“Expressing a human need, I always wanted to write a book that ended with the word Mayonnaise.”
Richard Brautigan
Beginnen wir mit einem leichten Gang, einem Appetithäppchen:
Rusty Trawler kam mit einem Martini; er gab ihn mir, ohne mich anzusehen. „Ich habe Hunger“, verkündete er, und seine Stimme, zurückgeblieben wie alles Übrige an ihm, klang wie das nervtötende Greinen eines kleinen Bengels, der Holly Vorwürfe machte. „Es ist halb acht, und ich habe Hunger. Du weißt, was der Arzt gesagt hat.“
“Frühstück bei Tiffany” von Truman Capote. Eine wunderbar federleichte, amüsante Erzählung, gewürzt mit einer Prise Melancholie und Traurigkeit – man weiß, die Geschichte von Holly Golightly und ihrem namenlosen Kater ist eine bittersüße, auch was die filmische Umsetzung des 1958 erschienen Buches anbelangt. Zwar hat man bei der leichtfüßigen und (nur scheinbar) leichtlebigen Dame stets die bezaubernde Audrey Hepburn vor Augen, doch in der Verfilmung wurden wesentliche Elemente ausgespart beziehungsweise nur angedeutet. So die Homosexualität des Schriftstellers, der die Geschichte der Holly aus der Retrospektive erzählt, so die zeitweilige Prostitution, der Holly nachgeht und die Kinderehe, die letztlich der Schlüssel für ihr Unabhängigkeitsstreben, ihren Freiheitsdrang, aber auch für die Beziehungsunfähigkeit ist. Im Buch, mit dem Capote berühmt wurde, steckt also weitaus mehr Gehaltvolleres, als der Film, von dem sich der Schriftsteller distanzierte, verspricht. Lesens- und sehenswert ist beides.
„Es muss sein wie bei Tiffany“, sagte sie. „Nicht, dass ich mir was aus Schmuck mache. Aus Diamanten schon. Aber es ist geschmacklos, Diamanten zu tragen, bevor man vierzig ist; und selbst dann ist es gewagt. Sie sehen erst bei sehr alten Frauen richtig gut aus. Maria Ouspenskaya. Knochen und Falten, weiße Haare und Diamanten. Ich kann`s gar nicht erwarten. Aber deshalb bin ich nicht verrückt nach Tiffany. Weißt du, kennst du die Tage, wo du das rote Elend hast?“
„Genau wie das graue Elend?“
„Nein“, sagte sie langsam. „Nein, das graue Elend ist, weil man zu dick wird oder es zu lange regnet. Man ist traurig, das ist alles. Aber das fiese rote ist schrecklich. Man fürchtet sich, und man schwitzt wie ein Schwein, aber man weiß nicht, wovor man sich fürchtet. Bloß, dass etwas Schlimmes passieren wird, aber man weiß nicht was. Hast du das Gefühl schon mal gehabt?“
„Ziemlich oft. Manche nennen es Angst.“
Truman Capote, „Frühstück bei Tiffany“, 2006 im Rahmen der „Zürcher Ausgabe“ in einer Neuübersetzung beim Verlag Kein & Aber erschienen.
Hauptgang - ein heißes Dinner tischt uns Klaus Krolzig
mit seinem Gastbeitrag auf:
“Angerichtet” ist das erste Buch von Herman Koch, das aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt wurde, nachdem er bereits fünf Romane in den Niederlanden veröffentlicht hatte. Nach Harry Mulisch mit “Die Entdeckung des Himmels” ist es außer Herman Koch keinem Autor mehr gelungen, länger als ein halbes Jahr auf dem ersten Platz der niederländischen Bestsellerliste zu stehen. 2009 wurde “Angerichtet” mit dem Preis “Bestes Buch des Jahres” ausgezeichnet.
Koch tischt uns ein Abendessen auf, dessen sieben Gänge diese Tragikomödie strukturieren. Er bringt vier Personen an die Tafel: den berühmten niederländischen Politiker Serge Lohmann und seine Gattin Babette sowie seinen Bruder Paul (Erzähler des Romans) mit seiner Frau Claire.
Paul hat an allem etwas auszusetzen. Er rechnet gnadenlos ab mit dem verlogenen Verhaltenskodex der besseren Gesellschaft und der Scheinheiligkeit seines Bruders als Politiker. Nichts entgeht seiner beißenden Polemik, wobei dem Leser das Schmunzeln manchmal im Halse stecken bleibt. Die vier Protagonisten sitzen in einem Edel-Restaurant der gehobenen Klasse, um über ihre Kinder zu sprechen, die eine grausame Tat auf ihrem Gewissen haben. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Bagatelle, sondern um einen schwerwiegenden Fall von Jugendkriminalität. Das grausige Verbrechen gerät immer wieder nach Abschweifungen in Pauls und Serges zwielichtige Vergangenheit in den Blickpunkt der Gespräche und wird uns häppchenweise serviert. Die Eltern wissen bereits mehr als die Polizei und beraten darüber, wie man ihre Kinder vor einer polizeilichen Verfolgung schützen kann. Dabei erscheint keine Handlung und keine Aussage ohne Bedeutung für den weiteren Verlauf zu sein. Es geht um die Zukunft ihrer Söhne und da ist den Eltern jedes Argument recht, die Gewalttat ihrer Kinder zu verharmlosen. Unablässig spitzt sich die Handlung zu und mündet in einen Showdown, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Das Setting des Romans erinnert mich an den Film “Bennys Video” von Michael Haneke, worin Vati und Mutti die Leichenteile eines Mädchens verschwinden lassen, um eine Tat zu verschleiern, die ihr pubertierender Sohn begangen hat. Daran droht die ganze Familie zu zerbrechen.
