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Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun? (1932).

Weimarer Republik, Weltwirtschaftskrise: Da ist man nun, ein kleiner Angestellter in einer kleinen Stadt und kann sich seines Jobs noch einigermaßen sicher sein, weil man als potentieller Heiratskandidat für die schlurige Tochter des Chefs in Frage käme. Doch ein sonniger Sonntagnachmittag, ein Spaziergang am Strand, und schon – bums fallera – ist das Malheur passiert. Und man(n) hat ein „Lämmchen“ geschwängert, aber weil man kein Schafsbock ist, wird ordentlich geheiratet und damit die Karriere vermasselt.

„Pinneberg müßte nach Haus. Es wäre gut, wenn er rasch nach Hause ginge, sicher wartet Lämmchen. Aber er bleibt hier stehen unter den Arbeitslosen, er macht ein paar Schritte und dann bleibt er wieder stehen. Äußerlich gehört Pinneberg nicht zu ihnen, ist fein in Schale. Er hat den rotbraunen Winterulster an, den hat ihm Bergmann noch für achtundreißig Mark gelassen. Und den steifen schwarzen Hut, auch von Bergmann, er war nicht mehr ganz modern, die Krempe zu breit, sagen wir drei zwanzig, Pinneberg.
Also äußerlich gehört Pinneberg nicht zu den Arbeitslosen, aber innerlich…“

Doch der Herr Pinneberg ist kein vollkommener Hans im Pech, sondern hat Glück im Unglück: Denn schließlich (so schreibe ich in Fallada-Manier) hat man sich doch ganz arg lieb. Und zudem ist eben das „Lämmchen“ eine ganz Patente, die das Heft in dieser Ehe in die Hand nimmt und den ziemlich tapsigen Ehegespons durch die kommenden Miseren manövriert.

Schlechte Zeiten für junge Paare

Und diese Miseren kommen zahlreich – denn die Zeiten, sie sind schlecht, vor allem wenn Nachwuchs erwartet wird. Man zieht nach Berlin, zur ungeliebten Pinneberg-Mutter, die das junge Paar aufnimmt. Doch Kost und Logis sind teuer zu bezahlen – die alternde Halb- und Unterweltdame liebt nur gegen Bares. Unter die Arme greift und mit Vitamin B hilft der halbseidene Geliebte und Kompagnon der Frau Mama, Typ Ganove mit Herz. So findet Pinneberg eine neue Anstellung als Verkäufer in einem Warenhaus. Und der Leser findet dadurch weitere Typen vor: Der väterliche ältere Kollege, der den Jungspund vom Lande in die Welt der Freikörperkultur einführen will, die intriganten Mitangestellten, jeder für sich um seine Stellung kämpfend, insbesondere als diese durch den Typ „Controller“ geprüft werden, die Kunden auf der Jagd nach Schnäppchen oder auch nach Streit – der kleine Angestellte als Blitzableiter für frustrierte Ehefrauen und divenhafte Schauspieler.

„Heute ist alles zerschlagen, Berge trüben Schutts und dazwischen einmal ein strahlender Brocken. Und wieder Schutt. Und wieder ein bißchen Strahlen. Sie sind noch jung, sie lieben sich noch, ach, vielleicht lieben sie sich noch viel mehr, sie haben sich aneinander gewöhnt – aber es ist dunkel überhängt, darf unsereins lachen? Wie kann man lachen, richtig lachen, in solcher Welt mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen, entwürdigten, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten?“

Hans Fallada (1893-1947) zeichnet in seinem Roman ein Bild vom Angestelltendasein, das durch Anbiederung an den Kunden einerseits, durch den Einsatz von Ellbogen gegenüber den Kollegen andererseits geprägt ist – eine Welt, in der nur die Stärkeren Bestand haben. Darüber hinaus werden detailliert die täglichen Lebensumstände, das Rechnen mit jedem Pfennig, die Kämpfe mit der Bürokratie und den Versicherungen, das Jonglieren von Lämmchen mit dem knappen Haushaltsbudget beschrieben. Der gnadenloser Verdrängungskampf im Kaufhaus angesichts der Massenarbeitslosigkeit draußen, die tägliche Furcht vor der Ausstellung: Das Buch, 1932 erschienen und sofort ein Bestseller, erscheint heute (wieder) von erschreckender Aktualität. Auch in seinen Schilderungen von den Äußerungen einer überkochenden „Volksseele“, die sich, selbst in ihrer Existenz bedroht, ihre eigenen Feinde sucht:

