Ich komme und gehe wieder,
Ich, der Matrose Ringelnatz.
Die Wellen des Meeres auf und nieder
Tragen mich und meine Lieder
Von Hafenplatz zu Hafenplatz.
Ihr kennt meine lange Nase,
Mein vom Sturm zerknittertes Gesicht.
Daß ich so gerne spaße
Nach der harten Arbeit draußen,
Versteht ihr daß?
Oder nicht?
Aus den im Nachlass veröffentlichten Kasperle-Versen.
Es scheint derzeit eine regelrechte Ringelnatz-Renaissance zu geben. Denn wenige Tage nach der bereits hier vorgestellten Biografie, die im Galiani Verlag erschien, legte auch der Osburg Verlag ein Ringelnatz-Buch vor. Jahrelang musste man die Informationen über den reisenden Artisten, Verseschmied und Kunstmaler aus verschiedensten Quellen zusammenkratzen - und nun kommt er im Doppelpack. Da tanzt das Seepferdchen.
Während Hilmar Klute sich in seinem „War einmal ein Bumerang“ jedoch mit fluffig-leichter Feder durch das abenteuerliche Leben des Joachim Ringelnatz schreibt, kommt das von Alexander Kluy verfasste Buch mit dem Titel „Joachim Ringelnatz. Die Biografie“ weitaus gewichtiger daher. Schon vom Volumen: Kluy bringt es auf mehr als die doppelte Seitenzahl. Das ist gespickt mit einem „Mehr“ an Information zu Zeitgeschehen, Leben, Werk und eingehenderen Schilderungen des „Begleitpersonals“ im Ringelnatz-Theater - angefangen von Muschelkalk nebst den zahlreicheren weiteren weiblichen Bekannten des Poeten über Bühnenfreunde wie Karl Valentin, Verleger und Kollegen wie Peter Scher bis hin zu kleinen Portraits aus der Münchner und Berliner Bohème der 1920er- und 1930er-Jahre.
Man kann die beiden Bücher eigentlich nicht aneinander messen - ist der Klute ein Lesehäppchen für Einsteiger, die Ringelnatz kennenlernen und sich dabei amüsieren und informieren wollen, so könnte das Buch des Journalisten und Publizisten Alexander Kluy durchaus zu einem Standardwerk für jene werden, die sich intensiver und ernsthafter mit dem ver- und entrückten Poeten auseinandersetzen möchten. Den Anspruch postuliert schon der Titel: „Die Biografie“.
Kluy erzählt nicht nur das Leben von der Wiege in Wurzen bis zur Bahre in Berlin nach - dies alles akribisch recherchiert und in das Zeitgeschehen eingebettet. Sondern er integriert ebenso die wichtigsten Gedichte, die Ringelnatz als Menschen erklären, analysiert und erläutert sie. Das erleichtert manchem vielleicht den Einstieg in den zeitweilig eigentümlichen Sprachduktus von Ringelnatz - so wie er sich manches Mal wohl kopfüber in ein Lebens- oder Liebesabenteuer stürzte, so purzeln ihm ab und an auch die Worte durcheinander. Kluy schiebt verständige Erklärungen nach.
Was ein Manko des Buches ist: Des öfteren verschwurbelt sich auch Kluy in seiner Sprache. So beispielsweise bei den Erläuterungen zur brieflich-erotischen Annäherung zwischen Muschelkalk und Ringelnatz.
Muschelkalk wollte von dem ihrigen wissen:
„Welches ist Deine Stellg.nahme zur Frau überhaupt, welche Meinung hast Du von Ihnen?“ und „2. müßte ich dich fürchten (?)“.
Alexander Kluy führt dazu aus:
„Hans Bötticher benötigt einige Tage für seine lange Antwort, die Jahre später noch immer Schauer der Scham bei ihm auslösen wird, ist doch diese ausführliche Schilderung seines Bildes der Frau eine Mischung aus Misogynie à la Otto Weininger (1880-1903), jenes Wiener Philosophen, der in „Geschlecht und Charakter - eine prinzipielle Untersuchung (1903) hochneurotischen Frauenhass, krassen Antisemitismus und einen die Grenze zum Extremismus überschreitenden Willen zu einer gnadenhaft erlösenden Metaphysik miteinander verquirlt und damit einen Bestseller produziert hat, der nach Erscheinen dreißig Jahre lang zahllose Nachauflagen erlebt, aus spät-wilhelminischen Kulturrollenkonservatismus und militärisch-männerbündlerisch durchfärbtem, erotisch libertärem Chauvinismus.“
Aha. Es lebe der Schachtelsatz. Die gute Nachricht ist: Ringelnatz bekam seine Muschelkalk trotzdem. Und wer sich durch diese Sätze windet, dem wird es zwar streckenweise so gehen wie der armen Muschel („Mein Gehirnkasten ist gänzlich zerwühlt“), letzten Endes jedoch einen warmherzigen, liebenswerten, „gspinnerten“ Ringelnatz von Grund auf kennenlernen. Oder, um es etwas angestrengter à la Kluy zu formulieren:
“Das letzte Gedicht, geschrieben zur als letztes auftauchenden Handpuppe eines Matrosen, der unübersehbar Joachim Ringelnatz darstellt, ist die Summa seines Lebens und seiner Poesie, die hier, am Ende des Puppen-, des Aquarell- und seines Lebenszyklus, eins wird, in eins fällt und sich mit flirrender Grazie schwebend leicht erhebt - und verabschiedet.“
Summa der Lektüre: „Die Biographie“ lässt keine Fragen offen. Umfassend und informativ. Mehr Leichtigkeit à la Ringelnatz wäre in dieser “feuereifernden” (so der Verlag) Biographie allerdings wünschenswert gewesen.
Und alles andere steht dann sowieso bei http://ringelnatz.org/