer“ kennen und sonst nichts von Brecht. Aber wenn dann wenigstens ein bisschen was im Hinterkopf hängen bleibt, dann ist das immer noch besser als: NICHTS.
Zumal Brecht selbst auch ganz schön gesungen hat – beispielsweise aus besagter OPER das Lied von der Unzulänglichkeit:
Das Lied von der Unzulänglichkeit
Der Mensch lebt durch den Kopf
der Kopf reicht ihm nicht aus
versuch es nur; von deinem Kopf
lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlau genug
niemals merkt er eben
allen Lug und Trug.
Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höh´res Streben
ist ein schöner Zug.
Ja; renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht anspruchslos genug
drum ist all sein Streben
nur ein Selbstbetrug.
Der Mensch ist gar nicht gut
drum hau ihn auf den Hut
hast du ihn auf den Hut gehaut
dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht gut genug
darum haut ihn eben
ruhig auf den Hut.
Ernst Jandl auf der LP “him hanflang war das wort”.
Kräftige Worte fand Jandl auch zu dem Geschehen in Österreich anno 1938.
1. Strophe aus “wien : heldenplatz”
der glanze heldenplatz zirka
versaggerte in maschenhaftem männchenmeere
drunter auch frauen die ans maskelknie
zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick
und brüllzten wesentlich…
Ernst Jandl (1925-2000).
Der „Trafikant“ (siehe Besprechung) spielt zu Zeiten des „Anschlusses“, als deutsche Wehrmacht, SS und Polizei kurzerhand in das Nachbarland einmarschieren und Österreich annektiert wird. Am 15. März 1938 hielt Adolf Hitler seine berühmt-berüchtigte „Anschluss”-Rede auf einem Balkon am Wiener Heldenplatz, unter dem sich heute der Haupteingang zur Österreichischen Nationalbibliothek befindet. 250.000 Menschen hörten ihm zu, wie er „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich” verkündete. Unmittelbar damit beginnt die Verfolgung von Intellektuellen, Politikern, Schriftstellern und Künstlern. Und die Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Ernst Jandl war selbst Ohrenzeuge dieses fanatischen Auftritts auf dem Heldenplatz. Die Hysterie, die der Anstreicher unter den Menschen entfachte – er fängt sie in seinem Gedicht ein. Eine zweite literarische Auseinandersetzung ist Thomas Bernhards Drama „Heldenplatz”. Die Uraufführung 1988 im Wiener Burgtheater konnte nur unter Polizeischutz aufgeführt werden. Dem Schriftsteller wurde Nestbeschmutzung vorgeworfen. Eine eingehende Berichterstattung zu dem größten österreichischen Theaterskandal findet sich hier: http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=190