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F. Scott Fitzgerald: Die Liebe des letzten Tycoon (1940).

Bild: Rose Böttcher

„Er grüßte zurück und winkte dem Menschenstrom zu, der in der Dunkelheit vorbeifloß, und ich denke mir, daß er dabei ein bißchen wie Napoleon vor seiner Alten Garde ausgesehen hat. Es gibt keine Welt, die ohne Helden auskommt, und Stahr war ein Held. Die meisten dieser Männer waren schon lange hier, und bereits in den Anfängen, auch während des großen Umbruchs zum Tonfilm hin und schließlich in den drei Depressionsjahren hatte er dafür gesorgt, daß ihnen kein Leid geschah. Die alten Loyalitäten gerieten allmählich ins Wanken – auch er war schließlich nicht ohne Makel -, trotzdem war er ihr Mann, der letzte der ganz Großen, und die Grüße, die ihn von den Vorüberziehenden erreichten, waren gedämpfte Ovationen.“

F. Scott Fitzgerald, „Die Liebe des letzten Tycoon“, 1940.

Hollywood, die Traumfabrik. Hollywood, das ist, so ein Zitat aus dem letzten Roman F. Scott Fitzgeralds, „die Goldgräberstadt im Lotusland“. Hollywood, Babylon. Menschenfressermaschine. Das Geschäft mit den Träumen frisst seine eigenen Kinder und Helden: So auch jenen Monroe Stahr, dem vermutlich nur deswegen ein Überleben im Buch gegönnt war, weil der Roman unvollendet bleiben musste: Fitzgerald starb 1940 über den Entwürfen, ausgezehrt, von seinem jahrelangen Alkoholismus ausgebrannt und zudem als Autor beinahe schon vergessen.

Wie viele andere Schriftsteller auch, hatte sich Fitzgerald von Hollywood als Drehbuchautor einfangen lassen. Doch die wenigsten kamen mit dem System – oft ließen die Studios mehrere Autoren parallel an einem Skript arbeiten, künstlerische Leistung wurde zur Ware und wenig wertgeschätzt – und den Schreibfabriken nicht zurecht. Viele konnten sich gerade so über Wasser halten, die Konkurrenz war groß, zumal neben den amerikanischen Schriftstellern auch während des Zweiten Weltkriegs mehr und mehr intellektuelle Emigranten sich hier einen Neuanfang erhofften – Bertolt Brecht sang ein Lied davon in den Hollywood-Elegien.

Doch trotz seiner kritischen Einstellung wollte F. Scott Fitzgerald einen Heldenroman schreiben: Vorbild für Monroe Stahr war Irving Thalberg, der legendäre Mitbegründer der MGM-Studios, der 1936 verstorben war. Unter Thalberg, der Perfektionist und kreativer Kopf mit einem Gefühl für künstlerische Leistung war, entstanden einige der wichtigsten Filme dieser Ära: „Anna Karenina“, „Ein Mensch der Masse“, „Menschen im Hotel“, „Mata Hari“. Ein Visionär, der auf Qualität setzte – und dadurch auch an den Kinokassen erfolgreich war. Doch dem entgegen standen die Verfechter der billigen Massenproduktion, Masse statt Klasse. Thalberg verstarb früh an seinem angeborenen Herzleiden – und hinterließ eine beträchtliche Lücke im Filmschaffen.

Vielleicht sah Fitzgerald Parallelen zu sich selbst: Er, der strahlende Held der Literaturwelt in den roaring twenties, stets jedoch (zunächst aufgrund des aufwendigen Lebensstils, dann wegen der teuren Hospitalkosten für seine psychisch erkrankte Frau Zelda) auch gezwungen, sich in die Niederungen der literarischen Massenproduktion zu begeben. Nach den enormen Erfolgen seiner ersten Bücher war ausgerechnet „The great Gatsby“, den er als bis dahin ernsthaftesten Roman seinerseits wertete, beim Publikum durchgefallen. Die Erzählungen, die er Anfang der 1930er Jahre schrieb und mit denen er zeitweise zum bestbezahlten Schriftsteller seiner Tage wurde, nahm er selbst wenig ernst. Auch wenn darunter wunderbare Stücke sind, Diamanten so groß wie das Ritz. „Der letzte Tycoon“ sollte für den vergessenen Helden der 1920er nochmals ein Neuanfang sein, er wollte damit den literarischen Rang erreichen, den er zeitlebens erstrebte – wahr- und ernstgenommen werden als Autor. Alles deutete auf Neuanfang: Er war ab Anfang 1940 wohl trocken, Sheilah Graham, seine neue Lebensgefährtin, unterstützte ihn in seiner Arbeit, und auch mit dem System Hollywood kam er zurecht. Doch sein Herz war zu schwach, ähnlich wie das Thalbergs, wie jenes dessen literarischen alter egos, Monroe Stahr. Man darf jedoch nicht zu viel Biographisches und Autobiographisches hineindeuten in die literarische Kunstfigur, wie Verena Lueken in einer Diogenes- Ausgabe 2006 bemerkt:

