Franz Kafka ringt mit und um Felice Bauer

Bild: Rose Böttcher

Brief an Felice Bauer, 21.,22. und 23. Juni 1913

21.VI 13

Liebste, auch das und vielleicht das vor Allem berücksichtigst Du in Deinen Überlegungen nicht genug, trotzdem wir schon viel darüber geschrieben haben: daß nämlich das Schreiben mein eigentliches gutes Wesen ist. Wenn etwas an mir gut ist, so ist es dieses. Hätte ich dies nicht, diese Welt im Kopf, die befreit sein will, ich hätte mich nie an den Gedanken gewagt, Dich bekommen zu wollen. Was Du jetzt zu meinem Schreiben sagst, kommt nicht so sehr in Betracht, Du wirst, wenn wir zusammen sein sollten, bald einsehn, daß, wenn Du mein Schreiben mit oder wider Willen nicht lieben wirst, Du überhaupt nichts haben wirst, woran Du Dich halten könntest. Du wirst dann schrecklich einsam sein, Felice, Du wirst nicht merken, wie ich Dich liebe und ich werde Dir kaum zeigen können, wie ich Dich liebe, trotzdem ich Dir dann vielleicht ganz besonders angehören werde, heute wie immer. Langsam werde ich ja zerrieben zwischen dem Bureau und dem Schreiben (das gilt auch für jetzt, trotzdem ich seit 5 Monaten nichts geschrieben habe) wäre das Bureau nicht, dann wäre freilich alles anders und diese Warnungen müssten so streng nicht sein, so aber muß ich mich doch zusammenhalten, so gut es nur geht. Was sagst Du aber liebste Felice zu einem Eheleben, wo, zumindest während einiger Monate im Jahr, der Mann um ½ 3 oder 3 aus dem Bureau kommt, ißt, sich niederlegt, bis 7 oder 8 schläft, rasch etwas ißt, eine Stunde spazieren geht, dann zu schreiben anfängt und bis 1 oder 2 Uhr schreibt. Könntest Du denn das ertragen? Vom Mann nichts zu wissen, als daß er in seinem Zimmer sitzt und schreibt? Und auf diese Weise den Herbst und den Winter verbringen? Und gegen das Frühjahr zu den Halbtoten an der Tür des Schlafzimmers empfangen und im Frühjahr und Sommer zusehn, wie er sich für den Herbst zu erholen sucht? Ist das ein mögliches Leben? Vielleicht, vielleicht ist es möglich, aber Du mußt es doch bis zum letzten Schatten eines Bedenkens überlegen. Vergiß dabei aber nicht andere Eigenheiten, die mit dem Vorigen zusammenhängen, aber außerdem in unglücklichen Anlagen begründet sind. Seit jeher war es mir peinlich oder zumindest beunruhigend einen Fremden oder selbst einen Freund in meinem Zimmer zu haben, nun hast Du jedenfalls Menschen gerne, vielleicht auch Gesellschaften (…)

22. VI 13

Aber selbst wenn und solange ich bleibe, also im günstigsten, vergleichsweise günstigsten Fall, werden meine Frau und ich arme Leute sein, welche diese 4588 K sorgfältigst werden einteilen müssen. (…) Du hast schon mehrmals irgendein Leid erwähnt, das Ihr früher zuhause erlitten und ertragen habt. Was war das für ein Leid? Kann man daraus vielleicht die Tragfähigkeit für anderes Leid schließen?

23. VI 13

Nur auf das, was ich jetzt schreibe mußt Du hören, Felice, nur auf das mußt Du antworten, aber auf alles, nicht nur auf die Fragen. Dafür aber verspreche ich Dir aber, wenn Du das tust und in welchem Sinne immer, an Deine Eltern, wenn ich um Dich bitte, nur ganz kurz zu schreiben. Es ist wirklich nur unsere Sache, aber Du mußt ihr gerecht werden.

Franz

„Aber Du mußt ihr gerecht werden“: Da ist einer, der fordert im Namen der Liebe sehr viel ein – und das, nachdem er seitenweise zuvor über die Gründe schreibt, warum es besser wäre, ihn nicht zu heiraten. Die Briefe von Franz Kafka an Felice Bauer – ihre an ihn sind unglücklicherweise nicht erhalten – sie sind einfordernd und fordern, bedrängend und drängend einerseits und zugleich Zeugnisse eines, der lieben will und sich der Liebe doch nicht ganz anvertrauen mag. Ein Brief vorwärts, zwei Telegramme zurück. Sehen werden sich die beiden in diesen Jahren nur wenige Male - die Höhenflüge der Liebe, die Abstürze: Alles findet auf dem Papier statt, nicht im Leben.

