Christian Morgenstern - Novembertag

Bild: Rose Böttcher
Bild: Rose Böttcher

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
Drängt die Welt nach innen;
Ohne Not geht niemand aus;
Alles fällt in Sinnen.

Leiser wird die Hand, der Mund,
Stiller die Gebärde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
Träumen Mensch und Erde.

Christian Morgenstern

Christian Morgenstern - Oktobersturm

Bild: Rose Böttcher

Oktobersturm

Schwankende Bäume
im Abendrot -
Lebenssturmträume
vor purpurnem Tod -

Blättergeplauder -
wirbelnder Hauf -
nachtkalte Schauder
rauschen herauf.

Christian Morgenstern (1871-1914)

Bild: Rose Böttcher

Kurt Schwitters - Welt voll Irrsinn

Welt voll Irrsinn (ca. 1919)

Ich
du
er sie es
wir ihr sie,
ein friedhof,
lebendige forellensauce überlaut.
ich über du
überlaut
forellenfriedhof über
er du forellenfisch
lebendig still
du!
ein friedhof überstill
wir leben
wir
forelle lebt friedhof
wir leben
wir
forelle lebt friedhof
lebendige forelle spielt
wir spielen leben
ich spiele du,
still
spielen wir?
leben wir?
wir
ihr
sie

P.S.: Ich weiß leider nicht, was das für ein Fisch ist, den ich hier vor die Linse bekam. Ist aber auch fisch.
Wish you where here, fish.

Emily Elizabeth Dickinson - Let my first Knowing be of the thee

Let my first Knowing be of the thee
With morning’s warming Light -
And my first Fearing, lest Unknowns
Engulph thee in the night –

Dass du im warmen Morgenlicht
mein erstes Denken seist,
mein erstes Bangen auch, dass nicht
nachts Fremdes dich umkreist.

Emily Elizabeth Dickinson (1830-1886)

Übertragung von: Bertram Kottmann, http://www.recmusic.org/lieder/get_text.html?TextId=31457

Morgendämmerungen über den Dächern von Augsburg:

 

Gioconda Belli - Pesceras del amor

Pesceras del amor

Nuestros cuerpos de peces
se deslizan uno al lado del otro.
Tu piel acuática nada en el sueño
junto a la mía
y brillan tus escamas en la luz lunar
filtrándose por las rendijas.
Seres traslúcidos flotamos
confinados al agua de nuestros alientos confundidos.
Aletas de piernas y brazos se rozan en la madrugada
en el oxígeno y el calor
que sube de las blancas algas
conque nos protegemos del frío.
En algún momento de la corriente
nos encontramos
lucios peces se acercan a los ojos abiertos
peces sinuosos reconociéndose las branquias agitadas.

Muerdo el anzuelo de tu boca
y poco después despierto
pierdo la aleta dorsal
las extremidades de sirena.

Gioconda Belli

Im Aquarium der Liebe

Unsere Fischkörper
schlängeln sich einer am anderen.
Deine Wasserhaut schwimmt im Schlaf
nah an der meinen
deine Schuppen schimmern im Mondlicht
das einfällt durch die Ritzen.
Durchsichtige Wesen, schwebend,
auf den Wogen unseres Atems.
Unsere Arme und Beine sind Flossen,
die sich berühren im Morgengrauen,
im Sauerstoff und der Wärme,
die aus den Algen aufsteigt und die
uns beschützt vor der Kälte.
An irgendeinem Punkt der Strömung
finden wir uns
- glänzende Fische, die sich mit offenen Augen nähern,
die sich winden und die bebenden Kiemen erspüren.

In der Zeit zwischen Schlaf und Erwachen
schnappe ich nach dem Angelhaken deines Mundes
und verliere mich darin
wie die Sirene ihre Rückenflosse.

Bildquelle: http://www.mymodernmet.com/profiles/blogs/octavio-aburto-fish-groups

Max Dauthendey - Die gelb` und roten Dahlien spiegeln sich

Bild

Bilder: Rose Böttcher

Die gelb’ und roten Dahlien spiegeln sich
Im flachen Wasser, das im Parkgrün glänzt;
Die Luft ist wie das Wasser unbewegt.

Die Seele allen Bäumen längst entwich,
Sie stehen nur noch unbewußt bekränzt;
Das Uferbild sich matt zum Spiegel legt.

Schwertlilienkraut fiel um, sein Grün verblich;
Und von metallnen Wolken eng begrenzt
Ein Stückchen Blau sich wie ein Auge regt,

Ein blauer Blick, der sich zum Wasser schlich.
Manch’ Wolke, wie ein Drache wild beschwänzt,
Mit grauem Leib den blauen Fleck durchfegt.

