In eigener Sache: Uno, due, tre.

Bild: Rose Böttcher

Liebe Leute,
als ich vor ca. zwei Jahren mit dem Bloggen anfing, ahnte ich selbst nicht, zu was das führen würde - es war ein Testballon, der sich mittlerweile jedoch zu einem veritablen Zeppelin ausgewachsen hat. In mehrerlei Hinsicht: Vom Zeitumfang her, vom Aufwand und vom Raum, den der Blog manchmal in meinem Denken einnimmt. Es steht jedoch eindeutig mehr auf der Haben-Seite: Schöne Kontakte, die sich entwickelt haben, die Reaktionen auf viele Beiträge, der Austausch mit anderen Leserinnen und Lesern und nicht zuletzt, dass sich mit dem einen oder anderen Blog mittlerweile sogar “Vernetzungen” und thematisches Ping-Pong-Spielen ergeben - als Beispiel sei dafür die Blog-to-Blog-Parade mit lustauflesen zum Ringelnatz-Spaziergang heute genannt.
Dennoch will ich jetzt mal ein wenig Dampf rausnehmen - und habe mir deshalb Verstärkung gesucht. Künftig wird hier ab und an auch Claudio Miller schreiben -  auch er ein Vielleser, mit dem ich schon manche Debatte über Bücher geführt habe und den ich nun endlich überzeugen konnte, nicht nur zu schreiben, sondern das auch zu veröffentlichen. Wir wollen, wenn es sich so realisieren lässt, den Blog abwechselnd “füttern” und führen.
Und dann möchte ich die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle auch nochmals eigens Klaus Krolzig  zu danken: Er ist ein Leser des Blogs der ersten Stunde, der die Buchvorstellungen hier immer wieder mit Rezensionen bereichert - vor allem birgt er immer wieder seine Schätze aus der “Anderen Bibliothek”, gab aber auch mit seinem Portrait von Mascha Kaléko den Anstoß zu der Rubrik über jüdische Lyrikerinnen. Der Text ist bis heute einer der meistgelesenen Beiträge!
Mit solcher Verstärkung dreht sich die literarische Lichtorgel munter weiter - und an Euch geht unser Dank fürs Lesen&Begleiten!
Eure Birgit

TRIO 28: Nathaniel Hawthorne, ganz privat

“…und es gibt verschiedene andere Hawthornes, die uns ebenfalls überliefert sind: Hawthorne, der Allegoriker, Hawthorne, der hochromantische Fabeldichter, Hawthorne, der Chronist des kolonialen New England des 17. Jahrhundert, und, am bemerkenswertesten, Hawthorne, wie er von Borges neu interpretiert wurde - als Vorläufer Kafkas. Hawthornes Literatur kann mit Gewinn aus jedem dieser Blickwinkel gelesen werden, doch gibt es noch einen weiteren Hawthorne, der mehr oder weniger wegen der Vielzahl seiner anderen Verdienste vergessen und vernachlässigt wurde: der private Hawthorne, der Anekdoten und impulsive Einfälle hinkritzelte, der Arbeiter der Ideen, der Meteorologe und Landschaftsbeschreiber, der Reisende, der Briefautor, der Historiker des alltäglichen Lebens.”

Paul Auster zu “The American Notebooks”

In seinen Tagebüchern zeigt sich Nathaniel Hawthorne, dessen “Scarlett Letter” nicht zuletzt auch eine groß angelegte Abrechung mit der puritanischen geprägten Gesellschaft seiner Zeit ist, von einer ganz anderen Seite. “Hawthorne ist nach eigenen Worten ein Individuum, das gern sein Gesicht verbirgt, keiner „dieser äußerst spendablen Leute, die ihr eigenes, köstlich zubereitetes, mit Hirnsoße gebratenes Herz ihrem geliebten Publikum als Leckerbissen vorsetzen“. Dabei führte er hingebungsvoll und ausführlich Tagebuch (…). Sein diaristisches Sudelbuch birgt die erstaunlichsten Schätze, denn es zeigt den scheuen, bisweilen strengen Schriftsteller immer wieder aus nächster Nähe, humorvoll, warmherzig, en famille”, schrieb Werner von Koppenfels in der Zeit.

Hawthorne, der Vater:

Diese Locken musste Nathaniel Hawthorne jeden Morgen wickeln: Sohn Julian um 1850.

Einer dieser Schätze erschien in deutscher Übersetzung (von Alexander Pechmann) 2013 beim österreichischen Verlag Jung und Jung: “Zwanzig Tage mit Julian und Little Bunny”. Der Einzelgänger, der seine Frau Sophia abgöttisch liebt (dazu später noch mehr), muss einige Wochen im August 1851 allein mit Sohn Julian und Karnickel Bunny verbringen. Der Sohn überlebt, das Kaninchen nicht.

Das Tagebuch, das Hawthorne in dieser Zeit führt, ist eine schmale, reizende Lektüre. Vater und Sohn, allein auf sich gestellt, verbringen die Tage in einem ruhigen Rhythmus - Morgenwaschung, der Kampf mit Sohnes Lockenpracht, der Gang in das Dorf, das Warten auf Briefe von Sophia, bescheidene Mahlzeiten, ruhige Abende. Wenige Unterbrechungen - ein Höhepunkt ist ein Ausflug mit Freund und Nachbar Herman Melville in ein Shaker-Dorf. Die Verachtung für diese Sekte zeigt an einer der wenigen Stellen dieses kleinen Ausschnitts aus den Tagebüchern den giftig-bissigen Schriftsteller, der wenig Gnade mit den religiösen Irrwegen seiner Landsleute kennt.

