Helme Heine: Prinz Bär (1987).

Nachdem bei “Druckschrift” und “Von Orten und Menschen” gerade viel von Illustratoren, Kinderbüchern, vom Küssen und allerlei Tierchen zu sehen und zu lesen ist, habe ich auch nochmals durch mein Regal gestaubt. Dort schlummert schon seit einem Vierteljahrhundert der “Prinz Bär”. Ein Buch, das ich sehr mag, obwohl ich seine “Botschaft” im Grunde nie verstanden habe. Und meine Zweifel daran hege, ob die Geschichte mit ihrem leicht melancholischem Fatalismus tatsächlich was für Kinder ist. Vielleicht verstehen Kinder das Ganze aber intuitiv viel besser als verbildete Erwachsene?

Zum Autoren und Illustrator: Helme Heine ist 1941 in Berlin geboren. Nach einem Studium der  Wirtschaftswissenschaften und Kunst ging er auf Reisen durch Europa und Asien. Als Autor und Illustrator erhielt Helme Heine viele Auszeichnungen und Preise. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen: „Freunde“, „Die Perle“, „Samstag im Paradies“ und „Na warte, sagte Schwarte“.

Und eben auch “Prinz Bär”:
Die Geschichte ist eine kurze: Da sind Bären, die, hatten sie den Wald satt, mal kurz eine Prinzessin küssten und zum Prinzen mutierten. Hatten die Prinzessinnen das Hofzeremoniell und sonstiges Pipapo über, küssten sie einen Bären. Dann allerdings - aber Achtung! - kommen Holzfäller und machen den Wald platt. Die Bären wollten demnach alle raus aus dem Wald, keine Prinzessin mehr dagegen rein. “Von Stund an konnte sich kein Bär mehr in einen Prinzen verwandeln und keine Prinzessin mehr in einen Bären - egal, wie lange sie sich küßten.” Das ist der letzte Satz.

Aber hallo, Herr Heine! Kein Happy-End? Meinetwegen. Man muss den Kindern schließlich nicht vormachen, es wäre unbedingt erstrebenswert, ein Prinz zu sein. Oder eine Bärin. Aber was will die Story eigentlich sagen? Dass Raubbau am Wald ökologischer Mist ist? Dass nicht in jedem Frosch ein Problembär steckt? Dass Prinzessinnen nicht alle Erbsen im Kissen haben? Dass man nicht in die Haut eines anderen schlüpfen kann? Oder dass Küssen keinen Kummer heilt? Dass es kein Ying und Yang gibt und Männlein und Weiblein immer getrennt bleiben? Ich habe keinen Schimmer.

Und dennoch mag ich das Buch - auch wegen seiner Illustrationen. Nur, Herr Heine, es ist nicht gut, wenn Prinzessinnen und Bären zu (lange) getrennt voneinander sind:

Mark Twain: Handreichung für freche Fräulein (1865).

Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überall hin - das schien sich auch der 30jährige Mark Twain ins Brevier geschrieben zu haben, als er dieses unkonventionelle Kinderbuch verfasste. 1865 war er noch nicht verheiratet und ebenfalls noch nicht Vater - wer weiß, wie sein Ratgeber einige Jahre später ausgefallen wäre…
“Advice to little girls” ist voller hintersinniger Tipps:
“Good little girls always show marked deference for the aged. You ought never to ‘sass’ old people unless they ‘sass’ you first.”
“If your mother tells you to do a thing, it is wrong to reply that you won’t. It is better and more becoming to intimate that you will do as she bids you, and then afterward act quietly in the matter according to the dictates of your best judgment.”
So werden kleine Mädchen zu kleinen Macchiavellis, die sich mit Mark Twains Rat gut in der von Doppelmoral geprägten Erwachsenenwelt behaupten können.
Der kleine Ratgeber war lange vergessen - vielleicht hatte ihn eine Allianz aus Müttern, Lehrerinnen, alten Tanten und Gouvernanten aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt, um kleine Mädchen brav zu halten?
2011 wurde es von Maria Popova, die den schönen Blog “Brainpickings” betreibt, in einer italienischen Ausgabe entdeckt, geschmückt mit den wunderbaren Zeichnungen des bekannten russischen Buchillustrators Vladimir Radunsky. Nun ist es auch in deutscher Übersetzung beim Aufbau Verlag erschienen. Und mein Tipp: Die Handreichung für freche Fräulein ist nicht nur hilfreich für kleine Mädchen, sondern auch für große Frauen!

