John Steinbeck und Robert Capa: Russische Reise (1948).

„Willy stellte uns die beiden hellgrünen Suissesses hin, und wir fingen eine Diskussion darüber an, was es in der Welt für einen ehrlichen und liberal denkenden Mann noch zu tun gäbe“.

Ich hab zwar keinen grünen Schimmer, was ein Suissesse ist. Scheint aber ein extrem geistvolles Getränk zu sein. Denn John Steinbeck, der das in der Bar des Bedford Hotels in New York gemeinsam mit Robert Capa süffelt, kommt dabei auf eine Idee, die mancher seiner Zeitgenossen wohl auch als „Schnapsidee“ gewertet hat  – zusammen mit dem Fotoreporter eine „Russische Reise“ zu unternehmen. Auf Gegenliebe stießen die beiden dabei auf keiner Seite, behördlicher- und staatlicherseits.

„Wir stellten fest, daß Tausende an akuter Moskauitis litten – einem Zustand, der es erlaubt, jede Absurdität zu glauben und sämtliche Tatsachen beiseite zu schieben. Später stellten wir fest, daß die Russen unter Washingtonitis leiden – derselben Krankheit. Wir fanden heraus, daß uns die Russen ebenso verteufeln, wie wir die Russen verteufeln.“

Um Völkerverständigung zu betreiben, war das Jahr 1948 tatsächlich nicht der beste Zeitpunkt für das Vorhaben: Mit der Verkündigung der Truman-Doktrin am 12. März 1947 setzte der Kalte Krieg ein. In den USA wurde ab `47 hysterische Jagd nach Kommunisten getrieben (McCarthy-Ära), in der UdSSR herrschte der Stalinterror. Solche politischen Hintergründe lässt Steinbeck in seinem Reisebericht jedoch weitestgehend außen vor. Er und Capa haben ein Programm:

„…eine einfache Reportage, von Fotografien untermauert. Wir würden zusammenarbeiten. Wir würden Politik und heikle Themen vermeiden. Wir würden uns vom Kreml, von Militärs und Militärplänen fernhalten. Wir wollten das russische Volk kennenlernen, falls uns das möglich war.“

Darauf noch eine Suissesse, und los geht die Reise, 1948. John Steinbeck hatte 1937 bereits die Sowjetunion besucht, aufgrund seines Romans „Früchte des Zorns“ (für mich immer noch das beste, klarste und dezidierteste seiner Bücher) war er in seinem Heimatland unter „Linksverdacht“. Ebenso Robert Capa, Mitbegründer der Fotoagentur Magnum, der unter anderem vom Spanischen Bürgerkrieg berichtet hatte. Trotzdem werden sie in Moskau nicht nur mit offenen Armen empfangen. Dem Duo gelingt es jedoch, sich relativ frei zu bewegen – nur begleitet von einem Dolmetscher, der als ausgemachter Pechvogel und Trottel von ihnen den Spitznamen „Gremlin“ erhält, lernen sie Moskau, die Ukraine und Georgien kennen.

Manches wirkt klischeehaft in diesem Reisebericht – das graue Moskau, die ernsten Moskowiter, die anpackenden, fleißigen Ukrainer, die wilden, stolzen Georgier. Manches wirkt auch naiv – das Lob des fleißigen Landmannes, der tagsüber auf der Kolchose schuftet und abends Tanzen geht, die üppig aussehende und kochende Babuschka. Doch John Steinbeck ist eben einer, der immer mit großen Respekt und mit viel menschlicher Wärme über die „einfachen“ Leute schreibt. Doch trotz des leichtgängigen Plaudertons, mit dem Steinbeck von Land&Leuten berichtet und über seinen Reisegefährten frozzelt (ein „typischer“ Fotograf, getrieben von der Jagd nach Motiven und die Sorge um seine Negative, ansonsten stundenlang in der Badewanne treibend), Steinbeck und Capra singen nicht nur das Lied vom glücklichen Aufgehen im Kollektiv. Der zum Teil absurde Bürokratismus, die ständige Bewachung durch Polizisten, vor allem aber auch der Stalinkult werden durchaus benannt.

„Bei öffentlichen Feiern sprengen die Stalinbilder alle Grenzen der Vernunft. Sie können bis zu acht Stockwerke hoch und fünfzig Fuß breit sein. An jedem öffentlichen Gebäude hängen monströse Portraits von ihm.
Wir sprachen darüber mit einigen Russen und bekamen verschiedene Antworten. (…). Eine vierte, daß dies Stalin selbst gar nicht gefällt und er verlangt hat, daß damit aufgehört wird. Doch uns kam es so vor, als würde alles, wogegen Stalin eine Abneigung gefaßt hat, umgehend verschwinden, die Bilder sich hingegen vermehren.“

Eine tiefgehende Analyse und deutlichere Kritik am Stalinismus, während dem Abertausende in den Gulags verschwanden, bietet die Reportage jedoch nicht. Dies darf man von der „Russischen Reise“ nicht erwarten – sie ist, was sie ist: Der Versuch, mit Humor und Ironie die Lebensverhältnisse der Bevölkerung darzustellen. Wo das Wort zuweilen zu spielerisch wird, sprechen Robert Capas Bilder eine umso klarere Sprache.