Vor allem aber steht eines im Mittelpunkt des Büchleins: Die Erfahrung, rund um die Uhr mit seinem Sohn zusammen zu sein (die beiden Töchter waren mit der Mutter verreist). Die Hawthornes, so erläutert auch Paul Auster in seinem Nachwort, pflegten einen für damalige Zeiten ungewöhnlichen Erziehungsstil. Liebe und Nachsicht statt Härte und Strenge, den Kindern wurde die freie Entwicklung ihrer Persönlichkeit erlaubt. Doch Julians lebhaftes und vor allem gesprächiges Wesen bringen Hawthorne, der lange Jahre seines Lebens eher einsiedlerisch verbrachte, manchesmal auch an den Rand seiner Geduld. Gerade diese Notizen, in denen sich eine leichte Gereiztheit äußert, der Wunsch, den Redeschwall auch einmal brachial zu stoppen (der jedoch nie ausgeführt wurde), das Bekenntnis, dass das eigene Kind auch auf die Nerven fallen kann - gerade dies macht den Reiz von “Zwanzig Tage mit Julian und Little Bunny” aus. Und in Stellen wie diesen können sich Eltern auch heute noch wiederfinden:

“Julian war bemerkenswert unruhig im Dorf (…). Seine Bewegungen waren so rastlos, dass ich ihn verdächtigte, sich - nach seinem eigenen Fachausdruck - “unbehaglich” zu fühlen, doch er leugnete es nachdrücklich. Wir hielten beim Liebeshain und dort stellte ich ihm erneut eine diesbezügliche Frage, aber er sagte noch immer nein. (…) Ich hörte ihn schreien, als ich noch ein gutes Stück entfernt war, und als ich näherkam, sah ich, dass er breitbeinig ging. Armer kleiner Mann! Seine Hosen waren pitschnass. Es ist eine ausgesprochene Grausamkeit gegenüber dem Kind, dass seine Kleidung nicht derart gefertigt ist, jederzeit einem natürlichen Bedürfnis freien Lauf lassen zu können. Knaben mögen es nicht, ihre Bedürfnisse mitzuteilen (…).”

Hawthorne, der Liebende:

“Meine Abende sind alle trostlos, einsam und ohne Bücher, die ich gerade gerne lesen würde, und dieser Abend war wie die anderen. So ging ich ungefähr um neun zu Bett und sehnte mich nach Phoebe.”
Tagebuch, Sonntag, 10. August 1851

In seinen Tagebüchern nennt Hawthorne seine Frau Sophia zuweilen Phoebe. Aber auch: Taube, Geliebte, Allerliebste, Einzige. Beide waren schon älter, als sie 1842 heirateten: Hawthorne 38, die Malerin Sophia Peabody 33 Jahre alt. Bis zu seinem Tod 1864 blieben sie beinahe unzertrennlich - und die Gefühle füreinander offenbar ungebrochen, wie viele Belege beweisen. Wie sehr das Paar verbunden war, zeigt ein frühes Zeugnis dieser Ehe: Ein gemeinsames Tagebuch der ersten Jahre, 2014, ebenfalls beim Jung und Jung Verlag, unter dem Titel “Das Paradies der kleinen Dinge” erschienen. Eine ausführliche Besprechung gibt es hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/05/18/hawthorne-paradies/

Hawthorne, der Selbstreflexive:

“Der Regen prasselte aufs Dach, und der Himmel drang trüb durch die staubigen Dachfenster, während ich in diesen ehrwürdigen Büchern wühlte, auf der Suche nach nur einem einzigen lebendigen Gedanken, der wie Kohlefeuer glimmen oder wie ein unverlöschlicher Edelstein zwischen all dem toten Geschwätz, das ihn so lange versteckt gehalten hatte, leuchten würde. Aber ich fand keinen solchen Schatz; alles war gleich tot; und ich konnte nur zutiefst verwundert über die demütigende Tatsache nachsinnen, dass die Werke des menschlichen Geistes genauso wie die seiner Hände zerfallen. Gedanken schimmeln.”
“Das Alte Pfarrhaus”, 1846

Im alten Pfarrhaus verbringt Hawthorne einige seiner glücklichsten Jahre, mehrfach bezieht er sich darauf in seinem Tagebuch und in seinen Werken. Nach einem gescheiterten Kommunen-Experiment auf der Brook Farm findet er, frischverheiratet mit seiner geliebten Sophia, in Concord das ideale Refugium: Hier kann er zurückgezogen leben und doch im losen Kontakt zu Freunden und Kollegen, darunter Emerson und Thoureau, sein. Den kurzen Text “The Old Manse” stellte Hawthorne einem Erzählband voran. Er erschien als eigenständiges Buch vor wenigen Jahren in deutscher Übersetzung - verdientermaßen: Ist diese kleine Skizze doch auch zugleich ein gehaltvoller Essay, der nicht nur eingeschworenen Hawthorne-Fans einige schöne Lesestunden zu bereiten vermag. Eine ausführlichere Besprechung findet sich hier: http://saetzeundschaetze.com/2014/10/27/hawthorne-pfarrhaus/

Über den Dreiklang Ehemann-Vater-Privatmensch hinaus sei auch noch auf eine andere Seite des amerikanischen Autoren hingewiesen: Hawthorne, der Gruselige.

“In jenen Zeiten, wo Träume und Schwärmereien der Narren noch im Leben Wirklichkeit wurden, trafen sich einst zwei Personen zu verabredeter Stunde an vorher bestimmten Ort. Die eine war eine Dame, lieblich von Gestalt, schön von Angesicht, doch blaß und wie von einem unzeitigen Mehltau befallen in der Blüte ihrer Jahre. Die andere war ein altes, zerlumptes Weib, häßlich und verwelkt, das die Dauer solchen Verfalls, die gewöhnliche Zeit menschlichen Lebens, um vieles überschritten zu haben schien. Drei kleine Hügel lagen da dicht beieinander; und eingebettet in ihren Steinmauern war etwas wie ein Loch in die Unterwelt…”

Nathaniel Hawthorne, “Die Höhle der drei Hügel”.