Und unter Wolken treffen Menschen Dich
Denen die Lieb’ den Sommer neu ergänzt,
Daß ihn kein Herbst aus ihrem Auge schlägt,
Denen das Leben dann wie nur ein Tag verstrich.

Max Dauthendey (1867-1918)

 

W.B. Yeats - Tread softly

Ich mag die leisen Sohlen meiner Schuhe. Das Klappern der Absätze mag ich nicht. Ich mag nicht das Knarzen der Stiefel. Ich will Spuren hinterlassen, keine Tritte.

»Had I the heavens’ embroidered cloths,
Enwrought with golden and silver light,
The blue and the dim and the dark cloths
Of night and light and the half light,
I would spread the cloths under your feet:
But I, being poor, have only my dreams;
I have spread my dreams under your feet;
Tread softly because you tread on my dreams.«
W.B. Yeats (1865–1939)

Rainer Maria Rilke - Das ist die Sehnsucht

Bild
Bild: Iris Jahnke

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.

Rainer Maria Rilke

Manche Texte treffen mitten ins Gemüt. Joseph Brodsky, “A song”, danke, Cool Pains.

Die Sehnsucht, das Wünschen, ein Geschwisterpaar.
Fundamente der Literatur.
Ein Grund, warum ich eine Lesende bin.
Von den Wünschen niemals die kleinen, von den Sehnsüchten niemals die einfachen.
Abgegriffen, aber immer noch wahr: Die größten Abenteuer finden im Kopf statt.

Als ich Kind war, lief im Fernsehen - drei Jahre nur - die Show “Wünsch Dir was”. Leute wie André Heller und Peter Hajek arbeiteten daran mit. War das das, als das Wünschen noch geholfen hat? Wünsche am laufenden Band mit Rudi Carrell, aber doch noch keine Dosenware. Filmdosen, Traumfabrik, Fabrikwünsche, heute wünscht man sich das  Supermodel und DSDS.

And did you exchange
A walk on part in a war
For a lead role in a cage?

Joseph Brodskys Wunsch, unerfüllbar, unwiederbringlich, herzzerreißend.
Auch das ist Glück: Vorwärts wünschen dürfen.
Und von den Wünschen nicht nur die Traurigen, Unerfüllbaren.
Sehnen, wünschen: Meist doch Optionen auf eine Zukunft.
Der Wunsch als Vater des Gedankens, die Sehnsucht ein Kind der Hoffnung.

Die kleine Wunschagenda für heute:
Den Käfig schwänzen können, und sei`s auch nur durch einen Tagtraum.
Tagträumend zum Leben und allem was war, was ist, was kommt “Ja” sagen. Ein wunderschöner Filmausschnitt.
Termine sausen lassen.
Endlich wieder einmal die Konzentration für ein Buch aufbringen können, für eine Buchbesprechung.
Begegnungen.
Und von den großen Wünschen die Unaussprechlichen.

Wann man sich was wünschen darf:
Wenn ein Komet vom Himmel fällt.
Wenn man eine dreifarbige Katze sieht.
Wenn man die Geburtstagskerzen ausbläst.
Wenn zwei das Gleiche sagen.
Und sowieso jeden Tag.

John Steinbeck und Robert Capa: Russische Reise (1948).

„Willy stellte uns die beiden hellgrünen Suissesses hin, und wir fingen eine Diskussion darüber an, was es in der Welt für einen ehrlichen und liberal denkenden Mann noch zu tun gäbe“.

Ich hab zwar keinen grünen Schimmer, was ein Suissesse ist. Scheint aber ein extrem geistvolles Getränk zu sein. Denn John Steinbeck, der das in der Bar des Bedford Hotels in New York gemeinsam mit Robert Capa süffelt, kommt dabei auf eine Idee, die mancher seiner Zeitgenossen wohl auch als „Schnapsidee“ gewertet hat  – zusammen mit dem Fotoreporter eine „Russische Reise“ zu unternehmen. Auf Gegenliebe stießen die beiden dabei auf keiner Seite, behördlicher- und staatlicherseits.

