Im Ministerium für öffentliche Erregung: Zwischen Konfuzius und Emanzipation

Bild: (c) Michael Flötotto

„Sie sang in der Hoteldusche in Penang. Die Badezimmertür war geschlossen, aber vom Bett aus konnte ich sie hören. Es war ein Doppelbett. Sie sang ein Medley aus Beatles-Refrains, aber sie hatte alle Texte verändert. Sie hatte die Stimme einer Frau, die tausend Zigaretten geraucht hatte.
Sie kam heraus und sang „All You Need Is Love“, nur dass sie den Text zu „All You Need Is Love Is A Lie“ geändert hatte. Sie lächelte mich an, während sie sang, und ich lächelte zurück. Sie setzte sich vor den Spiegel, kämmte ihr Haar. Als sie zurück ins Bad ging, um es auszuspülen, ging ich zum Frisiertisch, hielt die Bürste an meine Nase und atmete ihren Duft ein.
Ich ging wieder ins Bett, legte mich auf die Kissen. Ich hörte sie gurgeln, ausspucken, gurgeln, ausspucken. Ich hörte das Wasser rieseln, als sie sich das Gesicht wusch, die kleinen Spritzer. Ich hörte, wie sie den Toilettensitz hochklappte. Ich hörte sie pinkeln. Sie pinkeln zu hören, während ich auf dem Hotelbett lag, brachte mein Herz fast zum Bersten.“

 

Amanda Lee Koe, „Ministerium für öffentliche Erregung“,  OA-Ausgabe 2013, in deutscher Sprache bei CulturBooks Verlag 2016.

Es bringt einen zum Staunen, mit welcher Abgeklärtheit diese knapp 30jährige Schriftstellerin Amanda Lee Koe über die Liebe in allen ihren Spielarten und Schattierungen schreibt: Beinahe kühl, fast spröde, gänzlich unsentimental und dennoch mitten ins Leserinnenherz treffend. Die Storys der 1987 in Singapur geborenen Schriftstellerin sind im besten Sinne: Cool. Überraschend. Irritierend. So wie die Erzählung „Alice, du musst der Mittelpunkt deines eigenen Universums sein“, aus der das obenstehende Zitat stammt. Alice, die kurz vor dem Studium in London steht, lernt durch Zufall die wesentlich ältere, lebenslustige Jenny kennen. Die beiden werden enge Freundinnen, Jenny reißt die junge Frau mit ihrer Unternehmungslust mit, die Bindung wird immer enger – bis Alice, die sich verliebt hat, sich das aber nicht eingestehen will, zurückzieht, den Kontakt abbricht. Als sie Jenny nach einigem Abstand nochmals aufsuchen will, erfährt sie vom Tod der älteren Frau, die an Krebs litt – zu spät für eine Aussprache, zu spät für eine Versöhnung. Was bleibt, ist die Erinnerung an die Geräusche in einem Hotelzimmer, die späte Gewissheit, dass da Liebe war …

Vor allem von diesen unausgelebten, den unerwiderten, den einseitigen Lieben erzählt Amanda Lee Koe. Ganz ruhig, klar und unsentimental wie in „Liebe ist keine große Wahrheit“:

„Es gibt auf der ganzen Welt kein Ich kann ohne dich nicht leben du kannst ohne mich nicht leben. Die Erde dreht sich. Die Zeit vergeht. Reis wird gegessen. Wer kann das widerlegen?“

Eine ältere Frau erzählt: Wie ihr Gesicht durch einen Unfall entstellt wird. Wie ihr Mann sie daraufhin verlässt. Wie sie ihr Bett weggibt: „Depression ist leicht,  wenn man ein Bett hat.“ Wie sie irgendwann erkennt:

„Ich hatte nun meine Unabhängigkeit davon, Ehefrau zu sein, Mutter, sogar Frau. Ich war einfach ich. Ich fühlte eine unglaubliche Freude, die sich in meinem Körper ausbreitete. Ich bestritt meinen Alltag, als hätte sich nichts geändert – und tatsächlich hatte sich nichts geändert, aber ich wusste, dass dies der Anfang von etwas Neuem war und dass dieses Etwas bis an mein Ende andauern würde.“

Nicht alle Frauen in diesen Erzählungen sind Siegerinnen, Überlebende, wie beispielsweise die Kunstkuratorin in „Karussell & Kastell“, die zunächst das machohaft-verbrämte Pseudophilosophieren eines Künstlers und im Anschluss ein verheerendes Attentat auf dessen Ausstellung überlebt. Andere, so beispielsweise eine chinesische Wanderarbeiterin, die in Singapur als Hausangestellte ausgenützt wird, ein traumatisiertes Vergewaltigungsopfer, das auf Liebe und Zugehörigkeit hofft, sind alles andere als auf der Siegerseite – und dennoch wohnt auch dieser Protagonistin eine Stärke inne, wie sie fast alle der weiblichen Figuren in diesen Erzählungen in sich tragen.

Es sind jüngere und ältere Frauen, die auf der Suche sind: Nach Liebe, Anerkennung, Beziehungen, vor allem aber nach ihrem eigenen Platz in der Welt. Sie kämpfen um ihre Autonomie.

Universelle Themen vor einem speziellen Hintergrund: Die Glitzermetropole Singapur, die Stadt mit den höchsten Lebenshaltungskosten weltweit, multiethnisch, hektisch, ein Schmelztiegel von Ost und West. Schmelztiegel und Trennlinie – denn in einer der größten Finanzmetropolen scheiden sich nicht nur Arm und Reich, sondern treffen zudem moderne, westliche Lebensweise mit traditionellen, konfuzianisch geprägten Rollenmustern zusammen. Konfuzius, so wird in einer der Geschichten zitiert, habe die Stellung der Frau dem Mann nachgeordnet – und so bewegen sich die Heldinnen dieser Geschichten in einem Spannungsfeld zwischen konservativen gesellschaftlichen Normen, persönlicher Entwicklung und dem Wunsch nach individueller Freiheit.

„Ministerium für öffentliche Erregung“: Ein literarisches Debüt, das öffentliches Aufsehen erregte –  und dies zu Recht. Amanda Lee Koe erhielt 2014 für das Buch den Singapore Literature Prize for English Fiction, ihr Storyband führt außerdem derzeit die Litprom Bestenliste „Weltempfänger“ an. Ins Deutsche übersetzt wurden die Erzählungen von Zoë Beck.

Verlagsinformationen zum Buch:
http://www.culturbooks.de/portfolio/amanda-lee-koe-ministerium-fuer-oeffentliche-erregung-storys/

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

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