Fast schon mit Shakespearschem Furor beginnt diese Mär. Aber an den blanken Horror, den beispielsweise “Grube und Pendel” oder der “Untergang des Hauses Usher” auslösen können, reichen die Erzählungen von Nathaniel Hawthorne nicht heran. Doch ähnlich wie sein nur fünf Jahre jüngerer Landsmann Edgar Allan Poe hatte auch Hawthorne einen Hang zum und ein Händchen für das Düstere, Unheimliche, Übersinnliche. Spürbar ist dies auch in seinen Romanen, insbesondere „Das Haus mit den sieben Giebeln“ weist starke Elemente des Schauerromans auf.

Hawthorne, der manchen seiner Zeitgenossen als „obskurster Schriftsteller“ Amerikas galt, verfasste neben seinen Romanen auch ein umfangreiches Erzählwerk – „Dr Heidegger`s Experiment“ (1837) kann getrost als eine der besten Erzählungen dieser Epoche bezeichnet werden. Leider ist diese im vorliegenden Band nicht enthalten, dafür etliche schön-schaurige Geschichten. Die wurden nun zum Hawthorne-Gedenkjahr 2014 anlässlich seines Todes vor 150 Jahren in dem dtv-Taschenbuch „Die Mächte des Bösen“ gebündelt - elf Stories von „Lady Eleanors Schleier“ über „Die Totenhochzeit“ bis hin zur obligatorischen alten Jungfer in Weiß. Übersetzt übrigens von Franz Blei, der in den 1920er Jahren mit dem „großen Bestiarium der Literatur“ reüssiert hatte, darüber hinaus aber auch Poe, Oscar Wilde sowie etliche Franzosen in die deutsche Sprache übertrug.

Den trocken-spröden Ton des Puritaner-Nachfahren Hawthorne trifft Blei gut, wenn auch manches etwas umständlich-dekorativ daher kommt, insbesondere in der Auftakterzählung „Rappacinis Tochter“, die Hawthorne in Italien spielen lässt. Das jedoch ist durchaus auf das Original zurückzuführen: So nüchtern er einerseits die menschliche Seele auseinandernehmen konnte, so verdrechselt formulierte Hawthorne auch bisweilen.

Um was dreht sich der Grusel? Ob es nun eine junge Frau ist, die von ihrem Vater buchstäblich als „Giftzange“ eingesetzt wird, ob es Verzweifelte sind, die einem Schatz nachjagen oder auch nur ein junges Paar, das sich das falsche Bild an die Wand hängt: Auslöser des Bösen sind menschliche Untugenden wie Eitelkeit, Besitzgier, falsches Begehren. Letztendlich ist Hawthorne nicht nur ein gründlicher Kenner (und oftmals auch Missachter) der menschlichen Seele, sondern daneben auch immer ein Moralist. Bezeichnenderweise sind die Mächte des Bösen meist weiblicher Gestalt – oder aber die jungfräuliche Schönheit verkörpert die Reinheit, die Unschuld. Wenn es dumm läuft, ist sie beides in einem, wie „Rappacinis Tochter“. Hawthornes Verhältnis zu Frauen war zwiespältig. Einerseits war seine Ehefrau Sophia seine engste Vertraute, schätzte er den Geist und die Leistungen gebildeter Frauen, andererseits bleibt er in seinen Beschreibungen oftmals auch stereotyp und in den Klischees seiner Zeit. Dennoch: In seinem bekanntesten Roman, “Der scharlachrote Buchstabe” sind die Frauen das eigentlich starke Geschlecht.

Zurück zu Grusel&Grauen: Wer viktorianisch angehauchten Grusel mag, der wird auch am amerikanischen Horror seinen Gefallen finden – die „Mächte des Bösen“ wirken mitunter zwar etwas angestaubt, sind aber dennoch immer noch ganz unterhaltsam. Idealer Lesestoff für düstere Winterabende.

Hier geht es zu den Verlagsangaben inklusive Leseproben: http://www.dtv.de/buecher/die_maechte_des_boesen_14300.html