„Wir stellten fest, daß Tausende an akuter Moskauitis litten – einem Zustand, der es erlaubt, jede Absurdität zu glauben und sämtliche Tatsachen beiseite zu schieben. Später stellten wir fest, daß die Russen unter Washingtonitis leiden – derselben Krankheit. Wir fanden heraus, daß uns die Russen ebenso verteufeln, wie wir die Russen verteufeln.“

Um Völkerverständigung zu betreiben, war das Jahr 1948 tatsächlich nicht der beste Zeitpunkt für das Vorhaben: Mit der Verkündigung der Truman-Doktrin am 12. März 1947 setzte der Kalte Krieg ein. In den USA wurde ab `47 hysterische Jagd nach Kommunisten getrieben (McCarthy-Ära), in der UdSSR herrschte der Stalinterror. Solche politischen Hintergründe lässt Steinbeck in seinem Reisebericht jedoch weitestgehend außen vor. Er und Capa haben ein Programm:

„…eine einfache Reportage, von Fotografien untermauert. Wir würden zusammenarbeiten. Wir würden Politik und heikle Themen vermeiden. Wir würden uns vom Kreml, von Militärs und Militärplänen fernhalten. Wir wollten das russische Volk kennenlernen, falls uns das möglich war.“

Darauf noch eine Suissesse, und los geht die Reise, 1948. John Steinbeck hatte 1937 bereits die Sowjetunion besucht, aufgrund seines Romans „Früchte des Zorns“ (für mich immer noch das beste, klarste und dezidierteste seiner Bücher) war er in seinem Heimatland unter „Linksverdacht“. Ebenso Robert Capa, Mitbegründer der Fotoagentur Magnum, der unter anderem vom Spanischen Bürgerkrieg berichtet hatte. Trotzdem werden sie in Moskau nicht nur mit offenen Armen empfangen. Dem Duo gelingt es jedoch, sich relativ frei zu bewegen – nur begleitet von einem Dolmetscher, der als ausgemachter Pechvogel und Trottel von ihnen den Spitznamen „Gremlin“ erhält, lernen sie Moskau, die Ukraine und Georgien kennen.

Manches wirkt klischeehaft in diesem Reisebericht – das graue Moskau, die ernsten Moskowiter, die anpackenden, fleißigen Ukrainer, die wilden, stolzen Georgier. Manches wirkt auch naiv – das Lob des fleißigen Landmannes, der tagsüber auf der Kolchose schuftet und abends Tanzen geht, die üppig aussehende und kochende Babuschka. Doch John Steinbeck ist eben einer, der immer mit großen Respekt und mit viel menschlicher Wärme über die „einfachen“ Leute schreibt. Doch trotz des leichtgängigen Plaudertons, mit dem Steinbeck von Land&Leuten berichtet und über seinen Reisegefährten frozzelt (ein „typischer“ Fotograf, getrieben von der Jagd nach Motiven und die Sorge um seine Negative, ansonsten stundenlang in der Badewanne treibend), Steinbeck und Capra singen nicht nur das Lied vom glücklichen Aufgehen im Kollektiv. Der zum Teil absurde Bürokratismus, die ständige Bewachung durch Polizisten, vor allem aber auch der Stalinkult werden durchaus benannt.

„Bei öffentlichen Feiern sprengen die Stalinbilder alle Grenzen der Vernunft. Sie können bis zu acht Stockwerke hoch und fünfzig Fuß breit sein. An jedem öffentlichen Gebäude hängen monströse Portraits von ihm.
Wir sprachen darüber mit einigen Russen und bekamen verschiedene Antworten. (…). Eine vierte, daß dies Stalin selbst gar nicht gefällt und er verlangt hat, daß damit aufgehört wird. Doch uns kam es so vor, als würde alles, wogegen Stalin eine Abneigung gefaßt hat, umgehend verschwinden, die Bilder sich hingegen vermehren.“

Eine tiefgehende Analyse und deutlichere Kritik am Stalinismus, während dem Abertausende in den Gulags verschwanden, bietet die Reportage jedoch nicht. Dies darf man von der „Russischen Reise“ nicht erwarten – sie ist, was sie ist: Der Versuch, mit Humor und Ironie die Lebensverhältnisse der Bevölkerung darzustellen. Wo das Wort zuweilen zu spielerisch wird, sprechen Robert Capas Bilder eine umso klarere Sprache.

John Steinbeck zieht im letzten Absatz des Berichts eine durchaus auch selbstkritische Bilanz:

„Uns ist klar, daß dieser Bericht weder für die ekklesiastische Linke noch für die grobschlächtige Rechte besonders befriedigend ist. Erstere wird sagen, er sei antirussisch, und die zweite, daß er prorussisch sei. Ganz bestimmt ist er oberflächlich, und wie könnte er das nicht sein? Es gibt keine Schlußfolgerungen, die man ziehen könnte, außer jenen, daß sich das russische Volk nicht wesentlich von den anderen Völkern dieser Welt unterscheidet. Ganz bestimmt gibt es einige Bösewichte darunter, aber die weitaus meisten sind sehr anständige Menschen.“

Lesenswert als Zeitbericht und unterhaltsam ist die „Russische Reise“ allemal, auch wenn sie, nicht ganz ohne Grund (und nicht nur wegen der politischen Umstände), das Buch Steinbecks blieb, das sich am schlechtesten verkaufte. Der Reisebericht erschien 2011 erstmals in deutscher Übersetzung (Susanne Urban) in der Reihe „Weltlese – Lesereisen ins Unbekannte“, die bei der Edition Büchergilde von Ilija Trojanow  herausgegeben wird.

