Kai Weyand: Applaus für Bronikowski (2015)

Bild: (c) Michael Flötotto

„Hallo, Ihr sorgenvollen Lebenstraumerfüllte,
Um mich müsst Ihr euch keine Sorgen machen. Ich lebe meinen Traum. Ich arbeite mit Abraham Lincoln zusammen, und ich halte ihn für echt. Er ist ein Untoter. Früher kämpfte er gegen die Starrköpfigkeit der Südstaaten, heute gegen die Leichenstarre der Toten. Ich helfe ihm, sie wieder geschmeidig zu machen. Eine Kleinwüchsige und ein Kasache sind auch mit von der Partie. Es gibt verdammt viele Tote. Sie kommen von überall her. Aus der ganzen Welt. Unser Arbeitgeber ist sehr demokratisch. Er macht keine Unterschiede zwischen reich und arm, alt oder jung, männlich oder weiblich, schwarz oder weiß, Muslim oder Christ, alles egal. Alle landen sie bei uns. Tägliche rieche ich den Duft der weiten Welt. Herrlich. Dafür muss ich nicht einmal nach Kanada oder London. Mein Traum ist direkt hier um die Ecke. Demnächst organisiere ich eine Seebestattung. Ein Geheimauftrag, darf niemand von wissen, nicht mal der Bruder, das wird bestimmt ganz toll. Heute habe ich jemanden zusammengeschlagen, das war auch toll. Der meinte, ich sei nekrophil. Ich denke nicht, dass er recht hat.

NC
Executive Funeral Management
Operator Worldwide

Kai Weyand, “Applaus für Bronikowski”, 2015, Wallstein Verlag

buchpreis_blogger_buttonNach dem ersten Longlistlesen – Ralph Dutli (akademisch-anstrengend) und Valerie Fritsch (apokalyptisch-bedeutungsschwanger) kam dieses Buch zur rechten Zeit. Ja, auch so kann die neue deutsche Literatur sein! Da schreibt einer einen kleinen Roman über die großen Fragen des Lebens – dessen Sinn, das Leben vor und nach dem Tod, die Würde über das Lebensende hinaus – voller skurriler Ideen, echter Typen, liebevoll beschriebener Charaktere und einer mitreißenden Handlung. Hut ab! Oder vielmehr: Applaus – wenn auch ein etwas zurückgenommener. Ganz ohne Mäkelei geht es denn doch nicht.

Applaus für: Diese herrlich absurde, groteske „Initiationsgeschichte“ (dies Etikett wurde dem Roman in den Feuilletons gegeben – wobei ich mich frage, ob dies auf den Entwicklungsschub eines 31jährigen tatsächlich noch passt?). Egal. Jedenfalls ist es Kai Weyand gelungen, mit dieser Erzählung über Halbtote, Untote und sehr tote Menschen eine lakonische Leichtigkeit zu transportieren – und das ist auch schwere Kunst. Im Mittelpunkt seines Romans steht Nies: Ein eigentlich gescheiterter 31jähriger, der sich von Job zu Job hangelt, gerade (wohl wieder) eine Beziehung hinter sich gelassen und wenig Perspektiven vor sich hat. An seinem Geburtstag ist ihm klar, dass „der Kurs seiner Lebensaktie wohl wirklich auf Ramschniveau gesunken ist.“ Andere – so der lebensoptimierte Banker-Bruder in London – würden dynamisch-effizient-energisch die Krise beim Schopfe packen. Das ist jedoch nicht die Sache des Protagonisten: Jener verharrt, seit seine Eltern ihn und den älteren Bruder als „Aufpasser“ zurückließen, um sich zwecks Erfüllung ihres Lebenstraums gen Kanada aufzumachen, in der Trotzhaltung eines Verlassenen. Das kindliche Trauma wird konserviert, allenfalls bricht es sich in gelegentlichen harmlosen Gewaltausbrüchen Bahn – Nies setzt Statements, indem er Eier gegen Häuserwände klatscht. Und sich konsequent allen bürgerlichen Bahnen verweigert. Nomen est omen: Auch als 31jähriger nennt sich Nies konsequent noch „NC“ = No Canadian.