#VerschämteLektüren (18): Flattersatz bei Ninja und Co, ohne KG…

scham-alle
Der Blog aus.gelesen ist eine wirkliche Fundgrube für alle wilden Leser: Da findet man Besprechungen zu Klassikern, zu Neuerscheinungen auch abseits des Mainstreams, zu Sachbüchern, beispielsweise über das wichtige Themenfeld der Trauer und des Abschieds von nahestehenden Menschen, zu Ratgebern (“Darm mit Charme”), Bildbänden, etc. - kurzum: Man kommt sich vor wie im Wohnzimmer eines beschlagenen und vielseitig interessierten Buchhändlers. Und vor allem informiert “Flattersatz” immer ausführlich, informativ und kompetent über das jeweilige Buch, und das eben auch mit Mut zur Kritik und zur eigenen Meinung - keine Allerwelts-Buchvorstellungen eben. Dass hinter dem Flattersatz jedoch auch ein literarischer Shogun oder “Ninja Turtle” steckt, wer hätte das wohl geahnt:
“Tja, in meiner Jugend Maienblüte, als die Knochen noch kräftig waren, die Gelenke noch geschmiert, hing ich den ostasiatischen Kampfsportarten an. Zum Teil als 2. Dan im Chipsverzehr auf der Couch nach ausreichender Beuteergreifung in der örtlichen Videothek (Stichwort: van Damme und Steven Seagal..), zum Teil auch im Dojo, wenn man die Turnhalle mal so hochtrabend bezeichnen will. Und dann eben auch literarisch (ähemmm… ).
Der gute Eric Van Lustbader war einer derjenigen, welcher sich dem Thema scham-4widmete. Vor dem Hintergrund der japanischen Geschichte kombinierte er  in den Geschichte um seinen Protagonisten Nicholas Linnear Verschwörung, Intrige, Liebe und Habgier zu Geschichten, die ich förmlich verschlungen habe. Ich glaube, wenn es notwendig gewesen wäre, wäre ich auch mit der Taschenlampe unter die Bettdecke gekrochen, aber aus dem Alter war ich dann doch schon ´raus. Mit anderen Worten, es waren total spannende Geschichten, pageturnig geschrieben und mit viel Details zum Thema alte japanische Kultur und Kampfkunst. Zugegeben, die intellektuelle Dimension kam etwas kurz (sag ich jetzt mal so aus der Erinnerung) - obwohl man natürlich nichts über die japanische Kultur erzählen kann, ohne daß hier auch philosophische Aspekte erwähnt werden. Schaut man sich die Vita des Autoren an, so sieht man, daß er sich auch privat zum Japanischen hingezogen fühlt - unter diesem Aspekt fühlt man sich noch nach Jahrzehnten gleich viel wohler in den Geschichten, liest sie mit ganz ruhigem Gewissen: man hat ja seinerzeit was für die Bildung getan…..
Lustbader war, wie man an den Bildchen sieht, nicht der einzige, der auf dieser Welle schwomm, was für ihn gesagt, gilt cum grano salis auch für Leute wie Olden, Charney, Bailey, Trevanian - Namen, die mir heute so gar nichts mehr sagen, damals fanden sie natürlich alle Eingang in mein Regal und ihren Platz dort haben sie behauptet… eine Erinnerung an g´schamige Zeiten, literaturmäßig, meine ich….
scham-3
 Ja, der Bushido, der Weg des Kriegers. Drunter ging´s damals nicht. War schon irgendwie was besonderes, wenn so ein Samurai sich vor den Augen seines in die Ferne starrenden Daimyō von den Klippen in den Tod stürzte, nur um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß zu Hause das Essen auf dem Tisch steht… ;-). Oder der gute, alte Musashi, der ja mal ganz groß in Mode war. Mit den Esstäbchen flugs die Fliegen im Gleichnamigen fangen und dann auf dem Weg zum Duell in aller Ruhe das Stirnband faltenscham-1. Aber es steckt teils, ernsthaft betrachtet, schon eine Menge Philosophie in diesen Geschichten, eine Philosophie, die unserer westlichen so fern war - und ist. Bei uns im Westen sind seinerzeit ja sogar Managerseminare im Geiste Musashi ausgerichtet worden, das schmale Bändchen neben dem Wälzer bietet dazu ein Konzentrat. (Ach ja, wer noch mehr verschämte Literatur entdecken sollte auf diesem Bildchen: alles nur Einbildung, in Wahrheit alles hochgeistig! Hinter dem Schutzumschlag muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.)
Tja, das war schon Äktschn pur. Fliegende Ninja, die durch Strohhalme atmend am Grunde des See überdauerten, bis ihr Einsatz kam. Sollte man mal probieren, so durch einen Strohhalm atmen. Fühlt sich nicht so sehr nach Ninja an, eher nach Mensch mit akuter Atemnot. Von daher sehr lehrhaft. Überhaupt war Tod, töten und sterben ein Hauptthema der Romane. Aber immer mit Stil. Da gab`s auch schon mal einen Dolch in den eigenen Bauch, um so etwas wie seine Ehre zu retten. Seppuku nannte sich das dann und war dem Fremden völlig unverständlich. Und dem gemeinen Volk, dem, das auch noch arbeitete, wurde schon gerne mal auf´s Haupt gehauen oder auch selbiges gleich ganz ab. Und`s Weibervolk: entweder Engel oder Teufel, Miko halt…mit allen Wassern (ausser Weihwasser) gewaschen, aber am Ende doch immer auf der Verliererstraße…
Hat irgendjemand, der schon lange genug auf diesem Erdenrund weilt, eigentlich den Shogun damals nicht gesehen? Richard Chamberlain alias Anjin-san und Fürst Toranaga mit der kehligen Aussprache? Ach, was zitterte man im Geheimen mit, wenn die scham-2mandeläugige Schöne (leider verheiratet) und der langnasige Fremde die Schmetterlinge im Bauch flattern fühlten… na ja, schließlich wurde John Blackthorne dann sozusagen Ehren-Samurai, samurai-iger als die Samurais. War eh klar. Wieso muss ich jetzt an die Dornenvögel denken?
Wirklich viel weiß ich natürlich nicht mehr von diesen Romanen, die ich einmal verschlungen habe. Aber ich schätze mal, das muss ich auch nicht wirklich bedauern, war halt so`ne Periode in meiner geistig-moralischen Entwicklung, durch die ich durch musste. :-) Und wenn ich mich in meinem Text so ein wenig lustig gemacht habe, ist das nicht allzu ernst zu nehmen, die japanische Hochkultur ist faszinierend, sie imponiert mir immer noch. Aber sie ist eben auch nur eine Facette des Landes, von den anderen hört man eher weniger und was man hört, ist nicht so glanzvoll….
Links und Anmerkungen:
.. gibt´s heute nicht. Hai-hai.”
Dafür aber nochmals einen Hinweis auf den lesenswerten Blog: http://radiergummi.wordpress.com/

#VerschämteLektüren (15): frau g. und die frühreife Olympia.

Éduard Manet, “Olympia” 1863

Seit Mitte 2013 macht “frau g.” auf ihrem Blog “Lust zu Lesen” riesige Lust zum Lesen. Einige ungewöhnliche Buchtipps habe ich bei ihr schon entdeckt - man stöbere selbst auf dem schönen Blog.
Und wird dabei auch auf dieses freundliche Willkommen von Sonja alias “frau g.” stoßen:

“Lust zu lesen hatte frau g. schon immer. Naja, fast. Auf jeden Fall fing sie bereits vor der Einschulung damit an und hörte nie damit auf. Sie las alles, was ihr zwischen die Finger und vor allem vor die Augen kam. Mit der Zeit entwickelte sie dann aber doch gewisse Vorlieben, was ihre Leseauswahl betraf. Heute liest sie am liebsten Zeitgenössisches, ist aber Anderem auch aufgeschlossen – wenn es denn gut geschrieben ist.”

Manchmal darf es aber auch etwas verschämter sein, wie sie uns verrät:

olympia“Als ich das erste Mal bei „Sätze und Schätze“ über die Aktion der verschämten Lektüre las, fiel mir sofort „Olympia“ von Anita Shreve ein. Obwohl ich den Roman bereits vor dreizehn Jahren gelesen habe, ist mir seine Geschichte immer noch präsent und scheint für mich offensichtlich die Vorgaben dieser Reihe „…oder aber um Bücher, die ihr persönlich eigentlich schlecht findet, aber trotzdem gerne gelesen habt“ optimal zu erfüllen.

Der Roman spielt im Jahre 1899. Olympia, sechzehnjährige Tochter aus gutem Haus, natürlich wunderschön und ungewöhnlich intelligent, verliebt sich in einen Freund ihres Vaters. Er, John Haskell, ist von Beruf Arzt, sozial sehr engagiert , verheiratet und selbst Vater dreier Kinder. Dass die ganze Geschichte sich natürlich zum Desaster für alle Beteiligten entwickelt, dürfte klar sein.

Und trotzdem hat mich die Geschichte mitgerissen, und ja, verschämt gebe ich es zu: ich verliebte mich ein bisschen mit in diesen charismatischen, verantwortungsvollen Arzt; fühlte und litt mit Olympia in ihrer dramatisch verzweifelten Situation. Ohnmächtig musste ich mit ansehen, wie die beiden verraten wurden, natürlich auf perfideste Art und Weise: beobachtet durch ein Fernrohr, als sie sich während eines Familienfestes heimlich auf einem Altar liebten (geht’s vielleicht noch ein bisschen dicker?). Dies konnte selbstredend nicht folgenlos bleiben, und so nahm das Drama weiter seinen Lauf…

Natürlich muss man sich dafür nicht wirklich schämen – für mich ist es aber deshalb zum Thema passend, weil dieses Buch alle, aber wirklich alle Ansprüche erfüllt, die ich an einem Buch eigentlich überhaupt gar nicht mag: es spielt mit Klischees, die Story ist vorhersehbar und am Ende gibt es zu allem Überfluss auch noch ein Happy-End. Zumindest fast.”

Auf diesem Blog begrüßt “frau g.” ihre Besucherinnen und Besucher: http://lustzulesen.de/

#VerschämteLektüren - Intermezzo. Aus dem Sätze&Schätze-Regal.

Bildquelle mitsamt ernsthafter Auseinandersetzung mit dem toten Märchenprinzen: http://eisberg.blogsport.de/2013/03/29/buchkritik-der-tod-des-maerchenprinzen-von-svende-merian/
Hier findet sich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem toten Märchenprinzen: http://eisberg.blogsport.de/2013/03/29/buchkritik-der-tod-des-maerchenprinzen-von-svende-merian/

Noch mal eine tief hinten im Bücherregal und im Gedächtnis vergrabene literarische Jugendsünde. Aber was soll ich sagen? Ich war nicht allein. Alle hatten wir es. Und hat man sein Exemplar weitergegeben, dann kam aus einer anderen Ecke garantiert ein Neues zurück. In meinen Pubertätsjahren war es so obligatorisch, dieses Buch zu haben, wie die selbstgefärbte Stoffwindel am Hals, wie Latzhose und Indienrock im Schrank und die Picasso-Taube an der Wand. Und alle kannten wir Sätze wie diesen auswendig:
“Ein Softi ist ein Chauvi, der Kreide gefressen hat, nichts anderes.“
Ob`s geholfen hat? Nun, zumindest bei der Entwicklung eines besseren Lesegeschmacks. Denn es ist unterirdisch naiv geschrieben. Und auch das “literarische” Kontra “Ich war der Märchenprinz” muss man der Jugend heute nicht unbedingt in die Hand drücken. Die wesentliche Essenz lässt sich in einem Tweet zusammenfassen.
Zum vorhergehenden Intermezzo aus dem Regal des Blogs mitsamt Spiel- und Spaßregeln zu #VerschämteLektüren: http://saetzeundschaetze.com/2014/11/21/verschamte-lekturen-spiel-und-spasregeln/

#VerschämteLektüren (12): Peggy und ein “beschämender” Büchertausch in Phnom Penh

Wer England entdecken will, der ist bei Peggy wirklich in besten Händen. Auf ihrem Blog „entdecke england“ berichtet sie von Land und Leuten, Kultur und Natur, Geschichte und Geschichten und allerlei Bemerkenswertem – immer ergänzt durch wunderbare Fotos und persönlichen Anmerkungen, so dass man sich fast wie vor Ort fühlen kann beim Lesen. Very, very british – und mit viel Liebe zur Nation der Exzentriker. Und ihre #VerschämteLektüren haben natürlich auch mit einem der vielen, vielen Exzentriker auf dem englischen Thron zu tun…

Philippa Gregory: “The Other Boleyn Girl” und “The Boleyn Inheritance”

„Früher habe ich gerne historische Romane gelesen. Ich sage früher, nicht, weil ich heute nicht hin und wieder mal einen zur Hand nehme. Aber seit ich historische Sachbücher lese, was ich erst nach meinem Umzug nach England begonnen habe, werde ich immer kritischer. Und das verdirbt mir immer öfter den Spaß am Lesen. Viele historische Romane habe ich mittlerweile ausrangiert, aber von diesen beiden konnte ich mich noch nicht trennen.

