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Kurt Tucholsky. In dunklen Zeiten ist der Konjunktiv ein Trost.

Bild: Rose Böttcher

Bild: Rose Böttcher

Drahtetsofortobhiesigenmälarsee-
zwecksbewässerungkäuflicherwerben-
wolltwassergarantiertechtallerdingsnur-
zuschwimmzweckengeeignetfasthoch-
achtungsvollfritzchenundkarlchenwasser-
oberkommissäre.

Kurt Tucholsky, „Schloß Gripsholm“, 1931.

Noch einmal den Sommer festhalten, bevor er geht. Geht das denn?
War er denn groß, dieser Sommer? Am Thermometer gemessen wohl schon.
Aber trotz der blendenden Helligkeit. Er war auch: Düster, dieser Sommer. Ein politisches Klima, das seine Schatten vor die grelle Sonne schob. Die Furcht vor einem Gewitter ist da, die Angst, dass sich finstre Zeiten wiederholen.

Einer, der gegen dieses „dunkle Deutschland“ anschrieb, immer wieder, am Ende doch nicht vergebens? Kurt Tucholsky. Wie haben Sie das gemacht? Das möchte ich ihn gern fragen. Wie haben Sie es geschafft, als es um ihre Heimat nicht gut stand, als sie selbst schon am Leben verzweifelt waren, noch einmal so ein beinahe heiteres Sommerbild zu entwerfen, so sommerlich-luftig-leicht gegen den Irrsinn anzuschreiben, ganz keck ein anderes Lebensgefühl hervorzurufen?

Ich bewundere ihn dafür, diesen bekennenden Pessimisten und scharfen Satiriker, der letzten Endes an einer unheilbaren, einseitigen, wechselvollen Liebe zerbrach: Der Liebe zu seiner Heimat. In seiner Art des Schreibens und Denkens erinnert mich Tucholsky, der hellsichtig früh dieses Land verließ, an einen anderen berühmten Exilanten: „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ – obwohl meist im falschen Kontext zitiert, sprechen auch diese Zeilen von einer Bindung an das Mutterland, die in der Ferne nur durch Ironie noch bewältigt werden kann. „Deutschland, Deutschland über alles.“

Selbst als es Tucholsky politisch wie privat dreckig ging, als es, wie er schrieb, „innen weinte“, legte er noch einmal eine der zauberhaftesten Liebesgeschichten vor, die sich heute noch so frisch liest, dass ich sofort die Koffer packen möchte. Weil sie dort anfängt…

„Und dann hielt das Auto da, wo alle bessern Geschichten anfangen: Am Bahnhof.“

Die Geschichte führt den Erzähler, „den Dicken“ nach Schweden, mit einer Prinzessin, „sie hatte eine Altstimme und hieß Lydia.“ 1929 hatte Tucholsky einige Zeit mit seiner Geliebten Lisa Matthias in Läggesta bei Schloß Gripsholm verbracht, im Januar 1930 verlegt er seinen Wohnsitz vollständig nach Schweden, „mehr eine Flucht als die alte Sehnsucht“ nach dem Norden, wie Rolf Hosfeld in seiner hervorragenden Biographie „Tucholsky. Ein deutsches Leben“ schreibt.

Doch auch wenn „der Dicke“ das Buch Lisa mit dem Satz „Für IA 47 407“ (ihr Autokennzeichen) widmet – in dieser Altstimmen-Frauengestalt ist mehr als eine Frau vereint. Die Trennung von seiner Ehefrau Mary Gerold ist noch frisch, die an den Nerven zerrende zu Lisa liegt schon in ihren letzten Zügen. Eine on- und off-Liebe. Lisa ist es, die den Schalter vollends kippt und sich aus seinem Leben löscht. Und dann schwingt in dieser selbstbewußten „Prinzessin“ auch noch eine gute Portion Else Weil, Tucholskys erste Ehefrau, mit, jene Else, die auch als „Claire“ in „Rheinsberg“ schon verewigt wurde. Hosfeld schreibt über die „Prinzessin“:

