Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua (2015)

Amors Pfeil traf leider nicht ins Schwarze: Die Liebe in Zeiten von Mantua ließ mich beim Lesen eher kalt.
Amors Pfeil traf leider nicht ins Schwarze: Die Liebe in Zeiten von Mantua ließ mich beim Lesen eher kalt.

„Und bestimmt ruft dein Phantasma des liebenden Steinzeitpaares nach einem Roman, nicht wahr? Wie wär´s mit Die Liebenden von Mantua? Klingt auch in anderen Sprachen gut: The Lovers of Mantova oder Les Amants de Mantoue. Und dann werden dir natürlich die Mantuaner dankbar sein für Gli Amanti di Mantova. Sie werden dir lastwagenweise ihre trockenen, aber schmackhaften Torten schicken, du hast sie wohl noch nicht probiert, diese Erzeugnisse mit dem mürben Namen Sbrisolona.“

Ralph Dutli, „Die Liebenden von Mantua“, 2015, Wallstein Verlag.

Selbstreferentielle Bezüge, Sprachspielereien, Perspektivwechsel, Metaphorisches beinah auf jeder Seite, Alliterationen schon am Frühstückstisch:

„Märchenhaftes Mandelhörnchen trifft sakralen Espresso.“

Ralph Dutli zieht in diesem, seinem zweiten Roman, alle Register seines sprachlichen Könnens. Der Übersetzer von Ossip Mandelstam und Marina Zwetajewa, der Essayist und Lyriker, ist augenscheinlich sprachverliebt und hochgebildet. Und hatte sich für sein Buch augenscheinlich viel vorgenommen.
Zu viel?

Die Liebe über den Tod hinaus: Eine romantische Idee. Die Vorstellung wurde befeuert, als 2007 in der Nähe von Mantua ein Steinzeit-Paar in inniger Umarmung gefunden wurde. Die Wissenschaft holt im Roman die Romantiker auf den Boden der Tatsachen zurück: Die Beiden waren wohl getrennt bestattet worden und dann schlicht und einfach nur ineinander gerutscht. So kann es gehen mit romantischen Ideen – und so kann es auch gehen mit einem philosophisch-kunsthistorisch angehauchtem Buch über die Liebe: Sie lösen einen Erdrutsch, ein Erdbeben aus und scheitern, wenn es schlecht läuft, an ihrem eigenen Konzept.

„Der Wirklichkeit selbst sind die Pferde durchgegangen. Sie selbst hat die Zügel schießen lassen. Jetzt soll sie sehen, wie sie weiterkommt. Sie hat sich vergaloppiert.“

Mein Eindruck: Beim Schreiben vergaloppierte sich die Phantasie dieses sprachmächtigen, zur Poesie begabten Autoren mit seiner Leidenschaft für Kunst und Kultur. Er ver-fabulierte sich. Das Buch will alles sein: Liebesroman, Erzählung einer Männerfreundschaft, Kriminalgeschichte, kunsthistorisches Essay. Und so verheddern sich die Handlungsstränge und Parallelerzählungen, wird realistisches Erzählen und jenes aus der Traumperspektive vermischt, blieb bei mir am Ende vor allem ein Eindruck zurück: Mantua wäre mal `ne Sache für eine Kulturreise.

„Was für eine hirnrissige Komödie!“

seufzt Raffa, der Erdbebenforscher, bei der ersten zufälligen Wiederbegegnung mit seinem langjährigen Freund, dem Schriftsteller Manu, anno 2012 in Mantua. Der Ausruf bezieht sich auf Manus Spiel mit Identitäten – für jeden neuen Roman legte er sich eine neue zu. Solange, bis er hinter diesen verschwindet – auch in „Die Liebenden von Mantua“ bleibt er blass, bleibt vieles blass, die Erkenntnis nur: Getrieben sind sie alle von der Liebe.

