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Steffen Kopetzky: Risiko (2015)

Bild: (c) Michael Flötotto

“Das erste große Geschäft, das die Welt revolutioniert hat, war …nun?”
Zickler dachte nach, was Helphand zuvor gesagt hatte. Religion - Zucker fürs Volk.
(…)
“Aber Zucker wurde immer billiger. Das nächste große Geschäft musste her.”
Jetzt wusste Zickler natürlich schon, worauf es hinauslief: Opium. (…)
Mittlerweile, so führte Helphand aus, habe sich die Industrie tatsächlich gegenüber der agrarischen Produktion und den Genussmitteln, mit denen einst das große Geld verdient worden war, einen Vorrang erarbeitet. Das Genussmittel der Gegenwart sei etwas anderes: Energie.

Steffen Kopetzky, “Risiko”, Klett-Cotta Verlag, 2015.

Wenn Putin und Obama dieser Tage um die Deutungshoheit im Anti-Terrorkrieg rangeln, so glauben vermutlich nur noch hoffnungslose Romantiker, hier ginge es allein um humanitäre Hilfe für die syrische Bevölkerung und den Schutz westlicher demokratischer Werte. Es geht vor allem um die Stoffe, die das Weltgetriebe schmieren: Macht und Öl.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten: Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten werden der Nahe Osten und die Arabische Welt vom Westen als eine Art riesiges Depot betrachtet. Die Erdölvorkommen und andere Rohstoffe weckten und wecken Begehrlichkeiten. Die Kriege der jüngsten Zeit - wesentlich von wirtschaftlichen Motiven angetrieben - sie sind der Boden, auf denen der Terror wächst. Öl und Macht sind sowohl Motiv und Ziel aller machtstrategischen Planspiele, die die sogenannten Großmächte steuern. Das ist heute so, das war vor einem Jahrhundert so.

buchpreis_blogger_buttonDer Krieg ist die Mutter fast allen Wahsinns: Und so erinnert Steffen Kopetzky in seinem über 700 Seiten starken Roman “Risiko” an ein wahnwitziges deutsch-türkisches Unternehmen, das einige deutsche Soldaten mitten in das “great Heartland” imperialistischer russischer und britischer Politik führen sollte. Noch nie hatten zuvor Deutsche Afghanistan betreten - doch 1914 machte sich ein von Berlin gesteuerter Trupp nach Kabul auf, um von dort aus in einem deutsch-türkischen Bündnis die Völker des zerfallenden Osmanischen Reiches in einem “Dschihad” gegen die Russen und Briten aufzuwiegeln. Was Lawrence of Arabia wenig später gelang - die zerstrittenen Stämme und Völker zu vereinen - endet bei dem deutschen Unternehmen in einem Fiasko.

Die Realität holt die Berliner Planspiele ein: Die Wirklichkeit am Tigris, in der siechenden Stadt Isfahan, in der Salzwüste Kewir und im harschen afghanischen Gebirge ist eben eine andere als das, was sich die Strategen in der wilhelminischen Hauptstadt zusammenträumten. Wobei der Motor dieser wahnwitzigen Operation ein durchaus erfahrener Orientalist war: Max von Oppenheim, der sich unter anderem als Archäologe einen Namen gemacht hatte.

Nicht von ungefähr nannte Kopetzky seinen Roman jedoch auch nach einem Brettspiel, das, wie sich der Kaffeehaussitzer auch in seiner Besprechung erinnert, Mitte der 80er-Jahre vor allem von der männlichen Jugend begeistert gespielt wurde: “Risiko” taucht im Buch als “Großes Spiel” auf, das deutsche und türkische Offiziere fesselt. Der Krieg als Spiel - die Menschen und Einheiten werden zu Figuren, die strategischen Gesichtspunkten geopfert werden.