„Fitzgerald hat nie direkt mit, oder besser: unter Thalberg gearbeitet, und er hat sehr in den Schreibfabriken Hollywoods gelitten. Aber er bewunderte Thalberg für dessen Intelligenz und Autorität und schätzte sicher auch dessen glänzendes Aussehen und tadellose Manieren. Mit Monroe Stahr entwirft er eine Figur, in der er die wichtigsten Lebensdaten und die besten Eigenschaften Thalbergs mit inneren Wirklichkeiten kombiniert, die aus seinem eigenen Leben stammen (…). Stahrs Verhältnis zu Frauen erinnert eher an Fitzgeralds Geschichte mit den Frauen, die er liebte. Die tote Minna, die Stahr nicht losläßt, trägt Züge der kranken Zelda, mit der kein Leben mehr möglich ist. Kathleen wiederum ist deutlich von Sheilah Graham inspiriert, die Fitzgerald zum ersten Mal auffiel, weil sie einen silbernen Gürtel trug. Monroe Stahr ist nicht Thalberg, und die Liebe des letzten Tycoon sollte kein Portrait seines Lebens werden. Stahr ist eine fiktive Figur, doch zusammengeschmolzen aus einem Vorbild, eigenen Erlebnissen und einer romantischen Vision vom großen Einsamen, der Ausnahmegestalt, die außerhalb jeder Ranküne steht und jeder Schweinerei.“

Die romantische Vision vom Einsamen, diese Mischung aus flatterhaften, flapsigen Dialogen,

- „ich mag die Menschen und mag es, wenn sie mich mögen, aber ich trage mein Herz an der Stelle, die Gott dafür vorgesehen hat, nämlich nach außen hin unsichtbar“ –

zugleich die dezente Melancholie und die Eleganz der Sprache: Auch „der letzte Tycoon“ ist, obwohl unvollendet, ein typischer, wenn nicht gar gereifter Fitzgerald.

Die Geschichte selbst wird von einer jungen Frau, Tochter von Stahrs Kompagnon, erzählt, die den einsamen Manager beinahe schon backfischhaft anhimmelt. Sie erlebt, wie Stahr bei einem Erdbeben in Los Angeles zufällig jene Kathleen erblickt, die seiner verstorbenen Frau aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheint. Obwohl Kathleen vorhat, aus Pflichtgefühl einen anderen zu heiraten, erleben sie wenige Stunden und Tage miteinander – Tage, in denen Stahr zugleich mit anderen Produzenten, Filmbossen, Finanziers und Gewerkschaftern harte Kämpfe durchzufechten hat. Hier gilt es, Nerven zu bewahren, einen dicken Panzer zu zeigen – der so dick ist, dass auch Kathleen diesen nur für Momente durchbrechen kann. So liegt in dieser Geschichte, die Glanz und Schimmer einer Hollywood-Komödie zu versprechen scheint, bereits der Niedergang. Und dennoch: Auch dieser Roman ist ein Juwel aus der Hand des eigentlich gebrochenen Helden, Fitzgerald.

Hingewiesen sei auch auf die wunderbare Verfilmung von Elia Kazan mit Robert de Niro in der Hauptrolle.

Und noch der Fingerzeig auf zwei weitere Hollywood-Romane, die das Thema satirisch aufgreifen:

„Tag der Heuschrecke“ von Nathanael West, 1939, ebenfalls als Diogenes Taschenbuch erschienen. West, ein Freund Fitzgeralds, hatte sich ebenfalls in den Hollywood Studios verdingt und wurde dabei künstlerisch aufgerieben. Er kam 1940 mit seiner Frau bei einem Autounfall ums Leben. Zuvor hatte er noch die grandiose Abrechnung mit der Traumfabrik vorgelegt – in „Tag der Heuschrecke“ sind die Typen und Figuren grell überzeichnet. Sie handelt von den kleinen Statisten, den Tagelöhnern und Hungerleidern, die den Traum, ganz groß rauszukommen, teuer bezahlen. Und er erzählt von der großen Masse, die die Leere in ihrem Leben durch den Film füllen will, dieses nie erreichbare Ersatzleben, in dem alles Schönheit und Reichtum ist. Das furiose Ende ist die Beschreibung einer Massenhysterie unter der wartenden Menge vor einem Filmpalast:

