O Nacht zärtlicher Sterne Gefunkel
In liebesklarer Luft
Lebendigen Traumes Flammendunkel.
Über schmalen Wegen der Bergeskluft,
Hoch im Gebirg’ in den eisigen Gipfeln ein Raunen.
Musik der Seele. Tanz und Märchen erstaunen.
Jakob Van Hoddis (Biographie des expressionistischen Dichters hier: Bibliotheca Augustana) schrieb sein “Indianisch Lied” der Zeichnerin und Puppenkünstlerin Lotte Pritzel auf den Leib. Das Gedicht in voller Länge und mehr zu der Frau, deren Puppen auch Rainer Maria Rilke zu einem Aufsatz inspirierten, hier: http://ringelnatz.org/ringelnatz-und-die-puppenmacherin/
Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.
Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt …
Im Dezember, zum Ende des Jahres,
kam das Glück.
Währte einen Moment. Doch ein wahres,
kein Lesestück.
Und im Januar, zum Anfang des Jahres,
kam das Leid.
Ein sehr echtes und bitteres war es.
Währte lange Zeit.
Marina Zwetajewa (1892-1941)
Aus: „Liebesgedichte“, Marina Zwetajewa, Reclam Verlag, in der Übertragung von Alexander Nitzberg.
„Das ewige Paar der Sich-Nie-Begegnenden“: So bezeichnete die große russische Lyrikerin Marina Zwetajewa einmal ihre glühenden Lieben – unter anderem zu Rainer Maria Rilke, den sie in Briefen in Besitz nahm, den sie (meist) aus der Ferne liebte, an dem sie sich aus der Ferne rieb. Rilke, der sich stets, auch in anderen Be-ziehungen Ent-ziehende, war dafür der passende Gegenpart. Doch nicht nur diese Fern-Beziehung prägte das Leben der Dichterin, die in ihrer Lyrik nach den Sternen griff und am Leben verbrannte.
Auch einem anderen Stern begegnete sie nur aus der Ferne: Anna Achmatowa (siehe deren Portrait hier) und Marina Zwetajewa. Zwei, die sich nicht begegnet sind. Und sich doch mit ihren Strahlen berührten. Die beiden weiblichen Pole der modernen russischen Poesie. Das lyrische A und das Z.
Achmatowa, die Zurückhaltende, Kontrollierte. Zwetajewa, die Überschäumende, im Guten wie im Bösen, immer ganz Gefühl:
„Während Achmatowa streng und traditionell ist, ihre Gefühle verbirgt und sie höchstens in winzigen Andeutungen an die Außenfläche treten lässt, ist Zwetajewa zügellos und widerspenstig, emotional außer Rand und Band und scheut keine plakativen Gesten. Achmatowa hat etwas Kammermusikalisches und Filigranes an sich. Zwetajewas Lyrik ist immer Tutti, immer gebrochen und grob geschnitzt. Schließlich vertritt Achmatowa die gediegene, unterkühlte, europäische Residenzstadt St. Petersburg. Zwetajewa aber ist ganz Moskau, die alte Hauptstadt, verloren im Chaos.“
Alexander Nitzberg im Nachwort zu „Marina Zwetajewa – Liebesgedichte“, Reclam Verlag, herausgegeben von Ulla Hahn.
Bereits als 18jährige betritt die Moskauerin mit ihrem ersten Buch „Abendalbum“ die literarische Bühne. Die 1892 geborene Tochter einer Pianistin und eines Professors für Kunstgeschichte atmet im Elternhaus zwar eine von Kunst und Kultur geschwängerte Luft ein, erfährt aber ebenso früh von den Verwicklungen und Verwundungen der Liebe – die Eltern sind im Herzen jeweils bei früheren Partnern, die Kinder „mal notdürftig beaufsichtigt von wechselnden Gouvernanten, dann wieder in der strengen Zucht katholischer Internate, in Genua, am Genfer See, im Breisgau“, schreibt Elke Schmitter in „Leidenschaften – 99 Autorinnen der Weltliteratur“. Marina Zwetajewa wendet sich früh dem Schreiben zu, das – auch bedingt durch das familiäre Umfeld – haltlose Mädchen findet darin Heimat und Berufung. In ihren ersten Gedichten setzt sie sich mit der Entwicklung vom Kind sein, vom Jungsein zur jungen Frau auseinander:
Nur ein Mädchen (Auszug aus der Übersetzung von Nitzberg):
Ich bin ein Mädchen. Meine Crux
ist, bis zum Hochzeitskranz
zu wissen: Jeder Mann – ein Fuchs,
ich selbst jedoch – die Gans, (…).
