Thomas Lang: Immer nach Hause

Die Ehe von Maria Bernoulli und dem neun Jahre jüngeren Hesse gestaltete sich schwierig - Thomas Lang hat daraus einen schönen Roman gemacht.

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Gefangen zwischen Pflichtgefühl und Freiheitswunsch: Hermann Hesse. Bild: (c) Michael Flötotto

„Er verspürt kein Bedürfnis, seine stehen gebliebene Welt wieder aufzuziehen. Deshalb begegnet ihm auch nicht die Frage, ob er überhaupt den Schlüssel dazu besitzt. Ab und zu weht ein Hauch von der wärmeren Welt hinter den sieben Bergen herein, die er wieder verliert. Leichter Föhn, der den Wachsmann nicht zum Schmelzen bringen kann, ihn höchstens biegsam macht. Er fängt an, seiner Sehnsucht zu misstrauen. Der Traum vom Süden kommt ihm verlogen vor, mehr Flucht als Zuflucht. Nun baut er am nördlichen Ufer des Untersees ein Haus, das ist etwas Richtiges, Realität. Elisabeth ist seine nächste Flucht. Vollkommen bleibt sie nur, solange er sie erträumt. Heftig stößt er das E an, es kippt zurück auf die Füße: M. Mia hat Macken. Mia ist echt. Das Echte, Wahre, Schlechte, dieser kleinere Teil des Lebens. Der größere bleibt Möglichkeit. Er kann nicht Vagabund und gleichzeitig solide sein, nicht schweben und am Boden gehen, nicht Gatte sein und Liebhaber. Nicht betrachten und gleichzeitig tun. Es geht nicht, geht nicht, geht nicht.“

Thomas Lang, „Immer nach Hause“, Berlin Verlag, 2016.

Es ist so eine Sache mit Künstlerromanen: Sind sie gut geschrieben, neigt man dazu, das Geschriebene mehr und mehr als bare Münze zu nehmen, das fiktive Element zu vergessen. Im günstigsten Fall ist der Autor nicht nur ein talentierter, sondern auch ein kluger Schriftsteller, der sein Künstlerbild auf die Beine ausreichender Quellenrecherche stellt, das gesicherte Wissen gekonnt in sein Erzählgewebe einknüpft. Ich bin zwar keine Hesse-Expertin, aber mir scheint: Thomas Lang ist dies mit seinem Buch über Hesses erste Ehe überaus gut gelungen.

Der Bachmann-Preisträger nahm sich eines Lebensabschnittes von Hermann Hesse an, der bei dessen Gefolgschaft als eher unproduktiverer Zeitraum gilt: Hermann Hesse war gerade mit „Peter Camenzind“ und „Unterm Rad“ als erfolgreicher Schriftsteller hervorgetreten und konnte daher 1904 auch die neun Jahre ältere Maria Bernoulli heiraten – eine selbständige, emanzipierte Frau, die in Basel als Fotografin reüssiert hatte. Hesse war 27 Jahre alt.

Das Paar beschloss gemeinsam, Basel den Rücken zu kehren und zog nach Gaienhofen an den Bodensee: Ein eigenes Haus als Rückzugsort in der ländlichen Idylle, als Schreibraum für Hermann, Haus und Garten als Betätigungsfeld für „Mia“. Doch beider Traum steht auf zerbrechlichem Grund: Und dies arbeitet Thomas Lang in seinem Roman einfühlsam heraus. Er zeichnet die Szenen einer Ehe – und was mir dabei ausgesprochen gut gefällt, ist, dass er beiden versucht, gerecht zu werden, so man das als Außenstehender überhaupt kann. Erfreulicherweise bedient er sich nicht der Klischeefalle vom bindungsunfähigen Künstler, dessen Schaffen sich alles unterzuordnen hat: Hesse, so liest man gelegentlich, sei ja eigentlich beziehungsunfähig gewesen. Ein oberflächliches Urteil, das Thomas Lang ganz leise und unterschwellig unterläuft.

Lang entwirft ein Portrait von Hesse, das den Schriftsteller in anhaltender Gewissensnot zeigt, immer schwankend zwischen Pflicht- und Verantwortungsgefühl und dem Bewusstsein, dass der Lebensentwurf in Gaienhofen im Grunde für beide gescheitert ist, für ihn und Mia, die auf dem Land mehr und mehr isoliert lebt, kaum mehr kreativ sein kann, zudem vom Gatten, der öfters auf Reisen flieht, lange alleine gelassen wird.

Natürlich verbirgt Thomas Lang bei diesem Psychogramm einer Ehe nicht die Grausamkeiten, die man sich – bewusst und unbewusst – gegenseitig zufügt. Am Anfang ist da etwas Hoffnung und viel guter Wille, wie auch die dem Buch vorangestellten Zitate aus Hesse-Briefen untermauern:

„Und nun beginnt die Ehe, mein Leben vollends zu ändern, indem sie wenigstens dem ewigen Wandern und Zigeunern ein Ende macht. Ich muß regelmäßig arbeiten, um für den Haushalt zu sorgen u. s. w., aber im Grunde bummle ich doch meistens, nur mit etwas schlechterem Gewissen.“