„Wissen Sie“, sagt sie behutsam, „ich bin nämlich jüdisch, haben Sie es gemerkt?“
„Nein…nicht sehr“, sagt Pinneberg verlegen.
„Sehen Sie“, sagt sie, „man merkt es doch. Ich sage immer zu Max, man merkt es. Und da finde ich doch, die Leute, die Antisemiten sind, sollten so ein Schild an ihre Tür machen, daß man sie gar nicht erst belästigt. So kommt es immer wieder aus heiterem Himmel. – Hauen Sie ab mit Ihrem unsittlichen Zeug, Sie olle Judensau – hat gestern einer zu mir gesagt.“
„So ein Schwein“, sagt Pinneberg wütend.

Mit diesem Buch traf Fallada in die Herzen der Massen und errang die Anerkennung anderer Schriftsteller: Ein „Volksmärchen“ nannte es Jakob Wassermann, Fallada wurde zum Volksschriftsteller – vom Verkauf, der auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten weiter in die Hunderttausende ging, konnte der gebeutelte Fallada, der sein Leben lang unter Drogen- und Alkoholsucht litt, endlich seine Existenz als freier Autor bewerkstelligen.

Vom Leben der kleinen Leute

Dass „Kleiner Mann - was nun?“ auch nach 1933 erscheinen konnte, liegt an dieser Eigenart des Buches, das in seiner simplen, direkten Sprache jeden Leser seinerzeit wohl anrührte und aus dem Herzen sprach: Es erzählt von den Verhältnissen und den täglichen Überlebenskämpfen der kleinen Leute – nicht zuletzt eben auch von jenen der kleinen Leute, die später massenhaft Hitler & Konsorten feierten. Zwar kommt im Roman auch der Typ des braunen Schlägers vor, den Pinneberg mit leicht gerümpfter Nase und aus Distanz betrachtet – doch jene Passagen wurden nach 1933 „entpolitisiert“, aus dem Nazi wurde ein Fußballer. Die Bücher des Volksschriftstellers waren für jeden vereinnahmbar, selbst „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ (1934) wurde von den Nazis als Kritik an der Weimarer Republik geduldet. Fallada selbst versuchte durch diese Zeit als reiner Unterhaltungsschriftsteller durch zu kommen. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“, 1947 kurz vor seinem Tod in einem Monat in der Nervenklinik geschrieben, ist ein Dokument des leisen Widerstands der kleinen Leute.

„Kleiner Mann – was nun?“: Stilistisch ist mir Fallada manches Mal zu larmoyant, zu nah am Kitsch und Klischee. Und doch entwickelt die Geschichte vom Pinneberg und seinem Lämmchen (samt „Murkel“, so der Kosename des Nachwuchses) einen liebenswerten Charme, dem man sich nicht ganz entziehen kann.

12 Comments »

  1. Das Buch habe ich schon ewig im Regal stehen. Geerbt, in einem altmodischen Einband. Ich glaube das lese ich jetzt mal. Es hört sich so an, als nähme es mich mit in eine andere Zeit, an Orte, die es nicht mehr gibt. Und das ist schon mal nicht das Schlechteste.

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  2. Ich habe Fallada immer recht gern gelesen. Ich schätze ihn vor allem für sein Interesse am Leben der einfachen Leute und vor allem dafür, ein herausragender Chronist jener Zeit zu sein. Es ist deshalb schön, dass der Aufbau-Verlag seine Bücher wieder herausgibt.

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    • Da stimme ich zu, es ist gut, dass der Verlag ihm Raum gibt, wie ja auch anderen modernen Klassikern, so Kisch und Anna Seghers. Und vor allem Feuchtwanger, den ich als Bayer besonders mag.

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  3. Es ist lange her, dass ich Fallada gelesen habe, aber ich erinnere mich, dass ich alle drei Bücher von ihm “verschlungen” habe….sie standen damals verstaubt im Bücherregal meines Vaters und ich musste mir einen Hocker nehmen um dort hinauf zu reichen, wo all die köstlichen Drucksachen standen :-D

    Danke, dass du mir diese Erinnerung lebendig gemacht hast :-)

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