“… ein Flüchtling, der schon zahllose Bahnhöfe verlassen hat, zu schüchtern für einen Weltmann, zu erfahren für einen Gelehrten, zu wissend, um nicht ängstlich zu sein, ein Staatenloser, ein Mann mit befristeten Aufenthalten, ein Passant unserer Zeit, ein Mann namens Brecht…”
Max Frisch begegnete Bertolt Brecht erstmals 1947. Spürbar beeindruckt schreibt der junge Schweizer über den Rückkehrer in sein Tagebuch. Brecht hatte wenige Wochen vorher mit geradezu Schweijkscher List den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe in einem mehr als dreistündigem Verhör Schachmatt gesetzt. Die amerikanischen Behörden erschwerten zunächst seine Ausreise, dann, in der Schweiz, verweigerten sie ihm die Einreise nach West-Deutschland. Mit Hilfe von Egon Erwin Kisch kam Brecht schließlich nach Ost-Berlin. Mit offenen Armen hätte man den Exilanten im Westen zudem kaum empfangen. Viele, die zurückkamen aus dem Exil, wurden auch nach der Rückkunft wieder das, was sie im Exil gewesen waren: Misstrauisch beäugte Fremde.
Auf der Flucht werden nicht nur die Wurzeln gekappt. Es wird die Heimat genommen. Die Sprache. Vaterland und Muttersprache, heißt es.
“Was nützt einem Fremden Erkenntnis, wenn ihm die Sprache fehlt? Das ist die eigentliche Tragik des Fremden, die nicht nur Jean Améry, sondern eine ganze Generation von Emigranten, die der Nationalsozialismus vertrieben hat, immer wieder ansprach. Vor allem jene, deren Beruf die Sprache war, sahen es deutlich: Die fremde Sprache, gleichgültig, wie gut sie sie beherrschten, blieb eine Prothese, etwas Abgeleitetes, Sekundäres. Für viele Emigranten bleibt der Ursprung ihrer Sprache dort, wo Jean Améry Heimat ortet, im unbewußten Spracherwerb der frühen Kindheit.“
So schreibt es Anna Mitgutsch in „Die Gesichter des Fremden“ (Essay enthalten in „Die Welt, die Rätsel bleibt. Link zur Buchbesprechung hier: http://saetzeundschaetze.com/2013/12/16/anna-mitgutsch-die-welt-die-ratsel-bleibt/).
Das Exil: Neue Kleider, die nicht passen.
Fast immer verliert der Flüchtling auch den Anspruch auf Würde. “Sozialtourismus”. Als sei die Flucht vor Armut, Elend, Hunger, Gewalt oder Krieg sein persönliches Versagen.
In der Zufluchtsstätte, sei sie nun Provisorium und Übergang (“Schlage keinen Nagel in die Wand. Wirf den Rock auf den Stuhl!” ermahnt Brecht sich selbst) oder tatsächlich Ziel aller Hoffnungen, ist man zunächst sprachlos, beziehungslos, und eben alles andere als willkommen.
Bertolt Brecht, 1937, Svendborger Gedichte.
Zunächst muss Brecht, der Deutschland unmittelbar nach dem Brand des Reichtags 1933 verließ, die Hoffnung auf eine Rückkehr vertagen. Fast 16 Jahre dauert sein Exil, Stationen sind unter anderem Prag, Wien, Dänemark, Schweden, Finnland, zuletzt die USA. Dort landet er in Santa Monica, arbeitet auch für Hollywood, der Lebensstil bleibt ihm fremd, erscheint ihm abstoßend:
“Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen,
Fahre ich zum Markt, wo Lügen gekauft werden.
Hoffnungsvoll
Reihe ich mein ein unter die Verkäufer.”
Bertolt Brecht, 1942, “Hollywood”.
Die hoffnungsvolle Einreihung, eine sarkastische Anmerkung. Brecht weiß: Es wird nicht jeder so aufgenommen wie der großbürgerliche Schriftsteller, der Großschriftsteller, der die Flucht denn doch recht komfortabel unternimmt, begleitet vom gewohnten, unverzichtbaren Mahagoni-Schreibtisch. Materiell geht es Brecht so schlecht nicht. Aber er hat nicht die Bekenntnisse eines Unpolitischen im Gepäck. Auch auf der Flucht begleitet von seinen Überzeugungen, die ihn zum “enemy alien” machen. Jahrelang wird er abgehört und bespitzelt in den USA. Der Fremde, und kommt er noch so unauffällig daher, bleibt verdächtig - das ist das Wesen der Xenophobie. Erwartet wird vom Flüchtling, damals wie heute, eines: Passe dich an.
