Jonathan Franzen hat Geburtstag

“Vor einigen Wochen, es war in Tribeca, sah ich in einem Magritte`schen Dämmerlicht eine Frau an einem erleuchteten Fenster hoch oben in einem Wohnhausloft. Sie stand auf einem Stuhl und zog die obere Fensterhälfte herunter. Sie warf die Haare zurück und machte etwas Kompliziertes mit den Armen, was sich als das Anzünden einer Zigarette erwies. Dann stützte sie Ellbogen und Kinn auf den Fensterrahmen und blies den Rauch in die schwüle Luft. Ich verliebte mich auf den ersten Blick, weil sie so dastand, drinnen und draußen zugleich, Widersprüchlichkeit inhalierte und Ambivalenz ausstieß.”

Jonathan Franzen, 1996, in seinem Essay “Aschelesen”.

Franzen wird heute (17. August 2013) 54 Jahre alt. Glückwunsch. Ich selbst hätte mich beglückwünscht, wäre ich die Frau am Fenster gewesen. Mehr sage ich jetzt nicht - bei Franzen verfalle ich regelmäßig in präpubertäres Lallen. (bö).Jonathan-Franzen-Quotes-1

Sloan Wilson: Der Mann im grauen Flanell

„Walkers Vorzimmer war beeindruckend. Als Tom es betrat, wusste er, dass er für eine Stelle ernsthaft in Betracht gezogen wurde, vielleicht sogar für eine ziemlich gute. Walker hatte zwei Sekretärinnen, die eine offenkundig wegen ihres Aussehens, die andere der Nützlichkeit wegen ausgesucht.“

Sloan Wilson, „Der Mann im grauen Flanell“, DUMONT Verlag, 2013, Übersetzung Eike Schönfeld.

Wer Richard Yates mag und wer John Cheever liest, der wird auch an diesem Buch Gefallen finden. Man sieht den idyllischen Vorort vor sich, in dem die aufstrebenden jungen Leute wohnen, die Pendler mit ihren weißen Krägen und im grauen Flanell-Anzug, am Bahnhof winken die Gattin im Petticoat. Abends ertönt das sanfte Klirren der Cocktail-Gläser. Ein Paar, zunächst auf den ersten Blick erinnernd an die Folien von Doris Day & Rock Hudson. So locker der Ton, so leicht die Sprache. Darunter lauert jedoch das Melodram à la Douglas Sirk.

Die Raths sind ein nettes Paar – aber ständig in Geldnöten, jonglierend in einem leicht maroden Haushalt, dahintuckernd in einer veralteten Auto-Kiste. Tom arbeitet bei einer gemeinnützigen Stiftung. Beide wollen mehr, beide wollen aber auch „ehrlich“ bleiben. Ehrlichkeit ist ein Schlüsselwort dieses Romans.

Denn Tom, der den Zweiten Weltkrieg als aktiver Soldat miterleben musste, befindet sich bereits unbewusst in einem zweiten schweren Konflikt: Wie authentisch bleiben, wenn man bereits mitten drin ist im Kapitalismus- und Leistungsgetriebe?  Der Krieg war, so wird deutlich, eine tragische Zäsur – seine Konsequenz jedoch ist keine Neuorientierung der Gesellschaft, keine Neuordnung. Tom bleibt im Hamsterrad.

Auch ein Erbe bringt keine Erleichterung, sondern neue Zwänge – Erbschaftssteuern, Erbstreitigkeiten, Grundstücksspekulationen. Vom schlecht bezahlten Job in der Gemeinnützigkeit wechselt Tom als PR-Mann zu einem Großunternehmer. Der will, für die eigene Reputation, eine Stiftung für psychische Gesundheit gründen. Aus dem Nine-to-Five-Job wird ein Rund-um-die-Uhr-Manager-Dasein, man fürchtet um die psychische Gesundheit der Protagonisten mit.

Natürlich löst sich alles in Wohlgefallen auf, die Raths sind als Paar einfach zu nett. Zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack. Im scheinbar leichten Lese-Cocktail war zuviel Hochprozentiges.

„Der Mann im grauen Flanell ist ein Buch über die Fünfziger“, schreibt Jonathan Franzen in seinem Nachwort zur Neuauflage. „Die erste Hälfte lässt sich immer noch zum Vergnügen lesen, die zweite als Ausblick auf die darauf folgenden Sechziger. Schließlich vermachten die Fünfziger den Sechzigern ihren Idealismus – und ihre Wut.“

Der 1955 erschienene Roman würde sofort ein Bestseller, der Titel “The Man in the Grey Flanel Suit” zu einem feststehenden Begriff. Bereits 1956 wurde der Roman verfilmt mit Gregory Peck in der Hauptrolle.
Informationen des Verlags zum Autor: “Sloan Wilson wurde 1920 in Norwalk, Connecticut geboren. Mit achtzehn segelte er einen Schoner von Boston nach Havanna. Er studierte in Harvard, diente im Zweiten Weltkrieg in der United States Coast Guard und arbeitete als Reporter und Hochschullehrer. Er hat fünfzehn Bücher veröffentlicht, darunter ›Der Mann im grauen Flanell‹ (1955) und ›A Summer Place‹ (1958). Sloan Wilson starb 2003 in Colonial Beach, Virginia.”