Hans Pleschinski: “Königsallee”. Thomas Mann hat ein déjà vu.

Bild

„Es glich einem Wunder, daß in der Flußmetropole überhaupt noch eine Schindel auf den Dachstühlen, eine Hauswand senkrecht und eine Glasscherbe in den Fensterrahmen geblieben war. Ein vierteltausend Angriffe  – anfangs nachts, später auch bei Sonnenschein – hatten die Stadt umgepflügt. Um die sechstausend Menschen, Einheimische, zu den Fabriken Herverschleppte aus dem Osten, waren auf den Straßen zerfetzt, unter Gemäuer begraben worden, in ausglühenden Schutzräumen erstickt und verschmort. Lodernd waren Lancaster-Bomber in den Rhein gestürzt. In den Cockpits der Feinde, der Bezwinger, der Befreier war noch unter Wasser ein Flammen und verzweifeltes Gestikulieren zu erkennen gewesen.

Kein Wort konnte die Geschehnisse erfassen und zur Ruhe bringen.Das Ausmaß und die Tiefe der Wunde waren vielleicht noch längst nicht erkannt. Wie viele Jahre müßten vergehen? – Zerstörung, Schande waren nun das Erbe der Nation. Wann käme eine neue, bessere Vermischung ihrer Substanz? Daß man als Deutscher wieder zu dem würde, was man ehedem gewesen war: Bürger der Welt, tüchtiger Arbeiter, Faulenzer vor dem Herrn, Verkehrspolizist oder Verliebte ohne Schattenreich im Nacken.

Gottlob gab es den Alltag. Auch wenn er die Nerven aufs außerste strapazierte.“

Das ist Düsseldorf im Jahre 1954, als Thomas Mann in Hans Pleschinskis Roman „Königsallee“ ein déjà vu hat.

Ein Beitrag von Klaus Krolzig

“Geliebte Lippen, die ich küßte.” Mit diesem Tagebucheintrag vom 20. Februar 1942 offenbarte Thomas Mann so deutlich wie nie zuvor seine homoerotischen Neigungen zu dem 17-jährigen Klaus Heuser, den er 1927 bei einem Sylt-Aufenthalt kennengelernt hatte. “Menschlich gesehen war dies meine letzte Leidenschaft, und es war meine Glücklichste”, schrieb er bereits am 9. September 1933.

Was sich genau zwischen dem 52-jährigen Schriftsteller und dem jungen Klaus Heuser abgespielt haben könnte, kann man nur mutmaßen. Denn Thomas Mann hat seine Tagebücher aus den Jahren 1922-1932 vernichtet. So groß war die Angst, sie könnten in falsche Hände geraten und gegen ihn verwendet werden.

Die Spuren dieser Sommerliebe haben den großen Thomas-Mann-Kenner Hans Pleschinski zu “Königsallee” inspiriert, einem unterhaltsamen und manchmal auch berührenden Roman. Die Handlung spielt im Jahre 1954, als Mann ein Jahr vor seinem Tod zum ersten Mal nach seiner Emigration Düsseldorf besucht, um dort eine Lesung abzuhalten. Zufällig hält sich zum gleichen Zeitpunkt auch Klaus Heuser in Düsseldorf, seiner Geburtsstadt, auf. Nach 18 Jahren Asien-Aufenthalt besucht er zusammen mit seinem Lebensgefährten Anwar seine Eltern.

Die Ankunft Thomas Manns im Breidenbacher Hof beschreibt Hans Pleschinski wie folgt:

Im Blitzgewitter näherten sich als dunkle Umrisse, dann überbelichtet, zwei kleinere und eine größere Erscheinung. Erst allmählich ahnten und gewahrten die Anwesenden… es waren die Nobelpreis-Eltern mit der Tochter. Thomas Mann trug Hut, einen beigefarbenen Anzug, ein locker geschwungener Schal ließ die Fliege erkennen.