Andy Warhol: 25 Cats Name Sam and One Blue Pussy (1954).

Sam1Nach den ganzen verschämten Lektüren ist es einfach einmal wieder an der Zeit für einen ordentlichen, richtig seriösen Katzencontent. Zumal bei Benn Wederwill erst jetzt von einem “pinken Kätzchen” geträumt wurde, das sich als grauer Kater entpuppte. Wer weiß, vielleicht sogar der bessere Kompagnon fürs Leben als die rosa Traumkatze?

Hier aber ist sie: Pink Cat. Zugegeben: Ich habe mich an den Warhol-Katzen schon ein wenig sattgesehen. Aber die Geschichte zum Buch (oder eher Heft) finde ich ganz spannend: Etliche Zeit bevor Andy Warhol die Pop Art-Kunst berühmt machte (und sie ihn), schlug er sich mehr schlecht als recht als freiberuflicher Illustrator von Kinderbüchern durch. Anfang der 1950er Jahre lebte er mit seiner Mutter, der Künstlerin Julia Warhola, und einer Menge Katzen beengt in einem kleinen Apartment in New York. Die Katzen hießen alle, bis auf eine Ausnahme, Sam.

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1954 veröffentlichten Mutter und Sohn ein gemeinsames Werk im Eigenverlag: „25 Cats Name Sam and One Blue Pussy“. Eigentlich ein völlig falscher Titel: Denn statt 25 Katzen sind nur 16 in dem Büchlein enthalten und Mama Julia vergaß ein „d“. Was soll`s. 190 signierte und nummerierte Exemplare wurden an Freunde und Kunden verschenkt – die lachten sich später sicher ins Fäustchen, als alles von Warhol in astronomische Höhen stieg.

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Julia Warhola ließ später noch für ihre Katze Hester ein zweites Buch folgen, „Holy Cats by Andy Warhol`s Mother“, außerdem arbeitete das Mutter-Sohn-Gespann noch beim Kochbuch „Wild Strawberries“ zusammen. Dann aber wurde Andy Warhol zu Andy Warhol und hatte für Kindereien keine Zeit mehr.

Während das Katzenbuch mit der Frau Mama als Nachdruck nur für viel Geld erhältlich ist, hat nun der Deutsche Kunstbuchverlag ein Warhol-Malbuch für Kinder herausgebracht.
Verlagstext: “Es ist hinlänglich bekannt, dass Andy Warhol in den 1960er Jahren seine Factory gründete. Weniger bekannt hingegen sind seine Colouring Parties, die er bereits in den 50er Jahren für Bekannte veranstaltete. Im Rahmen dieser Treffen ließ er die Gäste Reproduktionen seiner Zeichnungen ausmalen und mitgestalten. Dieses Malbuch mit Bildern von Andy Warhol lädt Kinder ein, den Bekannten des Künstlers zu folgen und die Zeichnungen mit Farbe zu beleben. Die Bilder für das Kindermalbuch schuf Warhol im Jahr 1961 für die Lederwarenfabrik Fleming-Joffe, Ltd. Die vorliegende Version mit den deutschen Übersetzungen ist dieser Ausgabe nachempfunden und lockt Kinder in eine skurrile Welt aus Echsen, Wasserbüffeln und Alligatoren.”