Franz Kafka lernte die Berlinerin Felice Bauer im August 1912 kennen, wenig später beginnt der Briefwechsel, eine wahre Briefflut, die mit manchen Unterbrechungen bis 1917 dauert. Als Kafka an Tuberkulose erkrankt, ist das für beide wohl wie eine Erlösung von einer nicht „lebbaren“ Liebe, sie trennen sich.

Der S. Fischer Verlag hat die „Briefe an Felice Bauer“ und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit im Rahmen der Kritischen Gesamtausgabe Kafkas neu herausgebracht, das Buch liegt inzwischen auch als Fischer Taschenbuch vor. Ein guter Einstieg für jene, die sich der Kafka`schen Gedankenwelt nähern möchten – denn auch in den Briefen zeigt sich, wie sich Leben und Werk verknüpften: Felice Bauer leiht den Heldinnen seiner Werke - der Frieda Brandenfeld, dem Fräulein Bürstner bis hin zur Frieda des Schloßromans - nicht nur die Initialen ihres Namens.

Hans-Georg Koch, der die Briefe neu editiert und kommentiert hat, schreibt in seinem Nachwort:

„Briefe schreiben, und nicht nur einen, sondern gleich mehrere am Tag? (…) Vielleicht wären Felice Bauer und Franz Kafka, die in ihrem Hunger nach Mitteilungen einander in nichts nachstanden, in der heutigen Zeit völlig den Möglichkeiten des beständigen elektronischen Austauschs verfallen. Die dichte Abfolge ihrer Briefe unterscheidet sich jedenfalls kaum von SMS- oder E-Mail-Bombardements. Das Warten auf Antwort war allerdings eine größere Geduldsprobe, und gerade angesichts drängender Fragen schrieb Kafka oft bereits den nächsten Brief (…),

Dieses Schreiben mehrmals am Tag, bei dem man nicht weiß, ob überhaupt eine Antwort kommen kann, aber auch dieses vor und wieder zurück, was den Inhalt anbelangt – eigentlich kann sich jeder, der sich binden und doch nicht binden will, und das trifft heute auf viele zu, gut in Kafkas Lage hineinversetzen. Dieser ständige Sinneswandel, das Herantasten und dann doch wieder Fliehen, weil jedes Wort zu viel dann doch wieder zu nahe hingeführt hat zu etwas, wozu man sich letztlich nicht imstande sieht – auch unter diesem Aspekt ist die Korrespondenz zwischen Felice Bauer und Franz Kafka einer heutigen Fernbeziehung via Internet ziemlich ähnlich.“

Dieses vor und wieder zurück – auch die Autorin Marie Luise Kaschnitz schreibt darüber bereits 1967 im Spiegel:

„Dieser ewige innere Widerspruch ist qualvoll — ein pathologischer Sonderfall ist er nicht. In jedem Zueinander- und Voneinanderwegstreben Liebender ist etwas von dem Kafka-Felice-Schicksal, das hier durch die beschwörende Kraft von Kafkas Sprache, durch seine besondere Ungeduld und Trauer, vor allem durch sein künstlerisches Gewissen eine so ungeheure Steigerung erfährt.“

Wie Felice das ausgehalten hat? Ganz einfach: Sie liebte ihn. Als sie sich 1956 aus einer materiellen Notlage heraus von den Briefen trennen musste (sie verkaufte sie für 8000 Dollar, später wurden sie für 605 000 Dollar versteigert), sagte sie: „Mein Franz war ein Heiliger.“

Ein lesenswerter Beitrag für jene, die des Spanischen mächtig sind. Oder zumindest Fotos von Franz und Felice sehen möchten:
https://enlenguapropia.wordpress.com/2014/01/07/franz-kafka-y-felice-bauer-desdichas-de-un-amor-epistolar/

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

11 thoughts on “Franz Kafka ringt mit und um Felice Bauer

  1. „Was sagst Du aber liebste Felice zu einem Eheleben, […]“ - wie präzise und ehrlich Kafka die Lage umreißt, beeindruckt mich. So eine gute, klare Sprache, wo es ums Existenzielle geht. Schön, der Kaschnitz zu begegnen, auf der diese Tugenden auch zutreffen und um die es sonst viel zu still ist in unseren Zeiten. Kurzum, ein guter Beitrag wieder. Danke.