Beim letzten gemeinsamen Essen am Abend zuvor verkündete Nies, dass er seinen Namen ablege und sich ab sofort NC nenne. Das C werde englisch ausgesprochen.
Und was soll das bedeuten?, fragte seine Mutter.
No Canadian, antwortete NC.
Bernd verdrehte die Augen und schüttelte genervt den Kopf.
Sein Vater schaute ihn lange an. Schließlich räusperte er sich und sagte: Find ich gut, dass du kreativ mit der Situation umgehst.
Dann waren sie weg.

Dieser kurze Ausschnitt zeigt die Stärken und Schwächen dieses Romans: Kai Weyand schreibt szenisch, bildhaft, lebhaft – aber die Sprache, wenn auch dem Thema „Initiation“ angemessen, ist nicht immer literarisch ausdrucks- oder gar anspruchsvoll.

Im Grunde ist dieser Nies, der sich in seiner Verweigerungshaltung durch das Leben und die Straßen der Stadt treiben lässt, der kleine Alltagsbeobachtungen macht und genießt, der aufmerksam und liebevoll die Dinge am Wegesrand registriert, aber im Zusammentreffen mit Menschen seine Schwierigkeiten hat, im Grunde ist das ein Genazino-Typ, wenn auch bedeutend jünger als dessen letzte Helden. Und was dem Autoren (noch) fehlt im Vergleich zum Frankfurter Flaneur: Dieses eigenwillige, typische Spiel mit Wörtern, die Wortneuschöpfungen, die jeden Genazino prägen. Ansätze sind vorhanden, ist Nies doch einer, der ständig über die Sprache, über Wörter und ihre Bedeutungen philosophiert:

Er blieb stehen, obwohl er glaubte, in der Holpenstraße etwas Erfreulicheres entdecken zu können als ein Bestattungsinstitut. Aber er blieb stehen und bemerkte, dass Tod ein einsilbiges Wort war. Das gefiel ihm. Komplizierte Dinge bestanden aus mindestens zwei Silben, das Wort Liebe zum Beispiel. Noch schlimmer: Liebesverhältnis. Zwei Hauptwörter, zusammengesetzt, fünf Silben. Wahnsinn.
Tod.
Drei Buchstaben. Absolut ausreichend. Kaum mehr als die Mindestanzahl für ein Hauptwort. Mehr Buchstaben oder gar ein mehrsilbiges Wort wären geradezu geschwätzig für ein Ereignis des Verstummens, um das es sich ja handelte.

Wo Nies alias NC über den Tod und das Verstummen philosophiert, da ist auch der Ort, an dem der Roman so richtig Fahrt aufnimmt: Kurz entschlossen bewirbt sich der Spaziergänger um eine Stelle in einem Bestattungsinstitut – die Arbeit mit den Toten wird zur Stelle seines Lebens. Zwar scheitert Nies in einem Sinne auch hier – zu kreativ sind seine Vorstellungen bei der Umsetzung letzter Wünsche, eine symbolisch gemeinte Seebestattung geht buchstäblich unter – aber als Mensch reift er, wird „erwachsen“, erwacht aus seinem Dämmerzustand. Bis es soweit ist, überrascht Kai Weyand mit ungewöhnlichen Typen, anrührenden Szenen – so wird Nies der „Beschützer“ eines gemobbten Schuljungen und verguckt sich in eine „BäckereiFACHverkäuferin“ – und absurden Situationen, unter anderem bei der Abholung der Leiche des alten Bronikowski. Ein Wermutstropfen: Manches, beispielsweise die Witze mit der kleinwüchsigen Bestattergattin, geraten nah an den Klamauk, sind etwas platt.

Ansonsten aber: Ein wunderbar leichtes Buch, das wohl nicht lange auf eine Verfilmung warten muss – geradezu eine Vorlage für eine der neueren deutschen Komödien. Ein leichtes Buch über die schweren Fragen, über die letzten Fragen – aber wohl kein Roman für die Ewigkeit. Dennoch: Auf das nächste Buch dieses Freiburger Autoren freue ich mich jetzt schon. Wunderbare Unterhaltung.

Kai Weyand, „Applaus für Bronikowski“, Wallstein Verlag.

Mit Dank für das Besprechungsexemplar.

Auf der Longlist beim Deutschen Buchpreis, auf der Leseliste der Buchpreisblogger und auf der Hotlist der Unabhängigen Verlage.

Hier hält der Kaffeehaussitzer auf dem Laufenden, welche Bücher der Longlist von den Buchpreisbloggern bereits besprochen wurden.