Geschickt treibt Kopetzky dieses Spielmotiv immer wieder voran, verknüpft die Erzählebene mit historischen Hintergründen, zeigt die politischen und militärischen Verwerfungen auf. Daneben führt er neben seinen fiktiven Hauptfiguren - unter anderem wird das Buch getragen von einem jungen bayerischen Marinefunker und dessen Gegenspieler, einem englischen Spion (der in die Rolle eines indischen muslimischen Prinzen schlüpft, zunehmend Identität sowie Verstand verliert und dabei nicht von ungefähr an den oben genannten Lawrence of Arabia erinnert) - auch historische Personen ein, unter anderem Max von Oppenheim als Stratege ohne Fortune. Der Vater von Albert Camus als algerisch-französischer Soldat hat ebenso einen Auftritt wie ein Verwandter von Robert Musil.

Für Kopetzky spricht, dass er besser als seine Strategen im Buch die Fäden in der Hand behält, die Nebenstränge der Erzählungen gut verknüpft und zusammenführt. Rund zehn Jahre soll der Autor für dieses Buch recherchiert haben - diese akribische Kenntnis über ein Einzelunternehmen in diesem “Großunternehmen” des Ersten Weltkriegs geht allerdings manches Mal auch zu Lasten des Erzählflusses: “Risiko” ist, wie es im Deutschlandradio hieß, ein “pompöses Orient-Abenteuer”, manche “Troddel” an diesem Faktenteppich ist denn aber auch ein wenig zuviel.  An einigen wenigen Stellen braucht man als Leser durchaus langem Atem oder die Geduld eines Wüstenbewohners, um im Bild zu bleiben.

Dennoch: “Risiko” ist ein gut lesbarer Abenteuerroman, hat seine Schmökerqualitäten und bietet einen Einblick in ein politisches Unterfangen, das uns heute wieder berührt - die Namen Damaskus, Aleppo, Kabul, sie prägen wieder unsere Nachrichten. Dass das Buch allerdings nicht von der Long- auf die Shortlist gelangte, ist in meinen Augen verständlich: Bis auf einige Längen durchaus flüssig erzählt, bleibt es sprachlich jedoch auf einer konventionellen Ebene. Und die Deutungsebene hinkt hinter dem Erzählen hinterher - die Figuren bleiben stellenweise eindimensional und blass, die eingebaute Liebesgeschichte ein wenig seicht (und ist im Grunde auch überflüssig), manchmal greift Kopetzky auch stilistisch etwas daneben. Dazu mehr in der Besprechung der “Zeit”, deren Tenor ich jedoch nicht teile: So trocken wie die Wüste ist “Risiko” durchaus nicht - aber eben auch kein Roman, der Leser mitreißen wird, die wenig Affinität zu solchen Themen haben.

count)s Kommentare »

  1. Guten Morgen liebe Birgit!
    Hm,wenn das Buch “einen langen Atem braucht”, dann würde ich mich sicher schwertun mit der Lektüre,obwohl es inhaltlich aktuell und interessant ist. Zum Thema sind mir da Sachbücher lieber, hast Du einen Tipp? LG, Päddra

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  2. ““Risiko” ist ein gut lesbarer Abenteuerroman, hat seine Schmökerqualitäten” - so kam es mir schon bei der Leseprobe im longlist-Bändchen vor.

    Für den Interessierten, der historische Stoff (Araber-Aufstand als Instrument der Machtverschiebung), wird behandelt im kurzen Roman “Greenmantle” von John Buchan (rattling good yarn!), außerdem bei Brian Moore im Roman: “The Magician’s Wife” (sprachlich großartig); und James/Jan Morris schreibt als Historikerin in Ihrer Pax Britannica Trilogie darüber (brilliant).

    In jener Zeit schien die Vorstellung, Zeitläufe mit Massenbewegungen und geheimen Elite-Einheiten lenken zu können, eine allseitige Faszination zu bergen. Vielleicht spuken diese Hirngespinste auch in den Hirnen heutiger Machthaber, aber meines Erachtens entspringen diese Methoden immer der Hybris, und sie bringen nichts als Chaos, Verlust und Leiden. Soweit meine kleine Sonntagspredigt.

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    • Danke für die erweiterten Lesetipps…das Thema an sich ist schon interessant genug, da möchte ich mir irgendwann reinvertiefen.

      Ja, und wie Du schreibst: Diese Strategiespiele, die Hybris, sie führt zu Chaos und Leiden, das sehen wir heute ja wieder: Vieles von dem, was in den Ländern des Nahen Ostens geschieht, ist ja mit verursacht durch solche blutigen “Spiele”.

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  3. War das erste LL_Buch das ich gelesen habe und noch dazu in erschwerten Umständen, in einer Buchhandlung, die ganzen siebenhundert Seiten auf dreimal verteilt, weil sie dort nichts anderes hatten, war natürlich ein besonderes Gefühl, dieganze LL-Lesen Euphorie war auch noch da und Steffen “Kopetzky” ein Autor, von dem ich noch etwas gehört hatte.
    Das Thema, erster Weltkrieg ist für an sich sehr interessant, im letzten Jahr habe ich mich auch damit beschäftigt, trotzdem war es wahrscheinlich nicht “mein Buch”, weil dazu wohl zu sehr aus der männlichen Sicht geschrieben, habe ich ja auch den Karl May nicht gelesen.
    Aber es ist sehr kunstvoll mit den verschiedensten Anspielungen aufbereitet, Coca Cola kommt vor und eine unheimliche Belesenheit, die Biene Maya der Vater von Camus, etcetera, also eine spannende Spurensuche in eine spannende Zeit und ein kleines Rätsel gibt es auch darum, wenn ich mich nicht irre, stand auf der Rückseite Buches, etwas vom zweiten Weltkrieg, in dem Exemplar, das ich dann bekommen habe, war das weg, Irrtum oder Täuschung, also auch ein kleines Risikospiel https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/29/risiko/

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  4. Ach, ein Abenteuer-Schmöker, das könnte mich jetzt durchaus reizen. Aber irgendwie lese und blogge ich zu langsam - aber kommt trotzdem auf die Liste. Dir noch viel Spaß oder Durchhaltevermögen bei eurem Projekt. Bin gespannt, wie es dir im Abschluss damit geht. So eine Liste abzuarbeiten, die sich ja doch etwas von deinen sonstigen Leseprojekten unterscheidet. LG; Anna

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    • Liebe Anna, ich hoffe, dass es sich nicht zu sehr nach “Liste abarbeiten” liest, was ich hier treibe - aber es ist schon so, dass ich meine sonstigen Leseschwerpunkte hintangestellt habe. Einerseits war das jetzt schon eine Horizonterweiterung und Kennenlernen neuer Namen,andererseits haben sich auch einige Vorbehalte bestätigt (Befindlichkeitsliteratur). Vielleicht schreibe ich noch ein Fazit. Der Kopetzky ist auf jedenfalls thematisch reizvoll - zumal einer meiner Lieblingsfilme Lawrence of Arabien ist.

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      • Nein, keine Sorge, deine Texte klingen nicht nach “Liste abarbeiten”, auch wenn du bisher, wenn ich das richtig in Erinnerung hab, noch nicht so hinreißend hingerissen warst wie bei manchen deiner anderen Lektüren :-) Ich habe es inzwischen gänzlich aufgegeben, mir thematische Schwerpunkte zu setzen. Nicht, weil ich das nicht sinnvoll fände, sondern weil ich es inzwischen so genieße, komplett sprunghaft zu entscheiden, was ich als nächstes lese. Deswegen habt ihr alle meinen Respekt, dass ihr das so macht und uns damit eine prima Entscheidungsgrundlage liefert. Also: Kräftiges Dankeschön!

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      • Liebe Anna, Dein Eindruck täuscht nicht: Von den bisherigen dbp-Büchern war ich noch nicht vollständig überzeugt - aber vielleicht lege ich da auch besonders hohe Maßstäbe an, alldieweil es ja letzten Endes darum gehen soll: Welches ist (einer) der herausragenden Romane des Jahres? ABER: MEINEN Favoriten habe ich schon, den bespreche ich als letztes. Und Dank für Deine netten Worte an mich und die sechs weiteren Buchpreisblogger: Ja, ich glaube auch, wir tragen zur Meinungsbildung bei durch unsere Leseeindrücke. Und letzten Endes, bei allen Kriterien die man anlegt - es zeigt sich doch: Ausschlaggebend ist der persönliche Geschmack. Danke Dir!