Hier geht es zu den Buchangaben auf der Verlagsseite: http://www.deutscherkunstverlag.de/buch/malerei-und-skulptur/++/buchid/1370-ein-malbuch-mit-zeichnungen-von-andy-warhol/buchdetail/1/seite//

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TRIO 23: Hilde Domin, Erika Mann, Marlen Haushofer schreiben für Kinder

Ihre Namen bringt man mit herausragender Lyrik in Verbindung, mit einem Klassiker der zeitgenössischen Literatur, mit engagiertem politischen Schreiben, mit Exilliteratur, mit Kabarett und modernen Romanen – kurzum mit Erwachsenenliteratur. Doch Hilde Domin, Erika Mann und Marlen Haushofer, sie alle drei schrieben auch ganz bezaubernde und bemerkenswerte Bücher für Kinder und Jugendliche.

„Ich lebte auf einer Insel, die war ganz anders als die Inseln, die ihr kennt. Nachmittags pünktlich um fünf flogen Papageien über das Haus, eine grüne Wolke. Wie Tauben, aber eben grün. Sie kreisten nicht, sie flogen vorbei, und sie unterhielten sich sehr laut, in ihrer eigenen Sprache.“

Hilde Domin, „Die Insel, der Kater und der Mond auf dem Rücken“.

Hilde Domin (1909-2006) verbrachte 22 Jahre ihres Lebens im Exil – einen Großteil davon in der Dominikanischen Republik. Domin, die mit Mädchennamen Löwenstein hieß und nach ihrer Verheiratung Hilde Palm, veröffentlichte ihre Gedichte nach der Rückkehr nach Deutschland 1954 unter dem Pseudonym „Domin“. Abgeleitet von der Insel, auf der sie zum Schreiben fand, die zum Zufluchtsort geworden war. Doch nicht zur reinen Insel der Seligen: Das Andersbleiben in der Fremde, das Leben zwischen verschiedenen Welten, dies kommt auf ganz poetische Art und Weise auch in den Erzählungen über den kleinen Kater Gogh zum Ausdruck. Der Lyrikerin war auf der Insel selbst ein einohriger Kater zugelaufen, der sie Jahre später zu der Geschichte inspirierte. Gogh ist der sprichwörtliche „schwarze Kater“, dem, weil er anders ist als andere Katzen, alles Unheil zugeschrieben wird. Das „Anderssein“: Ein Thema, mit dem Hilde Domin zunächst als Jüdin in ihrem Heimatland, dann als Exilantin auf der Flucht ständig konfrontiert war. Aber auch ein Thema, das Kinder immer wieder bewegt.

Hilde Domin hatte ansonsten nur für Erwachsene geschrieben. Die Texte um den Kater Gogh blieben eine Ausnahme. 1966 wurde sie von der Kinderbuchverlegerin Gertraud Middelhauve gebeten, einen Text für Kinder zu verfassen. So entstand der »Bericht von einer Insel«, der in der Anthologie »Dichter erzählen für Kinder« veröffentlicht wurde. Unter dem Titel „Die Insel, der Kater und der Mond auf dem Rücken“ wurde die Geschichte zum 100. Geburtstag der Dichterin im Jahr 2009 vom S. Fischer Verlag veröffentlicht, illustriert von Alexandra Junge.

„Seit Christoph Bartel zehn Jahre alt war, durfte er allein bei den Booten sein und aufpassen. Er hatte auch eine schwarze Ledertasche umhängen wie ein erwachsener Straßenbahnschaffner und wußte genau, daß eine halbe Stunde Kahn fahren dreißig Pfennige kostete, wenn die Leute selber ruderten. Wenn aber er ruderte, Christoph– Stoffel, kostete sie fünfzig Pfennige, und in diesem Fall war er besonders stolz. Natürlich ging das alles nur nachmittags, denn vormittags war Schule, und Stoffel war sogar ein ziemlich guter Schüler. «Vom Schlechtsein hat man bloß Ärger», pflegte er zu sagen, «und schließlich sind die Lernsachen ja alle ganz ulkig – man muß sie sich nur richtig zurechtlegen.»“

Erika Mann, „Stoffel fliegt übers Meer“.

