Ruth Klüger, “Zerreißproben”, Gedichte, 2013, Paul Zsolnay Verlag:
Zuviel Shakespeare, 4. Strophe
Wer nie unter Wörtern zusammengesackt,
sticht zu wie Laertes und stirbt als ein Held.
Doch Hamlet erklärt noch im letzten Akt,
wortgewandt sterbend, sein Leben der Welt.
Ruth Klüger kommentiert ihr Gedicht - eines von zweien, die sich in diesem Buch um Shakespeare drehen - so: “Das Gedicht ist einerseits Ausdruck von Sprachskepsis und andererseits praktisch das Gegenteil, nämlich Staunen darüber, wie vielseitig Shakespeare die Sprache an sich thematisiert. (…) Hamlet verschwendet, wie wir wissen, fünf Akte aufs Aufschieben eines Racheaktes, zu dem er verpflichtet ist, und erklärt uns in jedem einzelnen haargenau, wenn auch nicht unbedingt überzeugend, was ihn vom Handeln abhält. Der Tatmensch Laertes hingegen, der auf genau dieselbe Weise verpflichtet ist, nämlich den Mord am Vater zu rächen, nimmt keine Rücksicht, sondern tut`s einfach, mordet und stirbt auf der Bühne, während sein Opfer, der von ihm getötete Hamlet, bis zum letzten Atemzug redet und redet.”
Peter Brook, “Vergessen Sie Shakepeare” (zum Buch: http://www.alexander-verlag.com/programm/titel/92-Vergessen_Sie_Shakespeare.html):
“Sie werden sich alle noch gut erinnern, wie vor gar nicht langer Zeit die Leute ernsthaft daran gingen aufzuklären, ob Shakespeare wirklich gelebt hat oder nicht, und es hat in den vergangenen hundert Jahren viele Theorien gegeben, die den Namen “Shakespeare” durch andere ersetzten: Bacon, Marlowe, Oxford und so weiter. Das Widersinnige ist auch hier die Tatsache, daß es uns nicht weiterbringt. Man ändert den Namen und sonst gar nichts. Das Geheimnis bleibt bestehen.”
William Somerset Maugham, “Ein Mann mit Gewissen”, Erzählung:
“Einige Tage beschäftigte ich mich mit dem Problem des Gewissens. Die Moralisten versuchen uns zu überzeugen, daß es zu den mächtigsten Antriebskräften menschlichen Verhaltens zählt. Seitdem Vernunft und Mitleid übereingekommen sind, die Hölle als hassenswerten Mythos zu betrachten, sehen viele brave Leute das Gewissen als den obersten Wachtposten an, der die menschliche Rasse auf dem Pfad der Tugend wandeln lässt. Shakespeare zeigte, dass es uns allen zu Feiglingen macht (…).”
Michael Köhlmeier, “Shakespeare erzählt”, 2004, Piper Verlag:
“Tatsächlich erscheinen die Figuren der Weltliteratur vor Shakespeare blaß und relativ unabhängig von uns. Das heißt, sie kommen uns gerade deshalb so blaß vor, weil sie ein von uns unabhängiges Leben führen. Ein literarisches Leben eben. Die Figuren nach Shakespeare aber lassen sich alle auf Shakespearsche Grundmuster zurückführen - wie auch anders: Der Meister hat den Berg ausgebeutet bis auf den letzten Stein.
Also läßt sich zusammenfassen: Shakespeare hat den Menschen und in der Folge die Literatur neu erfunden.”
Virginia Woolf, Tagebuch, 15.8.1924
“Warum übrigens gefallen einem dichterische Werke erst richtig, wenn man älter ist? Mit 20 konnte ich nicht zum Vergnügen Shakespeare lesen, beim besten Willen nicht, obwohl Thoby mich immer wieder dringend dazu aufforderte; jetzt lebe ich auf, wenn ich beim Spazierengehen daran denke, daß ich heute abend 2 Akte von King John lesen werde & mir als nächstes Richard den 2ten vorgenommen habe.”
Friedrich Dürrenmatt, Playboy-Interview, 20.12.1980
DÜRRENMATT: Ich weiß gar nicht, warum mir immer nachgesagt wird, daß ich die Menschen verachte. Das hat auch Ludwig Marcuse einmal behauptet, ein Mann, den ich sehr schätze.
Vielleicht deshalb, weil in Ihren Stücken, die Sie als Komödien ausgeben, reihenweise Menschen umgebracht werden.
DÜRRENMATT: Aber das stimmt doch gar nicht. Das ist ein reines Gerücht. Ich habe viel weniger Leichen als Shakespeare, weil ich zum Beispiel nie Schlachten beschrieben habe. In “Herkules und der Stall des Augias” ist überhaupt keine Leiche, in “Play Strindberg” auch nicht. Das Stück “Der Meteor” hat vier Leichen, gut, aber das ist doch mäßig. In meiner Bearbeitung des “Titus Andronicus” kommt sogar ein Neger, der bei Shakespeare stirbt, mit dem Leben davon. Da habe ich mich also zurückgehalten. Aus mir einen Komödien-Eichmann zu machen, das geht nicht. Aber ich brauche ja meine Stücke nicht zu verteidigen. Ich habe mich nie darum gekümmert, was andere über mich sagen.
Der Schweizer Dramatiker am 20.12.1980 in einem Interview im Playboy - diesem Magazin, dass alle wegen der tollen Literaturbesprechungen kaufen. :-)
Dietrich Schwanitz, „Bildung. Alles, was man wissen muss“, 1999, Eichborn Verlag:
„Es war England vorbehalten, der Menschheit den Dichter aller Dichtern und den Dramatiker aller Dramatiker zu schenken, der nächst Gott von der Welt am meisten geschaffen hat: William Shakespeare (1564-1616), geboren am Tage des Heiligen Georg, des Schutzpatrons Englands, dem 23. April 1564, zu Stratford-upon-Avon, verheiratet mit der acht Jahre älteren Anne Hathaway aus Stratford, verschwunden und in London wieder aufgetaucht, von Kollegen als Hansdampf-in-allen-Gassen beschimpft, Schauspieler, Teilhaber, und Stückeschreiber des Theaters der Lord Chamberlain`s Men, Autor von Komödien, Historien und Tragödien, Verfasser von Kassenschlagern und theatralisches Genie par excellence, adoptiert von den Dichtern der deutschen Romantik und zum Vorbild erhoben, der kleine Bruder Gottes, dessen Werk er am achten Schöpfungstag durch seine eigene poetische Schöpfung verdoppelt, gestorben an seinem Geburtstag, dem 23. April 1616, dem Tag der Vollendung, in der Pfarrkirche zu Stratford begraben, während er selbst ewig weiterlebt in seinen unsterblichen Werken. Amen.“
Das war 1999 - inzwischen hat sich die Wissenschaft auf diese Lebensdaten festgelegt: Gesichtert scheint der Tauftag am 26.4. 1564, der Todestag am 3.5.1616.
Stefan Zweig, Tagebuch, 14.9.1912:
“Gar nichts gearbeitet. Gar nichts. Nur gelesen, Shakespeare allerdings (einer merkwürdigerweise, der mich immer reizt, statt zu entmutigen) dann Briefe dictiert und abends wieder lang gelesen. Aber jetzt muß ich endlich beginnen, ich zehre zu viel von Vergangenem.”