„Abendalbum“ erhält trotz der jungen Jahre der Lyrikerin Anerkennung durch bereits etablierte Dichter: „Und wie erwartet, sind alle wichtigen poetischen Gesetze hier intuitiv erfasst, weshalb es sich nicht bloß um ein nettes Buch voller Mädchengeständnisse handelt, sondern um ein Buch voller wunderbarer Verse“, schreibt Nikolai Gumiljow, Ehemann der Achmatowa und Begründer des Akmeismus. Neben dem schreibenden Ehepaar gehört unter anderem auch Ossip Mandelstam (hier eine Erinnerung an diesen Dichter) dieser literarischen Strömung an, die in ihrer Sprache das Nebelhafte der Symbolismus-Dichtung überwinden wollte, die zu Klarheit und Verständlichkeit drängte. Zwetajewa hatte in ihren ersten Dichtungen diesen Ton ganz unbewusst getroffen. Sie schreibt in ihrem Gedicht „Die Ästheten“:
„Füreinander sind wir sagenhafte Schatten,
für die Lesenden nur sagenhafte Reime.“
Zugleich weist sie damit bereits der Dichtkunst ganz nüchtern einen nachgeordneten gesellschaftlichen Rang zu, den sie 1932 in ihrem Essay „Die Kunst im Lichte des Gewissens“ noch konkreter definiert: „Ein Arzt oder Priester sind notwendiger als ein Dichter, sie sind es, die am Totenbett stehen, nicht wir…Und obwohl ich das weiß, bekräftige ich nach bestem Wissen und Gewissen, dass ich meine Berufung gegen nichts anderes eintauschen würde…“.
Letztlich wird sie diesen Halt, den ihr die Dichtung gibt, bitter benötigen. Ist es doch das Leben, das – teils selbst gewählt, teils dem Irrsinn ihrer Zeit verschuldet – ihr diesen Halt nicht geben kann. Die biographischen Eckpunkte im Überblick – 1912 heiratet sie den Offizier Efron, zwei Mädchen werden geboren, eines stirbt 1920 an Unterernährung in einem Moskauer Kinderheim. 1922 folgt die Emigration – Stationen sind Berlin, Prag, Paris. 1925 wird der Sohn Georgi geboren, drei Jahre später erscheint ihr letzter Gedichtband. 1939 kehrt sie in die Sowjetunion zu Mann und Tochter zurück, ihr Mann wird in der Haft erschossen. Zwetajewa selbst flüchtet mit ihrem Sohn 1941 vor den Deutschen aus Moskau in die überfüllte Stadt Jelabuga. Dort erhängt sie sich.
Sie, die mit aller Kraft lebte, liebte, litt, hatte ihre Kräfte verzehrt. Die politischen Wirrnisse ihrer Zeit taten ihren Teil dazu: Der Suizid vielleicht nur eine Vorwegnahme des unausweichlichen Schicksals der Verfolgung, der Verbannung, der Verhaftung. Letzten Endes ist Zwetajewa wie so viele andere Begabungen ihrer Zeit ein Opfer des stalinistischen Terrors geworden. Ihre Werke überlebten – verstaut in einem Koffer, der jahrelang von einer alten Tante als Bettstatt genutzt werden musste.
So überbordend und überschwänglich in Gefühlsdingen sie war – obwohl sie bis zum bitteren Ende zu ihrem Ehemann stand, unterhielt sie immer Affären zu anderen Frauen und Männern -, so nüchtern und scharfsinnig habe die Dichterin stets die politische Lage beurteilt, schreibt Elke Schmitter.
