Winfried Stephan: Nicht schon wieder keine Tore

Friedrich Torberg, Urs Widmer, Wiglaf Droste oder auch Benedict Wells: Wenn es um Fußball geht, reden alle mit. Schriftsteller und sogar auch Fußballer.

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Der Ball ist rund. Wie groß er sein soll, steht auf einem anderen Blatt. Bild: (c) flo-job Büro

Jetzt geht das wieder los! In meiner Wahrnehmung teilt sich die Welt ab Freitag wieder in jene, die an akutem Fußballfieber leiden und in jene, die vernunftbegabt sind, dem Ganzen wenig abgewinnen und immer noch Lesen die beste aller Freizeitbeschäftigungen finden. Tatsächlich aber gibt es nicht wenig Grenzgänger die Lesen, Schreiben und Fußballspieler auf einen Nenner bringen. Einer davon ist mein Kollege und Co-Autor hier: Florian Pittroff, der sich kurz vor der Europameisterschaft noch durch einige Fußballbücher gelesen hat.

Beispielsweise durch dieses druckfrische Diogenes-Werk:
„Nicht schon wieder keine Tore“, Geschichten und Gedichte rund um den Fußball, herausgegeben von Winfried Stephan, Mai 2016, Diogenes Verlag

 Schade, die „Geschichten und Gedichte rund um den Fußball“ beginnen etwas zäh. Es ist – um in der Fußballersprache zu bleiben - zu Beginn ein Abtasten. Die fiktiven Briefe des Bundestrainers an seine Frau Daniela von Moritz Rinke kommen etwas langatmig um die Kurve. Und auch die autobiografische Erzählung „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“ von Friedrich Christian Delius sowie die Erzählung „1954“ von Günter Grass nehmen nicht so richtig Fahrt auf.

Aber das bleibt im Verlaufe der 272 Seiten zum Glück nicht so. Ein Höhepunkt: „Dantes Tragödie“. Das ist die Geschichte über den verheerenden Fußballabend, den der brasilianische Verteidiger Dante bei der Weltmeisterschaft 2014 im legendären Halbfinale gegen die DFB-Elf erlebte. Schlagfertig und wortgewandt erzählen Tim Jürgens und Philipp Köster, wie der Brasilianer zum Einsatz kommt, wie es nach 29 Minuten 5:0 für Deutschland steht und wie der schwärzeste Tag im Leben von Dante seinen weiteren Verlauf nimmt. „ Es war einer der Tage, an denen jeder noch in Jahrzehnten weiß, wo er sich aufhielt, als es passierte. Die Antwort des brasilianischen Verteidigers Dante lautet: “Ich war in der Hölle“.

Brecht gegen Florian Pittroff? Auch das eine unglaubliche Geschichte. Bild: (c) flo-job Büro

Friedrich Torberg, Urs Widmer, Wiglaf Droste und Benedict Wells leisten ihren Beitrag dazu, dass die Begegnung, respektive das Buch, dann doch immer besser wird. Neben  Schriftstellern kommen auch Fußballer zu Wort - beispielsweise Sepp Maier, Günter Netzer, Uli Hoeneß, der sich an seinen verschossenen Elfer beim EM-Finale 1976 erinnert oder Paul Breitner, der von der Erfüllung eines Jugendtraums und von Real Madrid erzählt. Über das bemerkenswerteste Kunstereignis des Jahres 1929 - Schalke 04 gegen Arminia Hannover - hat Bertolt Brecht einen Text verfasst. Oder doch nicht? Die unglaubliche Geschichte die dahinter steht, ist reizvoll und interessant zugleich.

Eine dann doch ganz gelungene literarische Einstimmung auf das bevorstehende Fußball-Fest!

Florian Pittroff

www.flo-job.de

Soviel sei verraten: 1929 schrieb Bertolt Brecht den Text „Das größte Kunstereignis“ und ernannte den Fußball zur fruchtbarsten Kunstform des 20. Jahrhunderts.

Zwei Zitate:

„In einer Umfrage der «Literarischen Welt» haben sich einige Herren zum bemerkenswertesten Kunsterlebnis des Jahres 1929 geäußert. Gerhard Hauptmann nannte die Aufführung eines (eigenen) Stücks, Franz Werfel sprach sich für die Gedichte seiner Freunde aus, Th. Mann bekannte sich zu einer Oper. Ich bedaure alle drei, zünde meine Zigarre an und stimme für das interessanteste Spiel der Deutschen Meisterschaft, Schalke 04 gegen Arminia Hannover, das mit 6 zu 2 endete.“

„Keine Theateraufführung verhilft auch nur einem Zuschauer zu ebensolcher Freude wie den 10 000 Anhängern ein Siegestor in der 89. Minute, keine Chopin- oder Hölderlin-Matinee versetzt in so ehrliche Trauer wie der Verlusttreffer. Wie bei allen interessanten Lebenslagen zahlt man auch im Fußball den Spaß mit dem Risiko eines großen Verlusts. Gutes Amüsement hat schon immer Nerven und Mut verlangt. Aus oben genannten Gründen stimme ich dafür, das Spiel Schalke - Hannover als Kunstereignis des Jahres 1929 zu wählen, den Stürmer Ernst Kuzorra als Künstler des Jahres auszuzeichnen und Fußball als fruchtbarste Kunstform des 20. Jahrhunderts zu sehen.“

19 comments on “Winfried Stephan: Nicht schon wieder keine Tore”

  1. Sagt der Steuerhinterzieher auch was zu seiner Knast-Zeit in Landsberg im Buch ??? ;-)))))
    Ich werde es bei der EM wie immer bei den Turnieren halten: ab und an ein Spiel schauen und trotzdem die Literatur und die Musi nicht vernachlässigen ;-))
    Liebe Grüße,
    Gerhard