Robert Capa kam 1954 in Indochina ums Leben. Steinbeck ging Jahre später wieder auf eine ähnliche Reise mit dem Ziel, das Leben der „normalen“ Menschen kennenzulernen: Diesmal in seinem eigenen Heimatland. Und statt des Fotografen in Begleitung eines Pudels: “Meine Reise mit Charley”.

Tobias Wenzel, Carolin Seeliger: Was ich mich schon immer fragen wollte (2008).

Dieser Tage bekam ich ein Buchgeschenk, das Fragen aufwirft. In mir zumindest. 77 Schriftsteller im Selbstgespräch. Das Buchprojekt selbst stellt Mara auf ihrem Blog buzzaldrins Bücher ausführlich und kompetent vor:
Dazu bleiben also keine Fragen mehr offen.
Tobias Wenzel/ Carolin Seeliger: Was ich mich immer schon fragen wollte. 77 Schriftsteller im Selbstgespräch. Benteli Verlag 2008. 184 Seiten. Duplex-Abbildungen. 39,80 Euro. ISBN: 978-3716515310, nur noch gebraucht erhältlich.
Etliche der Schriftsteller, die sich selbst befragen, kenne ich nicht. Manche Fragen sind jedoch so spannend, dass ich ihre Bücher kennenlernen werde. Andere interessieren mich nicht, Isabel Allende, Donna Leon zum Beispiel. Und dann sind da jene, die ich gelesen habe, gern gelesen habe, die wichtig wurden, deren Bücher etwas bei mir ausgelöst haben, bewegt oder berührt. Ich war geradezu erleichtert, dass diese geschätzten und zum Teil “verehrten” Schriftsteller sich durchwegs auch “vernünftige Fragen” stellten. Eine Gemeinsamkeit, die mir erst später auffiel: Keiner von ihnen brauchte dazu viele Worte.
Einige Beispiele:
Richard Ford, weißt Du, was wichtig für dich ist?
Nein, aber ich lege mir etwas zurecht.
Mein lieber Michel (Michel Butor), ich würde sehr gerne wissen, was du in zehn Jahren machst.
Ich habe keine Ahnung, ob ich in zehn Jahren noch da bin.
Herr Enzensberger, warum sind sie nicht unglücklich?
Die Zeit, die mir bleibt, ist mir dafür zu schade.
Und Imre Kertész:
Herr Kertész, Ihre Zeit läuft langsam ab. Sind Sie zufrieden?
Nein.
Ich blättere dieses Buch durch, schau mir die Denkerköpfe und Dichterstirnen an und frage mich dabei insgeheim, welche Frage ich mir selber stellen würde.
Selbstbefragung, das hieße auch: Radikal ehrlich zu sich selber sein, Bilanz ziehen, den Stand der Dinge kritisch abwägen. Wer macht das schon gerne. Ich müsste mir derzeit ganz dringend einige Fragen stellen. Aber ich merke: Die Fragen, sie sind schon da. Es sind die Antworten, vor denen man sich gemeinhin drückt.
Mein Dank an die Schenkende, die mich mit diesem Buch wieder einmal bereichert hat…

Max Dauthendey - Morgenröte

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Morgens um sieben ist die Welt manchmal noch rosa. Heute im Allgäu.

Morgenröte

Geliebte,
Auf kupfernen Wegstreifen
Kam heute der Morgen gezogen.
Du sahst seine Pferde ausgreifen,
Die rot der Sonne vorflogen
Mit scharlachnen Mähnen und Schweifen.

Sie setzten in Brand die Brücke,
Haben Feuer auf Berge geschrieben.
Flußwellen wie Fackeln hintrieben
Und Fenster wurden Goldstücke -
Daß sich Deine Wimper entzücke,
Die Augen Dir glänzend blieben,
Und Dich noch fortrücke der Tag,
Wie es nur Nacht und Liebe vermag.

Max Dauthendey

Mit Dank an die Neuköllner Botschaft für die passende musikalische Umrahmung:

Ringelnatz - Einsiedlers Heiliger Abend

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Foto: Rose Böttcher.  Der Ulmer Weihnachtsmarkt.