Was Brecht vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe äußert, ist keine Anpassung. Tatsächlich war er niemals Mitglied einer kommunistischen Partei. Seine vorsichtige Redeweise, seine abgewogenen Sätze sind Ausdruck eines listigen Widerstandes: “Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!” Die Wahl wäre gewesen: Aussageverweigerung, Haft und oder Ausweisung wie es Hanns Eisler geschah, oder das Auftreten als “freundlicher Zeuge”, Verrat und Denunziation von Weggefährten. Brecht meisterte diese Situation anders. Er habe, so ein Zeuge der Anhörung, sich verhalten wie ein “Zoologe unter Affen”.
Noch einmal Anna Mitgutsch:
„Der Assimilationsdruck, dem sich jeder Einwanderer ausgesetzt sieht, wertet alles, was im unangepaßten Zustand verharren möchte, als unbrauchbar ab. Und damit wird auch alles, was den Fremden ausmacht, seine ganze transportable Heimat aus Traditionen, Sprache, Denk- und Wahrnehmungsmustern von der gedankenlosen Unwissenheit der Eingesessenen als überflüssig und minderwertig beiseite geschoben. Ihre Zustimmung gilt jenen, die alles, was ihre Identität bisher ausgemacht hat, möglichst schnell überwinden.“
Vierzig Jahre nach dem Brecht-Verhör erlebt eine andere Schriftstellerin, was es heißt, ein enemy alien zu sein.
Herta Müller schreibt über ihre Ausreise aus Rumänien 1987:
„In Nürnberg kamen wir ins Übergangsheim >Langwasser<. Und prompt fand eine Verwandlung statt: Am Vortag in Österreich noch Dissidentin, galt ich jetzt in Nürnberg als Agentin. Der BND und der Verfassungsschutz verhörten mich mehrere Tage lang. Schon das erste Gespräch war surreal.
Der Beamte fragt: Hatten Sie mit dem dortigen Geheimdienst zu tun?
Ich sage: Er mit mir, das ist ein Unterschied.
Der Beamte: Lassen Sie die Unterscheidung mal meine Sache sein, dafür werde ich bezahlt.
Quelle: Herta Müller, „Herzwort und Kopfwort. Erinnerungen an das Exil“. Vollständig zu lesen hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90638332.html
Viele derer, die ihr Heil in der Flucht suchen mussten, sind heute vergessen. Die Nationalsozialisten haben ganze Arbeit geleistet: Vertrieben, die Werke verbrannt, jede Erinnerung gelöscht. Herta Müller schreibt davon, es müsse ein Exil-Museum geben. Ein virtueller Platz für Künstler im Exil ist seit einigen Monaten im Aufbau und nimmt stetig zu: http://kuenste-im-exil.de/KIE/Web/DE/Home/home.html
Die Vereinten Nationen berichten:
Derzeit befinden sich weltweit fast 45,2 Millionen Menschen auf der Flucht. 15,4 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge. Vier von fünf Flüchtlingen (80 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes Nachbarland fliehen. Den weit größeren Teil – 28,8 Millionen – bilden jedoch sogenannte Binnenvertriebene (Internally Displaced Persons – IDP). Sie fliehen innerhalb ihres eigenen Landes, ohne dabei internationale Landesgrenzen zu überschreiten. Auch wenn Binnenvertriebene - anders als Flüchtlinge - nicht durch internationale Abkommen geschützt sind und das Mandat von UNHCR offiziell nicht für diese Personengruppe gilt, kümmert sich UNHCR dennoch seit vielen Jahren um die Bedürfnisse von Binnenvertriebenen. Denn oftmals befinden sie sich in sehr ähnlichen Situationen wie Flüchtlinge und haben einen ähnlichen Hilfsbedarf. Momentan unterstützt UNHCR 17,7 Millionen Binnenvertriebene. Insgesamt kümmert sich UNHCR um 35,8 Millionen Menschen. Dazu zählen Flüchtlinge, Binnenflüchtlinge, Asylbewerber, Rückkehrer und Staatenlose.
Die wenigsten dieser Menschen sind Schriftsteller oder Journalisten. Letztere können zumindest formulieren, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. Sie sind die Stimmen für die Massen, die im Migrantenstrom stumm untergehen.
Der Gedanke, dass äußere Umstände einem den Boden unter den Füßen wegziehen können, macht bodenlos schwer. Deswegen zum Abschluß eine kleine Volte hin zu einem leichteren Empfinden der Fremdheit, die Begegnung mit einem legal alien: