#MeinKlassiker (28): Gunnar und sein kriminell guter Klassiker von Eric Ambler

Am Bosporus, an der Brücke von Okzident zu Orient, beginnt das Rätsel um die "Maske des Dimitrios". Caiuscamargarus (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ortakoy.jpg), „Ortakoy“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode
Am Bosporus, an der Brücke von Okzident zu Orient, beginnt das Rätsel um die „Maske des Dimitrios“. Bild: Caiuscamargarus, Ortakoy, CC BY-SA 3.0

„Genreliteratur“: Was eigentlich nur die inhaltliche Klassifikation erleichtern sollte, dient leider oft genug auch als Qualitätsaussage. Wo Genre draufsteht, kann keine gute Literatur drin sein - so lautet häufig der Kurzschluss hierzulande. Das trifft alle Genres - auch die Kriminalliteratur, die oftmals in die reine Unterhaltungsecke gesteckt wird. Dabei gab und gibt es hochklassige (Krimi-)Autorinnen und Autoren, die manchen Belletristen an Talent weit überragen. Aber der Literaturnobelpreis für einen Krimischriftsteller? Beinahe undenkbar. Das wäre noch sensationeller als jener an Bob Dylan. Zumindest bei #MeinKlassiker sollen diese Genregrenzen nicht bestehen - und daher freut es mich, dass Gunnar Wolters, ein ausgesprochener Spannungsfachmann vom Blog Kaliber.17 | Krimirezensionen hier seinen Klassiker vorstellt:

Als Birgit mich fragte, ob ich auch einen Beitrag zu #MeinKlassiker beitragen möchte, war ich sofort Feuer und Flamme, zumal ich bemerkt habe, dass die Kriminalliteratur in dieser Reihe bislang etwas unterrepräsentiert ist. Nun war noch die Frage offen, welches Buch ich auswähle. Und da kam ich relativ schnell auf einen Autor, den ich zwar erst vor knapp zwei Jahren für mich entdeckt habe, der mich aber so beeindruckt hat, dass ich mich seitdem Stück für Stück durch seine Werke lese: Eric Ambler. Sein herausragendes Werk ist das 1939 erschienene „Die Maske des Dimitrios“.

Wenn ich danach gegangen wäre, welches Buch oder welcher Autor mich schon am längsten begleitet und was ich am häufigsten gelesen habe, dann hätte ich sicherlich Arthur Conan Doyle vorstellen müssen. Sein Sherlock Holmes ist eine Figur für die Ewigkeit und war auch mein Einstieg ins Krimigenre. Ich habe mich jedoch anders entschieden und zwar aus dem Grund, um zu zeigen, was mich an der Kriminalliteratur begeistert, nämlich, dass sie dahin geht, wo es weh tut und auf unbequeme Art gesellschaftliche und politische Missstände entlarvt. Daher möchte ich den eingefleischten Belletristikern unbedingt raten, ab und zu auch mal einen Krimi in die Hand zu nehmen. Wer abseits der Auslegeware der großen Buchhandlungsketten tiefer ins Genre eintaucht, wird auch mit literarisch hochwertiger Lektüre belohnt, z.B. mit Eric Ambler (dessen Gesamtwerk übrigens gerade bei Hoffmann & Campe wiederveröffentlicht wird).

„Die Maske des Dimitrios“ wurde 1939 als fünfter Roman von Eric Ambler veröffentlicht und ist wohl sein bekanntestes Werk. Der Roman gilt als prägend für das damals noch relativ junge Genre des Thrillers. Er ist äußerst fein konzipiert in einer episodenhaften Struktur mit vielen Dialogen, Abschnitten in Briefform und (inneren) Monologen. Auch die Verfilmung aus dem Jahr 1944 ist ein Klassiker des „film noir“.

Der Roman beginnt ganz harmlos mit einer Urlaubsreise von Charles Latimer. Latimer ist Volkswirtschaftsdozent und inzwischen erfolgreicher Krimi-Autor. In Istanbul lernt er den Geheimdienst-Oberst Hakki kennen. Dieser ist ein Fan Latimers und versucht, ihm ein eigenes Manuskript unterzujubeln. Um ihn weiter zu beeindrucken, nimmt Hakki Latimer mit auf seine Dienststelle und zeigt ihm dort die Akte „Dimitrios“. Ein Berufskrimineller, schon lange international von der Polizei gesucht. Dimitrios‘ Leiche wurde im Bosporus aufgefunden. Latimer darf sogar dessen Leichnam ansehen. Er ist zunehmend fasziniert von der Person des Dimitrios und beginnt aus literarischem Interesse eine Recherche. Doch was als spielerische Spurensuche beginnt, wird bald ein gefährliches Spiel. Die Nachforschungen führen Latimer quer durch Südeuropa auf den Spuren der kriminellen Karriere des Dimitrios als Mörder, Attentäter, Spion, Zuhälter und Rauschgifthändler. Schließlich führt Latimers Weg nach Paris, wo die Maske des Dimitrios gelüftet wird.

Doch es nützte nichts, ihn mit Begriffen wie „Gut“ und „Böse“ erklären zu wollen. Das waren lediglich barocke Abstraktionen. Die Elemente der neuen Theologie hießen „gutes Geschäft“ und „schlechtes Geschäft“. Dimitrios war nicht böse. Er war logisch und konsequent, so logisch und konsequent im europäischen Dschungel wie das Giftgas Lewisit und die Leichen von Kindern, die bei einem Luftangriff auf eine offene Stadt umkommen. Die Logik von Michelangelos David, von Beethovens Streichquartetten und Einsteins Theorien war durch die Logik des Börsenhandbuchs und Hitlers Mein Kampf ersetzt worden. (S.289)

20170106_152810Was mich an Eric Amblers Politthrillern von Beginn an ansprach, ist das von ihm beschriebene Geflecht von Politik, Wirtschaft und Verbrechen. Seine Thriller handeln durchgehend von Machtpolitik, (Staats-)Terrorismus und den Auswüchsen des Kapitalismus. So ist es auch in „Die Maske des Dimitrios“. Ambler spricht zahlreiche politische Themen im Roman an: Der griechisch-türkische Krieg 1922 mit dem Massaker von Smyrna (Izmir), die Destabilisierung Bulgariens und Jugoslawiens durch politische Attentate oder Spionage zwischen Italien und Jugoslawien (Der Faschismus ist auch immer wieder ein Thema in seinen Romanen, allerdings mehr in den vorherigen). Grundtenor ist jedoch die unheilvolle Allianz zwischen Großkapital und international organisiertem Verbrechen (ein eindeutig zeitloses Thema). Ambler war über seine Romane zeitlebens ein Kritiker der Auswüchse des Kapitalismus und dessen verschiedenen Ausprägungen im (Neo)kolonialismus und Faschismus (als linker Intellektueller brauchte Ambler ein paar Romane, um sich auch am Stalinismus abzuarbeiten). Im Roman übernimmt der Journalist Marukakis die Rolle des mahnenden Anklägers („Wenn ein Attentat für das Geschäft gut ist, wird es ein Attentat geben“, S.104). Zunächst schüttelt Latimer darüber noch etwas den Kopf, doch er wird im weiteren Verlauf eines besseren belehrt.

Amblers Romane sind zudem alles andere als Mainstream. Natürlich könnte man mäkelnd einwerfen, dass der Roman mit Spannungsbögen und Action heutiger Thriller nicht ganz mithalten kann und dass aktuelle Autoren eher nach dem Motto „Show, don’t tell“ arbeiten, aber für meinen Geschmack macht er das durch einen sehr feinen, eleganten, an manchen Stellen auch humorvollen Stil mehr als wett. Was mich an Ambler reizt, sind die intelligenten und raffinierten Plots, in denen die Wirklichkeit so dargestellt wird, wie sie vermutlich auch ist, komplex, undurchsichtig und zumeist zynisch. Interessant ist auch immer wieder seine Figurenwahl, indem er konsequent mehr oder weniger Unbeteiligte, Normalos ins Getümmel wirft und schaut, wie sie darin zurechtkommen. So wie in „Die Maske des Dimitrios“ die Hauptfigur des Charles Latimer. Dieser ist ehemaliger Volkswirtschaftsdozent, der sich inzwischen erfolgreich ganz auf das Schreiben von Cosy-Krimis konzentriert hat. Latimer ist durchaus das, was man sich unter einem englischen Professor der damaligen Zeit vorstellt, distinguiert, etwas bieder, bislang existiert Kriminalität für ihn mehr oder weniger nur in der Fiktion. Latimer ist auch nicht wirklich Handelnder, sondern nach kurzer Zeit hetzt er von Ort zu Ort den Informationen hinterher, die ihm häppchenweise über Dimitrios gegeben werden.

Als „Klassiker“ zeichnet den Autor Ambler ebenfalls aus, dass er so etwas wie der Chronist des 20.Jahrhunderts ist. Sein erster Roman erschien 1936 unter den drohenden Vorzeichen des kommenden Zweiten Weltkriegs, der letzte 1982 im Ost-West-Konflikt mit seinen schmutzigen Stellvertreterkonflikten. Und dennoch fällt immer wieder seine Zeitlosigkeit bei seiner Themenwahl auf, seine Plots könnten kaum verändert auch in der heutigen Zeit spielen. So las ich im Frühjahr letzten Jahres seinen vorletzten Roman „Bitte keine Rosen mehr“ aus dem Jahr 1977 über die „Steuervermeidungsbranche“, als just die „Panama Papers“ die Schlagzeilen bestimmten. Das ist auch das, was mich an „Klassikern“ (des Kriminalromans) reizt: Der historische Kontext mit direkten Bezügen zu gegenwärtigen Situationen. Eric Ambler ist hier ein Paradebeispiel und sein „Die Maske des Dimitrios“ daher #MeinKlassiker.

Gunnar Wolters
Mitwirkender bei www.krimirezensionen.de

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

5 thoughts on “#MeinKlassiker (28): Gunnar und sein kriminell guter Klassiker von Eric Ambler

  1. Bin kein riesiger Spy Thriller Fan, aber Eric Ambler habe ich immer sehr sehr gerne gelesen. Schöne Erinnerung und hoffe, irgendwann fällt mir mal wieder ein Ambler in die Hand, denn die habe ich beim Umzug damals alle in London gelassen. Liebe schneeige Grüße🙂

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  2. Lieber Gunnar, du hast mich schon wieder erwischt! Auch die Maske steht schon so lange hier in meinem Regal. Ich glaube, ich muss mal eine Gunnars-Empfehlungen-Lesewoche einschieben. Schön, dass der Ambler auch hier in den Klassikern einen Platz gefunden hat. Liebe Grüße!

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