Die Wurzellosigkeit im Leben, kein Ort nirgends, der als Heimat zu bezeichnen ist – das verdammt zu einer ewigen Suche, zur Wanderschaft, zur Unruhe. Aber es öffnet auch den Blick, sei es im Privaten, sei es im Politischen. So schrieb Zwetajewa als junge Frau ein versöhnliches Gedicht über die Deutschen, als bereits der Erste Weltkrieg tobte - es wurde unlängst vorgestellt in der Frankfurter Anthologie.
„Sie war zäh, aber ohne Geduld; loyal, aber ohne Freundlichkeit; gesellig und zugleich von heroischer, trotziger Einsamkeit. Äußeres Elend ertrug sie mit bitterem Stolz, doch die Mühsal des Alltags erschöpfte sie physisch und psychisch“, charakterisiert sie Elke Schmitter. Eine, die es sich und anderen nicht einfach machte. Eine, die an sich erfuhr: Es gibt keine einfachen Fragen. Und ebenso wenig einfache Antworten.
Und was bis heute nicht versiegte:
Genuss – Bedauern. – Nun, was bin
ich jetzt, nach all dem? – Die Besiegte?
Die Siegerin?
Und ich möchte dich,
so gut ich kann bitten,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste
in deinem Herzen,
und zu verstehen.
Die Fragen selbst liebzuhaben
wie verschlossene Stuben
und wie Bücher, die in einer fremden Sprache
geschrieben sind.
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können,
weil du sie nicht leben könntest.
Und es handelt sich darum,
alles zu leben.
Vielleicht lebst du dann
allmählich – ohne es zu merken –
eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Rainer Maria Rilke war ein Viel-Brief-Schreiber. Rund 7000 Briefe sind erhalten - und beinahe jeder Brief auch ein Gedicht. Sie gelten als Teil seines literarischen Werks, legen Zeugnis ab vom sprachlichen Stilvermögen, aber auch vom menschlichen Einfühlungsvermögen dieses Dichters. Man möchte selbst Empfänger dieser tiefen Lebensweisheiten gewesen sein.
Reich davon sind die zehn “Briefe an einen jungen Dichter”: Franz Xaver Kappus stand an einem Scheideweg zwischen Offiziers- oder Schriftstellerlaufbahn, als er sich hilfesuchend an den acht Jahre älteren Rilke wandte. Der war zu dieser Zeit bereits unter anderem mit dem “Buch der Bilder” hervorgetreten und steckte während des Briefwechsels mitten im “Malte Laurids Brigge”. In ihrem Austausch tat Rilke jedoch viel mehr, als dem Jüngeren literarische Ratschläge zu geben - vielmehr reflektierte er über:
Das Leben -“Warum eines Kindes weises Nicht-Verstehen vertauschen wollen gegen Abwehr und Verachtung, da doch Nicht-Verstehen Alleinsein ist, Abwehr und Verachtung aber Teilnahme an dem, wovon man sich mit diesen Mitteln scheiden will. Denken Sie, lieber Herr, an die Welt, die Sie in sich tragen, und nennen Sie dieses Denken, wie Sie wollen; mag es Erinnerung an die eigene Kindheit sein oder Sehnsucht zur eigenen Zukunft hin, - nur seien Sie aufmerksam gegen das, was in Ihnen aufsteht, und stellen Sie es über alles, was Sie um sich bemerken.”
Die Kunst -“Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes. Darum, sehr geehrter Herr, wußte ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu prüfen, in denen Ihr Leben entspringt; an seiner Quelle werden Sie die Antwort auf die Frage finden, ob Sie schaffen müssen.”
Die Liebe -“Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.”
Die Einsamkeit -“Aber vielleicht sind das gerade die Stunden, wo die Einsamkeit wächst; denn ihr Wachsen ist schmerzhaft wie das Wachsen der Knaben und traurig wie der Anfang der Frühlinge. Aber das darf Sie nicht irre machen. Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit. Insich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen, - das muß man erreichen können. Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen, mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen, weil die Großen so geschäftigt aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.”
Das Suchen und Finden - “Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.”