Schön ist er schon, so ein Weihnachtsmarkt. Von oben betrachtet. Mein Heimweg führt mich jedoch seit Wochen am großen Christkindlesmarkt in Augsburg vorbei. Statt zu Besinnlichkeit führt das bei mir zu wachsender Misanthropie.

Der Fettgeruch in der Nase. Weihnachtslieder vom Band. Die Glühweinseligkeit, die sich durch Lärm Gehör verschafft. Spätestens gestern, als mir ein jugendlich-männliches Punschopfer vor die Füße fiel, wünschte ich mir, die Leute hielten es wie Ringelnatz und besöffen sich an Weihnachten allein zuhause.

„Einsiedlers Heiliger Abend“ hat jedoch mit der Weihnachtsseligkeit dieser Tage wenig zu tun. Die Weinseligkeit, sprich die Melancholie in diesem Gedicht, hat einen weitaus ernsteren Hintergrund. Es erschien 1933 in dem Band „103 Gedichte“ beim Rowohlt Verlag in Berlin. Es ist kein fröhliches, hoffnungsvolles Weihnachtslied, das Ringelnatz (1883-1934) da singt. Bis zu dieser Zeit hatte Ringelnatz schon etliche private und berufliche Rückschläge erlitten und überstanden. Doch irgendwann geht es wohl nicht mehr. Mit der Machtergreifung wird Ringelnatz die Existenz genommen – der Dichter und Kabarettist, der schon zuvor immer in wackeligen finanziellen Verhältnissen lebte, verarmt völlig. Auftrittsverbote und die Verbrennung seiner Bücher nehmen ihm die Grundlage, seine immer schon angeschlagene Gesundheit leidet, die Tuberkulose bricht aus. Freunde müssen für das Ehepaar Ringelnatz Spenden auftreiben. Im November 1934 stirbt Ringelnatz entkräftet und völlig verarmt.

Einsiedlers Heiliger Abend

Ich hab’ in den Weihnachtstagen -
ich weiß auch, warum -
mir selbst einen Christbaum geschlagen,
der ist ganz verkrüppelt und krumm.

Ich bohrte ein Loch in die Diele
und steckte ihn da hinein
und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
zu sparen, ihn abends noch spät
mit Löffeln, Gabeln und Trichter
und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
mir Erbsensuppe mit Speck
und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken vesunken.
Da hat’s an der Türe gepocht,

und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachstlieder?
ich aber rief nicht: “Herein”!

Ich zog mich aus und ging leise
zu Bett, ohne Angst, ohne Spott.
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

Und hier mit Hinweis auf den Simplicissimus: http://ringelnatz.org/einsiedlers-heiliger-abend/

Anne Bohnenkamp: Es geht um Poesie (2013).

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Bild: Rose Böttcher

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren (1800)

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Novalis (Freiherr von Hardenberg, 1772-1801).

Quelle: „Es geht um Poesie. Schönste Texte der deutschen Romantik“, herausgegeben von Anne Bohnenkamp, Fischer Taschenbuch, November 2013, ISBN 978-3-596-19857-3.

Besonderheit:
Mit dem Kauf des Buches (Preis 8,00 Euro) spendet man 2 Euro für den Bau des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt - tolle Sache!

Hab nun ach, Sturm und Drang, Klassik, Dadaismus und Expressionismus studiert, ich armer Tor und bin so unromantisiert
wie als zuvor. Was heißen soll: Um die Epoche der Romantik habe ich bislang einen Bogen gemacht. Instinktiv. Von den großen Namen - von Armin, Brentano, Günderrode, Eichendorff - nur wenig gelesen, bis auf das, was fast schon Allgemeingut ist. „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus….“. Heinrich Heine, der große Ironiker und scharfzüngige Analyst seiner Zeit, blieb eine Ausnahme. Novalis` „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ unter der Kategorie Jugendschwärmerei verbannt.

Manche literarischen Strömungen setzen wohl ein gewisses Lebensalter und eine Lesereife bei ihren Rezipienten voraus. Bis zu einem Zeitpunkt im Leben meint man, alles gestalten zu müssen und auch zu können. Da ist das In-Sich-Gehen, das Hinterfragen, auch das Zögern keine Qualität, die man auslebt. Und dann kommt auch noch Goethe mit seinem Verdikt: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke.“ Bloß keine Nabelschau.

Erst später, um einige Erfahrungen reicher, wird einem bewusst, dass aufgeklärtes Denken an seine Grenzen stößt. Nüchtern betrachtet: Nicht alles ist mach- und lenkbar. Im Kern der Welt wohnt ein Rest Magie. Ganz im Innern der Welt gibt es ein Geheimnis, das man mit „Zahlen und Figuren“ nicht erfassen kann. Dann ist die Zeit gekommen, die Romantik als literarische Gattung wieder zuzulassen.

So wie Goethe jedoch die Romantiker in eine Nische stellt, so spotteten übrigens jedoch auch diese. Das berühmte Gedicht von Novalis grenzt in seiner Wenn-dann-Folge die Poesie, die Romantik von den aufgeklärten Geistern, den „Tiefgelehrten“ ab. Sie werden, so macht er deutlich, das Geheimnis der Welt nie erfassen. Beides jedoch birgt seine Möglichkeiten. Die Vereinigung von Poesie und Wissenschaft kann möglich sein. Auch das nüchterne Denken kann offen bleiben für die Magie der Welt: Dies wäre der Königsweg. Novalis schreibt in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“, es läge „mehr Wahrheit in einem Märchen als in gelehrten Chroniken“. Den Chroniken etwas Märchenhaftes zuzugestehen, die Märchen aber als Chronik der menschlichen Verfasstheit zu lesen - das müsste doch möglich sein.

BildWer sich der Philosophie und Anschauung der Romantiker nähern möchte, der kann das mit einer neuerschienenen Anthologie unternehmen - und dabei gleichzeitig noch die Kulturszene ganz aktiv unterstützen. Anne Bohnenkamp, die Direktorin des Frankfurter Goethe-Hauses, hat für das Taschenbuch „Es geht um Poesie“ einen Überblick mit wichtigen Texten der Romantik zusammengestellt. Mit Auszügen aus Eichendorffs „Taugenichts“ bis hin zu Gedichten von Heinrich Heine, Karoline von Günderrode, Justinus Kerner, Essays und Briefwechseln, so zwischen den Brentanos oder auch zwischen Kleist und Goethe. Ein Teil des Kaufpreises kommt einem besonderen Projekt zugute: In Frankfurt am Main sitzt das Freie Deutsche Hochstift, das seit einem Jahrhundert die Manuskripte der deutschen Romantiker sammelt, ebenso aber auch Zeugnisse der Bildenden Kunst sowie der Alltagskultur dieser Zeit. In Nachbarschaft zu Goethehaus und Goethemuseum besteht die Möglichkeit, ein Literaturmuseum der deutschen Romantik anzusiedeln. Mit Kauf der Anthologie unterstützt man diese Pläne aktiv.

„Sie möchte Lust machen auf fortgesetzte Lektüre - und  auf ein Deutsches Romantik-Museum, das nicht zuletzt die romantische Utopie einer Emanzipation der Literatur aus der Bindung an die einsame Lektüre in unsere heutige Zeit tragen will: im experimentellen und multimedialen Raum einer Ausstellung des 21. Jh.s, die dabei gleichzeitig den >alten< Medien - der Handschrift und dem Buch - gewidmet sein wird.“, schreibt Anne Bohnenkamp im Vorwort.

Und im Moment des Schreibens dieses Beitrags sehe ich die aktuelle Nachricht: Das Museum kommt. Wenn das nicht romantische Poesie im Alltag ist! (Quelle: Frankfurter Neue Presse - http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Romantikmuseum-kommt;art675,704976)

Zum Abschluss soll noch ein Romantiker das letzte Wort haben:

Der Abend (1826)

Schweig der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

Joseph von Eichendorff

Von Angesicht zu Angesicht - Faces und Gezeichnete

„Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht.“

Georg Christoph Lichtenberg

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Der große Aphoristiker Lichtenberg gibt mit diesem Satz den Leitfaden für ein Buch, das nicht nur kunst- und kulturhistorisch Interessierte interessieren könnte: Hans Belting hat mit „Faces – Eine Geschichte des Gesichts“ (C. H. Beck) eine Studie vorgelegt, die das Gesicht in allen seinen Zügen berücksichtigt.

Silke Janssen vom Städel Museum äußerte sich begeistert über „Faces“: „Das menschliche Gesicht steht im Mittelpunk, nicht nur in Hans Beltings Werk: Als individuelles Merkmal gilt es als Ausdruck des Selbst, gleichzeitig dient das Gesicht im öffentlichen Raum zur Darstellung und Repräsentation sozialer Rollen. So schreibt Belting gleich zu Beginn in seiner Einleitung „das Gesicht ist der gesellschaftliche Teil von uns, der Körper die Natur“. Der Autor forscht auf diese Weise in seiner Publikation immer auch nach dem historischen Kontext, in dem ein Gesicht abgebildet wurde. Sei es in Form einer kultischen Maske, das europäische Porträt, ein auf der Leinwand gezeigtes Gesicht eines Ingmar Bergmann-Films oder Andy Warhols Mao-Porträt: Stets wird das Gesicht zum Schauplatz der Geschichte. 
Hans Belting, der von 2004 bis 2007 das Internationale Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien leitete, untersuchte bereits in seinem 1990 herausgegebenen Werk „Bild und Kult“ die mittelalterliche Bildverehrung aus sozialgeschichtlicher Perspektive. 2001 schrieb er in dem Buch „Bild-Anthropologie“ über die kulturgeschichtlichen Ursprünge des Bildmachens. Und so wird auch in „Faces“ die Erkundung der Bilder, die die Menschen im Laufe der Jahrhunderte von sich machten, zu einer Erkundung der Kulturgeschichte. Diese Analyse scheint an der einen oder anderen Stelle mit vielschichtigen Referenzen den inhaltlichen Rahmen zu sprengen, doch genau dieser Versuch, allgemein Menschliches mittels der großen thematischen Spannbreite zu fassen, macht dieses Werk zu einer anregenden Lektüre. Dank profunder Kenntnisse, wunderbar ausgewählten Abbildungen und aufschlussreichen wie überraschenden Querverbindungen ist „Faces“ nicht nur ein gelungener Beitrag für die Bild-, Medien- und Kunstwissenschaften sondern auch eine kluge Erzählung, die spannend und inspirierend zugleich ist.“ Stimmt.

Eine großartige, eingehende Besprechung dazu gibt es bei Glanz & Elend: http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/b/hans-belting-faces-eine-geschichte-des-gesichts-palm.htm

Mir ist beim Lesen immer wieder auch August Sander (1876 bis 1964) in den Sinn gekommen. Sander machte mit seinem Bildatlas „Menschen des 20. Jahrhunderts“ Furore.

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Kurt Tucholsky alias Peter Panter schrieb am 25. März 1930 in der Weltbühne: „Das kann man in einem der schönsten und merkwürdigsten Werke ersehen, die mir je untergekommen sind. August Sander, ›Antlitz der Zeit‹ (erschienen im Transmare-Verlag, Kurt Wolff, München). Hier ist die fotografierte Kulturgeschichte unseres Landes.
Sander hat keine Menschen, sondern Typen fotografiert, Menschen, die so sehr ihre Klasse, ihren Stand, ihre Kaste repräsentieren, dass das Individuum für die Gruppe genommen werden darf. Döblin weist in der Einleitung sehr treffend darauf hin, wie der Tod und die Gesellschaft die Gesichter verflachen; wie sie einander angeähnelt werden, immer mehr, immer mehr … wie schwer es ist, noch ein Bauernmädchen von einer Proletarierfrau zu unterscheiden. Was Sander da gegeben hat, ist allerbeste Arbeit.

Das Werk enthält sechzig Fotos, eine Auswahl aus dem Lebenswerk des Fotografen, das in fünfundvierzig Mappen zu je zwölf Bildern erscheinen soll. (Wer Näheres wissen will, schreibe unverbindlich an den Transmare-Verlag, München, Luisenstraße 31.) Fast auf allen Bildern erscheint der Typus; so sehr haben Stand, Beruf, Wohnort, Klasse und Kaste den Menschen imprägniert und durchtränkt. Mancher von uns wird manchmal eine Spur anders empfinden: der Herr Wachtmeister muss nicht immer so einen martialischen Schnurrbart tragen, das ist der puffende Wachtmeister, nicht der schießende Wachtmeister; Poelzig ist nicht ›der Architekt‹, sondern ein einmaliges Original … aber das sind nur kleine, winzige Nebenempfindungen. Auf den sechzig Seiten ist nur ein einziges Mal die Grenze der Objektivität überschritten: das ist auf dem Bilde des Demokraten, der seinen Regenschirm aufgepflanzt hat. Ich habe sehr gelacht, und treffen tut’s auch, aber das ist zu deutlich. Der Satiriker darf dergleichen, und wenn noch so viel auf die Hühneraugen Getretene darüber schreien – der Sittenschilderer darf es nicht. Und in diesem Werk kann Grosz sehen, wie die Bankiers und die Industriellen aussehen: er hat in diesem Bande zum Beispiel gleich zwei Typen: den Viereckigen und den Schmalen, beides Prachtexemplare ihrer Gattung, völlig rein im Gattungsbegriff, die Gesichter durch ihren Beruf zu Ende ausgebildet. Und selbstverständlich durch Karikatur angreifbar und wert, angegriffen zu werden. Es ist ein ganz herrliches Buch – schade, dass es nicht achtzehnfach so dick ist.

Jetzt ist der Nachttisch leer; in der Ecke steht ein Waschkorb mit Büchern und sieht mich vorwurfsvoll an. Schon elf Uhr … Draußen glitzert das Dorf. In einem Zellenkäfig, drüben, hinter der italienischen Grenze, liegt ein Mann und betet ein stilles Gebet für die Gesundheit und das Wohlergehen Mussolinis.“

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1930 erschien im Malik Verlag ein Buch mit 60 Blättern aus dem Schaffen von George Grosz (1893 bis 1959). Der Maler und Karikaturist war einer der wichtigsten Vertretern des Dadaismus und der politischen Kunst der Weimarer Republik. „Ich zeichnete und malte aus Widerspruch und versuchte, durch meine Arbeit die Welt davon zu überzeugen, dass sie hässlich, krank und verlogen ist.“ Den Tanz auf dem Vulkan mit seinen Ausschweifungen und den dunklen Seiten – keiner hielt das so gekonnt ironisch im Bild fest wie Grosz. Das eigentliche Gesicht seiner Zeit: Er zeigte es.

Auch diese Bücher mit Gesicht besprach der großartige Tucholsky:

„Auch dies ist etwas für die Arbeiterbibliotheken: ›Die Gezeichneten‹ und ›Das neue Gesicht der herrschenden Klasse‹ (beide im Malik-Verlag zu Berlin erschienen). Die Bände sind auch in der Reproduktion eine Meisterleistung.

Ich habe sie schon so oft durchblättert – ich kann mich gar nicht sattsehen. Dieses Thema ist zu Ende gezeichnet. Der wundervolle Hohn auf den infamen Rilke-Vers: »Armut ist ein großer Glanz von innen« (ich weiß schon: er hat es anders ›gemeint‹ … Haben Sie schon mal in einer Dachkammer gefroren?); dieses infernalische Blatt ›Zwei Menschen‹, das zweite: man decke den Unterteil ab und sehe sich nur den Mörder an, der sich die Hände wäscht; die Modekarikatur ›Größere und bessere Morde‹, und wie dieser Mann zeichnen kann! So eine Zeichnung wie ›Kleiner Mann‹, an der nichts karikiert ist; das frühe Blatt ›Menschenwege‹ (1915), in dem schon der ganze Grosz enthalten ist; das bittere Idyll ›Witwer‹; dann die beiden Porträts Noskes und Eberts: ›Ein treuer Knecht‹ und ›Ein Sohn des Volkes‹ – die sagen mehr als alle Broschüren und Revolutionsgeschichten über diese beiden. Auch dies ist Deutschland.

Eine kleine Anmerkung sei erlaubt. Es gibt einen Typus, einen einzigen, den Grosz für mein Gefühl nicht so wiedergibt, nicht so ausdeutet, wie er wirklich ist. Das sind der Industrielle und der Bankier. Hier stimmt etwas nicht. Den preußischen Militarismus hat er auf den Blättern ›Die Gesundbeter‹ und ›Alles kehrt einmal wieder‹ derart hergenommen … da ist keine uniformierte Nummer, die hier nicht zu sehen wäre – es sind alle, alle da. Und wie sind sie da –! Aber wenn er die großen Kaufleute porträtiert, dann ist da etwas nicht in Ordnung. Manchmal glückts. Der Mann, der auf dem Blatt ›Besitzkröten‹ im Vordergrund seine Zijarre raucht, ist richtig; der junge Herr, der – ›Guten Morgen‹ – ins Auto steigt, ist es nicht. Vielleicht hat es in der allerschlimmsten Inflation solche Typen gegeben, aber heute dürfte dieser Mann, mit so einem Kopf, mit dem Gesicht – allenfalls Handelsvollmacht haben; in sein Auto steigt der nicht: er schafft es nicht. Ich bin mit George Grosz gut befreundet: er weiß also, dass ich dies nicht für die Hochfinanz schreibe. Ich meine nur: um einen Gegner so zu treffen, wie er das mit den Feldwebeln in Generalsuniform getan hat, muss man den Gegner kennen und ihn bis ins letzte Fältchen treffen. So verfressen, so dickschädlig, so klobig sehen aber die deutschen Bankiers nicht aus, die IG-Farben-Leute nicht, die Hüttenbesitzer nicht. Sie sammeln Porzellan; sie haben zum Teil schmalere Köpfe; sie sind als Teilhaber eines Systems, was die Wirkungen ihrer Handlungen angeht, unmenschlich – aber man sieht es ihnen nicht auf den ersten Hieb an. Sie bevölkern Reinhardts Premieren, sie wählen Deutsche Volkspartei … sie sehen anders aus. Differenzierter, drei Rasternummern feiner; nicht besser: anders. Wie sehen sie aus –?“