Steven Bloom: Das positivste Wort der englischen Sprache (2015).

„Als Maggie ging, wußte Norman nicht, was er fühlte. Er arbeitete weiter an seinem Roman über das Postamt, und obwohl es während der nächsten Jahre Frauen gab, fühlte er sich keiner so nahe wie seinen Figuren.
Das Dunkel der Nacht kam sehr gut an, und Norman bewarb sich mit Erfolg an einem kleinen, aber renommierten College zwei Zugstunden von New York entfernt.
Als er eines Tages eine Mitteilung des Fachbereichs las, merkte er beim Blick auf das Datum, dass er, wie auch immer, zweiundvierzig geworden war.“

Steven Bloom, „Das positivste Wort der englischen Sprache“, 2015, Wallstein Verlag.

Vor allem Männer, die über die Mitte des Lebens hinaus sind, sollten dieses Buch lesen. Man steht auf, macht seinen Job, versucht, irgendwie durchzukommen, kleinere und größere Ereignisse und Katastrophen verschwimmen irgendwann im Fluss der Zeit – und ehe man sich versieht, ist man Vierzig plus, ein Sonderling und ziemlich einsam. Norman Goldstein ist so ein Typ, beinahe ein „Stoner“, etwas tapsig, unbeholfen, aber auch stoisch bis hin zum zeitweiligen Gefühlsautismus, dabei aber auch überaus sympathisch. Dieser Goldstein scheint durch sein Leben zu gehen und sich meistens zu wundern, was ihm geschieht (oder vielmehr: nicht geschieht):

„In der Mensa der Fakultät wurde er eines Tages Ohrenzeuge einer Diskussion über die „Neue Enthaltsamkeit“ und war überrascht, dass es noch andere gab, die wie er waren. Seine Enthaltsamkeit war jedoch schon über zehn Jahre alt. Sie war das Geschenk, das er sich zu seinem fünfzigsten Geburtstag gemacht hatte.“

Vor allem die Frauen, die ihm geschehen:

Ehrlich gesagt, sagte Maggie, hast du bei manchem keine Wahl. Ich war auch mal verheiratet, ich lebe auch schon zu lange allein. Ich leide auch an einer Unterversorgung mit Zärtlichkeit. Der einzige Unterschied zwischen uns ist, dass ich keine verkorkste Lebensphilosophie habe. (…)
Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich dich herumkommandiere, sagte Maggie, als sie in einem Restaurant in Chinatown saßen, denn das ist nicht zu übersehen. Ich tue es aber aus dem besten aller möglichen Gründe: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Das stammt von Gott persönlich, Norman.

Dass das mit Maggie – wie mit den Frauen zuvor – nicht gut ausgeht, liegt auf der Hand…

Erst als ihn eine späte Liebe ereilt, entdeckt Goldstein „das positivste Wort der englischen Sprache“: „YES“. Die temperamentvolle, wesentlich jüngere Kollegin Vashti holt den Bildungs-Eremiten aus seiner Höhle, überrollt ihn mit ihrer Lebensfreude, nimmt ihm förmlich an der Hand, rüttelt und schüttelt ihn aus seiner Lethargie.

Vashti spießte ein Stück Kiwi mit der Gabel auf.
Dein Gesicht, sagte sie, ist wie ein offenes Buch. Irgendetwas plagt dich.
Ich fühle mich dir näher, sagte Norman, als ich mich je einem Menschen gefühlt habe, und trotzdem hält mich etwas zurück.
Liebe, sagte Vashti, ist ziemlich beängstigend. Du liebst mich doch, oder?
Ich wünschte, ich könnte einfach ja sagen.
Dann sag es halt.
Mit „yes“, sagte Norman, endet der Ulysses. Er wollte, sagte Joyce, sein Buch mit dem positivsten Wort der englischen Sprache enden lassen.
Es ist ein gutes Wort, Norman, sagte Vashti.

Endlich angekommen beim positivsten Wort der englischen Sprache, erfährt Norman tragischerweise ein großes, finales „No“: Vashti stirbt.

Es ist dem Talent des Steven Bloom zu verdanken, dass man diesen schmalen Roman zuklappt, und neben der Melancholie über ein Unhappy End (das Bloom leise, wehmütig ausgleiten lässt), auch ein Gefühl der Heiterkeit mitnimmt. Wie Vashti ihren Norman, so kann auch dieses Buch schütteln und rütteln. Es fordert die Frage heraus: Was stellst Du mit deinem Leben an?

Dabei ist „Das positivste Wort der englischen Sprache“ kein melancholisches Buch an sich. Bloom hat ein außerordentliches Talent für witzige Dialoge, stellt seinem Stadtneurotiker Norman zynische und lakonische Gesprächspartner an die Seite, lässt in dem schmalen Werk eine ganze Reihe bunter, schillernder Typen auftreten: Die linksliberalen jüdischen Eltern, den gewitzten Hausmeister, rassistische Vermieter, abgetackelte Spieler, versoffene irische Dozenten. Seitenweise prallvolles Leben, kapitelweise amerikanische Geschichte im Vorbeigehen – von der latent und offen rassistischen New Yorker Gesellschaft der Nachkriegsjahre, über die Aufbruchsstimmung unter Kennedy, die Emanzipation unter Martin Luther King, bis zur revisionistischen Reagan-Ära spannt sich der Bogen. Ulrich Rüdenauer schrieb in der Zeit über das Buch:

Sein neuer Roman ist zugleich sein ambitioniertester, zumindest was die darin erzählte Zeitspanne angeht, und sein zurückgenommenster. Er beginnt in den sechziger Jahren und umfasst ein halbes Jahrhundert, in dem wir den jungen Norman Goldstein auf seinem Weg durchs Leben begleiten. Das positivste Wort der englischen Sprache ist ein schmaler Entwicklungsroman, der wie nebenbei die Geschichte Amerikas des letzten halben Jahrhunderts miterzählt. Episoden und Lebenssplitter werden aneinandergereiht, dazwischen immer wieder kleinere und größere Lücken gelassen, die dem Buch bei aller chronologischen Strenge eine reizvolle Offenheit geben. 

Unterschlagen hat Rüdenauer dabei, dass der schmale Roman auch witzig und überaus unterhaltsam ist, vor allem dann, wenn Norman, der Schüchterne, von seinen Gesprächspartnern förmlich überrollt wird.

Das positivste Wort der englischen Sprache ist – trotz der ihm innewohnenden Melancholie - der positivste Roman der englischen Sprache, den ich in letzter Zeit gelesen habe. Volle Leseempfehlung daher.

Mein Dank an den Wallstein Verlag für das Rezensionsexemplar (Verlagsangaben zum Buch hier). Und für die Entdeckung des Autoren: Steven Bloom, 1942 in Brooklyn geboren, lebt seit Jahren in Heidelberg, schreibt in amerikanischem Englisch (Übersetzerin Silvia Morawetz), seine Werke erschienen bislang jedoch bei deutschsprachigen Verlagen, nicht jedoch im angelsächsischen Raum.

Verfasst von

Das Literaturblog Sätze&Schätze gibt es seit 2013. Gegründet aus dem Impuls heraus, über Literatur und Bücher zu schreiben und mit anderen zu diskutieren.

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