So schön kann die Liebe und Literatur sein - die Literaturliebe und literarische Liebeleien in Szene gesetzt von Claudia Baumann. Mehr zu den Arbeiten der Kommunikationsdesignerin hier: http://www.claudiabaumann.de/
Goethe
Wilhelm Genazino. Aus den Notizbüchern III. Tarzan am Main.
“Zum Glück hat Frankfurt bisher der Versuchung widerstanden, sich Literaturstadt zu nennen. Es gibt (oder gäbe) dafür ein paar deutliche Anreize. Immerhin lockt Jahr für Jahr die Buchmesse hunderttausende von Ausstellern und Besuchern in die Stadt. Verwenden ließe sich auch der Hinweis, dass der vermutlich bedeutendste deutsche Dichter ein Frankfurter war und hier seine Jugend verbrachte und außerdem ein heute noch oft gelesenes Werk über diese Jugend geschrieben hat. Merkwürdigerweise ist Frankfurt - trotz Goethe, trotz Adorno, trotz Schopenhauer, trotz Struwwelpeter (http://saetzeundschaetze.com/2013/07/12/struwweltpeter-von-anfang-an-ein-streitfall/) - eine Stadt ohne literarischen Ruf geblieben. Für Frankfurt beruhigend muss man dazu sagen: Es gibt auf der ganzen Welt keine einzige Literaturstadt, obwohl es da und dort nicht an Versuchen mangelt, die eine oder andere Gloriole in die Welt zu setzen. In keinem einzigen Fall richten sich die Städte nach solchen Marketingansprüchen. Zum Beispiel ist die irische Hauptstadt stolz darauf, gleich drei weltberühmte Autoren (James Joyce, Samuel Beckett, Oscar Wilde) für ihre Heimatdichter halten zu dürfen. Aber Dublins Vitalität weist jeden musealen Anstrich energisch zurück.
Auch in Lissabon regt sich dann und wann das Verlangen, sich die Schleife einer Literaturhauptstadt umbinden zu lassen, weil der kaum zu überschätzende Fernando Pessoa dort geboren wurde und viele Jahre lang in einem bedrückend belanglosen Büro gearbeitet hat. Ähnlich heftig bemüht sich das italienische Triest darum, noch heute davon zu profitieren, dass der grandios bescheidene Italo Svevo ein Sohn der Stadt war und seine Nachkommen noch heute dort leben. Wer Dublin, Lissabon oder Triest heute besucht, atmet erleichtert auf, dass diese Städte trotz aller Anstrengungen ihrem literarischem Ruhm entkommen sind. Niemand spricht von Goethe, niemand von Adorno; alle sprechen von der Bankenstadt, der Autostadt, der Messestadt.”
Wilhelm Genazino, “Tarzan am Main - Spaziergänge in der Mitte Deutschlands”, Carl Hanser Verlag 2013.
Wilhelm Genazino und seine Spaziergang-Meditationen - ein Merkmal seiner Romane. Die Gedanken fließen dahin, während die Füße tragen. Assoziatives Herumstreunen, das ist eine Beschäftigung, die der Schriftsteller auch im “echten Leben” pflegt. Im Sammelband “Tarzan am Main” erzählt Genazino in kurzen Stücken von seiner Wahlheimat, der er seit den 70er-Jahren, aus dem Schwarzwald in die “provinzielle” Metropole kommend, treu geblieben ist. Alltagssituationen, Alltagskomik, Reflektionen über die Entwicklungen und Fehlentwicklungen städtischen Lebens, aber auch Streifzüge durch die eigene Biographie - immer unterhaltsam, immer niveauvoll, immer auch ein wenig misanthrop. Genazino schildert seine ersten Jahre als Redakteur bei der Satirezeitung “pardon”, plaudert aus dem Inneren des Literaturbetriebs, schreibt über seinen Freund Robert Gernhardt.
Alles in allem die geeignete Einstimmung auch für alle Buchmesser-Besucher.
PS: Augsburg, meine Wahlheimat seit den 80erJahren, versucht auch dann und wann - nach langem Widerstreben freilich - sich die Gloriole der Brechtstadt II (nach Berlin) zu verleihen. DAS wird erst ein langer Spaziergang.
Johann Wolfgang von Goethe - Freudvoll und leidvoll
Freudvoll
Und leidvoll
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.