Bei aller Leichtigkeit drängt sich bei der Lektüre dieses Buches immer wieder die Frage auf, welchen Einfluss Eltern, die in ihrer Vorbildfunktion versagen und selbst nicht vor Gewaltexzessen zurückschrecken, auf die emotionale Teilnahmslosigkeit und Verrohung ihrer Kinder haben. Herman Koch versteht es, bei einem so ernsten Thema wie der Jugendkriminalität den Leser sowohl zu unterhalten, immer mit einem Schuss Sarkasmus, aber gleichzeitig auch nachdenklich zurückzulassen.
Der Maître d’hôtel deutete mit dem kleinen Finger auf etwas auf unserem Tisch. Ob er das Teelicht meinte, überlegte ich zunächst – auf allen Tischen stand statt einer Kerze oder Kerzen ein Teelicht. Nein, der kleine Finger zeigte auf ein Schälchen mit Oliven, das er dort offenbar gerade hingestellt hatte.
“Das hier sind griechische Oliven von der Peloponnes, zart beträufelt mit einem Olivenöl erster Ernte extra vergine aus Nordsardinien und bekrönt mit Rosmarin aus…”
Normalerweise konnte mir eine solche Information zwar gestohlen bleiben, von mir aus kam der Rosmarin aus dem Ruhrgebiet oder aus den Ardennen, aber ich fand das Geschwafel wegen einer Schale Oliven doch ziemlich übertrieben, und ich hatte keine Lust, ihn einfach so davonkommen zu lassen.
“Bekrönt? “ staunte ich.
“Ja, bekrönt mit Rosmarin. Bekrönt heißt, dass…”
“Ich weiß, was bekrönt heißt”, zischte ich scharf und vielleicht auch etwas zu laut, denn am Nachbartisch unterbrachen ein Mann und eine Frau kurz ihr Gespräch und sahen in unsere Richtung.
“Bekrönt”, fuhr ich etwas leiser fort. “Mir ist durchaus klar, dass die Oliven nicht alle ein Krönchen tragen und mich wie die Könige anglotzen.”
Herman Koch, “Angerichtet”, Taschenbuch, 320 Seiten, KiWi-Paperback
Schwere Kost, gehaltvoller Abschluss – der letzte Gang bleibt stehen:
„Ich habe gefragt, hört ihr denn nichts, hört doch mal. Das sind die Muscheln, hat meine Mutter gesagt, und ich weiß noch, daß ich gesagt habe, ist das nicht furchtbar, dabei wußte ich ja, daß sie noch leben, ich hatte mir nur nicht vorgestellt, daß sie das Schalenklappergeräusch machen würden, ich hatte mir gar nichts vorgestellt, als daß man sie kocht und ißt und fertig.“
„Das Muschelessen“ von Birgit Vanderbeke ist eine schmale Erzählung, doch wiegt sie schwer. Fast ohne Atempause, ohne Punkt und Komma, wird von der etwa 18jährigen Erzählerin von den Vorbereitungen auf ein Familienessen berichtet. Die Muscheln, ein Wunsch des abwesenden Vaters, sind angerichtet – doch der sonst so pünktliche Patriarch erscheint nicht. Während die Muscheln erkalten, reden sich Ehegattin, Tochter und Sohn langsam in Hitze – das Essen ist angerichtet, das Familienoberhaupt wird verbal hingerichtet. Sympathisch wirkt keine der Figuren, nicht nachvollziehbar erscheint es zunächst, warum die Rebellion gegen sein innerfamiliäres Diktat nur in seiner Abwesenheit stattfinden kann. Der Vater kommt nicht, dafür ein Telefonanruf, die Muscheln wandern kalt in den Müll - ein offenes Ende mit Symbolgehalt. Die Erzählung, 1990 veröffentlicht und mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, kann jedoch auch als Parabel auf die ehemalige DDR verstanden werden, die familiären Strukturen – Bespitzelung und Unterordnung – als bissige und bitterböse Beschreibung politischer Verhältnisse.
Birgit Vanderbeke, „Das Muschelessen“, Taschenbuch, 128 Seiten, Piper Taschenbuch.
Gefällt mir:
Gefällt mir Lade...