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    1. Ich danke, Dir liebe Margarete…ja, die Kaschnitz, die möchte ich auch mal wieder lesen. Mir fiel aber erst jetzt, durch Deine Worte, diese Verwandtschaft in der klaren Sprache so richtig auf…da lohnt sich das genauere Hinschauen nochmals…

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  2. Liebe Birgit,

    was für ein interessanter Gedanke, dass manch großer Geist von damals genauso auf seinem handy „rum“getippt hätte, schnell hin und her - und was da für die „Nachwelt“ verloren gegangen wäre…

    Herzliche Herbstsonntagsgrüße von
    Birgit

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    1. Liebe Birgit,
      das Briefeschreiben hat eine eigene Qualität. Vielleicht sollte man wichtige Dinge gar nicht in SMS oder Emails packen, sondern wieder zum Brief greifen. Und drauf hoffen, dass sie dann irgendjemand aus der Nachwelt editiert und einen somit posthum berühmt macht🙂

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  3. Liebe Birgit,
    ein schöner Text und eine sehr schöne Idee, die ganze Kafka-Thematik und Problematik aus seinen Felice-Briefen zu entwickeln. Mich hat dieses ewige Zögern und Zaudern immer schon beim Lesen der Kafka-Texte wahnsinnig gemacht - und manchmal habe ich gedacht, komm Franz, jetzt komm mal in die Hufe…. Aber der Franz zögert und zaudert vor sich hin. Und das soll also Liebe sein. Du siehst, mein Verhältnis zu K. Ist ein eher ambivalentes, zulindedt, was diesen Aspekt betrifft.
    Auf jeden Fall vielen Dank für den schönen Post und
    liebe Grüße von
    Kai

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    1. Lieber Kai, der Franz, der Zauderer - er macht mich auch manches Mal ungeduldig, mehr noch beim Reinlesen in seine Tagebücher. Andererseits: Dieses präzise Nachspüren und Festhalten jeder seelischen Schwingung, es über auch eine Faszination auf mich aus (das findest Du beispielsweise auch in den Henry James-Romanen, hab gerade Die Gesandten gelesen). Und eigentlich ist das doch auch ein Spiegel der menschlichen Seele? Die meisten schwingen doch hin oder her, nur manche werden davon getrieben, wie der Franz, andere treiben halt vorwärts ohne der Introspektion zuviel Raum zu geben. Liebe meine ich, war das zwischen den beiden allemal (ihre Briefe gibt es ja nicht mehr), aber halt ihre Version davon.
      Viele Grüße, Birgit

      Gefällt 2 Personen

      1. Liebe Birgit,

        natürlich hast Du völlig Recht, das war Liebe zwischen den beiden und die von Dir so schön bezeichneten seelischen Schwingungen zeichnet Franz K. wunderbar einfühlsam nach (oder vor). Mein aktuelles Problem mit Herrn K. war wohl von meiner bisherigen intensiven Beschäftigung mit dem Buch von Thun´mona Sina geprägt - und da kam mir das eher wie bedeutungsschweres Namedropping (um es mal ganz platt zu sagen) vor und ging mir von daher ein bisschen auf den Geist, vor allem weil so viele Rezipienten voll darauf abgefahren sind, ohne das mal zu hinterfragen. Kafka ist unschuldig!
        Liebe Grüsse
        Kai

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      2. uff, jetzt bin ich aber froh, dass Kafka unschuldig ist🙂
        Abgesehen davon fand ich Euer Buchgespräch sehr interessant und spannend - aber ich kann leider nichts dazu sagen, da ich es nicht gelesen habe (und wohl auch nicht lesen werde). Ich hoffe doch, dass Kafka diese deine Lektüre übersteht🙂

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  4. …dem Nachspüren und Festhalten jeder seelischen Schwingung kann ich mich bewusst anschließen, da beide Faktoren sich in „Die Herrlichkeit des Lebens“ von Michael Kumpfmüller auf wunderbare Weise spiegeln…

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