Suchen und Finden muss man für sich selbst. Aber Rilke und seine Briefe können dabei ein wunderbarer Wegbegleiter, Lotse und Krücke zugleich sein.
Hörst du Geliebte, ich hebe die Hände -
hörst du: es rauscht…
Welche Gebärde der Einsamen fände
sich nicht von vielen Dingen belauscht?
Hörst du, Geliebte, ich schließe die Lider
und auch das ist Geräusch bis zu dir.
Hörst du, Geliebte, ich hebe sie wieder…
… aber warum bist du nicht hier.
Der Abdruck meiner kleinsten Bewegung
bleibt in der seidenen Stille sichtbar;
unvernichtbar drückt die geringste Erregung
in den gespannten Vorhang der Ferne sich ein.
Auf meinen Atemzügen heben und senken
die Sterne sich.
Zu meinen Lippen kommen die Düfte zur Tränke,
und ich erkenne die Handgelenke
entfernter Engel.
Nur die ich denke: Dich
seh ich nicht.
Sieh, wie sie zueinander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist.
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache und sieh: sie bekommen zu sehn.
Lass sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.
Anna Mitgutsch ist Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin. Ich kannte bisher nur ihre belletristische Seite – von ihren Romanen hatte ich „Die Züchtigung“ und „Familienfest“ gelesen. Die Züchtigung ist ein Buch, das einen lange nicht loslässt. Siehe hier die aktuelle Besprechung bei den Schreibtischmetamorphosen: Rezension “Die Züchtigung”. “Familienfest” handelt von einer jüdischen Familie in den USA und das Ringen um ihre Identität. Anna Mitgutsch ist eine Schriftstellerin mit einer klaren, leisen, streckenweise auch sehr lyrischen Sprache.
Ein Stil, den offenbar auch die Wissenschaftlerin pflegt. Das ist einerseits erfreulich: Da ist keine, die dem Leser meint, die Welt erklären zu müssen. Da ist eine, der die Welt ebenso ein Rätsel bleibt, dem sie sich fragend, fast schon zögerlich annähert. Wo andere Statements abgeben, wirft Anna Mitgutsch Fragen auf: Das ist das Kennzeichnende ihres Essaybandes „Die Welt, die Rätsel bleibt“, der 2013 beim Luchterhand Literaturverlag erschienen ist. 17 Essays, in vier Kapitel gegliedert: Schriftstellerportraits, Literatur, Transzendenz, Fremdsein. Schon die letzten beiden Kapiteltitel verdeutlichen: Nichts erschließt sich der Grazerin auf den ersten Blick, die Welt ist kein offenes Buch.
Diese Qualität, die Fähigkeit, Fragen zu stellen, statt Antworten vom Band zu liefern, macht die Wissenschaftlerin aus. Es macht dem Leser das Buch jedoch auch den Zugang mitunter schwer. Gerade dort, wo man eventuell konkrete Informationen erwartet, also bei den Schriftsteller-Portraits, werden so viele Fragen aufgeworfen, dass ab und an das Ziel, die Absicht des Portraits hinter den Fragen verschwindet. So in dem „nachgetragenen“, also fiktiven Brief an Sylvia Plath, der die Abgrenzung zwischen Kunst und Leben zu ergründen versucht. Übrigens ist jedem Beitrag eine Frage als Leitmotiv vorangestellt.
Anna Mitgutsch versucht also nicht, mit Sprache das Unsagbare zu benennen, aber sie unternimmt den Versuch, die Welt der Literatur, der Sprache, der Philosophie etwas zu enträtseln. Besonders stark, informativ und detailreich sind in diesem Essayband die Beiträge über jüdische Literatur und Literaten sowie der Essay „Die Grenzen der Integrität - Überlegungen zur Situation der Künstler und Schriftsteller in totalitären Diktaturen“. Allein ihre Gedanken über den umstrittenen Begriff der „inneren Emigration“ lohnen die Lektüre dieses Buches schon.