„Aber als Person ist sie eher eine unintellektuelle Wunschsynthese aus Else Weil, Lisa Matthias und Mary Gerold, also gewissermaßen eine pflegsame Madame 3 PS. Wie schön, wenn eine solche Frau für den Mann mit den 5 PS und den unterschiedlichsten Modulationen seines komplexen Charakters auch in Wirklichkeit existiert hätte. Es gab bei Rowohlt, auch aus Geschäftsgründen, ein Bedürfnis nach leichten Tönen aus seiner Feder. Es gab sie auch bei Tucholsky. In dunklen Zeiten ist der Konjunktiv ein Trost. Wie es sein könnte. Es könnte leicht sein.“

So ist „Schloß Gripsholm“ auch eine Beschwörung. Doch: „Vorbei, verweht, nie wieder…“. Als das Buch, geschrieben 1930, herauskommt, befindet sich Tucholsky bereits in diesem „heimatlosen Alleinsein“, das ihn dann gänzlich zerbricht. Und: Im Gegensatz zu „Rheinsberg“, jenem „Bilderbuch für Verliebte“, mit dem Tucholsky 1912 die literarische Bühne betrat (und das auf Anhieb zum Skandal und zum Erfolg wurde), pinselt der Schriftsteller zwanzig Jahre später ein Urlaubsidyll mit weitaus dunkleren Strichen. Die „kleine Sommergeschichte“, die der Autor in einem fiktiven Briefwechsel seinem Verleger Ernst Rowohlt ankündigt, hat eine zweite Ebene, hat ihre Schatten:

„Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele. Der Himmel war weiß gefleckt; wenn man von der Sonne recht schön angebraten war, kam eine Wolke, ein leichter Wind lief daher und es wurde ein wenig kühl.“

Da ist auf der einen Seite diese zwanglose, freie Liebe zwischen zwei Menschen, denen die liberale und tolerante Denkweise aus jeder Pore sprüht, angeheizt durch gelegentliche Ferienbesucher, die das Ganz noch erotisch aufprickeln bis hin zur Menage à trois. Und auf der anderen Seite ist jener zweite Erzählstrang von der kleinen Halbwaise Ada, die von der Leiterin eines Kinderheims schikaniert wird. Eine machthungrige, verkniffene, autoritäre Megäre. Und ganz bewusst eine Deutsche: Tucholsky zeichnet sie als Typ, sie ist Sinnbild jener rechtsnationalen Kräfte, die in seiner Heimat die Weimarer Republik aushöhlen. Im Roman siegt „der Dicke“, entreißt das Kind den Klauen der Macht. Im Leben ging es anders aus.

“Sie kam sich sehr einmalig vor, die Frau Adriani. Und hatte doch viele Geschwister.”

Der Skandal an diesem Buch liegt für die Nazis mehr in dieser politischen Komponente (auch der Wendriner, Abbild des patriotischen Spießbürgers findet seine Erwähnung) als in der herrlich sinnlichen Liebesgeschichte, die zudem ohne drastische und intime Details auskommt – und dennoch erotischer und lebendiger ist als viele weit offenere Liebesromane danach.
Zwanzig Jahre früher war das noch anders: Als „Rheinsberg“ 1912 erscheint, löst das Debüt des jungen Autoren einen Skandal aus: Ein unverheiratetes Paar geht in die Sommerfrische und nächtigt in einem Zimmer – undenkbar in der prüden wilhelminischen Gesellschaft.

Aber da kam eine alte Dame an ihrem Tisch vorübergeschlurcht, schielte krumm und murmelte etwas von „unerhört“ und „Person“ und so.

„Wölfchen, die meint mir. Konnste ihr nicht gefordert gehabt habs?“

„Rheinsberg“ ist nun in der schönen Reihe C.H.Beck textura wieder aufgelegt worden. Antje Rávic Strubel stellt in ihrem Nachwort die Erzählung in den zeitlichen Kontext:
„1912 war das Jahr, in dem Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie entwickelte, Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ erschien, und der letzte große Roman Hjalmar Söderbergs „Das ernsthafte Spiel“. Drei Jahre zuvor hatte mit Selma Lagerlöf die erste Frau in der Geschichte den Literaturnobelpreis erhalten. Aber 1912 war auch das Jahr, in dem die Titanic sank, Robert Scotts Südpolexpedition tödlich endete und Europa nach der Marokko-Krise noch einem knapp einem Weltkrieg entging. Der Wilhelminische Staat militarisierte sich, das Kleinbürgertum verspießerte unter moralischen Tabus und einer strengen, patriarchalischen Sexualdoktrin, ein neuer Nationalismus flammte auf, und Vatikan und Kaiser hatten das Tangotanzen unter Strafe gestellt.“