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Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

28 thoughts on “Kai Weyand: Applaus für Bronikowski (2015)

  1. Ja, das mit dem Klamauk und der Komik hat mir auch etwas zu schaffen gemacht, wobei ich die kleinwüchsige Bestattergattin eher als Canettieske-Figur verstanden habe, da hat mir mehr die Stelle, die zum Titel führte, mißfallen, der Treppensturz, absolut unnötig, da ruft er den Chef an, sagt „Wir brauchen Sie!“ und es stimmt schon wieder mit der Würde, wäre aber vielleicht nicht ganz so lustig!
    Ansonsten würde ich auch sagen, fast das beste Buch, von https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/09/04/die-liebenden-von-mantue/
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/29/risiko/
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/25/eins-im-anderen/
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/22/aberland/den sieben, die ich bis jetzt gelesen habe, ein heißer Tip, auf den ich ohne las LL-Lesen nicht gekommen wäre, denn ich habe Key Weyand bis jetzt nicht gekannt.
    Allerdings hat mir das Switters-Buch auch sehr gefallen und das der Alina Bronsky, die Valerie Fritsch muß ich noch lesen.
    Jetzt habe ich gerade den Trojanow ausgelesen und der steht ja, glaube ich, auch auf Ihrer Leseliste.
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/28/applaus-fuer-bronikowski/

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    1. Ja, der Trojanow steht noch an. Was ich jedoch bislang sagen kann zu den gelesenen Büchern: Sie sind kaum vergleichbar, von daher ist eigentlich eine Auszeichnung für „den besten Roman“ (das darf man ja eh nicht überbewerten) auch kaum zu treffen.

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      1. Habe ich auch nie behauptet, daß es den besten Roman dann Anfang Oktober gibt, was ich aber an diesem dichten Longlistenlesen, was ich bisher ja auch noch nie so gemacht habe, spannend finde, ist genau diese Unterschiedlichkeit und das finde ich eigentlich das Tolle an dieser Longliste, der genau aus Archivakten recherchierte Roman vom Trojanow, ich sag das jetzt mal so, neben den zwei bis drei sehr poetisch bis poetisch realitstischen Texte, der kleine Roman der Alina Bronky der sicher seine Leser findet, bis hin zum künstlich hochstilisierten vom Dutli, von dem ich mich nicht wundern würde, wenn der auf der Shortlist steht.
        Sehr spannend dieses Longlistenlesen, wie ich das dann aber mit dem Setz und seinen tausend Seiten machen werde, der heute im Morgenjournal vorgestellt wurde, ist mir ein Rätsel, mag sein, daß ich da dann passe und mir das Buch wirklich zu Weihnachten schenken lasse, viele Grüße aus Wien und die politischen Einsprengsel gefallen mir sehr

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  2. Ich habs auch heute gelesen - das war auf jeden Fall das absolute Gegenprogramm zu Ralph Dutlis „Die Liebenden von Mantua“. Kaum zu glauben, dass die beiden Texte aus dem gleichen Verlag kommen, aber vielleicht war genau das die Strategie von Wallstein😉

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  3. Schon wieder bei mir und bei Dir die gleiche Lektüre!🙂 Und diesmal sehen wir die Sache recht ähnlich. Ich fand es auch fast durchgehend sehr unterhaltsam, die Wortspielereien haben mir auch gut gefallen und einige Stellen waren mir fast ein wenig unangenehm, Stichwort Bronikowski.🙂 Und den Anfang, die Erklärung über den Weggang der Eltern, der war mir irgendwie zu konstruiert und auch zu schnell abgehandelt.

    Bin schon gespannt, wie Dein Longlistlesen weitergeht!

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      1. Ja, das erklärt sich dadurch, das habe ich auch so empfunden. Aber die Art und Weise war mir zu unglaubwürdig und eben zu konstruiert, das hat mich am Anfang gestört. Ich fand diese Eltern so desinteressiert und es schien ja auch nicht so zu sein, als hätte der Protagonist eine unglückliche Kindheit gehabt, dann wäre das rund gewesen, so war ich anfangs irritiert. Aber das hat sich ja gelegt.

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      2. Ich meine schon, dass es solche Eltern gibt: Die einerseits zwar materiell für ihre Kinder sorgen, aber wenig Empathie haben und vor allem ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen. Das ist zwar überspitzt dargestellt, aber nicht unrealistisch - und ich denke Weyand, der glaube ich auch als Lehrer im Strafvollzug tätig war, wird solche Biographien vielleicht sogar aus dem echten Leben kennen.