Peggy1Ja genau, hier geht es um die immer wieder faszinierende Geschichte von Henry VIII und seinen sechs Frauen. Das erste Buch wird aus der Perspektive von Mary Boleyn erzählt, Anne Boleyn’s Schwester und Geliebte des Königs. Im zweiten Buch erzählen abwechselnd Lady Jane Grey, Katherine Howard und Anne of Cleves über ihre Erfahrungen am Tudor-Hof. Die Bücher haben alles, was man von einem Schmöker erwartet: Liebe, Intrigen, Spannung, Verrat und natürlich jede Menge Hinrichtungen. Warum ich mich von den Büchern noch nicht trennen konnte, liegt aber vor allem daran, dass mich Philippa Gregory mit ihrer Erzählkunst gefühlt mit die Tudorzeit genommen hat. Altertümliche Redewendungen wie „breaking the fast“ statt „breakfast“ geben zumindest mir als Laien das Gefühl von Authentizität und nach den Beschreibungen mancher Hygienerituale hatte ich das dringende Bedürfnis, duschen zu gehen.

Peggy2„The Boleyn Inheritance“ habe ich übrigens damals auf unserer Weltreise in einem Backpacker-Café in Phnom Penh gefunden. Um meine Schmach komplett zu machen, habe ich es gegen (wohlgemerkt ausgelesene) Kurzgeschichten von Herman Melville eingetauscht. Es hat mich einige Überzeugungskraft gekostet, bis die Cafébesitzerin bereit war, so ein dünnes Buch gegen ein dickes (obwohl es so dick auch wieder nicht ist) einzutauschen. So schätzt eben jeder den Wert von Büchern anders ein.“

Wer mit Peggy England kennenlernen möchte, der findet den Blog hier: http://entdeckeengland.com/

#VerschämteLektüren (10): Burroughs? Selby? Céline? Bukowski? Ellroy? Jungs, lernt mal von Cecil Brown!

Es gibt ja Nordlichter, die meinen immer noch, München sei nur die Weltstadt mit Herz, Schmerz, Nerz. Blau-weißer Schickimicki. Dass München aber auch ganze andere Saiten aufziehen kann (und das nicht nur musikalisch) und ganz andere Seiten hat, das zeigt Gerhard Emmer auf seinem Blog KULTURFORUM. Reinschauen lohnt sich nicht nur für Einheimische!

Gerhard bringt für die #VerschämteLektüren ein besonderes Schmankerl aus dem Greno Verlag (ebenfalls ein Stück Kulturgut aus Bayern, das es allerdings leider, leider nicht mehr gibt!):

Ich bin eine Weile vor der Bücherwand gestanden und habe überlegt, was zu dem Thema passen könnte. Mehrere Bücher sind in die engere Auswahl gekommen:

Alle Fotos von Gerhard Emmer.
Alle Fotos von Gerhard Emmer.

KULTURFORUM #VerschaemteLektueren (3)KULTURFORUM #VerschaemteLektueren (4)„Mauern“ von Hubert Selby (unter anderem: grauenvolle Vergewaltigungsszene!), „Naked Lunch“ von William S. Burroughs, sein Drogen-, Gewalt- und Psychopathen-Hauptwerk, dass ich offen gestanden aufgrund seiner vielen Handlungsstränge, Erzählebenen und der eingesetzten Cut-Up-Methode nie zur Gänze kapiert habe, oder auch irgendwas von Charles Bukowski. Auf alle Fälle sollte es etwas aus meinen Anfangsjahren als (ernsthafter) Leser sein (Karl May und Jules Verne kamen natürlich schon vorher dran…)  - und es war klar, es musste etwas aus der Abteilung „Schmutz und Schund“ sein, sonst hätte es ja nix Verschämtes (Heutzutage im gesetzten Alter lese ich selbstredend nur noch Qualitätsveröffentlichungen… ;-))).

