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Ippolito Nievo: Am Ufer des Varmo. Dorfgeschichten (1856/2015).

Bild: Michael Flötotto

Bild: Michael Flötotto

„Das Titschen war allerdings der angenehmste Zeitvertreib, dem sie am häufigsten frönten, und leider würde ich dem urtümlichen bäuerlichen Ausdruck jede Anmut rauben, wenn ich Euch sagte, er bedeute, flache Kieselsteine mit einer kräftigen Armbewegung so über das Wasser zu werfen, dass sie merkwürdige Sprünge und Rutschpartien vollführen. Dennoch möchte ich den Unglücklichen, die sich noch nie an diesem poetischem Zeitvertreib ergötzt haben, gerne erklären, worin er besteht; und die Kundigen möchte ich beschwören, den anderen zu beweisen, dass das Beobachten der hüpfenden Kieselsteine, die zuerst die Oberfläche des Baches berühren, dann wie reuig oder widerspenstig in die Höhe fliegen, um darauf wie verliebte Kobolde zu einem zweiten und längeren Kuss zurückzukehren, und schließlich zierlich über die flüssige Oberfläche rollen und eine Furche wie aus festem Silber graben, dass, wie gesagt, die Beobachtung all dessen der unschuldigste und schönste Zeitvertreib ist.“

Ippolito Nievo, „Am Ufer des Varmo“, erstmals erschienen 1856 im „Annotatore Friulano“.

Er beschrieb die einfachen Freuden der einfachen Leute (wenn auch nicht immer in einfachen Sätzen - die Verschachtelungen erfordern ebenso viel Aufmerksamkeit wie das Titschen): Ippolito Nievo. Obwohl 1831 in Padua geboren und dann durch das Studium lange Zeit ein „Städter“, widmete sich Nievo in seinen Erzählungen den sogenannten „kleinen Leuten“ auf dem Lande.

Dem früh verstorbenen Schriftsteller blieb nicht viel Zeit für seine Werke: Nievo, der sich für einen italienischen Nationalstaat einsetzte und an der Seite Garibaldis kämpfte, kam bereits 1861 bei einem Schiffsunglück ums Leben. In dieser kurzen Lebensspanne hatte er zwei Romane verfasst, darunter die berühmten „Bekenntnisse eines Italieners“. Sowie etliche Novellen, Dorfgeschichten, die vom täglichen Leben der Kleinbauern und Tagelöhner im Friaul erzählen, vom Niedergang des Landadels, von Menschen, die sich um ihr tägliches Brot abrackern und sich dabei doch Herzensgüte bewahren (bis auf einige verschrollene und verdorbene Charaktere, die die Geschichten beleben).

Vielleicht liegt es an dem der Romantik verpflichteten Stil, vielleicht an der Darstellung einer längst versunkenen Welt, die uns fern erscheint, dass Nievos Erzählungen bislang nicht in das Deutsche übersetzt wurden. Der Folio Verlag (Wien/Bozen) hat nun in einer schönen gebundenen Ausgabe (hier mit Leseprobe) drei dieser Dorfgeschichten herausgebracht, übersetzt von Karin Fleischanderl. Und weckt so verdienstvollerweise erneut die Erinnerung an Ippolito Nievo, der von italienischen Schriftstellern späterer Generationen wie Umberto Eco und Italo Calvino hochgeschätzt wurde.

Sicher grenzen die Figuren Nievos manches Mal an das Klischeehafte: Der herzensgute, aber verarmte Adelige, die sich aufopfernde Magd, der treue Bräutigam, der hinterlistige Stutzer, die böse Alte…doch zugleich legt er auch feine psychologische Studien vor, beispielsweise in der Beschreibung einer verwöhnten, ungebärdigen Müllerstochter, die als Kind und junge Frau ihrer zerrissenen Gefühle nicht Herr wird - bis die Erkenntnis dämmert. Und auch wenn manche Sätze so wirken, als verklärten sie die Armut der Landbevölkerung