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    1. Schon zwei, die sich an der Sargszene stoßen…ich fand sie etwas merkwürdig, fast zu slapstickartig, aber dann wiederum auch „rund“: Es musste ja etwas Seltsames passieren, sonst wäre es auf ein eindeutiges Happy-End zugesteuert: Er auf ewig im Bestattungsgeschäft und dann vielleicht sogar in den Fängen der Bäckereifachverkäuferin. Der rutschende Bronikowski auf der Treppe war so etwas wie der symbolische Ausstieg aus dem Beerdigungswesen…
      Das mit den Eltern: Etwas konstruiert vielleicht, aber als Einstieg doch auch witzig. Ausführlicher hätte es meiner Meinung auch nicht erklärt werden müssen: Es ist nur die „Basis“, die eigentlich gut darauf hinführt, warum Nies ein wenig ein trotziger Aussteiger ist.

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  4. Also gut, die zweite Rezi … die mich fast zwingt, das Buch … irgendwann … zu lesen. Ihr macht mich fertig🙂 - Seren und Birgit im Doppelpack. Aber wahrscheinlich ist das nur die Rache, gell Birgit ;))) Nein. Sehr schöne Rezension, die einlädt, sich selbst ein Urteil zu bilden. Bin gespannt, ob es das Buch auf die Shortlist schaft.
    LG,
    Bri

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    1. Liebe Bri,
      tja, das ist ja der perfide Plan meines Longlistlesens: Dir viele Bücher auf den SUB zu knallen🙂 Quatsch, jetzt im Ernst: Ich könnte mir schon vorstellen, dass Dir dieses Buch gefällt. Was auf die Shortlist kommt, da könnte ich jetzt schon so eine Wette abschließen (ohne die Bücher gelesen zu haben). Aber ich tu`s nicht🙂

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      1. Schade😉 Ich tippe, dass Bronikowski es eher nicht schafft, bei den Liebenden von Mantua könnte ich es mir schon vorstellen.

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      2. Ich kanns mir eigentlich bei beiden nicht vorstellen…weniger wegen der literarischen Kriterien, sondern ich denke, dass auch anderes mithereinspielen wird: Zeitgeist, Politik, Signale setzen und vielleicht auch die Prominenz des Autoren, der Autorin. Lassen wir uns überraschen….

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      3. Ich wusste es doch … es steckt ein Plan dahinter😉 Ich bin auf die Schortlist gespannt, könnte aber wettern, dass dieses Buch nicht darauf sein wird … aber wer weiß😉 LG und der SUB wird anwachsen, da mach ich mir keine Illusionen mehr …

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  5. Hallo Birgit, das ist mal so ein Fall, wo mir deine Besprechung besser als das Buch selbst gefällt🙂. Schon sehr unterhaltend, mit netten Ideen, und doch dieser konstruierte, unglaubwürdige Einstieg, an dem ich mich auch gestört habe. Und jetzt eine Woche später stelle ich fest, es blieb nichts haften. Rauschte anscheinend nett an mir vorbei, ohne einen nennenswerten Eindruck zu hinterlassen.
    LG, Anna

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    1. Liebe Anna,
      hätte es der Herr Hund nicht angeführt, so könnte ich es jetzt sagen. Was soll`s, ich sag es trotzdem: Es ist eben ein klassisches Flutschbuch. Aber ganz ehrlich: Nach den letzten zwei Büchern, v.a. dem Endzeitgeraune von Valerie Fritsch, das sprachlich herausragend ist, aber fast tooooo much, da tat mir dieses leichte Buch richtig gut. Ich genieße es, einfach auch mal skurril unterhalten zu werden🙂 Eine höhere Erwartung darf man daran (also an dieses Buch) nicht stellen.

      LG Birgit

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  6. „Endzeitgeraune von Valerie Fritsch, das sprachlich herausragend ist, aber fast tooooo much“ - genau das will ich herausbekommen. Bei der Leseprobe war bei mir bisher angekommen, dass Fritsch „sprachlich herausragend ist“. Es verschlug mir beinahe den Atem. Mal gucken, wie das Ganze wirkt. Spannend.

    Insgesamt: Dein Senf zu den longlist Büchern ist gut.

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