Manu verschwindet (im Roman) denn auch tatsächlich: Gekidnappt ebenso wie das Steinzeitpaar von einem sinistren Conte, der eine „Religion der Liebe“ begründen will, deren schriftlichen Grund Manu legen soll. Der Conte: ein Blaubart, mehrfach geschieden, die letzte Geliebte unter mysteriösen Umständen ermordet. Raffa bändelt derweil mit der mysteriösen Lorena an, Hotelangestellte und Fachfrau für die neolithische Kunst Maltas. Deren Schwester wiederum beim Conte arbeitet – und beim Versuch, Manu und das Steinzeitpaar aus den Fängen des Conte zu erlösen, von dessen Hand mit einem Pfeil (nicht Amors`) getötet wird. Manu überlebt.

Was sich in der ironischen Verkürzung wie eine etwas hanebüchene, sprich hirnrissige, Detektivkomödie liest, hat durchaus mehr Substanz: Da treten die „Sleeping Lady“ von Mantua, Vergil, der Maler Andrea Mantegna auf, da werden ganz nebenbei etliche Epochen der Kunstgeschichte erläutert und entblättert, da wird ein Motiv – die Liebe – nicht nur über Epochen, sondern über ganze Zeitalter hinweg verknüpft. Raffa und Lorena beim Besuch im Palazzo del Te:

„Renaissance ist Überbietung, die Erweiterung aller Grenzen, sie glaubten wirklich, sich alles erlauben zu können, Guilio wollte das lebendige, farbige Fleisch, Mantegnas strenge antike Statuen sollten verblassen, nur bewegte Muskeln und wippendes Gewebe zählten jetzt, schwingend, federnd, tanzend, lockend, bis zum schieren Bildwitz, an der Grenze zur Karikatur, Guilio Pippi hat seine vatikanischen Liebesgraffiti keinesfalls vergessen.“

buchpreis_blogger_buttonEs ist, als sei auch Ralph Dutli ein Renaissance-Mensch, der in diesem Roman alles überbieten will, der die Grenzen erweitern möchte, alles an Wissen über Mantua und seine Geschichte in eine schwingende-federnde Sprache packen will. Nur schade, dass diese geballte Wucht des Wissens die Leichtigkeit des Sujets beinah erdrückt. Die Liebe, das eigentliche Motiv, der Antrieb schon der Steinzeitmenschen, der auch den homo sapiens immer noch umtreibt, sie wirkt in diesem Roman mehr und mehr seltsam versteinert. Man wünschte sich die Leidenschaft und Sinnlichkeit, die Romeo in seinem Mantuaer Exil umtreibt.

„Nichts ist schwerer als leicht zu sein.“

Das sagt sich der verliebte Raffa. Für mich auch ein Programm für diesen Roman. „Man begreift, „Die Liebenden von Mantua“ sind auch ein gewitzter und intelligenter Kunstreiseführer“, hieß es in einer Besprechung in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 27. August. D`accord. Nur: Eben auch mit der Sinnlichkeit eines Baedeker, erotische Metaphorik erstickt unter fast schon barocken Wortkaskaden:

„Er sah sie schlafen, nackt oder mit dem ironischen Hauch eines Höschens, Anmut des Schlafs, ihre eine Hand zwischen den Erdbeerhügeln, die andere unter den Kopf oder unters Kissen geschoben, er muss an die Sleeping Lady denken, aber Lorena ist nicht die neolithische Statuette, die auf die Ankunft der göttlichen Botschaft wartet, eher zierlicher Meteorit, der dem Morgenlicht entgegendöst, um aufzuschrecken und an die Arbeit zu eilen. Er weckt sie zart, indem er mit angewärmten Fingerkuppen über ihren Rücken gleitet und versucht, sie nicht zu kitzeln. Was heißt Haut nicht alles.
Kätzchenritual morgens vor dem Aufbruch. Aprikosenwäldchen. Listige Reibgeräusche, unsichtbares Frühstück des Ohrs. Er wollte sein Erdbeben nicht vergessen. Sie musste gehen. Weinbergpfirsich, Limette. Sie duftete nach diesem ungläubigem Rätsel.“

Ungläubiges Rätsel? Nichts ist schwerer als leicht zu sein. Und offenbar nichts schwerer, als leicht über die Liebe auch in Zeiten der Schwere und der Steinzeit zu schreiben…

Ralph Dutli, „Die Liebenden von Mantua“, Wallstein Verlag

Auf der Longlist beim Deutschen Buchpreis und auf der Leseliste der Buchpreisblogger.

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26 thoughts on “Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua (2015)

  1. Das Buch habe ich vorige Woche auch gelesen, Besprechung folgt am Freitag, ein bißchen zu überhöht und zu unrealistisch habe ich diesen Gang durch das Renaussance-Italien empfunden, dem verrücktne Comte mit den Bodyguards, all die Träume und die Metaphorik, aber man erfährt viel von der Athmosphöre und der Geschichte Italiens, in dem es ein kleines bißchen vielleicht auch wirklich noch so ist, wahrscheinlich ein Fall für die Shortlist, mal sehen ich bin gespannt und habe mich mit dem anderen „Wallstein- Buch“, dem Kay Weyandhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/28/applaus-fuer-bronikowski/, glaube ich, besser angefreundet

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  2. Ich lese das Buch gerade, bin ungefähr bei der Hälfte und empfinde es ganz anders, mir gefällt es bisher sehr. Ob sich das noch ändert?🙂 ich mag seinen Stil, den Mix, den ich bisher sehr gekonnt umgesetzt finde… Die ganze Atmosphäre im Roman nimmt mich bisher total gefangen. Immer wieder interessant, wie unterschiedlich das gleiche Buch bei den Lesern ankommt!

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    1. Die Sprachgewalt von Ralph Dutli ist unbenommen (aber „subtil“, wie ich las, fand ich sie nicht). Ich hab zwei Hauptkritikpunkte am Buch:
      1. Die Handlung hinkt weit hinter der Sprache hinterher. Konsequenter und moderner wäre es denn gewesen, ganz auf eine Erzählung zu verzichten oder von dieser Genrevermischung zu lassen…
      2. Ein Konservatismus, der mich etwas an Martin Mosebach erinnert, es drängt das Bildungsbürgertum durch alle Zeilen, da winkt mir auch ein zweiter Peter Härtling entgegen - das ist einfach so eine Art der bildungsbürgerlichen Behäbigkeit beim Beschreiben von Emotionen, die mir nicht so sehr zusagt.

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      1. Ich bin ja noch nicht durch, ich denke, gerade was die Handlung angeht, muss ich mal abwarten. Behäbig wirkt es nicht auf mich, aber das ist wohl einfach Geschmacksache.

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      2. Gerade noch ein passendes Zitat in einer schönen Besprechung gefunden: „Am Ende gibt es Morde, Befreiungen und Verhaftungen, aber das ist dann doch zu viel «Realismus des Unwahrscheinlichen». Niemand kann so geistreich und elegant über Mantua und Mantegna, Giulio Romano, den Pornografen des Vatikans, und den «permanent patenten» Vergil plaudern: Dutli ist ein wunderbarer Cicerone und grossartiger Essayist, aber definitiv nicht der Dan Brown der italienischen Renaissance.“ Könnte Dir gefallen: http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/in-den-erdbebenzonen-des-lebens/story/10279877

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  3. Liebe Birgit,
    mich hat dieses Buch leider auch nicht überzeugt. Dabei hätte es so anregend sein können angesichts dieses Bogens von der Steinzeit zur Renaissance zur Gegenwart, Kunst, Archäologie, Religion, Liebe … Aber es ist von allem zu viel. Und die Sprache: manche Sätze zu simpel, andere überfrachtet, die Dialoge zwischen Manu und dem Conte zu gestelzt. Ach, ich war enttäuscht.

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    1. Liebe Petra,
      da hatten wir denselben Eindruck: Gestelzte Dialoge, artifiziell. Und von allem ein bißchen zuviel des Guten. Die Verniedlichungen „Streichelbrettchen“, „Zupfblättchen“ für Smartphones und Tablets…das fand ich auch etwas albern. Mich hat das Buch ebenfalls enttäuscht.

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  4. Gestern lag es in der Post und ich habe nur kurz quergelesen freue mich schon auf die weitere Lektüre, es wird die Erinnerung an mottenpulvergeruchdurchtraenkte naechte wecken, denn aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit benutzen das fast alle hotels dort reichlich

    Ich bin gespannt auf meinen leseeindruck , lg karin

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    1. Ja, ein Italienfeeling bekommt man schon bei der Lektüre, inkl. Mottenpulvergeruch…aber wie in der Rezension beschrieben: Als kunsthistorisches Essay wäre es okay, ein packender Roman ist es meiner Meinung nach nicht…aber lass Dich nicht von mir erschrecken…Viele Grüße, Birgit

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      1. Liebe Birgit,

        für mich bot dieser Roman nur ein leserisches Wiederauffrischen früherer Reiseeindrücke und deren vorbereitenden Lektüre, weil ich eben nicht zu den Bildungsbürgern zählte und mir all mein Wissen mit dem Peterich angelesen habe, den ich noch heute uneingeschränkt für Reisen nach Italien empfehle, es gibt für mich keinen besseren Cicerone zu Italiens Kunstschätzen, seinen Dichtern, der Natur usw. Mir haben beim Dutli die vielen Wiederholungen nicht gefallen, sie ermüdeten und zu Manu und Raffa sprang kein Funken über, sie waren für mich zwei Schachbrettfiguren, die um das Kunsthistorische herumgeschoben wurden.
        Mir haben Deine Assoziationen zu Mosebach und Härtling gefallen, bei ihnen trieft es oft in schönen Sätzen an Behäbigkeit (manchmal auch Überheblichkeit).

        Ich werde mir jetzt den Trojanow, an den sich ja noch keiner der Buchpreisblogger getraut hat, vornehmen.

        lieber Gruß von mir an Dich

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  5. Liebe Birgit,
    kaum versuche ich zum 100.000sten mal auy dieser Grauzone zwischen leben und nicht leben wieder aufzutauchen, schon stosse ich auf Deine Besprechung, die sich in meinen Ohren sehr profund und nachvollziehbar liest. Das Buch hab ich nicht gelesen und dabei bleibt es auch.
    Was mich hier aber besonders interessiert ist die interessante Diskussion in den Kommentaren, vor allem, weil sie so wunderbar widersprüchlich sind. Und darin zeigt sich für mich vor allem: es gibt bicht Die Herangehensweise, es gibt nicht Die Erwartungshaltung, sprich es gibt nicht Die Leserin bzw. Den Leser. Eigentlich nix Neues, aber im Zusammenhang mit einem Marketing-Wettbewerb wie diesem Buchpreisding führt es eben genau dieses ad absurdum. Natürlich gibt es kein bestes Buch, was für ein Quatsch. So, fertig, ich sag es auch nie nie mehr… ich fund es nur so luschtig…
    Liebe Grüße
    Kai

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    1. Lieber Kai,
      es ist doch auch ganz egal, ob das ein Buchpreisbuch ist oder nicht - es geht jeweils um das einzelne Buch. Und letzten Endes: NUR um ein Buch. Es gibt wichtigeres im Leben. Das erfahren wir - Du ja insbesondere - derzeit alle. Liebe Grüße Birgit

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  6. Liebe Birgit,
    tolle Besprechung. Deine Leseeindrücke teile ich total.

    Ich finde die Idee zum Roman ziemlich gut, die Analogie vom steinzeitlichen Fund zu Romeo und Julia und die räumliche Nähe der Ausgrabungsstätte zu Mantua schreit ja wirklich nach einer Fiktionalisierung.

    Am Ende war ich aber auch enttäuscht, nicht nur über den Mangel an Handlung im Vergleich zur Poetizität der Sprache, sondern auch die fehlende Tiefe der Figuren. Da klingt so vieles an, was so viel Potenzial hat, aber irgendwie wird nichts richtig „auserzählt“, finde ich… Schade! Kennst du den vorigen Roman von Ralph Dutli zufällig? Falls ja - ist es dort besser gelöst?

    Liebe Grüße,
    Tabitha von Zeilensprünge

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