Johann Wolfgang von Goethe
Bevor ich hier viele Worte mache - Marcel Reich-Ranicki über das “schönste, das vollkommenste erotische Gedicht in deutscher Sprache”:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/frankfurter-anthologie/marcel-reich-ranicki-in-der-frankfurter-anthologie-johann-wolfgang-von-goethe-freudvoll-und-leidvoll-12708059.html
Anne Bohnenkamp: Es geht um Poesie (2013).
Bild: Rose Böttcher
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren (1800)
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Novalis (Freiherr von Hardenberg, 1772-1801).
Quelle: „Es geht um Poesie. Schönste Texte der deutschen Romantik“, herausgegeben von Anne Bohnenkamp, Fischer Taschenbuch, November 2013, ISBN 978-3-596-19857-3.
Besonderheit:
Mit dem Kauf des Buches (Preis 8,00 Euro) spendet man 2 Euro für den Bau des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt - tolle Sache!
Hab nun ach, Sturm und Drang, Klassik, Dadaismus und Expressionismus studiert, ich armer Tor und bin so unromantisiert
wie als zuvor. Was heißen soll: Um die Epoche der Romantik habe ich bislang einen Bogen gemacht. Instinktiv. Von den großen Namen - von Armin, Brentano, Günderrode, Eichendorff - nur wenig gelesen, bis auf das, was fast schon Allgemeingut ist. „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus….“. Heinrich Heine, der große Ironiker und scharfzüngige Analyst seiner Zeit, blieb eine Ausnahme. Novalis` „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ unter der Kategorie Jugendschwärmerei verbannt.
Manche literarischen Strömungen setzen wohl ein gewisses Lebensalter und eine Lesereife bei ihren Rezipienten voraus. Bis zu einem Zeitpunkt im Leben meint man, alles gestalten zu müssen und auch zu können. Da ist das In-Sich-Gehen, das Hinterfragen, auch das Zögern keine Qualität, die man auslebt. Und dann kommt auch noch Goethe mit seinem Verdikt: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke.“ Bloß keine Nabelschau.
Erst später, um einige Erfahrungen reicher, wird einem bewusst, dass aufgeklärtes Denken an seine Grenzen stößt. Nüchtern betrachtet: Nicht alles ist mach- und lenkbar. Im Kern der Welt wohnt ein Rest Magie. Ganz im Innern der Welt gibt es ein Geheimnis, das man mit „Zahlen und Figuren“ nicht erfassen kann. Dann ist die Zeit gekommen, die Romantik als literarische Gattung wieder zuzulassen.
So wie Goethe jedoch die Romantiker in eine Nische stellt, so spotteten übrigens jedoch auch diese. Das berühmte Gedicht von Novalis grenzt in seiner Wenn-dann-Folge die Poesie, die Romantik von den aufgeklärten Geistern, den „Tiefgelehrten“ ab. Sie werden, so macht er deutlich, das Geheimnis der Welt nie erfassen. Beides jedoch birgt seine Möglichkeiten. Die Vereinigung von Poesie und Wissenschaft kann möglich sein. Auch das nüchterne Denken kann offen bleiben für die Magie der Welt: Dies wäre der Königsweg. Novalis schreibt in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“, es läge „mehr Wahrheit in einem Märchen als in gelehrten Chroniken“. Den Chroniken etwas Märchenhaftes zuzugestehen, die Märchen aber als Chronik der menschlichen Verfasstheit zu lesen - das müsste doch möglich sein.
Wer sich der Philosophie und Anschauung der Romantiker nähern möchte, der kann das mit einer neuerschienenen Anthologie unternehmen - und dabei gleichzeitig noch die Kulturszene ganz aktiv unterstützen. Anne Bohnenkamp, die Direktorin des Frankfurter Goethe-Hauses, hat für das Taschenbuch „Es geht um Poesie“ einen Überblick mit wichtigen Texten der Romantik zusammengestellt. Mit Auszügen aus Eichendorffs „Taugenichts“ bis hin zu Gedichten von Heinrich Heine, Karoline von Günderrode, Justinus Kerner, Essays und Briefwechseln, so zwischen den Brentanos oder auch zwischen Kleist und Goethe. Ein Teil des Kaufpreises kommt einem besonderen Projekt zugute: In Frankfurt am Main sitzt das Freie Deutsche Hochstift, das seit einem Jahrhundert die Manuskripte der deutschen Romantiker sammelt, ebenso aber auch Zeugnisse der Bildenden Kunst sowie der Alltagskultur dieser Zeit. In Nachbarschaft zu Goethehaus und Goethemuseum besteht die Möglichkeit, ein Literaturmuseum der deutschen Romantik anzusiedeln. Mit Kauf der Anthologie unterstützt man diese Pläne aktiv.
