Lesezeichen: Von Mir. Warum lese ich?

Leseraum im Landesmuseum Zürich

Vor einigen Wochen wurde auch ich von Sandro vom Blog Novelero mit der Frage konfrontiert, warum ich lese. Ich war gerade auf meinem eigenen Trip und hatte wenig Zeit und Muse, etwas dazu zu schreiben. Zudem sind seither so viele intelligente, witzige, schöne, kluge, vielseitige Beiträge von verschiedenen Bloggern – beispielsweise bei Jochen, Marina und Miriam erschienen – die mir aus der Seele und dem Verstand sprachen.  Alle Links findet ihr auf der Seite von Sandro.

 

So oft dachte ich mir beim Lesen dieser Beiträge: „Jawohl, das ist es!“ – Lesen als Vorbereitung auf die Welt, Lesen als Orientierungshilfe, Lesen als Horizonterweiterung. Ich fand mich so oft in diesen Beiträgen wieder, dass ich keinen Anlass sah, noch meine Gedanken zu formulieren.

Doch ließ mir die Frage seither keine Ruhe. Warum lese ich? Das bohrte weiter. Und letzten Endes muss ich einfach eingestehen: Ich kann das gar nicht eindeutig beantworten. Warum lese ich? Ganz platt: Weil es mir zunächst als die zweitschönste Nebensache in meinem Leben erscheint.

Lesen ist über die Jahrzehnte hinweg einfach ein selbstverständlicher Anteil meines Alltags geworden – so wie andere abends die Klamotten wechseln, um sich auf die Laufstrecke oder ins Fitnessstudio zu stürzen, so freue ich mich erst einmal auf eine ruhige Lesestunde nach dem Arbeitstag. So profan ist es zunächst – Lesen ist für mich eine alltägliche Gewohnheit.

Ich würde nie schreiben: Ich brauche es wie Essen, Trinken und den Schlaf. Ohne Essen und Schlaf werde ich sehr viel schneller grantig und am Ende gehe ich ein. Komme ich mal länger nicht zum Lesen, grantle ich zwar irgendwann auch, aber somatische Auswirkung hat das nicht. Ich könnte mir also in der Theorie vorstellen: Es gibt auch Lebensphasen ohne Bücher.

Manchmal stelle ich mir sogar sehr gewagt vor, was ich alles tun könnte, wenn ich in diesem Moment nicht gerade ein Buch vor der Nase hätte: Blusen bügeln, die Wohnung aufräumen, ein Jazzkonzert besuchen, auf eine Weltreise gehen, einen Schrebergarten mieten, einer Bürgerversammlung beiwohnen?

Manchmal habe ich sogar ein schlechtes Gewissen, wenn ich über diese egozentrisch verbrachte Zeit des Lesens sinniere: Leser sind im Moment des Lesens Einzelgänger. Man entzieht sich gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen.

Dann aber könnte ich wiederum von der Bedeutung einzelner Bücher für mein Leben erzählen – über das Buch, das meine Berufswahl indirekt mit beeinflusste, über Bücher, die mir in bestimmten Situationen die Augen öffneten, die ein Trost waren oder Freude brachten, über Bücher, die mich prägten. Über Bücher, mit denen mir jemand etwas sagen wollte. Bücher, die ich als Metapher weitergab. Bücher, die ich immer wieder lese … weil darin mein innerster Kern angesprochen wird, weil sie meine Äxte sind.

Und so löste diese scheinbar einfache Frage „Warum lese ich?“ in mir einen Strudel von Gedanken und Gegenfragen aus, die zur nächsten Frage führten und zur übernächsten und einen ganzen Rumor in mir verursachten – zu stoppen nur durch einen eindeutigen Imperativ: „So, jetzt lese ich was, und damit basta!“ (Lesen also auch als Vermeidungsstrategie?)

„Warum lese ich?“. Ich bitte nächstens um weniger schwierige Fragen.  

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

6 thoughts on “Lesezeichen: Von Mir. Warum lese ich?

  1. Danke für deine Gedanken zu dem Thema! Endlich spricht es mal jemand an: Ich denke auch oft, daß ich anstatt zu lesen mehr Zeit mit Menschen verbringen sollte und daß Menschen doch wichtiger als Bücher sind. Aber leider gehen Gespräche mit Menschen oft nicht so in die Tiefe, wie es Gespräche mit Büchern vermögen. Und so flüchte ich häufig nach Treffen mit Menschen schnell wieder zwischen meine Buchseiten.
    Herzliche Grüße.

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  2. Danke für Deine Gedanken zum Lesen und auch für den Verweis zu Sandro. Spannend sich auf diesem Weg durch die unterschiedlichen Gedankengänge von Menschen zu diesem Thema zu lesen.

    Bringe Dir gerne meine Gedanken dazu mit, die ich vor einiger Zeit einmal zu einer Geschichte zusammen geführt habe. Es stimmt, einen Auslöser braucht es, um den Zugang für das restliche Leben zu finden.

    Sehr gerne lasse ich mir allerdings auch vorlesen.

    Lege mal den Link zu meiner Geschichte her. Vielleicht macht sie Dir Freude.
    https://sandayblog.wordpress.com/2016/03/23/die-seele-der-buecher/

    Liebe Grüße San

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  3. Seit ich die Frage das erste Mal bei Marion gelesen habe, geht sie mir auch nicht mehr aus dem Kopf. Warum lesen? Warum nicht lesen? Was würde ich mit der Zeit tun, getan haben, die ich verlese? - Ich komme aus Familien, die nicht gelesen haben. Keine Zeit spielte da eine große Rolle und natürlich ein fehlendes Selbstverständnis. Warum soll ich als Bäcker, als Verkäuferin, als Mutter, als Weinbauer lesen? Und wo kämen die Bücher her? Natürlich hätten sich meine Vorverwandte welche besorgen können. Aber - es gab einfach keinen rechten Ort. In der guten Stube wurde die Bibel gelesen, die Briefe von Angehörigen oder die Sonntagszeitung. Ein Kochbuch vielleicht in der Küche. Meine Eltern konnten mit mir als Lesender nicht viel anfangen. Sie scheuchten mich raus „an die frische Luft“, weder meine Mutter noch meinen Vater habe ich je etwas anderes lesen gesehen als Illustrierte (Mutter) und Tageszeitungen (Mutter und Vater). Wahrscheinlich habe ich in diesem Umfeld das Lesen als „Distinktion“ begriffen, als eine Tätigkeit, die meinen Wunsch, aus dieser Umgebung zu verschwinden, deutlich machte. Spätestens im Studium war ich zum Lesen verdammt, denn ich wusste so wenig, dass meine Lücken eben nur durch Dauerlektüre aufzufüllen waren. Auch heute noch unterscheide ich zwischen professionellem und freizeitlichem Lesen, schade eigentlich, aber es hat sich so in meine Lesevorstellungen eingeprägt. Wenn ich nicht lesen würde, vielleicht käme die Musik dann mehr in den Vordergrund. Oder ich würde viel spazieren gehen. Ob mir etwas fehlen würde? Ich will es (noch) nicht drauf ankommen lassen.

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