Doch mit der Zeit weichen die guten Vorsätze den alltäglichen Reibereien, anhaltende Missverständnisse, Schweigen, Streit, Auseinanderleben. Mia ist sich bewußt, dass sie für Hesse anfangs eine „harmlos scheinende Liebesgeschichte war“, die sich zu „einem völligen Roman“ auswuchs, dass Hesse im Grunde noch immer das Bild der verehrten Elisabeth, die ihn jedoch nie erhörte, im Herzen und im Hirn trägt.
Er dagegen fühlt sich unverstanden, oftmals von ihrer Kälte abgelehnt, häufig nur wie ein geduldeter Gast im Gaienhofener Haus. Die drei Söhne, trotz einiger zärtlicher Vater-Sohn-Szenen im Buch, stören den Schriftsteller bei der Arbeit, sind auswärts untergebracht, ein ewiger Quell des Streits zwischen den Eltern. Dabei sollten die Kinder das fragile Gebilde ketten:

„Als er noch einmal ins Schlafzimmer kam, um seiner kranken Frau ade zu sagen, schaute sie ihn mit so einem seligen Blick an. Jede Spur von Unglück war daraus verschwunden. Dieses Rätsel entschlüsselt sich ihm jetzt: Es war der Blick der befruchteten Frau. Genau so hat sie ihn angesehen, als sie ihm von der ersten Schwangerschaft berichtete. Und so halb schwindelig wie damals fühlt er sich heute. Es ist wohl wieder etwas unterwegs, denkt er, ohne sich darüber freuen zu können. Die Stricke, die ihn an Gaienhofen binden, verwandeln sich in Ketten.“

Zwei, die im Grunde nicht zueinander passten, scheitern, reiben sich auf, trotz besten Willens: Eine alltägliche Geschichte. Die „Schuldfrage“ zu stellen, wie es bei Berühmtheiten wie den Hesses und anderen oftmals geschieht, ist müßig. Erschwerend, auch dies greift Thomas Lang in seinem Roman auf, wirken zudem die Einschränkungen während der Jahre des Ersten Weltkrieges, Existenzsorgen und das Gefühl der Bedrohung, das auch im abgelegenen Gaienhofen spürbar war.

Für Hesse und seine Frau endete die „Geschichte“ dramatisch genug: Mia muss wegen ihrer schweren Depressionserkrankung in Behandlung, auch der Schriftsteller begibt sich in psychologische Behandlung. 1918 ist das Paar dann faktisch getrennt, das Gefühl einer Schuld, eines Versagens – davon zeugen Aussagen Hesses späterer Jahre – trägt er mit sich.

Thomas Lang ist mit diesem Künstlerroman ein sehr einfühlsames, vielschichtiges Portrait gelungen, in dem viel Sympathie für den „Sonderling“ Hesse durchklingt. Sprachlich und in literarischer Hinsicht ist der Roman ein Lesegenuss: Flüssig geschrieben, feine Beobachtungen, abwechslungsreiche, lebendige Dialoge, Szenen, gewürzt mit trockenem Humor. Bei der Recherche wurde er unter anderem durch Hesse-Koryphäe Volker Michels unterstützt, die Enkelin Sibylle Siegenthaler-Hesse gab ihm Einblick in unveröffentlichte Briefe zwischen Hesse und seinem Sohn Martin, außerdem standen ihm auch weitere Quellen zur Verfügung.

Der Roman erschien nun im Berlin Verlag, weitere Angaben hier.

Thomas Lang betreibt auch eine eigene Homepage: http://thomaslang.net/

Der Schriftsteller arbeitet bereits an einem neuen Projekt: Mit Unterstützung des Literaturportals Bayern entsteht der Netzroman „Der gefundene Tod“, an dem sich interessierte Leser beteiligen können. Weitere Informationen dazu gibt es unter diesem Link: https://www.literaturportal-bayern.de/blog?task=lpbblog.default&id=1240

9 comments on “Thomas Lang: Immer nach Hause”

  1. „Ohne Liebe zu sich selbst ist auch die Nächstenliebe unmöglich.
    Der Selbsthaß ist genau dasselbe und erzeugt am Ende dieselbe
    grausige Isoliertheit und Verzweiflung wie der grelle Egoismus.“

    PS: Alle meine (2) Kuscheltiere hießen seinerzeit und bis zu deren ‚.Ableben‘ HERMANN.

  2. Mit dem Buch habe ich auch schon geliebäugelt, gerade weil es die Zeit beschreibt, die Hesse ja in einem meiner Lieblingsbücher, „Wanderung“ verarbeitet.
    Die Rezension hat mich jedenfalls bestärkt, es auf der Leseliste weiter hoch zu setzen 😉

  3. Liebe Birgit,
    und wieder hast du einen Roman beschrieben, den ich auf meine Leseliste gesetzt habe. Aber noch bin ich in der Ferne. 🙂 Und die schaffe ich schon kaum. Du hast jedoch recht, sie passt perfekt zu den Mythen der Inuit und ich habe mir schon Zitate herausgeschrieben, die ich kombinieren möchte.
    Einen schönen Freitag sendet dir Susanne
    P.S. Ich würde mich freuen, wenn du dich entschliessen könntest, nächstes Jahr einen Salon als themengebender Gast bei mir zu halten. Vielleicht im Frühjahr, dass wir auch etwas bei schönem Wetter unternehmen können und ich Semesterferien habe. Eine Mail folgt 🙂 aber wohl erst am Nachmittag - wir sind noch am Bauen…..

    1. Ach, das ist ja toll, wenn die Ferne dich so inspiriert, Susanne! Und wegen des Salons??? Echt??? Du traust mir das zu? Also, Du weißt, dass ich auch so käme - aber gerne mache ich das, wenn Du mir erklärst, welche Rolle ich da einnehmen soll! Frohes Umbauen wünsche ich Euch, Birgit

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