- „Die Küche, deren einziger Schmuck der Ruß war und die sich für gewöhnlich durch eine gewisse Sauberkeit auszeichnete, wodurch selbst die Armut ein wenig schöner erscheint (…), -

so sind die Darstellungen an anderer Stelle lebensecht und von durchaus historischem Wert: Sie sprechen von einem Italien, das damals das Armenhaus Europas war. Die romantischen Elemente der drei übersetzten Erzählungen „Am Ufer des Varmo“, „Die Heilige aus Arra“ und „Der kleine Anwalt“ liegen darin, dass die „moralisch guten“ Menschen immer ein glückliches Ende und ein Ausgang aus einer Notsituation erwartet, dass es das Schicksal denn doch gut mit ihnen meint und daher- neben der eigenen Aufrichtigkeit und Integrität - oft eine unerwartete Fügung alles zum guten Ende führt. Manche mögen dies überholt finden, andere naiv: Doch Nievo wollte, wie Karin Fleischanderl, die Übersetzerin schreibt, „seine Zeitgenossen mithilfe von Literatur zu moralischem Denken und Handeln“ anhalten. Es gibt schlimmere Ziele, würde ich meinen, und es gibt weit weniger erbauliche Wege, dies zu tun: Denn insgesamt überwiegt ein feiner, literarischer Stil, der Humor Nievos und seine Beschreibungskraft jeden missionarischen-moralischen Eifer.

Allein die Beschreibung des Titschen ist ein wunderbares Kapitel, das auch davon spricht, wie sehr sich wohl auch Nievo selbst noch diesen einfachen, kindlichen Freuden hingeben konnte. Wenn man heute durch Italien fährt, trifft man ab und an in Bergdörfern oder an abgelegenen Orten alte Menschen auf dem Dorfplatz, die wahre Geschichtenerzähler sind: In ihnen findet sich ein Stück von Nievo wieder. Und wer beispielsweise „Die Verlobten“ von Manzoni mag, der wird auch diese Erzählungen goutieren.

8 Comments »

  1. Das Steine-Ditschen mit der Rückkehr eines verliebten Kobolds zum Kuss zu vergleichen, gefällt mir sehr. Je länger ich darüber nachdenke und mich an eigene besonders gelungene Serien auf der Oberfläche spiegelglatter Seen erinnere, desto mehr. Während die Aufschläge zunächst noch herzhaften Schmatzern auf die Wange ähneln mögen, nähern sich am Ende eindeutig Mund und Mund. Der Kobold flieht nicht mehr.😉

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  2. Das klingt wunderbar, Birgit, was du uns da wieder aufgetischt hast aus den alten italienischen Dörfern. Man muss es auch dem Folio Verlag danken. Obwohl „berühmt“, wie du sagst, kenne ich auch die „Bekenntnisse eines Italieners“ nicht. Vielen Dank für diese schönen Appetitmacher.
    Hab ich mir gleich notiert.
    Viele Grüße
    HS

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    • Lieber Herbert,
      das freut mich!
      Nun - „berühmt“ ist ja immer so eine Sache: Aber wenn man so ein wenig durch die italienische Literatur streift, kommt man an den Bekenntnissen nicht vorbei. Aber das ist ein Brocken - und die Dorferzählungen sind kleinere „Häppchen“ einfach zauberhaft. Und auch etwas vergleichbar mit dem, was wir aus der deutschen Literatur aus der Spätromantik kennen, wenn auch nicht ganz so gefühlsüberschwangsüberlastet…Manzonis Verlobte, falls Du die kennst, sind ein guter Vergleich.

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  3. „ein feiner, literarischer Stil, der Humor Nievos und seine Beschreibungskraft“ ja, so ist’s, in dieser schönen Übersetzung. Ich habe den Band mit Freuden gelesen, zumal ich gerne beim Lesen verreise, in diesem Fall ja ins Friaul. Irgendwann werde ich noch die Erinnerungen eines Achtzigjährigen folgen lassen. Traurig, dass Nievo so jung gestorben ist. Das Buch als Objekt ist wunderbar hergestellt, und man merkt die Liebe von allen Beteiligten im Gelingen dieses Buches.

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    • Ach, das freut mich, dass sich hier noch eine Nievo-Leserin findet! Irgendwie scheint er nicht so recht bekannt zu sein…jedenfalls ist diese Buchbesprechung ziemlich unbeachtet geblieben:-) Und Du hast vollkommen recht: Das Buch ist auch sehr, sehr schön gemacht, da steckt wirklich Herz und Leidenschaft drin.

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