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  5. Also, jetzt weiß ich immer noch nicht, ob ich das Buch lesen soll. Historische Schmöker sind eigentlich mein Ding. Aber wenn es sprachlich so grauslig ist wie z.B. Eschenbach mit seinem “Blackout”… Ich war ganz begeistert von Florian Ilies “1913” Aber das auf 700 Seiten ist wohl schwer durchzuhalten. Bleiben mir wohl nur die erwähnten Briten (danke Schröersche!) oder einfach mal in den Buchladen gehen und reinlesen. Lange nicht mehr gemacht.

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  6. Dieses Buch ist einer meiner Favoriten des Jahres. Eine sehr ansprechende Thematik und Fakten und Fiktion für mich sehr gekonnt und kurzweilig zusammengeführt. Zugegeben sind Sprache und Herangehensweise konventionell, aber das muss ja nicht gegen das Buch sprechen. Ich fand es jedenfalls erfreulich, dass dieser Roman es neben der ganzen “Befindlichkeitsliteratur” (schönes Wort) auch auf die Longlist geschafft hat.

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    • Lieber Gunnar, die konventionelle Erzählweise spricht nicht gegen das Buch - sondern es passt ja auch zur Thematik. Nur für den Buchpreis hat mir, wie schon unten kommentiert, der “letzte Kick” gefehlt, der es zu einem wirklich herausragenden Buch macht. Aber unterhaltsam und gut zu lesen war es allemal.

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  7. Bei mir stehts im Regal und wird gelesen werden … Risiko, das Spiel ist auch in einem anderen Buch wichtig, dass von der Zeit erzählt, als in Argentinien viele Menschen einfach spurlos verschwanden … Kamtschatka heißt es, nach der unwirtlichen Gegend, in die man sich im Spiel zurückziehen konnte und damit auch gewinnen … wenn die Lage auch schon fast hoffnungslos war. Da ich Kamtschatka (das Buch) großartig fand, muss ich den Schmöker Risiko lesen … LG, Bri

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  8. Liebe Birgit, danke für die schöne Vorstellung, auch wenn du noch nicht so hingerissen warst, wie bei selbstgewählter Lektüre (wie es oben so schön im Kommentar steht), war sie sehr interessant zu lesen. Ich habe gerade nicht “den langen Atem oder die Geduld eines Wüstenbewohners” (was heisst gerade - eigentlich nie :-) ) deshalb arbeite ich mal lieber meine persönliche Liste ab (die aber so ziemlich unter dem Einfluss deines blogs stand :-) )
    Herzliche Abendgrüße von
    Birgit

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      • Guten Morgen, liebe Birgit! Na, bei mir ist es immer nur reinstes Vergnügen - die Arbeit hattest ja du vorher - ich muss nur aus der (überquellenden) Fülle der verlockenden Empfehlungen wählen :-)
        Ich wünsche dir einen schönen Tag mit dem einen oder anderen Datschi zwischendurch ;-) ich begnüge mich derweil mit der regionalen Schecke…

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  9. Ich hab ja eine Affinität zu diesen Themen und werde mal schauen, ob ich bei meinem nächsten Deutschlandbesuch an einer Buchhandlung vorbeikomme, um mich mal ein bisschen reinzulesen. Bei historischen Romanen ist es schon sehr wichtig, dass man den Schreibstil gut findet. Da verzeihe ich auch ein paar überflüssige Troddeln. Einen lieben Gute-Nacht-Gruß an Dich, Peggy

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      • Ach, Du weißt doch, gegen ein bisschen #VerschämteLektüren habe ich nichts einzuwenden. Aber der Schreibstil muss mir zusagen. Deshalb würde ich so ein Buch auch nie kaufen, bevor ich es angelesen habe. Ich bin nächstes Wochenende auf einen Sprung in Deutschland, weil ich den Kleinen Entdecker für die Herbstferien zu seinen Großeltern bringe. Sollte ich Gelegenheit haben, das Buch mal in die Hand zu nehmen, lass ich Dich wissen, wie mein Urteil ausfiel. Lieben Gruß, Peggx

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