    1. Weiß nicht, da muss ich Florian fragen, der das Buch gelesen hat. Aber wahrscheinlich gibt es von Uli eh irgendwann dann eine verherrlichende Biographie. Neulich hatte ich übrigens eine witzige Begegnung im Zug nach Frankfurt mit einem 60erFan - er und seine vier Kumpels unterhielten sich erst mal von München bis Stuttgart über Fußball. Und plötzlich sagte einer: „Was ist eigentlich mit deinem Buch?“ Der Kerl (Mitte 30) zückte tatsächlich einen Band mit Gedichten, den er im Selbstverlag herausgegeben hatte. Ein anderer las drin und sagte fachmännisch - „ja, erinnert mich ein wenig im Stil an Gottfried Benn“. Zu schade, dass ich aussteigen musste - ich hätte mit denen gerne eine Geschichte gemacht 🙂

      1. Dieser Kommentarist ja wirklich eine besonders schöne Story. Fußball als jegliche Gesellschaftsgrenzen überschreitendes Phänomen ist schon faszinierend. Mir fehlt da irgendwie das passende Fußball-Gen. Dennoch setzte ich mit gern zur WM in die Biergarten, schau mir die Leute an und freu mich an der Gaudi.
        Jedenfalls ein netter Lesetipp für die nächsten Wochen - merci.

      2. Die Situation war einfach so klasse - vor allem weil einige Sitze weiter ein älteres Ehepaar war, das sichtlich die Nase rümpfte wegen der Fußballbegeisterung. Denen fiel die Kinnlade runter, als die Jungs plötzlich Gedichte zitierten 🙂

      3. Hört sich gut an ;-))) Sind halt alles Intellektuelle, die Löwen-Fans, eh klar. Kann ich aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis nur bestätigen ;-))))))
        Liebe Grüße,
        Gerhard

      4. Fußballfans sind auch nicht mehr das, was sie mal waren (Gott sein Dank). Der eine schreibt Gedichte, der andere hatte eine Dallmayer-Tüte dabei, der dritte erzählte vom vhs-Kurs mit dem Fanbeauftragten 🙂 Und beim letzten Spiel des VfB in Augsburg enterten die Fans die beste Konditorei in der Stadtmitte, um die Kuchen-Flatrate auszunutzen. Kein Wunder sind die Stuttgarter abgestiegen 🙂

      5. Naja, ich sehe das irgendwie zwiespältig, früher, als fast nur Hardcore-Hools, Prolls und Vollpfosten in der Kurve standen, war das irgendwie noch ehrlicher, in Zeiten, als noch nicht jeder Hansdampf, der mal ein Bayernspiel im Fernsehen gesehen hat, meinte, er müsste auch seinen Senf zum Thema abgeben ;-)))

      6. Stimmt wohl schon … wenn Männern in Kamelhaarmänteln das Spiel der 60er als akademisch-brasilianisch bezeichnen (meine einzige Live-Erfahrung mit so einem Event) dann ist das merkwürdig - dann lieber ein ehrlicher Vollpfosten.

      7. Wenn jemand das Speil der Löwen als „akademisch-brasilianisch“ bezeichnet, dann ist wirklich was faul… ;-))))))))))

      8. Ist schon ein paar Jährchen her 🙂 Aber faul fand ich das als Laiin damals schon 🙂 Irgendwann schrie ein Vollpfosten in die Richtung der Kamelhaarigen, sie sollten ihre Gosch halten, Kruzifix. Das war sehr sympathisch 🙂

      9. Bei einem derartigen Gewäsch durchaus nachvollziehbar ;-)) Allerdings war es nicht immer lustig, ich kann mich erinnern, wir hatten vor Jahrzehnten eine Weile im Grünwalder mal so eine braune Brut links hinter uns, das waren unsägliche Auseinandersetzungen…

    1. Besser wäre es 🙂 Ich spöttle halt gerne, weil sich meine Fußballaffinität in deutlichen Grenzen hält … aber es gibt ja sogar eine Nationalmannschaft deutscher Autoren, beispielsweise. Will heißen: Schreiben schützt für Ballwut nicht 🙂

      1. Hach, im Ruhrpott kommt man nicht vorbei am Fußballwahn. Und die Sprüche der Fußballer sind doch auch geradezu tiefsinnig (höhö).

        Und schlagfertig, dann und wann.

        Diese meine allerallerliebste Anekdote muss getz sein:
        Als „Ente“ Lippens für Essen spielte, verwarnte ihn der Schiedsrichters mit den Worten: „Herr Lippens, ich verwarne Ihnen“. Der Verwarnte entgegnete schlagfertig: „Herr Schiedsrichter, ich danke Sie!“ Prompt wurde er des Feldes verwiesen und erhielt anschließend eine 14-tägige Sperre wegen respektlosen Verhaltens.
        Halt ein Intellektueller, der Lippens. Qed.

  2. Ich tue ja gerade so, als wenn mich das alles nicht interessiert würde: Literatur und Fußball und selbst die weltbesten Blogs, wie dieser hier. Und kann auch nicht erklären, wie mir dieser Beitrag dennoch für die Füße fallen konnte?! Ist er aber und deswegen habe ich ihn ganz heimlich und sehr schnell erfreut überflogen und bevor mich jemand dabei entdeckt, notiere ich noch schnell, dass der sehr geschätzte Bremer Autorenkollege Ian Watson gerade ein schönes Fußballbuch veröffentlicht hat. Hier gibt es Infos dazu http://www.literaturhaus-bremen.de/autor/ian-watson und jetzt muss ich aber ganz schnell wieder ein ruhiges Plätzchen, vielleicht unter der nächsten Grasnarbe aufsuchen …

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