Der Berühmte! Welche Berühmtheit! Gelesen und ungelesen. Der Schöpfer von Hans Castorp, der Erfinder eines Zwiegesprächs zwischen dem Teufel und einem Komponisten, der Urheber von “Königliche Hoheit”, der Künster, der die Lübeck-Saga in die Welt gesetzt hatte, der Befürworter der Bombardierung Deutschlands, Gastgeber für Albert Einstein und Marlene Dietrich, die Humanitas in persona, der unanfechtbar Gerechte, der Magier, der aus Buchstaben auf Tausenden von Seiten das pharaonisch-biblische Ägypten auferstehen ließ, Josephs-Geschichten, der Heraufbeschwörer schwüler Lust … Der stilistische Meister, der den Führer zum “blutigen Darmwind eines erkrankten Volksrests” degradiert hatte.

Wie konnte ein Deutscher so weit aufsteigen. In solchen Zeitläuften. Höher hinaus als schier jeder. Dies alles war zuviel für die nur äußerlich barsche, insgeheim hoch kultivierte Baurätin von Düsseldorf. Sie griff am Kamin nach halt. “Lotte in Weimar”, ihr Lieblingsbuch, nun traf mit der ordinären Post nicht Charlotte Buff ein, um ihrem einstigen Geliebten Goethe ihr späte Aufwartung zu machen, mit deplaciert rosa Schleifchen am Kleid, jetzt kam der Dichter der melancholischen Begegnung selbst.

Bis dahin entspricht alles den Tatsachen. Aber Pleschinski manipuliert die Wirklichkeit, indem er Klaus und Anwar in das gleiche Hotel einziehen läßt, in dem auch Thomas Mann, seine Frau Katja und Tochter Erika untergebracht sind. Mit dem Resultat, daß die alte, nie gestillte Leidenschaft zwischen Thomas und Klaus wieder aufflammt, obwohl diese erneute Annäherung sich auf sehnsuchtsvolle Blicke und ein nächtliches Gespräch im Benrather Schloßpark beschränkt.

Bild

An der Darstellung expliziter Szenen ist Pleschinski nicht interessiert. Er ist ein viel zu großer Thomas-Mann-Verehrer, als daß er ihn ob des delikaten Themas der Lächerlichkeit preis gäbe. Es geht ihm vielmehr um eine Variation auf das Werk Thomas Manns. So spielt sich der Roman wie in “Lotte in Weimar” (der alte Goethe trifft nach vielen Jahren zufällig auf seine Jugendliebe Lotte) größtenteils in einem Hotel ab. Daneben wimmelt es in “Königsallee” nur so von literarischen Mann-Figuren und Anspielungen auf sein Werk, die sich in ihrer Gesamtheit nur dem passionierten Mann-Leser zu erkennen geben. Mit dem Versuch, auch noch im Stil Thomas Manns zu schreiben, hat sich Pleschinki dann doch etwas verhoben. Da wäre weniger wohl mehr gewesen.

An Mann’schem Humor und Ironie läßt es Pleschinski ebenso wenig fehlen. Klaus Heuser wird in seinem Zimmer von 3 Hotelgästen aufgesucht. Die erste ist Erika Mann, die ihn eindringlich ermahnt, nicht mit ihrem Vater Kontakt aufzunehmen, da die gesundheitlichen Folgen aufgrund seines gebrechlichen Zustands nicht abzusehen seien. Daneben fleht der Kritiker Ernst Bertram (ein guter Freund von Thomas Mann, der sich auf die Seite Hitlers geschlagen hat) Heuser  regelrecht an, er möge bei Thomas Mann für ihn ein gutes Wort einlegen. Und zum guten Schluß ist da noch der Sohn Golo Mann, der sich von seinen Eltern mißverstanden und gehaßt fühlt. Klaus Heuser soll für Golo’s neues Amerikabuch Reklame beim Vater machen.

So unterhaltsam diese Passagen auch sein mögen, der Zwang zum Kommödiantischen wirkt stellenweise langatmig und hat mich nicht immer überzeugt. Meisterhaft weiß Pleschinski am Ende von “Königsallee” die haßerfüllte  Stimmung wiederzugeben, die Thomas Mann in Deutschland entgegenschlug, als man ihn des Landesverrats durch Emigration bezichtigte.

Das Bild, das Pleschinski von Klaus Heuser in diesem Roman zeichnet, ist beeinflußt von bislang unbekannten, nicht veröffentlichen Briefen Heusers, die ihm von der Nichte zur Verfügung gestellt wurden.

Hans Pleschinski, Königsallee, C.H.Beck-Verlag, 394 Seiten, 19,95 €