Letztendlich bin ich bei folgendem Schmöker gelandet, er hat die von mir gestellten Anforderungen perfekt erfüllt:
Cecil Brown – Leben und Lieben des Mr. Jazzarsch Nigger (1987, Greno Verlag; Originaltitel, Erstveröffentlichung: The Life and Loves of Mr. Jiveass Nigger, 1969)
KULTURFORUM #VerschaemteLektuerenKurzinfo zum Autor: *1943, Bolton, North Carolina; Afro-Amerikanischer Autor von Novellen, Short Stories und Drehbüchern; lebt in Berkeley, Kalifornien, wo er als Professor an der University of California unterrichtet.
Das Werk: Ein unsäglicher,  politisch völlig unkorrekter Schelmenroman über den schwarzen Schwerenöter und Vollzeitgigolo George Washington, der im Kopenhagener Exil jede Frau beschläft, die nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dargebracht in einer unverblümten, mitunter extrem unflätigen Sprache, in den Schilderungen sexueller Praktiken ungeschönt und an etlichen Stellen geradezu pornographisch. Dabei flott zu lesen. Wenn es nicht in Dialogen in ausfallenden Gewaltausdrücken extrem zur Sache geht, ist das Werk durchaus literarisch anspruchsvoll geschrieben.  1969 von einem afroamerikanischen Literaten verfasst, schwingt der in den sechziger Jahren schwelende Rassenkonflikt innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft permanent als Rahmen, in den die Geschichte eingebettet ist, mit.
Welchen LeserInnen kann man das Buch ans Herz legen? Freunden der skandalträchtigen Kriminal-Romane des französischen Schriftstellers Boris Vian, Lesern der Krimis über die Harlem-Detektive Gravedigger Jones und Coffin Ed Johnson des afro-amerikanischen Autors Chester Himes, allen, die mit der grandiosen Menschheitsbeschimpfung „Reise ans Ende der Nacht“ des französischen Misanthropen  Louis-Ferdinand Céline glücklich wurden - und auch das Vertrautsein mit den Werken von Charles Bukowski und einem seiner größten Verächter, James Ellroy, kann auf keinen Fall schaden.
1987 im inzwischen aufgelösten Greno Verlag veröffentlicht und längst nicht mehr aufgelegt, aber über Antiquariate bzw. Amazon sicher noch als Second-Hand-Ausgabe zu beziehen.
„Ich schwör’s bei Gott, dieser Kerl, das ist das schlimmste Schandmaul, das die Welt gesehen hat, er hat bestimmt schon geflucht, als er auf die Welt kam; als seine Mutter, Miss Lillybelle Washington, diesen Heidenbengel in die Welt setzte, war gewiß das erste was er von sich gab ein Fluch, und die Hebamme und seine Mutter und wer da sonst noch rumstand, hat er wahrscheinlich erst mal angerotzt, weil sie ihn überhaupt rausgeholt haben, so einer ist das nämlich, mußt du wissen. Ich kenn‘ keine Menschenseele in der Gemeinde, die er nicht schon zur Sau gemacht hat, und auch keine Katze und keinen Hund. Aber der Herrgott wird über diesen Nigger kommen, wart’s nur ab, heimsuchen wird er diesen Nigger, und wie! Als er mir zum ersten Mal unter die Augen kam, da hat er meine Brüder angepöbelt, mitten auf der Straße, und ich hab‘ mich gefragt, was hat dieser Nigger da rumzupöbeln? Aber, hab‘ ich mir gedacht, das ist nun mal die Jugend, er ist ja noch jung, und dann war ich so idiotisch und hab den Idioten geheiratet.“ (…)
(Cecil Brown – Leben und Lieben des Mr. Jazzarsch Nigger, Prolog)
Hier geht es zum Blog KULTURFORUM: https://gerhardemmerkunst.wordpress.com/
Und da zur Internetseite Gerhard Emmer Kunst: http://www.gerhardemmerkunst.de/

#VerschämteLektüren (5): Die Druckschrift und der Tränendrüsendruck. Und Katzen auch.

Wer Bücher über Bücher, Werke über das Buchmachen, über „Buchmacher“, Buchdrucker, Buchkünstler, Bildbände über Bibliotheken oder auch Bücher von Buchhändlerinnen kennenlernen möchte, der ist bei Ingrid vom Blog „DruckSchrift“ in den besten Händen. Ihr Blog ist – um es verkürzt zu beschreiben – spezialisiert auf das Buch rund ums Buch. Und eine wirklich seriöse Informationsquelle. Aber auch Ingrid hat nicht nur Wissenswertes auf Lager, sondern durchaus auch #VerschämteLektüren im Regal. Unter anderem ein Buch, das mich selbst in jungen Jahren die eine oder andere Packung Papiertaschentücher gekostet hat - *schluchz*.

Hier ihr Beitrag:

„Nein, das soll keine Entschuldigung sein. An den Inhalt von „… denn der Wind kann nicht lesen“ des englischen Autors Richard Mason kann ich mich nur noch vage erinnern. Es ist schon etliche Jährchen her, dass ich diesen Roman gelesen habe. Ich weiß aber noch sehr gut, dass er mich ungemein gerührt hat und ich viele Tränen vergossen habe. Wahrscheinlich hat das Buch deshalb in meinem Regal „überlebt“.

In wenigen Worten zusammengefasst, wird die in Indien spielende Liebesgeschichte des britischen Fliegeroffiziers Michael Quinn, der japanische Gefangene verhören muss, und der japanischen Sprachlehrerin Hanako erzählt – eine Beziehung, die tragisch endet. Schluchz.

Gern gelesen habe ich seinerzeit – ich muss eine Asien-Phase gehabt haben – auch “Suzie Wong“ vom selben Autor. Dieser Roman spielt im Hafenviertel von Hongkong und schildert die Beziehung eines Malers zu einem Barmädchen. Das Buch hat mir aber offenkundig nicht so viel wie „… denn der Wind kann nicht lesen“ bedeutet; eines Tages musste „Suzie“ jedenfalls aus Platzgründen weichen.

Würde ich die beiden in den 40er bzw. 50er Jahren entstandenen Romane heute noch einmal lesen (dazu habe ich aber keine Lust), würde mich neben den Liebesgeschichten auch interessieren, ob es darin offene oder versteckte politische Botschaften gibt; etwa wie das Auftreten von Europäern Asiaten gegenüber geschildert oder welches Frauenbild vermittelt wird – Aspekte, die mir in meinen jungen Jahren entgangen sein mögen, für die ich aber heute wesentlich sensibler bin.

