“Ich setzte mich erneut ans Feuer, aufgewühlt von dem, was passiert war. Im Grunde war nichts passiert. Ich dachte daran, wie leer mein Dasein war, und daran, daß das Leben für sich allein genommen nichts ist, eine glatte gerade Linie, die in den Raum flieht, eine Fahrspur auf einem Schneefeld, ein verschwindendes Nichts. “Etwas” beginnt dort, wo die Linie andere Linien kreuzt, wo das Leben ein fremdes Leben betritt. Jede Existenz ist unbedeutend, wenn sie in niemandem und in nichts gespiegelt wird. Der Mensch existiert nicht, solange er sich nicht im Spiegel gesehen hat.”
Ich habe schon lange nicht mehr so eine wunderbar traurige und schöne Liebesgeschichte gelesen, wie sie von dem russischen Schriftsteller Wsewolod Petrow in der so leichten und so virtuosen Novelle “Die Manon Lescaut von Turdej” erzählt wird.
Die Novelle lehnt sich an die Geschichte der echten Manon Lescaut von Abbé Prévost (1731) an. Um aber diese hinreißende und bittere Liebesgeschichte, die vor dem Hintergrund einer bewußt verallgemeinerten, fast bis zur Unkenntlichkeit reduzierten Kriegslandschaft spielt, mit Vergnügen und Mitgefühl zu lesen, braucht man so gut wie keine Vorkenntnisse in der Geschichte der russischen und der Weltliteratur. Es wird die Liebesgeschichte eines jungen Paares erzählt, das mit einem Lazarettzug der Sowietarmee von einem Kriegsschauplatz zum nächsten zieht. Der Name der Manon Lescaut steht für Liebe, Schönheit, Betrug und Unglück. Vordergründig geht es allein darum in dieser nur 100 Seiten langen Erzählung, der Krieg besiegelt schließlich das Schicksal der beiden Protagonisten. In dem klugen Nachwort des Übersetzers erfährt aber der Leser, daß gerade in den Auslassungen eine Kritik an Stalin unüberhörbar ist.
Diese “Kleinod” lag genau sechzig Jahre lang in Petrows Schublade. Erst 2006 wurde sie in einer Moskauer Zeitschrift veröffentlicht. Nun liegt die erste Übersetzung dieser wunderbaren Novelle auch dem deutschen Leser vor. Die “Frankfurter Rundschau” hat die Übersetzung zurecht als “mittelschwere Sensation” bezeichnet und dem Weidle-Verlag kann man nicht genug dafür danken.
Klaus Krolzig