Eine ganz andere Seite zeigte die sonst so scharfzüngige Kabarettistin und Journalistin Erika Mann (1905-1969) in den insgesamt sieben Kinderbüchern, die sie schrieb. Vor allem das erste davon, das 1932 erschienene „Stoffel fliegt übers Meer“ (als Taschenbuch beim Rowohlt Verlag erhältlich) fand großen Anklang. Gewidmet war es ihren jüngeren Geschwistern Elisabeth und Michael: „Für Medi und Bibi, weil sie meine Geschwister sind, und weil sie es gerne wollten“. Die Illustrationen dazu steuerte ihr Jugendfreund Richard Hallgarten bei. Das Buch erschien kurze Zeit nach dem Suizid des Malers und Grafikers, der sich im Mai 1932 das Leben genommen hatte – eigentlich wollte Erika Mann Hallgarten mit diesem Projekt Lebensmut geben, doch er war nicht zu halten.

Das Buch erzählt vom zehnjährigen Stoffel, der zum Unterhalt seiner Familie durch Bootsvermietungen etwas beisteuert. Die Weltwirtschaftskrise macht sich auch in der ländliche Idylle bemerkbar: Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Daher will Stoffel den reichen Onkel Sepp im sagenhaften Amerika besuchen. Er gelangt über verschiedene Stationen tatsächlich in den Zeppelin nach New York und erlebt dabei etliche Abenteuer – mit Happy End.

Im Hause Mann hatten Kinderbücher Tradition: Schon Erikas Vater und Onkel – Thomas und Heinrich, müßig zu erwähnen – hatten ihren jüngeren Geschwistern ein „Bilderbuch für artige Kinder“ gewidmet. Erika setzte als älteste Tochter von Klaus Mann diese Tradition fort. Neben Szenen aus den Kinderspielen, die die jungen Manns so trieben, gingen auch viele authentische Erlebnisse in den „Stoffel“ ein, Urlaubsabenteuer im bayerischen Land oder auch die Weltreise, die Erika und Klaus Mann 1927 unternommen haben. Das Kinderbuch ist auch heute noch herzerwärmend lesenswert. Selbst Marcel Reich-Ranicki lobte 1989 Erika Mann postum (beinahe) für diese Texte: „Die flotten und phantasievollen Kinderbücher, in denen sie bisweilen den Großmeister dieses Genres, Erich Kästner also, heiter nacheiferte, hatten viele Leser (…). Es seien dem Stoffel daher viele neue Leser gewünscht.“

„Als er noch ganz winzig war, nannten ihn die Menschen Peter. Er lag bei seiner Mutter Tschitschi in einem weichgepolsterten Korb, und es ging ihm sehr gut. Seine Mutter war weich und warm, roch sehr angenehm und versorgte ihn mit süsser Milch. Manchmal juckte ihn etwas, aber er wusste nicht, dass es ein Floh war, und er vergass den kleinen Schmerz gleich wieder. Seine Mutter war eine zarte silbergraue Katze, die sehr viel auf Reinlichkeit hielt und ihn immer wieder sauberleckte. Sein Vater war der ärgste Raufbold der Stadt, sein Grossvater ein riesiger Dorfkater, der berühmt war wegen seiner Stimme, und einer seiner fernen Urahnen war ein Wildkater gewesen. Von ihm stammte die schöne Zeichnung auf Peters Fell und sein unbändiges Temperament.“

Marlen Haushofer, „Bartls Abenteuer“.

Bei Marlen Haushofer (1920-1970) denkt man unwillkürlich auch an „Die Wand“, das berühmteste Buch der österreichischen Schriftstellerin. Neben ihren Romanen und Novellen veröffentlichte sie jedoch auch eine ganze Reihe Kinder- und Jugendbücher. Lange Zeit war die Wahrnehmung eine andere – die Autorin war nach ihrem Tod zwar noch einigermaßen wegen ihrer Kinder- und Jugendbuchliteratur im Gedächtnis geblieben. Ihre weitaus schwierigeren, dunkleren Werke für Erwachsene wurden vergessen, nach ihrem Tod war es still geworden um ihre literarischen Werke. Erst mit der Neuauflage von “Die Wand” 1983 schenkte man Haushofer als einer Vertreterin feministischer Literatur wieder die ihr gebührende Aufmerksamkeit.