Viel, viel später in meinem Leben wurde durch Akif Pirinçci’s „Felidae“ ein wahrer Boom an Katzenkrimis ausgelöst. Ich war dabei, und Kater DJ begeistert sich noch heute dafür – schließlich ist der berühmt gewordene „Francis“ sein großes Vorbild. „Felidae“ ist mir ein wichtiges Buch insofern geworden, als es mich für das Thema „Tierversuche“ sensibilisiert hat. Und spannend war es auch. Von „schlechtem Buch“ oder „verschämter Lektüre“ kann in diesem Fall also keine Rede sein.

Aber:
Im Schlepp von Pirinçcis Erfolg erschienen dann zahlreiche Romane, in denen Katzen erfolgreiche Kriminalisten waren oder sonstwie im Zentrum der Geschichten standen; manche davon waren Klasse, wie zum Beispiel Remo Forlani’s „Die Streunerin“, andere aber waren wirklich nur leichte Lektüre „für zwischendurch“, also das, was Birgit gern „Flutschbücher“ nennt; das zeigt sich auch daran, dass ich neben den beiden positiv erwähnten Titeln heute nur noch zwei weitere Bücher mit Katzen als Helden im Regal stehen habe.“

Und hier geht es zum Blog der Autorin: http://druckschrift.wordpress.com/

Heinrich Hoffmann: Der Struwwelpeter (1845).

“Konrad!“ sprach die Frau Mama, „ich geh aus und du bleibst da. Sei hübsch ordentlich und fromm, bis nach Haus ich wieder komm.“
Der Struwwelpeter war kaum erschienen, schon war er umstritten: „Jämmerliches Machwerk“, „Schmutzliteratur“, „albernes Buch“, lauteten die harschen Urteile. Der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann jedoch blieb stur. Er hatte das ganze Buch für seinen Sohn getextet und gemalt und bedingte sich bei der Drucklegung aus, dass – obwohl er selbst auch eingestand, dass manches „dilettantisch“ sei – das Buch unverändert blieb.

Erschreckte es bei seinem Erscheinen 1845 vor allem die Schöngeister, die im Buch Stellen des „Gemeinen und Ekelhaften“ zu finden meinten, war es in den 1970er Jahren (und eigentlich noch bis heute) umstritten aufgrund seiner „schwarzen Pädagogik“: Zu schlimmes Unheil drohe hier unwillfährigen Kindern.

Dies ist die Ebene, auf der Erwachsene über Kinderbücher diskutieren. Welches Kind aber glaubt im Ernst, dass beim Daumenlutschen der Schneider mit der Riesenschere um die Ecke lauert? Oder auf Suppenverweigerung binnen sieben Tagen der Hungertod folgt? Und ging es überhaupt darum, Kinder einzuschüchtern und zu ängstigen mit diesem Buch? Die Schriftstellerin Maria Beig schildert ihre Leseerfahrung so: Sie war empört, weil die Eltern Paulinchen alleine zuhause ließen, und der Suppenkasper nicht einmal ein Butterbrot bekam. Eine Spontanumfrage im Bekanntenkreis ergab: Alle Eltern machen sich Gedanken, ob der „Struwwelpeter“ für ihre Kinder zumutbar ist – und die meisten Kinder wollen ihn trotzdem lesen. Die Eltern sind meist auch gestruwwelpeterisiert – und keiner kann sich an Alpträume erinnern. Es kommt auf die Familie an: Wer das Vertrauen haben kann, dass die Struwweleien in erster Linie Geschichten sind, der kann diese Geschichten auch genießen.

Bruno Bettelheim („Kinder brauchen Märchen“) vertrat sogar die These, dass solche Struwweligkeiten helfen könnten, Kindern ihre schwache Seite zu zeigen: Ihren Jähzorn, ihre Aggressivität, deren Auswirkungen auf andere sie so kennen lernen können. Das scheint mir zwar etwas an den pädagogischen Struwwelhaaren herbeigezogen, aber wer weiß - vielleicht können die Erzählungen doch eine Anregung sein, sich über die Voraussetzungen des Miteinanders zu unterhalten.

Die Figuren - Hans-Guck-in-die-Luft und Zappel-Philipp – haben jedenfalls bislang noch jede Zeitkritik überstanden, der Struwwelpeter ist nach wie vor ein Klassiker: Irgendwie scheint er doch mitten in die kindliche Seele zu treffen, was auch immer das ist. Verleger und Schriftsteller Michael Krüger sagt dazu, was Kinder von Büchern wollen: „Es muss komisch sein. Es muss spannend sein. Und es muss eine ganz tolle Geschichte erzählt werden. Man kann also nicht gerade mit Becketts Romanen Kinder erfreuen“. Heinrich Hoffmann, der sich auch als Psychiater einen Namen gemacht hat, scheint ins Schwarze getroffen zu haben. Gut, dass er stur und unbeirrt geblieben ist – Kinder sind doch die besseren Kritiker.

Auch zum Struwwelpeter hat Robert Gernhardt, der große Satiriker, eine ganz eigene Sichtweise: „Ich halte übrigens beide Bücher (gemeint ist auch Max und Moritz) für hervorragend, unabhängig von den schrecklichen Ausgängen: Die Verfasser arbeiten mit Witz und Pointen, und möglicherweise haben sie in ihrer gnadenlosen Sichtweise ja sogar recht: Möglicherweise endet jeder Versuch, sich dem System zu widersetzen letal bzw. blutig, doch es sind immer offene Wunden; während jene Wunden, die durch die Anpassung geschlagen werden, unsichtbar sind und bleiben.“
Und manchmal gibt es bei Heinrich Hoffmann ja auch noch ein winziges Türchen für die Subversion – sei es in der Geschichte vom Hasen und Jäger oder vom fliegenden Robert: Einfach Wegschweben ist ja auch eine Lösung.

Bild