John Steinbeck zieht im letzten Absatz des Berichts eine durchaus auch selbstkritische Bilanz:

„Uns ist klar, daß dieser Bericht weder für die ekklesiastische Linke noch für die grobschlächtige Rechte besonders befriedigend ist. Erstere wird sagen, er sei antirussisch, und die zweite, daß er prorussisch sei. Ganz bestimmt ist er oberflächlich, und wie könnte er das nicht sein? Es gibt keine Schlußfolgerungen, die man ziehen könnte, außer jenen, daß sich das russische Volk nicht wesentlich von den anderen Völkern dieser Welt unterscheidet. Ganz bestimmt gibt es einige Bösewichte darunter, aber die weitaus meisten sind sehr anständige Menschen.“

Lesenswert als Zeitbericht und unterhaltsam ist die „Russische Reise“ allemal, auch wenn sie, nicht ganz ohne Grund (und nicht nur wegen der politischen Umstände), das Buch Steinbecks blieb, das sich am schlechtesten verkaufte. Der Reisebericht erschien 2011 erstmals in deutscher Übersetzung (Susanne Urban) in der Reihe „Weltlese – Lesereisen ins Unbekannte“, die bei der Edition Büchergilde von Ilija Trojanow  herausgegeben wird.

Robert Capa kam 1954 in Indochina ums Leben. Steinbeck ging Jahre später wieder auf eine ähnliche Reise mit dem Ziel, das Leben der „normalen“ Menschen kennenzulernen: Diesmal in seinem eigenen Heimatland. Und statt des Fotografen in Begleitung eines Pudels: „Meine Reise mit Charley“.

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Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

15 thoughts on “John Steinbeck und Robert Capa: Russische Reise (1948).

  1. Ich habe das hier gefunden:

    Absinthe Suissesse

    This is a classic New Orleans brunch cocktail. Indeed, this version by Chris Hannah of Arnaud’s French 75 is a tasty way to start the day—creamy but light with notes of anise and almond, and a light minty kick.

    1 oz. absinthe
    1/2 oz. Herbsaint
    1/2 oz. white crème de menthe
    1/4 oz. orgeat
    1 fresh egg white (pasteurized if you like)
    1 oz. half and half
    Ice cubes
    Tools: shaker, strainer
    Glass: wine

    Wohlgemerkt: …a tasty way to start the day..;-)

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  2. Robert Capa und Gerda Taro - auch ein Liebespaar, das wunderbare Bilder gemacht hat. Jeder für sich und zusammen waren sie genial. Es gibt einen wunderbaren Roman über die beiden - wenn ich jetzt wüsste wie der heißt?

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  3. Prinzipiell hört es sich gut an. Gerne würde ich die Fotografien sehen. Das Letzte, das ich rezipieren möchte, ist ein naiver, klischeehafter Text über diese Bürger. Deswegen nehme ich lieber Abstand.

    Was die McCarthy-Ära angeht, empfehle ich George Clooneys Film „Good Night, and Good Luck“.

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    1. Was ich im Netz an Fotos aus der Serie gesehen habe, hat mir jedenfalls gefallen. Und ich kann mir nicht richtig vorstellen, dass Steinbecks Text wirklich so flach ist, wie er selber schreibt. Weil die beiden sozusagen „offizielle Besucher“ aus dem Westen waren, wenn auch wohlwollende, wurden ihnen sicher potemkische Dörfer vorgesetzt. Meine Teil-Familie, die damals unter Kommandotur gelebt hat, haben sie sicher nicht besuchen dürfen. Dennoch sprechen die Bilder.

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      1. Ich denke, dass Steinbeck mit seinem Understatement auch erst recht darauf hinwirken wollte, dass man hinter die Potemkinschen Dörfer schaut…und er war so integer, dass er andererseits eben nicht wild spekulierte, sondern schrieb, was er sah - wohlwissend, dass er vieles nicht sehen durfte. Das schätze ich an diesem Text. Und Du hast recht: Die Bilder sprechen eine sehr deutliche, eindrucksvolle Sprache - ich hätte sie gerne hier integriert, aber aus urheberrechtlichen Gründen habe ich das gelassen. Etliche davon sind ja im Netz zu finden. Liebe Grüße, Birgit

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