Zurück zu den Kinderbüchern: Das bekannteste davon ist wohl die 1964 erschienene Roman um den kleinen Kater Bartl, der in eine Familie kommt, sich dort zurechtfinden muss und beim Erwachsenwerden einige Abenteuer und kleinere Katastrophen übersteht. Freunde der Autorin versicherten später, der Roman gebe auch ein Abbild von Marlen Haushofers Familie, doch das Ehe- und Familienleben der Autorin waren bei weitem nicht so idyllisch, von Trennungen und Zwistigkeiten geprägt. Über die Hauskatze Iwan, wohl ein Vorbild für den Bartl, sagte Haushofer einmal, er sei das einzige Wesen in der Familie, über das es keine Streitigkeiten gäbe.

Ob nun ein herbeigeschriebenes und –gesehntes Familienidyll oder nicht: Der Roman mit seinem leicht naiven Ton ist dennoch für kleiner Kinder auch heute noch (vor-)lesenswert und stellenweise, um ihn mit diesem altmodischen Ausdruck zu bedenken, auch ganz „entzückend“. Er ist als Ebook beim Ullstein Verlag erhältlich, ansonsten gedruckt antiquarisch.

Lane Smith: Das ist ein Buch! (2010).

Als bekennende Liebhaberin des GEDRUCKTEN Buches habe ich an diesem kleinen Geschenk von einer Freundin eine große Freude. Ein Kinderbuch für kleine UND große Leser.
Ganz simpel und charmant wird erklärt, was ein Buch alles kann - beziehungsweise nicht kann: Bloggen, scrollen, twittern, simsen. ABER: Bücher (das ist jetzt meine Hinzufügung) kann man anfassen, riechen, streicheln, in der Hand wiegen.
Smith_23937_7.Aufl._MR1.inddUnd wie der amerikanische Illustrator Lane Smith bemerkt: Es braucht keinen Nickname, kein Passwort, man muss es nicht aufladen, und überhaupt - gedruckt ist schön.
Der kleine Affe im Buch liest übrigens ein ganz tolles Buch: Die Schatzinsel. Auch deswegen findet das hier auf Sätze&Schätze seinen Platz.

backWie er auf die Idee zu seinen Zeichnungen kam, erklärt Lane Smith auf seinem Blog selbst:
http://curiouspages.blogspot.de/2010/07/lane-smith-on-its-book.html

Und hier gibt es das Buch:

http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/das-ist-ein-buch/978-3-446-23937-1/

Alan Alexander Milne: Pu, der Bär (1926).

Die Originalzeichnungen zur Erstausgabe von 1926 stammen von Ernest H. Shepard.

„Wir gehen auf eine Expedition“, sagte Christopher Robin, als er aufstand und sich abbürstete. „Danke, Pu.“
„Auf eine Expotition?, sagte Pu eifrig. „Ich glaube, auf so was war ich noch nie. Wohin müssen wir um auf diese Expotition zu kommen?“
„Expedition, dummer alter Bär. Da ist ein x drin.“
„Ach!“, sagte Pu. „Ich weiß.“ Aber das stimmte eigentlich gar nicht.
„Wir werden den Nordpohl entdecken.“
„Ach!“, sagte Pu wieder. „Was ist der Nordpohl?“, fragte er.
„Das ist eben etwas, was man entdeckt“, sagte Christopher Robin leichthin, denn genau wusste er es auch nicht.

Die größten Abenteuer finden im Kopf statt. Zumal wenn man noch Kind ist oder auch im höheren Alter seine kindliche Seite bewahren durfte. Dann ist es auch möglich, jeden Tag auf eine Expotition zu gehen, um „irgendwas“, wie Pu schließlich meint, zu entdecken. Und wenn man dann noch gute Freunde hat wie Ferkel, Känga mit Ruh, Eule und I-Ah, dann macht es auch nichts aus, wenn die Expotition etwas wild wird und nebenbei das Essen ausgeht: Hauptsache, man ist zusammen.