Zitat: “Der Emigrant Hans Sahl nennt die Zeit von 1933 bis 1945, die Zeit von Verfolgung und Flucht, die Zeit der Diktatur und des Zivilisationsbruchs, eine >Geschichte vom Leben und Sterben einer Kultur<. Wer sich mit den Biographien der Vertriebenen beschäftigt hat, mit den gewaltsam abgebrochenen Leben von Walter Benjamin, Kurt Tucholsky, Arthur Koestler, Stefan Zweig, Ernst Toller, Walter Hasenclever, die Flucht und Verzweiflung in den Tod trieben, wer die literarischen Zeugnisse der Entbehrungen, Erniedrigungen und Verluste der Emigranten gelesen hat, die ihre Flucht überlebten, dem erscheint es unangemessen, ja zynisch, das Wort Emigration im Zusammenhang mit jenen zu gebrauchen, die in einer entvölkerten Kulturszene plötzlich ins Zentrum rückten und ungeschoren blieben oder zu Ehren kamen, auch wenn sie beteuerten, es sei gegen ihren Willen geschehen. Es wäre aber auch frivol, alle, die ihre Heimat nicht verlassen konnten oder wollten, gleichwertig nebeneinander zu stellen, denn es gab einen literarischen Widerstand, der tödlich war, dessen Mittel mutiger und weniger verdeckt waren, so daß sie nicht nur späteren Germanisten, sondern auch der Gestapo und der Zensurbehörde auffielen. Die Lyrikerin Alma Johanna Koenig, die Schriftsteller Albrecht Haushofer und Hans Vogl mögen keine berühmten Autoren gewesen sein, aber sie büßten mit dem Leben für ihren Widerstand, der mit ihrem Werk in Einklang stand.”
Aus dem Inhalt: Essays unter anderem über Elias Canetti, Paul Celan, Emily Dickinson, Franz Kafka, Imre Kertesz, Herman Melville, Amos Oz, Sylvia Plath, Rainer Maria Rilke, Marlen Haushofer, Isabella Stewart Gardner, und andere.
Über die Autorin: Anna Mitgutsch wurde in Linz geboren. Sie unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Solothurner Literaturpreis.
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 416 Seiten, Luchterhand Literaturverlag, ISBN: 978-3-630-87418-0, € 19,99
Es ist mir ein Rätsel, warum so viele Literaten auf den Hund kommen. Und wenn schon Hund, warum dann auf den Mops? Potzblitz, motz.
Die Reihe seiner dichtenden Anhänger ist legendär: Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke und Gregor von Rezzori waren Freunde dieses „anhänglichen Begleithundes“, Goethe, Ernst Jandl, Wilhelm Busch und andere setzten ihm literarische Denkmäler. Die Anzahl der Mops-Gedichte und –Geschichten ist so hoch wie die Häufchen-Dichte in manchem Stadtpark.
Der Mops stammt ursprünglich aus China. Es war das Privileg des Kaisers, ihn zu berühren und anzufassen. Für Hinz und Kunz gab es nur zweite Wahl – sprich Möpslinge, die nicht den kaiserlichen Standards entsprachen. Später schrieb der Mops in Europa Geschichte – so das Brettener Hundle, das 1504 in der Melanchthon-Stadt eine Belagerung beendete. Melanchthon ist der zweitnächstberühmte Sohn der Stadt. Nach dem Mops.
Eine Auswahl an literarischen Mopsereien:
An Mops
Sei dumm!
Dies wünsch′ ich dir zum neuen Jahr!
Warum?
Weil Dummheit in dem alten Jahr
So manches Schöpsen Glück gebar.
Darum
Sei dumm!
Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 bis 1791)
Schubart, der nicht nur durch seine „Forelle“ berühmt wurde, sondern auch als einer der wichtigsten politischen Journalisten seiner Zeit war, im Portrait: http://saetzeundschaetze1.wordpress.com/2013/07/15/schubart/
Als unser Mops ein Möpschen war
Als unser Mops ein Möpschen war,
Da konnt er freundlich sein.
Jetzt brummt er alle Tage
Und bellt noch oben drein,
Heidi, heida, heidal la la,
Und bellt noch oben drein.
“Du bist ein recht verzogen Tier!
Sonst nahmst du, was ich bot.