„Sie möchte Lust machen auf fortgesetzte Lektüre - und auf ein Deutsches Romantik-Museum, das nicht zuletzt die romantische Utopie einer Emanzipation der Literatur aus der Bindung an die einsame Lektüre in unsere heutige Zeit tragen will: im experimentellen und multimedialen Raum einer Ausstellung des 21. Jh.s, die dabei gleichzeitig den >alten< Medien - der Handschrift und dem Buch - gewidmet sein wird.“, schreibt Anne Bohnenkamp im Vorwort.
Und im Moment des Schreibens dieses Beitrags sehe ich die aktuelle Nachricht: Das Museum kommt. Wenn das nicht romantische Poesie im Alltag ist! (Quelle: Frankfurter Neue Presse - http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Romantikmuseum-kommt;art675,704976)
Zum Abschluss soll noch ein Romantiker das letzte Wort haben:
Der Abend (1826)
Schweig der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.
Joseph von Eichendorff
Klett-Cotta: Das gelobte Land der Dichter (2009).
„Ew. Hochwohlgeb.
beehre ich mich, beiliegenden Aufsatz für das Morgenblatt zu überschicken.
Ich wohne schon seit 6 Wochen hier am Rhein und warte mit Sehnsucht auf das erste Dampfschiff, um die Fahrt mitzumachen und feierlich zu beschreiben. Aber es ist bist jetzt noch keines erschienen. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mich wissen ließen, ob und wann eins vorbeikommt…“
Ludwig Börne aus Rüdesheim am 2. Mai 1826 an Johann Friedrich Cotta
Das Anliegen Börnes, sein Verleger möge nun ein Dampfschiff vorbeischicken, erstaunt weniger, wenn man weiß, dass J.F.Cotta (1764-1832), ein Hansdampf in allen Gassen war – und sich folglich unternehmerisch auch in der Dampfschifffahrt engagiert hatte. J.F. Cotta führte die 1659 gegründete Cotta`sche Verlagsbuchhandlung, die durch Einheirat gegründet wurde (Johann Georg Cotta ehelichte die Witwe eines akademischen Buchführers), zu Weltruhm. Vor allem die enge Beziehung des Verlegers zu Friedrich Schiller hatte für den Verlag enorme Folgen – bei Cotta erschien schließlich alles, was in der Klassik und Sturm und Drang Rang und Namen hatte: Schiller, Goethe, Herder, Fichte, Hölderlin, Kleist, Jean Paul, Hegel, Schelling, Alexander von Humboldt und viele mehr.
Im Laufe der Jahrhunderte hat der Verlag seine führende Stellung verloren. Mit dem Wandel der Zeiten hat sich auch das Programm geändert – im literarischen Bereich zehrt man etwas von den Klassikern und Modernen Klassikern (Gottfried Benn, Stefan George, Ernst Jünger), in der Gegenwartsliteratur ragen die Namen Javier Marias und Brigitte Kronauer heraus. Für Liebhaber des Fantasy-Bereichs steht der Name Tolkien. Und der Ursprung des Verlages – die Nähe zur Universität Tübingen – lebt im starken Sachbuchbereich fort. (Mehr zu Geschichte und Programm unter www.klett-cotta.de).
2009 gab der Verlag zu seinem 350jährigen Bestehen einen schmalen Band (180 Seiten) heraus: „Cotta – Das gelobte Land der Dichter.“ Kein umfangreiches Geschichtswerk mit Daten, Fakten, Eigenlob, sondern eine Auswahl von Briefen an die Verleger, ein Querschnitt und Abbild dieses sensiblen Verhältnisses über beinahe vier Jahrhunderte hinweg. Brigitte Kronauer führt in ihrem Vorwort in diese „zumindest unterschwellig nervöse Beziehung“ ein: Soll der Verleger doch nicht nur für das Erscheinen der Dampfschiffe sorgen, sondern zugleich auch das höchste, das geistige Gut in bare Münze umsetzen.