Es ist vor allem die Freundschaft, die in dieser kleinen, skurrilen Clique herrscht, die Alan Alexander Milne in seinem Buch feiert. Milne (1882-1956) studierte Mathematik, arbeitete dann aber zunächst als Journalist und wurde Mitherausgeber der Satirezeitschrift „Punch“.

„Pu der Bär“ schrieb er 1926 für seinen Sohn Christopher Robin, der durch das Buch ebenfalls weltberühmt wurde. Harry Rowohlt, der geniale Übersetzer und Verfasser von „Pooh`s Corner“ meint dazu in der seiner ihm eigenen Art: „Und Christopher Robin findet heute natürlich nichts alberner, als wenn man zu ihm sagt: Ach, Sie sind Christopher Robin? Wie nett. Dann erzählen Sie mal.“ Fehlte nur noch: „Ich habe Sie mir viel jünger vorgestellt.“

Die Kolumne „Pooh`s Corner“ erscheint in der Zeit. Die Bücher von Harry Rowohlt werden in dem feinen Schweizer Verlag Kein & Aber verlegt. Zu den ersten beiden Hörbuchern des Verlags zählte Harry Rowohlts Lesung von Pu der Bär.

„Pu der Bär“ sollte man übrigens in zwei Sprachen lesen, so Deutsch die Mutter(Vater)sprache ist: Das englische Original ist bezaubernd, nicht weniger rühmenswert jedoch die Übersetzungsleistung von Rauschebart Harry Rowohlt. Trotzdem hinterlässt dieser Klassiker unter Kinderbüchern bei mir immer wieder den Eindruck, es sei letztendlich doch ein Buch für Erwachsene: Die können herzlich und laut lachen über die Exzentriker, die Christopher Robins Welt bevölkern. Kinder sitzen staunend daneben und wundern sich, warum die Alten plötzlich so losgackern.

Vielleicht ist beim Lachen auch etwas Schadenfreude dabei – meint man doch, in I-AH seinen sturen, stets miesepetrigen Nachbarn zu erkennen, Ferkel ist die aufgeschreckte Sekretärin im Büro. Übrigens blieb natürlich auch dieses Kinderbuch von Analysen nicht verschont. Gunter Müller hat in seinem Buch „Fette Vögel gehen öfter fremd“ skurrile Studien zusammengefasst. Und da ist über „Pu der Bär“ zu lesen:

„Der stets unglückliche Pu hat gleich mehrere Störungsbilder. Am auffälligsten ist seine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Außerdem leidet er an einer obsessiven Fixierung auf Honig, was auch seine Fettleibigkeit erklärt. Das kleine Ferkel, das so süß ist, wenn es ängstlich, errötet und nervös umherirrt, leidet an einer Angststörung. Auch die Eule hat mit erheblichen Entwicklungsstörungen zu kämpfen. Es handelt sich wohl um eine Legasthenikerin, die durch altkluges Verhalten versucht, ihre phonologischen Defizite zu überspielen.“

Was soll`s. Wenn wir alle perfekt wären, wäre die Welt stinklangweilig. Und es gäbe keinen „Pu der Bär“.

Maurice Sendak: Wo die wilden Kerle wohnen (1963).

„And when he came to the place where the wild things are they roared terrible roars and gnashed their terrible teeth and rolled their terrible eyes and showed their terrible claws…“

Maurice Sendak, “Where the wild things are” - “Wo die wilden Kerle wohnen”.

Terrible, terrible…und Max lacht sich einen Ast. Das Bilderbuch vom kleinen Jungen, der sich als Wolf verkleidet, eine Menge Unsinn anstellt und dann ins Land reist, wo die wilden Kerle wohnen, wurde zum Schlager. Sein Schöpfer war Maurice Sendak (1928 – 2012). Der „Picasso für Kinder“ bezeichnete das 1963 erschienene Buch als sein liebstes. Doch die leicht gruseligen Zeichnungen kamen vor allem bei erwachsenen Lesern (oder besser: Sehern) zunächst nicht besonders gut an – aber Sendak betonte, er male und schreibe eben so, wie es den Kindern gefalle. Und die Faszination, die seine Geschichte von Max immer noch weltweit ausübt, gibt ihm auch heute noch Recht.