„Rheinsberg“ mit seinen spritzigen Dialogen, den kleinen Albernheiten der Verliebten, der Verballhornung der Dialekte war noch die relativ freie Fingerübung eines noch relativ unbeschwerten jungen Mannes. Die Vorübung für „Schloß Gripsholm“. In diesem Roman lauert bereits die Sehnsucht nach dem Vergangenen, nach der verlorenen Leichtigkeit. Er atmet auch das Bewußtsein, dass sich der Schreibende selbst in einer fünften Jahreszeit befindet:

Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles. Es geht wie ein Knack durch die Luft – es ist etwas geschehen; so lange hat sich der Kubus noch gehalten, er hat geschwankt … , na … na … , und nun ist er auf die andere Seite gefallen. Noch ist alles wie gestern: die Blätter, die Bäume, die Sträucher … aber nun ist alles anders. Das Licht ist hell, Spinnenfäden schwimmen durch die Luft, alles hat sich einen Ruck gegeben, dahin der Zauber, der Bann ist gebrochen – nun geht es in einen klaren Herbst. Wie viele hast du? Dies ist einer davon. Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht, es solle nie, nie aufhören. Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden – es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes. Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.

Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.

Kurt Tucholsky schreibt dies alias Kaspar Hauser bereits 1929 in der Weltbühne (hier der Text in voller Länge).

„Schloß Gripsholm“, auf Anhieb ein Publikumserfolg, bleibt sein letztes Buch. Als Journalist focht er noch mit Carl von Ossietzky für die freie Meinungsäußerung in der Weltbühne. Mehr und mehr desillusioniert, verstummt Tucholsky nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Am 21. Dezember 1935 stirbt er in einem schwedischen Krankenhaus an einer Überdosis Veronal, vermischt mit Alkohol. Ob Unfall oder Suizid, ist ungewiss, einen Abschiedsbrief hinterlässt er nicht. Er war des Kämpfens müde geworden, innerlich zerrissen, aus dem Deutsch- und dem Judentum ausgetreten, ein wahrhaft Heimatloser. Das Schlimmste blieb ihm durch den frühen Tod erspart: 1942 stirbt Else Weil, seine erste Frau, jene selbstbewußte, emanzipierte „Claire“ aus „Rheinsberg“ im KZ Auschwitz-Birkenau, von den Nazis ermordet. Carl von Ossietzky stirbt 1938, entkräftet, an den Folgen seiner KZ-Inhaftierung.

Was aber bleibt: Dennoch das Bild eines Kämpfers für ein tolerantes, weltoffenes, demokratisches Deutschland. Ein Traum von einem Land, in dem die Liebe nicht nach Schweden auswandern muss. Tucholsky wollte, so Kästner, mit der „Schreibmaschine eine Katastrophe“ aufhalten, führte ein großes kleines Gespräch mit ungewissem Ausgang.

Und jetzt? Ach, „Dicker“, du wirst vermisst. Deine Stimme würde gebraucht. Wieder.

count)s Kommentare »

  1. Sehr schön liebe Birgit, Tucholsky passt gerade sehr gut. Ich glaube ja tatsächlich an den Unfall - eine Verwechslung der Medikamente - nicht an einen Selbstmord. Das passt so recht nicht in mein Bild von ihm. LG, Bri

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  2. Juhuuu Tucholsky - den liebe ich sehr. Was für ein wundervoller Artikel. Leider feststellen müssen mein Rheinsberg is wech :( Aber das ist die perfekte Ausrede für die schöne Beck Ausgabe, oder ?

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  3. Sehr sehr schoen und etwas wehmuetig zu lesen.
    Ich glaube an einen als Unfall vorgetaeuschten Selbstmord.
    Ich habe damals in den Mittneunzigern bei der Titanic ein Praktikum gemacht und diese hatten aus mir nicht bekannten Gruenden das Archiv des Aufbauverlages welcher widerum das Archiv der Weltbuehne uebernommen hatte. Mir wurde die Aufgabe gegeben, dieses Archiv neu zu organisieren und zu entstauben. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Buecherdiebstahl kein wirklicher Diebstahl sei und mit diesem gewissensberuhigendem Gedanken wanderten einige Tucholsky und Ossietzkywerke in meine Tasche und von dort nach Hause…

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