Die Herausgeber Stephan Askani und Frank Wegner haben eine Auswahl der Briefe an den Verlag nach Themen geordnet – Freundschaft und Konflikte werden angesprochen, Zeit und Gesellschaft, Geld und Honorar. Die Anschreiben – nur wenige Briefe der Verleger selbst sind im Band enthalten – spiegeln persönliche Verfasstheit der literarischen Berühmtheiten wieder, lassen charakterliche Rückschlüsse zu (ein Goethe bittet nicht, sondern lässt bitten via Schiller oder Eckermann und wenn er schreibt, so hat dies meist fordernden, delegierenden Charakter), zeigen politische Nöte und Zwänge auf, lassen den Zensor harsch auftreten, kurz: sprechen Bände. Das Buch setzt zwar einiges an Vorwissen über deutsche Verhältnisse voraus – die muss man sich selbst quererlesen und erarbeiten. Aber dies ist nicht unbedingt ein Mangel: Die Briefe sind ein Schatz an sich – stilistisch, sprachlich, inhaltlich. Wünschenswert an editorischer Leistung wären dagegen jedoch die Übersetzungen der englisch- bzw. französischsprachigen Lettres von Javier Marias und Madame de Stael gewesen.
Einige Zitate:
Friedrich Schiller stand in enger Beziehung zu F.J. Cotta. Im Verlag erschienen sowohl die Horen als auch der Musen-Almanach. Zudem stellte Schiller zahlreiche weitere Beziehungen zu Autoren her, die er dem Verleger ans Herz legte:
„…Hölderlin hat einen kleinen Roman, Hyperion, davon in dem vorletzten Stück der Thalia etwas eingerückt ist, unter der Feder. “
Friedrich Schiller an J.F. Cotta, 9.3.1795
„Nun noch einen guten Rat. Ich fürchte, Goethe läßt seinen Faust, an dem schon so viel gemacht ist, ganz liegen, wenn er nicht von außen und durch anlockende Offerten veranlaßt wird, sich noch einmal an diese große Arbeit zu machen und sie zu vollenden.“
Friedrich Schiller an J.F. Cotta, 24.3.1800
Heinrich Heine lebte ab 1831 in Paris. Ab 1832 war er als Pariser Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung tätig, die von Cotta gegründet worden war. Sie war zu dieser Zeit die führende deutschsprachige Tageszeitung. In seinen Briefen tritt der ganze Witz dieses lebendigen Geistes ebenso wie seine melancholische Seite, befördert durch die Erkrankung, zutage.
„Damit Sie aber nicht glauben, ich sei in eine Tänzerin verliebt und bliebe deshalb hier und wäre recht börnisch faul, so habe ich den Anfang meines italienischen Tagebuchs ausgearbeitet (…).
Ich mache Sie aber nochmals darauf aufmerksam, daß ich in keine Tänzerin verliebt bin, obgleich sich solch eine Liebe sehr gut mit Schnupfen und Husten verträgt, und ein ebenso großes Unglück ist.“
Heinrich Heine an J.F. Cotta, Florenz, 11.11.1828
„Durch meinen körperlichen Zustand abgesperrt von den Genüssen der Außenwelt, suche ich jetzt Ersatz in der träumerischen Süße der Erinnerungen, und mein Leben ist nur ein Zurückgrübeln in die Vergangenheit: da tritt oft vor meine Seele das Bild Ihres seligen Vaters, des wackeren würdigen Mannes…“
Heinrich Heine an F. J. Cottas Sohn Georg v. Cotta, Paris, 26.3.1852
Und zumindest kann dieser Sammelband wieder die Lust auf das Briefeschreiben erwecken oder auch nützlich sein für eigene Geschäftskorrespondenz:
„Weit entfernt, mein sehr geschätzter Herr und Freund, den Antrag, den Sie mir am 28. Nov. Des abgewichenen Jahres taten, anders zu nehmen als er von Ihnen gemeint ist, erkenne ich mich Ihnen vielmehr sehr verbunden dafür, und hoffe, mein guter Genius werde, um der 73 Jahre willen, die an mir gezehrt haben, nicht ganz so untreu an mir werden, daß ich Ihnen nicht zuweilen einen kleinen Beitrag, wenigstens zum Zeichen meines guten Willens, sollte übersenden können.“
Christoph Martin Wieland an J. F. Cotta, Weimar im Februar 1807.
„Cotta – Das gelobte Land der Dichter“, 2009, Klett-Cotta Verlag, 17,95 Euro, gebunden, Umschlag, Lesebändchen, ISBN: 978-3-608-93904-0.