Das Buch, das in der deutschen Übersetzung gerade 333 Wörter beinhaltet, wurde zahlreiche Male adaptiert und in anderen Werken aufgegriffen. Hier ein Auszug aus Wikipedia:

  • 1979 wurden die „wilden Kerle“ erstmals in Brüssel als noch unfertige Oper aufgeführt,
  • 1985 erschien in Glyndebourne eine von Oliver Knussen vertonte Fassung auf der Opernbühne. Die Welturaufführung von Where the Wild Things Are wurde von der US-Amerikanerin Rhoda Levine dirigiert.
  • Wo die wilden Kerle wohnen griff Heinz Janisch in seinem Buch Die Reise zu den Fliegenden Inseln auf.
  • Auch in dem Film Die Reise ins Labyrinth, der von Maurice Sendaks Büchern inspiriert ist, taucht ein „wilder Kerl“ auf.
  • In der Simpsons-Folge Angst essen Seele auf (17. Staffel) wird das Buch zitiert und seine markanten Federzeichnungen teilweise imitiert.
  • Eine Verfilmung des Stoffes war seit Anfang der 1980er Jahre geplant. Wegen mehrerer Firmenwechsel, firmeninterner Bedenken bei der Umsetzung des Stoffes und anderer Schwierigkeiten verzögerte sich die Fertigstellung. Der Film wurde schließlich 2006 von Regisseur Spike Jonze gedreht und kam am 16. Oktober 2009 in den Vereinigten Staaten in die Kinos. Er spielte an seinem Startwochenende 32,7 Millionen Dollar ein. In Deutschland startete der Film am 17. Dezember 2009.
  • Metallica benannte ein Lied auf Ihrem Album ReLoad nach dieser Geschichte. Der Songtext nimmt Bezug auf die Handlung des Buches.

Ich selbst habe das Buch erst vor wenigen Jahren, also schon im hohen Alter, geschenkt bekommen. Und mich sofort in den kleinen Max-Wolf verguckt. Immer, wenn einer vor mir steht und die Zähne fletscht, starre ich zurück und sage: „BE STILL!“.

Mies van Hout: Heute bin ich (2012).

Manchmal versagt die Sprache. Man findet nicht die richtigen Worte. Oder nur die falschen. Ist sprachlos und stumm wie ein Fisch. Jedes Wort ein Tonnengewicht. Dann könnte dieses Buch, hätte man es bei sich, hilfreich sein. Man würde einfach die entsprechende Seite aufschlagen. Nicht viel Worte machen, sondern nur eine seiner Seiten zeigen.

"Heute bin ich": Zufrieden.

Alles klar. Der Fisch ist zufrieden, seine Schweigsamkeit kein bedenkliches Signal. Soll er in Ruhe weiterdümpeln dürfen. Vorsicht ist geboten, wenn diese Seite aufgeschlagen wird:

Besser, man lässt den kleinen Piranha in Ruhe. Soll er vor sich hinbrüten. Oder toben. Es kommen wieder bessere Tage. “Heute bin ich” ist ein Buch der niederländischen Kinderbuchillustratorin Mies van Hout. Ich habe es bei einer Freundin entdeckt, die im therapeutischen Bereich unter anderem mit Kindern arbeitet. Dort kommt es zum Einsatz, wo die kindliche Sprache (noch) nicht benennen und ausdrücken kann, was ist. Jeder Fisch ein akuter Gefühlszustand.

Das Buch ist nicht nur was für Kinder. Wortlosigkeit packt auch Erwachsene, vor allem, wenn es um die großen Themen geht: Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Eifersucht, Sorgen und wer jetzt endlich mal den Abwasch macht. Die Bilder sind charmant - leuchtende, farbenfrohe Fische knallen auf schwarzem Hintergrund so richtig hervor. Ein wenig abgekupfert ist das freilich - aber manchmal ist auch eine gute Imitation schön.

Paul Klee, Der Goldfisch.