„Ihr ganzes Leben lang hatten sie sich abgerackert, hinter Ladentischen und Schreibmaschinen, auf dem Land und in der Fabrik, und hatten ihre Pfennige zusammengekratzt, wobei sie von der Muße träumten, die ihnen winkte, wenn sie genug gespart hätten. Schließlich war es dann so weit. Sie konnten wöchentlich zehn bis fünfzehn Dollar abheben. Woanders sollten sie hin als nach Kalifornien, dem sonnigen Land der Orangen? Einmal dort, entdeckten sie, daß die Sonne nicht genügt. Mit der Zeit verleideten ihnen die Orangen, überhaupt alles Obst. Nie ereignet sich was. Sie wissen nicht, was mit ihrer Zeit anfangen, da sie geistig für Muße nicht ausgerüstet und zu arm und zu alt sind, um ausschließlich dem Vergnügen zu leben. (…) Mit ihrer Langeweile wird es immer schrecklicher. Sie merken, daß sie hereingelegt worden sind und hadern mit dem Schicksal. Ihr Leben lang haben sie täglich die Zeitung gelesen und sind ins Kino gegangen. So haben sie von Unfällen und Verbrechen gelebt, von Lustmord, Explosionen, Scheidungsprozessen, Feuersbrünsten, unerklärlichen Ereignissen, Revolutionen, Kriegen. Durch diese tägliche Kost wurden sie abgebrüht. Die Sonne ist ein Witz. Orangen können ihren abgestumpften Gaumen nicht mehr reizen. Nichts kann je gewalttätig genug sein, um ihre geistige und körperliche Erschlaffung zu heben.“

„Nowhere City“ von Alison Lurie, 1965, ebenfalls ein Diogenes Taschenbuch, erinnert an „Ortswechsel“ von David Lodge. Ein etwas braves, prüdes Ehepaar von der Ostküste Amerikas kommt für ein Jahr nach Los Angeles. Amüsant und böse erzählt Lurie von diesem „Clash“ der Kulturen, wo die behütete Ost-Prinzessin auf Hausfrauen trifft, die selbst beim Lebensmitteleinkauf aufgedonnert sind wie Diven, wo der Kosmos plötzlich von Filmsternchen, durchgeknallten Groupies, Psychiatern (nicht weniger durchgeknallt) und ähnlichem bunten Volk wimmelt.

Mein Favorit jedoch bleibt „Die Liebe des letzten Tycoon“.

8 Comments »

  1. Der großen Gatsby ist eines meiner Lieblingsbücher, diesen Roman kenne ich nicht, aber Deine Besprechung macht mich sehr neugierig darauf. Die Melancholie, die den Gatsby durchwebt, scheint sich auch in diesem Buch zu finden. Danke für diese wunderbare Frühstückslektüre und auch für den Hinweis auf die Verfilmung!

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    • Liebe Sabine, da haben wir einen ähnlichen Geschmack: Den großen Gatsby habe ich bereits mehrfach gelesen - eben auch wegen dieser melancholischen Grundstimmung, die sich auch im „Tycoon“ wiederfindet. Eine wunderbare Szene, die ich immer im Kopf habe - verstärkt durch die Filmbilder - ist es, als Stahr seiner Kathleen das Haus zeigt, das er bauen will: Es steht nur das Grundgerüst, aber für einen Moment richten sie es sich in ihren Gedanken ein wie ihr gemeines Haus. Das ist ein starkes Symbol für fragile Hoffnungen…

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  2. Die Kurzgeschichte „Vertrackter Sonntag“ gilt gemeinhin als Vorläufer für den letzten Tycoon, F. schrieb sie 1932 nachdem er bei einer sonntäglichen Teeparty bei Thalbergs „leicht“ angetrunken etwas über die Stränge geschlagen hat. Am nächsten Tag schrieb ihm Norma Shearer (Mrs. Thalberg) : „I thought you were one of the most agreeable Person at our tea“…(Quelle: „Drei Stunden zwischen zwei Flügen“ und andere Meistererzählungen. Natürlich auch bei Diogenes)
    e.

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    • Liebe Bri, danke für den Lin. Aber da werde ich wohl widerstehen, auch wenn das toll aussieht. Aber im Grunde habe ich alles von ihm…(mehrfach). Ich hoffe, ich bleibe tapfer:-) (PS: Führ mich halt nicht dauern in Versuchung, menno:-) )

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      • *lach* nur, wenn Du mich auch nicht dauernd in Versuchung führt … oder dein Kollege … ihr macht das ja jetzt schon zu zweit *gg*. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichten schon mal veröffentlicht wurden …..

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      • oje…jetzt hoffe ich beinahe schon inständig, dass es nichts bislang unveröffentlichtes ist…das wäre fürchterlich für Regalplatz, Geldbeutel usw.
        Und übrigens: Ihr seid auf dem Buchstoff ja auch zu mehreren, was glaubst Du, welche Traumata das wegen den allen nichtgelesenen Büchern schon bei mir geführt hat?

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      • Ich bin mir nicht sicher … aber ich kann ja erst mal testen. Echt, Traumata .-.. auweia, na das wollen wir nicht … aber es gibt halt so viele tolle Bücher. Da kann man nichts machen …

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