Jetzt willst du Lekkerbissen
Und magst kein trocken Brot,
Hei-du, hei-du, hei-da-la-la
Und magst kein trocken Brot.
Zum Knaben sprach der Mops darauf:
“Wie töricht sprichst du doch!
Hätt’st du mich recht erzogen,
Wär ich ein Möpschen noch,
Hei-du, hei-du, hei-da-la-la
Wär ich ein Möpschen noch
Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Der klassische Mops:
Die Strafe der Faulheit
Fräulein Ammer kost allhier
Mit Schnick, dem allerliebsten Tier.
Sie füttert ihn, so viel er mag,
Mit Zuckerbrot den ganzen Tag.
Und nachts liegt er sogar im Bett,
Da wird er freilich dick und fett.
Einstmals, als sie spazieren gehen,
Sieht man den Hundefänger stehen.
Er lockt den Schnick mit einer Brezen.
Das Fräulein ruft ihn voll Entsetzen.
Doch weil er nicht gehorchen kann,
Fängt ihn – gripsgraps! – der böse Mann.
Seht, wie er läuft, der Hundehäscher!
Und trägt im Sack den dicken Näscher.
Gern lief er fort, der arme Schnick,
Doch ist er viel zu dumm und dick.
Den schlacht´ ich!« spricht der böse Mann,
“Weil er so fett und gar nichts kann.“
Das Fräulein naht und jammert laut,
Es ist zu spät: da liegt die Haut.
Zwei Gülden zahlt sie in der Stille
Für Schnickens letzte Außenhülle.
Hier steht der ausgestopfte Schnick.
Wer dick und faul, hat selten Glück.
Wilhelm Busch (1832-1908)
In seinem naturgeschichtlichen Alphabet „für größere Kinder und solche, die es werden wollen“, macht Wilhelm Busch dem Mops ebenfalls keine Ehre: „Der Mops ist alter Damen Freude.“
Mopsenleben
Es sitzen Möpse gern auf Mauerecken,
die sich ins Straßenbild hinaus erstrecken,
(um) von sotanen Posten
die bunte Welt gemächlich auszukosten.
O Mensch, lieg vor dir selber auf der Lauer,
sonst bist du auch ein Mops nur auf der Mauer.
Christian Morgenstern (1871-1914)
DAS berühmteste aller Mops-Gedichte:
ottos mops
ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso
otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft
An diesem Werk werden sich noch Generationen von Sprachwissenschaftlern, Literaturexperten und Germanisten abarbeiten. Es gibt seitenweise Untersuchungen dazu, die von einer Analyse der anarchistischen Züge des Mops reichen bis hin zur Feststellung, das Gedicht drücke die Annäherung von Mensch und Tier aus. Wie mopsig. Mir macht dieser Mops vor allem eines: Immer wieder einen Mops-Spaß.
Der Mops von Fräulein Lunden
Der Mops von Fräulein Lunden
war eines Tags verschwunden.
Sie pflegte, muss man wissen -
tagtäglich ihn zu küssen.
Das hat dem Mops, wie allen,
die ehrlich sind, missfallen.
Der Küsse überdrüssig,
ward unser Möpschen bissig.
Er stritt mit allen Hunden
und selbst mit Fräulein Lunden.
Und gestern oder heute
entfloh er, liebe Leute.
Er floh vor Kuss und Schleifen.
Man kann den Mops begreifen.
Denn Schleifchen sind ihm schnuppe.
Ein Mops ist keine Puppe
Dem Mops sind Küsse Qual,
so lautet die Moral. James Krüss (1926-1977)
Und auch das noch! “Wenn die Möpse Schnäpse trinken”…
Zum Schluss sei nochmals Loriot zitiert: “Möpse sind mit Hunden nicht zu vergleichen. Sie vereinigen die Vorzüge von Kindern, Katzen, Fröschen und Mäusen.” Ja, dann!
Weitere literarische Mops-Verarbeitungen:
Der Mops von Bornholm von Emanuel Eckardt, 1985.
Der Mops von Edelstein, Erzählung von Johann Wolfgang von Goethe, 1795