Irgendwo habe ich über das Buch gelesen, Mies van Hout habe wahrscheinlich Fische zum Objekt gemacht, weil diese für ihre starre Mimik und somit das Unvermögen, Gefühle auszudrücken, bekannt seien. Eine glatte Fehlinterpretation, meine ich. Mies van Hout wird die Fischgeborenen kennen. Anfällig für jede Gefühligkeit. Es fehlen im Buch eigentlich nur zwei Seiten: Himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt.

Die besten Tage sind jedoch, wenn sich diese Fische-Seite zeigt:

“Heute bin ich”: Vergnügt. Wie ein Fisch im Wasser.

Mies van Hout, “Heute bin ich”, aracari Verlag, 2012. Gebunden, 48 Seiten. 13,90€. ISBN 978-3905945300

Bilderbücher für übermütige Mädchen

Irgendwie ist es eine besonders schöne Geste, wenn man selbst, da man längst den Kinderschuhen entwachsen ist, ab und zu noch ein richtiges Kinderbuch geschenkt erhält (oder auch verschenkt). Das sagt meist mehr aus über die Wünsche, die Dir jemand mitgibt und über den Beschenkten (oder auch den Schenker) als …na egal, jetzt fehlt mir ein Vergleich. Kurzum: Kinderbücher bescheren mir auch heute noch eine kindliche Freude.

Zwei Favoriten aus meiner Sammlung für übermütige Mädchen:

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Rose Übermut (genauso schön ist der englische Originaltitel „Reckless Ruby“) von Hiawyn Oram und Tony Ross, Lentz Vorlesebuch.

Rose ist so wundervoll, dass für die Eltern feststeht: Die heiratet später einen Prinzen. Für Rose jedoch eine grässliche Vorstellung – und so wird sie übermütig, macht die waghalsigsten Sachen, stürzt sich in halsbrecherische Abenteuer, bricht sich Knochen, muss ständig geflickt&genäht werden, bis alle einsehen: Mit dem Prinzen, das muss nicht sein. Die schöne Pointe am Schluss: Auch wenn die Konvention nicht mehr erfüllt werden muss – Rose hat schon die nächste übermütige Idee im Kopf. Ein ungebrochenes Röslein. Es gibt nichts Unvernünftigeres, als immer nur vernünftig zu sein.

Die Geschichte zum Buch: Es gibt Menschen, die besuchen keine „Ehemaligentreffen“ ihrer Schule mehr. Dazu gehöre ich. Das letzte Mal vor zehn, fünfzehn Jahren. Wie einige da saßen und ihre Fotos auf den Tisch knallten: „Mein Mann. Meine Kinder. Mein Haus. Mein Auto.“. Leider hatte ich kein passendes Bild dabei, das ich mit den Worten „Mein Leben“ hätte hinblättern können.

Im Anschluss berichtete ich einer Freundin reichlich enerviert davon. Ich hielt eine Brandrede gegen kleinstädtische Konventionen, die einen auch Jahre später noch zum Ersticken bringen können, über Erwartungshaltungen, die einen in Muster pressen, über diese ganzen gesellschaftlichen Normen und überhaupt und sowieso…

Kurz darauf lag die „Rose Übermut“ in meiner Post. Mit einer Karte: „Bleib so.“

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Prinzessin Pfiffigunde von Babette Cole, Carlsen Verlag.

Ähnliche Geschichte, ebenso schönes Kinderbuch. Weil Prinzessin Pfiffigunde „so hübsch und reich war, wollten alle Prinzen sie zur Frau haben“. Die Pfiffigunde wollte aber lieber tun, was ihr Spaß machte. Wie sie Prinz Pustekuchen, Prinz Muffensausen, Prinz Prahlschnalle und andere von der Backe kriegt: Herrlich erzählt in Wort&Bild. Das Buch: Auch ein Geschenk. Als Gegenmittel gegen Oma-Besuche. Regelmäßig stellte mir meine Großmutter die Frage: „Und wann heiratest Du endlich?“. Das konnte mich zur Weißglut bringen. Heute vermisse ich sie. Und manchmal sogar die Fragerei. Sie konnte halt nicht anders.